TE Bvwg Beschluss 2020/4/8 W261 2217201-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.04.2020
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.04.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz 2

Spruch

W261 2217201-1/7E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 07.03.2019, betreffend die Abweisung des Antrages auf Ausstellung eines Behindertenpasses beschlossen:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der angefochtene Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte am 02.01.2019 erstmals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.

Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten einer Ärztin für Allgemeinmedizin vom 15.02.209 auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag ein. Die medizinische Sachverständige stellte in ihrem Gutachten fest, dass die Beschwerdeführerin an "Depressio, Posttraumatische Belastungsstörung, Persönlichkeitsstörung", an einer "Schilddrüsenfunktionsstörung" und an "rezidivierenden Cephalea (Kopfschmerzen)" mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 30 von Hundert (vH) leide.

Die belangte Behörde übermittelte der Beschwerdeführerin diese Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 18.02.2019 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte dieser eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

In deren Stellungnahme vom 03.03.2019 führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie mit dem Ergebnis der Begutachtung nicht einverstanden sei. Ihre Beschwerden würden seit ihrer Kindheit bestehen. Die Beschwerden würden sich gegenseitig verstärken, ihr Reflux-Leiden und ihre Kopfschmerzattacken seien aufgrund der Medikamentenunvertäglichkeit nicht in den Griff zu bekommen. Die Migräne, die Magen-Darm-Erkrankung, Reflux und ihre Schilddrüsenerkrankung würden ihren psychischen Leidensdruck zusätzlich verstärken, was sich negativ auf ihr gesamtes körperliches und psychisches Befinden auswirke. Sie sei im Alltag sehr eingeschränkt, da sie aufgrund ihrer Erkrankungen weder am beruflichen noch am sozialen Leben teilhaben könne. Sie habe Probleme mit der Halswirbelsäule. Die Beschwerdeführerin legte einen Befund einer Fachärztin für Psychiatrie und psychotherapeutische Medizin vom 28.02.2019 vor, wonach die Beschwerdeführerin an einer chronischen Schmerzstörung, Depressio F33, Posttraumatische Belastungsstörung F43.1, rezidivierenden Cephalea und an einer Persönlichkeitsstörung leide.

Die belangte Behörde nahm diese Ausführungen zum Anlass, um eine ergänzende Stellungnahme der befassten medizinischen Sachverständigen einzuholen. In deren Stellungnahme vom 07.03.2019 führt die medizinische Sachverständige aus, dass auch der neu vorgelegte Befund vom 28.02.2019 zu keiner Einschätzung des Grades der Behinderung führe. Das Schreiben der Beschwerdeführerin beinhalte keine neuen Erkenntnisse hinsichtlich noch nicht berücksichtigter, behinderungswirksamer Gesundheitsschäden. Somit ergebe sich keine Änderung der bereits durchgeführten Einschätzung.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 07.03.2019 wies die belangte Behörde den Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses gemäß §§ 40, 41 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 30 vH fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten samt ergänzender Stellungnahme in Kopie bei.

Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass viele ihrer bestehenden Gesundheitsschädigungen nicht hinreichend berücksichtigt worden seien. Diese hätten massive Auswirkungen auf ihren Alltag und seien auch nur bedingt therapierbar, weil sie Medikamente nur sehr schlecht vertrage. Aufgrund der Persönlichkeitsstörung, ihrer gesamten psychischen Verfassung, einer Entwicklungsstörung, der PTSD und des Refluxes habe sie eine starke soziale Beeinträchtigung, und es sei ihr nicht mehr möglich, berufstätig zu sein. Sie leide auch an Problemen an der Halswirbelsäule, unter welchen sie im Alltag extrem leide, darauf sei gar nicht eingegangen worden. Die immer wiederkehrenden Kopfschmerzen und chronischen Schmerzen unter denen sie durch die belastendenden Ereignisse seit ihrer Kindheit leide, würden ihren Alltag sehr beeinträchtigen. Oft könne sie keine Tabletten dagegen einnehmen, es würden Tage vergehen, bis es ihr wieder bessergehen würde. Sie ersuche daher, die Entscheidung zu überprüfen. Die Beschwerdeführerin schloss der Beschwerde neuerlich jene Befunde an, welche diese im Verfahren vor der belangten Behörde bereits vorgelegt hatte.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 09.04.2019 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W260 einlangte.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.01.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W260 abgenommen und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 12.02.2020 einlangte.

