Entscheidungsdatum
02.04.2020Norm
BFA-VG §22a Abs1Spruch
G311 2229951-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Dr. Eva WENDLER über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, Staatsangehörigkeit: Ägypten, vertreten durch RA Mag. Wissam BARBAR, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 14.02.2020, Zl. XXXX, sowie die fortdauernde Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft seit 14.02.2020 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 22a Abs. 1 BFA-VG stattgegeben und der angefochtene Bescheid als rechtswidrig behoben. Gleichzeitig wird die Anhaltung in Schubhaft ab XXXX.2020 für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG iVm § 76 FPG wird festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht vorliegen.
III. Gemäß § 35 VwGVG hat der Bund (Bundesminister für Inneres) der beschwerdeführenden Partei Aufwendungen in der Höhe von 737,60 Euro binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsangehöriger, wurde am 14.02.2020 am Bahnhof Villach mit einem Zugticket nach Venedig im Rahmen einer fremdenrechtlichen Kontrolle angetroffen. Er wurde dabei nach § 39 FPG festgenommen und wurde noch an diesem Tag die Festnahme gemäß § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG angeordnet (Bericht der Landespolizeidirektion XXXX vom 14.02.2020).
Er gab bei seiner niederschriftlichen Einvernahme am 14.02.2020 vor der belangten Behörde an, dass er von Slowenien kommend zu Fuß nach Österreich eingereist sei um von hier nach Italien zu seinen Verwandten weiterzureisen. Er habe Ägypten aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage und wegen politischen Problemen verlassen. Er habe an Demonstrationen teilgenommen, sei persönlich aber nicht bedroht und verfolgt worden.
Er wurde in weiterer Folge ausdrücklich vom Leiter der Amtshandlung befragt, ob er in Österreich "einen Asylantrag" stellen wolle. Der Beschwerdeführer antwortete darauf, dass er nach Italien wolle. Er wurde sodann vom Leiter der Amtshandlung darauf hingewiesen, dass er vor einem Sicherheitsorgan im Polizeianhaltezentrum einen Antrag auf internationalen Schutz stellen könne.
Es liegt kein Reisedokument vor und kein Aufenthaltstitel für das Bundesgebiet vor.
Mit Mandatsbescheid vom XXXX.2020 wurde die Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und zur Sicherung der Abschiebung angeordnet, die seit XXXX.2020 im Anhaltezentrum XXXX vollzogen wird.
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 17.02.2020, zugestellt am 18.02.2020, wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 FPG nicht erteilt (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 2 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), festgestellt, dass gemäß § 52 Abs. 9 FPG eine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Ägypten zulässig ist (Spruchpunkt III.), gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z 6 FPG wurde ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nicht gewährt, einer Beschwerde wurde gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 und 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt.
Dagegen wurde fristgerecht Beschwerde erhoben, das diesbezügliche Beschwerdeverfahren ist noch nicht vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig (Einsichtnahme in das elektronische Aktenverwaltungssystem durch die erkennende Richterin am 30.03.2020 und am 01.04.2020).
Der Beschwerdeführer stellte am 26.02.2020 einen Antrag auf internationalen Schutz, dazu fand noch am selben Tag die Erstbefragung durch die Landespolizeidirektion XXXX statt. Laut Mitteilung der belangten Behörde vom 01.04.2020 wurde über den Antrag auf internationalen Schutz noch nicht entschieden
Mit Aktenvermerk vom 26.02.2020, dem Beschwerdeführer nachweislich zur Kenntnis gebracht am 26.02.2020, wurde festgehalten, dass die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 6 FPG vorliegen, weil angenommen wurde, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt worden war.
Gegen den Mandatsbescheid vom XXXX.2020 erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 26.03.2020 Beschwerde, diese langte am 27.03.2020 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Er beantragte die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, festzustellen, dass die Anordnung der Schubhaft und die bisherige Anhaltung in Schubhaft rechtswidrig waren, die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen nicht mehr vorliegen und den Bund zum Kostenersatz zu verpflichten.