Das BVwG führte am 12.02.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach die Beschwerdeführerin österreichische Staatsbürgerin ist, und ihren ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

Zu A)

Gemäß § 28 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (in der Folge VwGVG) hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden,

1. wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, allerdings mit dem Unterschied, dass die Notwendigkeit der Durchführung einer mündlichen Verhandlung nach § 28 Abs. 3 VwGVG nicht erforderlich ist. Voraussetzung für eine Aufhebung und Zurückverweisung ist allgemein (nur) das Fehlen behördlicher Ermittlungsschritte. Sonstige Mängel, abseits jener der Sachverhaltsfeststellung, legitimieren nicht zur Behebung auf Grundlage von § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG (Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), § 28 VwGVG, Anm. 11.).

§ 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG bildet damit die Rechtsgrundlage für eine kassatorische Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat.

Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 26.06.2014, Ro 2014/03/0063, zur Auslegung des § 28 Abs. 3 2. Satz ausgeführt hat, ist vom prinzipiellen Vorrang einer meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte auszugehen. Nach der Bestimmung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG kommt bereits nach ihrem Wortlaut die Aufhebung eines Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht nicht in Betracht, wenn der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht (vgl. auch Art. 130 Abs. 4 Z 1 B-VG). Dies wird jedenfalls dann der Fall sein, wenn der entscheidungsrelevante Sachverhalt bereits im verwaltungsbehördlichen Verfahren geklärt wurde, zumal dann, wenn sich aus der Zusammenschau der im verwaltungsbehördlichen Bescheid getroffenen Feststellungen (im Zusammenhalt mit den dem Bescheid zu Grunde liegenden Verwaltungsakten) mit dem Vorbringen in der gegen den Bescheid erhobenen Beschwerde kein gegenläufiger Anhaltspunkt ergibt.

Ist die Voraussetzung des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG erfüllt, hat das Verwaltungsgericht (sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist) "in der Sache selbst" zu entscheiden.

Das im § 28 VwGVG insgesamt normierte System, in dem insbesondere die normative Zielsetzung der Verfahrensbeschleunigung bzw. der Berücksichtigung einer angemessenen Verfahrensdauer ihren Ausdruck findet, verlangt, dass von der Möglichkeit der Zurückverweisung nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht wird.

Wie der Verwaltungsgerichtshof im oben angeführten Erkenntnis ausgeführt hat, wird eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen daher insbesondere dann in Betracht kommen, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer "Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht, vgl. Holoubek, Kognitionsbefugnis, Beschwerdelegitimation und Beschwerdegegenstand, in: Holoubek/Lang (Hrsg), Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, erster Instanz, 2013, Seite 127, Seite 137; siehe schon Merli, Die Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte erster Instanz, in Holoubek/Lang (Hrsg), Die Schaffung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, 2008, Seite 65, Seite 73 f).

Der angefochtene Bescheid erweist sich in Bezug auf den zu ermittelnden Sachverhalt aus folgenden Gründen als grob mangelhaft:

Die Beschwerdeführerin leidet unter anderem auch an psychischen/psychiatrischen Leiden. Ursprünglich beurteilte diese Leiden, welche in der Gesamtbeurteilung zusammengefasst als Leiden Nummer 1 mit "Depressio, Posttraumatische Belastungsstörung, Persönlichkeitsstörung" geführt werden, eine allgemeinmedizinische Sachverständige, welche in ihrem Gutachten vom 15.02.2019 basierend auf einer persönlichen Untersuchung der Beschwerdeführerin am selben Tag, zum Ergebnis kam, dass diese Leiden mit einem Grad der Behinderung von 30 % nach Position 03.06.01 einzustufen seien.

Dabei lässt die medizinische Sachverständige außer Acht, dass nach der Position 03.06. der Einschätzungsverordnung "Affektive Störungen, wie manische, depressive und bipolare Störungen" zu beurteilen sind, und es für posttraumatische Belastungsstörungen, welche sie ebenfalls unter die Position 03.06. subsumierte, eine eigene Position, genauer die Position 03.05. "Neurotische Belastungsreaktionen, somatoforme Störungen und posttraumatische Belastungsstörung, welche alle neurotischen Belastungsstörungen, somatoforme Störungen, Verhaltensstörungen und emotionale Störungen mit Beginn der Kindheit umfasst", gibt, nach welcher diese Leiden einzustufen sind. Allein aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin in deren Stellungnahme vom 03.03.2019 und aus dem mit dieser Stellungnahme neu vorgelegten medizinischen Befundes vom 28.02.2019 gibt es eindeutige Hinweise darauf, dass ein nach dieser Position einzustufendes Leiden der Beschwerdeführerin vorliegen könnte.

In Position 03.04 der Einschätzungsverordnung finden sich die Einschätzungskriterien für "Persönlichkeits- und Verhaltensstörungen", welche bei der Beschwerdeführerin diagnostiziert wurden, und welche die allgemeinmedizinische Sachverständige bei Leiden 1 fälschlicherweise ebenfalls unter die Position 03.06.01 subsumierte.

Es besteht zwar kein Anspruch auf die Zuziehung von Sachverständigen eines bestimmten medizinischen Teilgebietes. Es kommt jedoch auf die Schlüssigkeit der eingeholten Gutachten an. Gegenständlich ist die ausschließlich durch eine Ärztin für Allgemeinmedizin vorgenommene Beurteilung angesichts des komplexen Krankheitsbildes der Beschwerdeführerin aufgrund der derzeit vorliegenden Aktenlage offensichtlich sachwidrig erfolgt. Das Vorbringen und die vorgelegten Beweismittel enthalten konkrete Anhaltspunkte, dass die Einholung eines Gutachtens der Fachrichtung Psychiatrie/Neurologie erforderlich ist, um eine vollständige und ausreichend qualifizierte Prüfung zu gewährleisten.

Das von der belangten Behörde seiner Beurteilung zugrunde gelegte Sachverständigengutachten ist überdies nicht ausreichend begründet. Die medizinische Sachverständige berücksichtigt die von der Beschwerdeführerin vorgebrachte und auch durch medizinische Befund einer Fachärztin für Psychiatrie vom 28.02.2019 und vom 16.10.2018 objektivierte chronische Schmerzstörung in ihrer Beurteilung und bei der Einschätzung des Grades der Behinderung nicht, ohne hierfür eine schlüssige und nachvollziehbare Begründung in deren Sachverständigengutachten anzuführen. Zudem bringt die Beschwerdeführerin mehrfach vor, dass sie soziale Rückzugstendenzen aufweise. Die medizinische Sachverständige begründet nicht, ob diese Angaben objektiviert werden konnten, oder nicht, und weswegen sie diese Angaben der Beschwerdeführerin bei der Einstufung der Leiden nicht berücksichtigte, zumal diese unter anderem Kriterien für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind.

Das Sachverständigengutachten hätte daher von der belangten Behörde nicht ohne Ergänzung seiner Entscheidung zugrundegelegt werden dürfen. (VwGH vom 08.07.2015, Ra 2015/11/0036)

Die Einschätzungsverordnung regelt unter Abschnitt 03 sehr differenziert die Kriterien für die Einschätzung des Grades der Behinderung für psychische Störungen.

Es wird jeweils das Krankheitsbild beschrieben und entsprechend der Schwere der Funktionsbeeinträchtigung eine Zuordnung zu Positionen festgelegt. Innerhalb der Positionen wird ausgeführt, welche Merkmale für die Wahl eines Rahmensatzes als maßgebend zu erachten sind.

Das eingeholte allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten ist im Hinblick darauf, dass die Beschwerdeführerin bereits im Antrag psychisch-neurologische Leidenszustände angeführt und diese durch Vorlage fachärztlicher Befunde untermauert hat, mangels Fachkenntnis nicht ausreichend zur qualifizierten Beurteilung des Gesamtleidenszustandes der Beschwerdeführerin.

In dem durch die belangte Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten werden zwar die von der Beschwerdeführerin vorgelegten medizinischen Beweismittel unter auszugsweiser Zitierung der Inhalte angeführt, die Sachverständige hat sich aber mit den Inhalten nicht weiter bzw. nicht umfassend auseinandergesetzt. So ist dem Gutachten nicht zu entnehmen, in welcher Form bzw. welchem Ausmaß diese bei der Beurteilung des Grades der Behinderung berücksichtigt wurden. Dies wiegt umso schwerer, als im vorliegenden Aktenmaterial und in den vorgelegten medizinischen Beweismitteln ein jahrelanger schwerer Krankheitsverlauf des psychischen Leidens, welches seine Ursache in der Kindheit der Beschwerdeführerin hat, dokumentiert wird.