Am 27.03.2020 legte die belangte Behörde dem erkennenden Gericht die Akten unter Darlegung der Gründe, warum die Aufrechterhaltung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig sei, zu einer weiteren Überprüfung der Verhältnismäßigkeit der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft vor. Ausgeführt wurde dabei, dass die belangte Behörde plane, der Beschwerde gegen den Bescheid vom 17.02.2020, mit dem eine Rückkehrentscheidung und ein Einreiseverbot erlassen wurde, im Rahmen einer Beschwerdevorentscheidung stattzugeben, da ein Asylantrag gestellt wurde.
Der Beschwerdeführer ist nicht bereit, in seinen Herkunftsstaat auszureisen. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer verfügt über kein Reisedokument, er wies jedoch bei seiner Einvernahme vor der belangten Behörde am 14.02.2020 die Vorderseite einer ägyptischen ID-Karte lautend auf XXXX, geboren am XXXX, Nr. XXXX, auf seinem Mobiltelefon vor.
Der Beschwerdeführer ist in Österreich nicht sozial verankert. Weder bestehen familiäre Bindungen noch hat er hier je eine legale Erwerbstätigkeit ausgeübt. Er hat auch keine gesicherte Wohnmöglichkeit im Inland. Er verfügt - abgesehen von geringen Barmitteln - über keine finanziellen Mittel für seinen Lebensunterhalt. Bei ihm bestehen keine signifikanten gesundheitlichen Probleme.
Flüge nach Ägypten sind derzeit ausgesetzt (Auskunft IATA - International Airtransport Association, https://www.iatatravelcentre.com/international-travel-document-news/1580226297.htm, abgerufen am 31.03.2020).
Die EU hat ihre Außengrenzen geschlossen (https://www.schengenvisainfo.com/de/nachrichten/die-eu-beschliest-alle-schengen-grenzen-fur-30-tage-zu-schliesen/, abgerufen am 31.03.2020).
In Österreich wurden vorläufige Maßnahmen zur Verhinderung der Verbreitung von COVID-19 angeordnet, z.B. Verkehrsbeschränkungen, Versammlungs- und Betretungsverbote. Diese sind vorerst bis 13.04.2020 befristet (vgl dazu Verordnung des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz gemäß § 2 Z 1 des COVID-19-Maßnahmengesetzes StF: BGBl. II Nr. 98/2020 idF BGBl. II Nr. 108/2020).
Beweiswürdigung:
Der Verfahrensgang und die Sachverhaltsfeststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde und des Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.
Das Bundesverwaltungsgericht holte einen Zentralmelderegister- und Strafregisterauszug sowie Auszüge aus dem Zentralen Fremdenregister ein. Die genannten Informationsquellen aus dem Internet betreffend Schließung der EU-Außengrenze und der Flugbeschränkungen in Ägypten liegen dem Gerichtsakt ein.
Dass der Beschwerdeführer nicht bereit ist, in seinen Herkunftsstaat auszureisen, sowie die Feststellungen zu seinen persönlichen Verhältnissen in Österreich ergeben sich aus seinen eigenen Angaben vor der belangten Behörde und den Beschwerdeausführungen. Im Übrigen liegen keine Beweisergebnisse vor, aus denen sich eine soziale Verankerung des Beschwerdeführers in Österreich ableiten lässt, was auch in der Beschwerde unbestritten blieb. Gesundheitliche Probleme des Beschwerdeführers wurden nicht vorgebracht.
Rechtliche Beurteilung
§ 76 FPG lautet:
(1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.
(2) Die Schubhaft darf nur angeordnet werden, wenn
1. dies zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme notwendig ist, sofern der Aufenthalt des Fremden die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gemäß § 67 gefährdet, Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist,
2. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme nach dem 8. Hauptstück oder der Abschiebung notwendig ist, sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder
3. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.
Bedarf es der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme deshalb nicht, weil bereits eine aufrechte rechtskräftige Rückkehrentscheidung vorliegt (§ 59 Abs. 5), so steht dies der Anwendung der Z 1 nicht entgegen. In den Fällen des § 40 Abs. 5 BFA-VG gilt Z 1 mit der Maßgabe, dass die Anordnung der Schubhaft eine vom Aufenthalt des Fremden ausgehende Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nicht voraussetzt.
(2a) Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung (Abs. 2 und Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung) ist auch ein allfälliges strafrechtlich relevantes Fehlverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen, insbesondere ob unter Berücksichtigung der Schwere der Straftaten das öffentliche Interesse an einer baldigen Durchsetzung einer Abschiebung den Schutz der persönlichen Freiheit des Fremden überwiegt.
(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder 2 oder im Sinne des Art. 2 lit n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,
1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;
1a. ob der Fremde eine Verpflichtung gemäß § 46 Abs. 2 oder 2a verletzt hat, insbesondere, wenn ihm diese Verpflichtung mit Bescheid gemäß § 46 Abs. 2b auferlegt worden ist, er diesem Bescheid nicht Folge geleistet hat und deshalb gegen ihn Zwangsstrafen (§ 3 Abs. 3 BFA-VG) angeordnet worden sind;
2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;
3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;
4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;
5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;
6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung zuständig ist, insbesondere sofern
a. der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche Angaben hierüber gemacht hat,
b. der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat weiterzureisen, oder
c. es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;
7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;
8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen, Meldeverpflichtungen oder Anordnungen der Unterkunftnahme gemäß §§ 52a, 56, 57 oder 71 FPG, § 38b SPG, § 13 Abs. 2 BFA-VG oder §§ 15a oder 15b AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;
9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.
(4) Die Schubhaft ist schriftlich mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Schubhaftbescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(5) Wird eine aufenthaltsbeendende Maßnahme (Z 1 oder 2) durchsetzbar und erscheint die Überwachung der Ausreise des Fremden notwendig, so gilt die zur Sicherung des Verfahrens angeordnete Schubhaft ab diesem Zeitpunkt als zur Sicherung der Abschiebung verhängt.
(6) Stellt ein Fremder während einer Anhaltung in Schubhaft einen Antrag auf internationalen Schutz, so kann diese aufrechterhalten werden, wenn Gründe zur Annahme bestehen, dass der Antrag zur Verzögerung der Vollstreckung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme gestellt wurde. Das Vorliegen der Voraussetzungen ist mit Aktenvermerk festzuhalten; dieser ist dem Fremden zur Kenntnis zu bringen. § 11 Abs. 8 und § 12 Abs. 1 BFA-VG gelten sinngemäß.
§ 77 FPG lautet:
(1) Das Bundesamt hat bei Vorliegen der in § 76 genannten Gründe gelindere Mittel anzuordnen, wenn es Grund zur Annahme hat, dass der Zweck der Schubhaft durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Gegen mündige Minderjährige hat das Bundesamt gelindere Mittel anzuwenden, es sei denn bestimmte Tatsachen rechtfertigen die Annahme, dass der Zweck der Schubhaft damit nicht erreicht werden kann; diesfalls gilt § 80 Abs. 2 Z 1.
(2) Voraussetzung für die Anordnung gelinderer Mittel ist, dass der Fremde seiner erkennungsdienstlichen Behandlung zustimmt, es sei denn, diese wäre bereits aus dem Grunde des § 24 Abs. 1 Z 4 BFA-VG von Amts wegen erfolgt.
(3) Gelindere Mittel sind insbesondere die Anordnung,
1. in vom Bundesamt bestimmten Räumen Unterkunft zu nehmen,
2. sich in periodischen Abständen bei einer Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden oder
3. eine angemessene finanzielle Sicherheit beim Bundesamt zu hinterlegen.
(4) Kommt der Fremde seinen Verpflichtungen nach Abs. 3 nicht nach oder leistet er ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zugegangenen Ladung zum Bundesamt, in der auf diese Konsequenz hingewiesen wurde, nicht Folge, ist die Schubhaft anzuordnen. Für die in der Unterkunft verbrachte Zeit gilt § 80 mit der Maßgabe, dass die Dauer der Zulässigkeit verdoppelt wird.
(5) Die Anwendung eines gelinderen Mittels steht der für die Durchsetzung der Abschiebung erforderlichen Ausübung von Befehls- und Zwangsgewalt nicht entgegen. Soweit dies zur Abwicklung dieser Maßnahmen erforderlich ist, kann den Betroffenen aufgetragen werden, sich für insgesamt 72 Stunden nicht übersteigende Zeiträume an bestimmten Orten aufzuhalten.
(6) Zur Erfüllung der Meldeverpflichtung gemäß Abs. 3 Z 2 hat sich der Fremde in periodischen, 24 Stunden nicht unterschreitenden Abständen bei einer zu bestimmenden Dienststelle einer Landespolizeidirektion zu melden. Die dafür notwendigen Angaben, wie insbesondere die zuständige Dienststelle einer Landespolizeidirektion sowie Zeitraum und Zeitpunkt der Meldung, sind dem Fremden vom Bundesamt mit Verfahrensanordnung (§ 7 Abs. 1 VwGVG) mitzuteilen. Eine Verletzung der Meldeverpflichtung liegt nicht vor, wenn deren Erfüllung für den Fremden nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar war.
(7) Die näheren Bestimmungen, welche die Hinterlegung einer finanziellen Sicherheit gemäß Abs. 3 Z 3 regeln, kann der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festlegen.
(8) Das gelindere Mittel ist mit Bescheid anzuordnen; dieser ist gemäß § 57 AVG zu erlassen, es sei denn, der Fremde befände sich bei Einleitung des Verfahrens zu seiner Erlassung aus anderem Grund nicht bloß kurzfristig in Haft. Nicht vollstreckte Bescheide gemäß § 57 AVG gelten 14 Tage nach ihrer Erlassung als widerrufen.
(9) Die Landespolizeidirektionen können betreffend die Räumlichkeiten zur Unterkunftnahme gemäß Abs. 3 Z 1 Vorsorge treffen.
Der Beschwerdeführer ist Fremder gemäß § 76 Abs. 1 FPG. Er wurde am 14.02.2020 am Bahnhof XXXX angehalten, eine gültiges Reisedokument bzw. einen Aufenthaltsrecht lagen zu diesem Zeitpunkt nicht vor.
Es war daher zu prüfen, ob die Verhängung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme in Betracht kommt. Auf Grund des mit Bescheid vom 17.02.2020, zugestellt am 18.02.2020, lag beginnend ab 18.02.2020 gegen den Beschwerdeführer eine durchsetzbare und durchführbare Rückkehrentscheidung vor. Ab diesem Zeitpunkt wurde der Beschwerdeführer zur Sicherung der Abschiebung gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG in Schubhaft angehalten. Ab dem Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf internationalen Schutz am 26.02.2020 wurde die Schubhaft auf § 76 Abs. 6 FPG gestützt.
Fluchtgefahr ist in § 76 Abs. 3 FPG gesetzlich definiert. Das Bundesamt stützte die Fluchtgefahr im angefochtenen Bescheid auf § 76 Abs. 3 Z 1 und 9 FPG. Dem Beschwerdevorbringen ist insofern zu zustimmen als der der Beschwerdeführer durch Vorlage der Kopie des Personalausweises am Verfahren zumindest teilweise mitgewirkt hat. Hingegen blieb das Vorliegen der Z 9 - das Fehlen einer sozialen Verankerung im Bundesgebiet - auch in der Beschwerde unbestritten. Es lag daher im Gegenstand jedenfalls Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG vor.
Die belangte Behörde ging allerdings unzutreffend davon aus, dass mit der Verhängung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 3 FPG nicht das Auslangen gefunden werden konnte:
Die belangte Behörde führte aus, dass die finanzielle Sicherheitsleistung aufgrund der finanziellen Situation des Beschwerdeführers schon von vornherein ausscheide. Doch auch was die Unterkunftnahme in bestimmten Räumlichkeiten und die periodische Meldeverpflichtung beträfe, könne im Fall des Beschwerdeführers nicht das Auslangen gefunden werden. Die Fluchtgefahr gemäß § 76 Abs. 3 Z 9 FPG war allerdings aufgrund des Verhaltens des Beschwerdeführers nicht so erheblich, dass mit der Verhängung gelinderer Mittel nicht das Auslangen gefunden hätte werden können:
Der Beschwerdeführer brachte die Kopie seines Personalausweises in Vorlage. Bei der belangten Behörde sind keine Zweifel darüber aufgekommen, dass es sich dabei nicht um den Beschwerdeführer handeln könnte. Auf dieser Grundlage kann auch ein Verfahren zur Erlangung eines Heimreisezertifikates bei der ägyptischen Botschaft angestrengt werden (siehe dazu auch die Beschwerdevorlage der belangten Behörde vom 27.03.2020).
Die belangte Behörde hätte somit statt die Schubhaft über den Beschwerdeführer zu verhängen mit der Verhängung gelinderer Mittel das Auslangen finden können und im Sinne der Verhältnismäßigkeit auch müssen. Die Verhängung von Schubhaft war daher unverhältnismäßig.
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes steht bei einer Anhaltung in Schubhaft auf der Grundlage des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG die Verfahrenssicherung im Vordergrund. Das ist insbesondere im Rahmen der gebotenen Verhältnismäßigkeitsprüfung zu beachten, wobei auch die Frage der voraussichtlichen Dauer des Asylverfahrens bzw. eines dem Asylwerber weiterhin zukommenden "Bleiberechts" einzubeziehen ist. Das gilt sinngemäß auch für eine (weitere) Anhaltung in Schubhaft auf Basis des § 76 Abs. 6 FPG, bei der ebenfalls die Sicherung des "Verfahrens übe einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme" im Vordergrund steht und bei der - mag dies auch (anders als in § 76 Abs. 2 Z 1 und 2 FPG) nicht ausdrücklich in den Wortlaut dieser Bestimmung aufgenommen worden sein - ebenfalls eine Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmen ist. Nach der im Verfassungsrang stehenden Bestimmung des Art. 1 Abs. 3 PersFrG 1988 ist Schubhaft nämlich (immer) nur dann gerechtfertigt, wenn der Eingriff zum Zweck der Maßnahme notwendig ist und nur soweit der Freiheitsentzug nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht (vgl. VwGH 19.09.2019, Ra 2019/21/0204 mwN).
War der Schubhaftbescheid unrechtmäßig, galt dies auch für die auf ihn gestützte Anhaltung. Es war daher auch festzustellen, dass die Anhaltung in Schubhaft auf Grund des Bescheides vom XXXX.2020 und des Aktenvermerkes gemäß § 76 Abs. 6 FPG unrechtmäßig war.
Aus den dargelegten Gründen, die auch im Entscheidungszeitpunkt gegeben sind, liegen die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vor. Es war daher auszusprechen, dass die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung in Schubhaft nicht vorlagen.
Der belangten Behörde gebührte als unterlegene Partei kein Kostenersatz, der Beschwerdeführer war auf Grund der Beschwerdestattgabe obsiegende Partei und hatte Anspruch auf Kostenersatz.
Unzulässigkeit der Revision:
Die Revision war gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhing, der grundsätzliche Bedeutung zukam. Weder wich die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlte es an einer Rechtsprechung; weiters war die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch lagen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aufwandersatz, Rechtswidrigkeit, Schubhaft, Schubhaftbeschwerde,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G311.2229951.1.00Zuletzt aktualisiert am
30.06.2020