Im fortgesetzten Verfahren wird von der belangten Behörde sohin das der angefochtenen Entscheidung zugrundeliegende allgemeinmedizinische Sachverständigengutachten vom 15.02.2019 samt Stellungnahme vom 07.03.2019 in der Form zu ergänzen sein, dass ein medizinisches Sachverständigengutachten aus dem Fachbereich der Psychiatrie/Neurologie eingeholt wird, wobei die Gutachtenserstellung auf Grundlage einer eingehenden persönlichen psychiatrischen/neurologischen Untersuchung der Beschwerdeführerin zu erfolgen haben wird.

Dabei wird auf alle psychischen/psychiatrischen Leidenszustände der Beschwerdeführerin in nachvollziehbarer Weise einzugehen sein, und werden diese entsprechend der Einschätzungsverordnung zu beurteilen und einzuschätzen sein.

Es wird in diesem Gutachten auch eine nachvollziehbare Begründung dafür abzugeben sein, ob aus neurologischer Sicht eine chronische Schmerzstörung objektiviert werden kann, und ob diese eine eigene Funktionsbeeinträchtigung darstellt, welche nach der Einschätzungsverordnung zu beurteilen ist, oder nicht.

Schließlich wird die/der psychiatrisch/neurologische Sachverständige zu beurteilen haben, ob diese attestierten psychischen Leiden der Beschwerdeführerin eine maßgebliche wechselseitige Leidensbeeinflussung bedingen können. Nachdem die Beschwerdeführerin vorbringt, dass ihre körperlichen Leidenszustände auch psychische Ursachen haben könnten bzw. hier eine Wechselwirkung bestehe, wird auch dazu eine Beurteilung abzugeben sein.

Die Zusammenfassung aller im Verfahren eingeholten Gutachten hat durch eine/n allgemeinmedizinische/n Sachverständige/n zu erfolgen.

Von den Ergebnissen des weiteren Ermittlungsverfahrens wird die Beschwerdeführerin mit der Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme in Wahrung des Parteiengehörs in Kenntnis zu setzen sein.

Aus den dargelegten Gründen ist davon auszugehen, dass die belangte Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat, und sich der vorliegende Sachverhalt zur Beurteilung des Grades der Behinderung als so mangelhaft erweist, dass weitere Ermittlungen bzw. konkretere Sachverhaltsfeststellungen erforderlich erscheinen.

Eine Nachholung des durchzuführenden Ermittlungsverfahrens durch das Bundesverwaltungsgericht kann - im Lichte der oben zitierten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 28 VwGVG - nicht im Sinne des Gesetzes liegen. Dass eine unmittelbare weitere Beweisaufnahme durch das Bundesverwaltungsgericht "im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden" wäre, ist - angesichts des mit dem bundesverwaltungsgerichtlichen Beschwerdeverfahren als Mehrparteienverfahren verbundenen erhöhten Aufwandes und angesichts der im gegenständlichen Fall unterlassenen Sachverhaltsermittlungen - nicht ersichtlich.

Im Übrigen scheint die Zurückverweisung der Rechtssache an die belangte Behörde auch vor dem Hintergrund der seit 01.07.2015 geltenden Neuerungsbeschränkung in Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gemäß § 46 BBG zweckmäßig. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass der Beschwerdeführerin im Rahmen des verwaltungsbehördlichen Verfahrens keine Möglichkeit gegeben wurde, zum letzten Ergebnis des Ermittlungsverfahrens, der Stellungnahme der medizinischen Sachverständigen vom 07.03.2019, Stellung zu nehmen. Die Beschwerdeführerin hatte sohin keine Gelegenheit, der sachverständigen Beurteilung konkret und substantiiert entgegenzutreten und auszuführen ob, gegebenenfalls welche, gutachterlichen Ausführungen dem tatsächlichen Leidensausmaß widersprechen.

Die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG sind somit im gegenständlichen Beschwerdefall nicht gegeben. Da der maßgebliche Sachverhalt im Fall der Beschwerdeführerin noch nicht feststeht und vom Bundesverwaltungsgericht auch nicht rasch und kostengünstig festgestellt werden kann, war in Gesamtbeurteilung der dargestellten Erwägungen der angefochtene Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

Von der Durchführung einer mündlichen Beschwerdeverhandlung wird gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG abgesehen, zumal aus dem Beschwerdeakt ersichtlich ist, dass eine mündliche Erörterung der Rechtssache mangels ausreichender Sachverhaltserhebungen und Feststellungen der belangten Behörde eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Ermittlungspflicht, Kassation, mangelnde Sachverhaltsfeststellung,
Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2217201.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten