TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/8 W261 2196250-1

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Veröffentlicht am 08.04.2020
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Entscheidungsdatum

08.04.2020

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W261 2196250-1/17E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag. Karin RETTENHABER-LAGLER sowie den fachkundigen Laienrichter Herbert PICHLER als Beisitzerin und Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 30.04.2018, betreffend die Ausstellung eines Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 60 % und Nichtvornahme der Zusatzeintragung "D1 - Gesundheitsschädigung gem. § 2 Abs.1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor" in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 11.04.2018 (einlangend) erstmals einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.

Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage der Aktenlage erstatteten Gutachten vom 23.04.2018 stellte der medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer folgende Funktionseinschränkungen "Muskelinvasives Blasenkarzinom" und "erworbene Immunschwäche" und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 60 von Hundert (in der Folge vH) fest. Eine Nachuntersuchung werde für April 2023 vorgesehen, da eine fünfjährige Heilungsbewährung vorliege.

Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 30.04.2018 und informierte den Beschwerdeführer auch darüber, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung gem. § 2 Abs. 1 zweiter Teilstrich VO 303/1996 vorliegen würden. Mit Schreiben vom 30.04.2018, welches als Bescheid gilt, übermittelte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer den Behindertenpass mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 vH und der genannten Zusatzeintragung.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass er sich für die Zusendung des Behindertenpasses bedanke. Er habe jedoch beim medizinischen Sachverständigengutachten grobe Fehler feststellen müssen. Der medizinische Sachverständige habe nicht angekreuzt, dass der Beschwerdeführer unter Aids leide. Er kämpfe jahrelang gegen diese Immunschwächekrankheit und müsse täglich mehrere Medikamente einnehmen. Er habe wegen dieser Erkrankung einen erheblichen Mehraufwand. Er beantrage unbedingt die Zusatzeintragung D1 vorzunehmen und ihm zumindest eine 70 % Behinderung zuzugestehen. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde keine ärztlichen Befunde bei.

Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht (in der Folge BVwG) mit Schreiben vom 24.05.2018 vor, wo dieser am selben Tag in der Gerichtsabteilung W260 einlangte.

Das BVwG forderte den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 18.02.2019 auf, Untersuchungsbefunde, welche vor dem 24.05.2018 (Datum des Einlangens der Beschwerde beim Bundesverwaltungsgerichts) erstellt wurden, vorzulegen, welche belegen würden, dass der Beschwerdeführer an HIV leide.

Der Beschwerdeführer übermittelte mit seinem Schreiben vom 07.03.2019 die geforderten medizinischen Befunde und beantragte, dass er persönlich von einem medizinischen Sachverständigen untersucht werde.

Zur Überprüfung des Beschwerdegegenstandes holte das BVwG ein Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin ein. Das aufgrund einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.04.2019 erstattete Gutachten vom 30.04.2019 kam zum Ergebnis, dass zwar ein weiteres Leiden, eine periphere Polyneuropathie objektivierbar sei, sich jedoch daraus keine Änderung des Gesamtgrades der Behinderung ergebe.

Das BVwG brachte den Parteien des Verfahrens das Ergebnis der Beweisaufnahme mit Schreiben vom 03.06.2019 zur Kenntnis und räumte ihnen eine Möglichkeit zur Abgabe einer Stellungnahme ein.

Der Beschwerdeführer führte in seiner Stellungnahme vom 14.06.2019 im Wesentlichen aus, dass er sich dagegen ausspreche, dass seine HIV Erkrankung lediglich mit einem Grad der Behinderung von 10 % bewertet werde. Die als Leiden 3 diagnostizierte Polyneuropathie sei eine Folge der HIV Erkrankung, und er könne nicht nachvollziehen, weswegen diese gesondert auch mit einem Grad der Behinderung von 10 % bewertet werde. Hätte der medizinische Sachverständige dies in dieser Form beurteilt, würde ein Grad der Behinderung von 70 % vorliegen. Für ihn sei vor allem die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen der dort herrschenden Ansteckungsgefahr ein Problem. Er wohne in einem Bezirk, in welchem er oftmals mehrere Runden fahren müsse, bevor er einen Parkplatz finde. Er müsse seine Einkäufe schleppen. Das Behindertenschild bekomme man erst ab einem Grad der Behinderung von 70 %. Er fahre ein Elektroauto mit einem grünen Zeichen und sehe nicht ein, weswegen er in Wien, wie in den anderen Bundesländern auch, nicht von den Parkgebühren befreit sei. Er ersuche daher ihm einen Grad der Behinderung von 70 % zuzuerkennen.

Die belangte Behörde gab keine Stellungnahme ab.

Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 21.02.2020 wurde das gegenständliche Beschwerdeverfahren der Gerichtsabteilung W260 abgenommen, und der Gerichtsabteilung W261 neu zugeteilt, wo dieses am 12.02.2020 einlangte.

Das BVwG führte am 12.02.2020 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses langte am 11.04.2018 bei der belangten Behörde ein.

Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Guter Ernährungszustand, BMI: 24,0

1,79 cm 77kg Blutdruck: 140/90

Die Haut und die sichtbaren Schleimhäute sind gut durchblutet, kein Ikterus, keine periphere oder zentrale Zyanose.

Sensorium: Das Bewusstsein ist klar, gut kontaktfähig, allseits orientiert, Gedanken in Form und Inhalt geordnet, psychomotorisch ausgeglichen, Merk- und Konzentrationsfähigkeit erhalten; keine produktive oder psychotische Symptomatik, Antrieb unauffällig.

Affekt: Dysthym.

Caput: Hirnnervenaustrittpunkte (HNAP) frei, kein Meningismus, sichtbare Schleimhäute: unauffällig, Zunge feucht, wird gerade hervorgestreckt, normal, PR unauffällig, Rachen: bland, Gebiss:

saniert.

Hörvermögen ohne Hörgerät unauffällig

Collum: Halsorgane unauffällig, keine Einflussstauung, keine Stenosegeräusche.

Thorax: symmetrisch, Mammae unauffällig. Cor: Herztöne rhythmisch, mittellaut, normfrequent Puls: 72 / min.

Pulmo: Sonorer Klopfschall, Vesikuläratmen, Basen atemverschieblich, keine Dyspnoe in Ruhe und beim Gang im Zimmer.

Abdomen: Bauchdecken im Thoraxniveau, Hepar nicht vergrößert, Lien nicht palpabel, keine pathologischen Resistenzen tastbar, indolent, blande Narbenverhältnisse nach Appentektomie, Nierenlager beidseits frei.

Extremitäten:

Obere Extremitäten: Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig. Nacken und Schürzengriff gut möglich, in den Gelenken altersentsprechend frei beweglich, Faustschluss beidseits unauffällig , eine Sensibilitätsstörung wird nicht angegeben Feinmotorik und Fingerfertigkeit ungestört.

Untere Extremitäten: Tonus, Trophik und grobe Kraft altersentsprechend unauffällig, in den Gelenken weitgehend altersentsprechend frei beweglich, Bandstabilität, keine Sensibilitätsausfälle, selbständige Hebung beider Beine von der Unterlage möglich, grobe Kraft an beiden Beinen seitengleich normal. Fußpulse tastbar, verstärkte Venenzeichnung keine Ödeme.

Patellarsehnenreflex (PSR): seitengleich unauffällig, Nervenstämme:

frei, Lasegue: negativ.

Wirbelsäule: In der Aufsicht gerade, weitgehend im Lot, in der Seitenansicht gering verstärkte Brustkyphose Finger-Boden-Abstand (FBA): 10 cm, Aufrichten frei, kein Kopfschmerz, Schober/Ott:

unauffällig, altersentsprechend freie Beweglichkeit der Wirbelsäule, Kinn-Brustabstand:1 cm. Hartspann der paravertebralen Muskulatur.

Gesamtmobilität- Gangbild: Kommt mit Halbschuhen frei gehend weitgehend unauffällig, Zehenballen- und Fersengang sowie Einbeinstand beidseits möglich. Die tiefe Hocke wird ohne Anhalten zu 1/3 durchgeführt. Vermag sich selbständig aus- und wieder anzuziehen.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1. Muskelinvasives Blasenkarzinom (ED 03/2018)

2. Erworbene Immunschwäche (ED 1996)

3. Periphere Neuropathie

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 60 vH.

Leiden 1 wird durch Leiden 2 und 3 nicht weiter erhöht, weil eine zu geringe funktionelle Relevanz besteht.

Das Leiden 2, die erworbene Immunschwäche (HIV), wird mit einem Grad der Behinderung von 10 vH eingestuft.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom BVwG eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens des Bundesverwaltungsgerichtes eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 30.04.2019, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.04.2019.

Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Der medizinische Gutachter setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Im Unterschied zu dem seitens der belangten Behörde eingeholten allgemeinmedizinischen Sachverständigengutachten vom 23.04.2018 ist nunmehr ein neues Leiden 3, die periphere Neurophatie, hinzugekommen. Damit berücksichtigt der medizinische Sachverständige die vom Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang vorgelegten medizinischen Befunde.

Das Hinzukommen dieses weiteren Leidens wirkt sich jedoch nicht erhöhend auf den Gesamtgrad der Behinderung aus, weil diese Leiden keine ungünstigen negativen Auswirkungen aufeinander haben.

Der Sachverständige geht in seinem Gutachten vom 30.04.2019 ausführlich auf sämtliche Einwendungen und Befunde des Beschwerdeführers ein.

Es ist unbestritten geblieben, dass der Beschwerdeführer seit dem Jahr 1996 an einer Immunschwächekrankheit, HIV oder auch Aids genannt, leidet. Dank der verbesserten medizinischen Behandlungsmöglichkeiten dieser schweren Erkrankung, ist diese HIV-Infektion beim Beschwerdeführer virologisch derzeit gut unter Kontrolle, was dadurch belegt ist, dass die Viruslast derzeit unter der Nachweisgrenze liegt. Dies bestätigt auch der vom Beschwerdeführer selbst vorgelegte Befundbericht des von ihm als "Aidsexperten" bezeichneten Arztes, Dr. XXXX , vom 06.03.2018. Auch der im Verfahren beigezogene medizinische Sachverständige stellte bei Leiden 2 fest, dass zwar nach wie vor eine erworbene Immunschwäche vorliegt, weswegen dieses Leiden auch einzuschätzen ist. Der Grad der Behinderung liegt jedoch nur bei 10 vH, eben, weil der Beschwerdeführer aktuell - trotz dieses Leidens und seiner Krebserkrankung (Leiden 1) einen guten Allgemein- und Ernährungszustand aufweist, und die Viruslast der HIV-Erkrankung derzeit nicht nachweisbar ist. Nachdem der medizinische Sachverständige immer den aktuellen Gesundheitszustand zum Zeitpunkt der Untersuchung zu beurteilen hat, kann der lange Leidensweg des Beschwerdeführers seit 1996 nicht bei dieser Beurteilung des Status quo einbezogen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer offensichtlich gute Therapien erhält, und die Immunschwäche recht gut im Griff hat. Insbesondere liegt derzeit kein Auszehrungssyndrom /Wasting-syndrom oder AIDS Vollbild mehr vor.

Der medizinische Sachverständige stellte als weiteres Leiden eine periphere Polyneuropathie fest und stufte auch dieses Leiden mit einem Grad der Behinderung von 10 vH ein. Bei dieser Krankheit handelt es sich, entgegen den Annahmen des Beschwerdeführers, um ein eigenes Krankheitsbild, welches nach der Einschätzungsverordnung gesondert einzuschätzen war, weswegen auch diesem Argument des Beschwerdeführers nicht gefolgt werde kann.

Der Beschwerdeführer ist damit den Ausführungen des medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des BVwG bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 30.04.2019. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1. Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

"§ 40. (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

...

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41. (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

...

§ 42. (1) Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familien- oder Nachnamen, das Geburtsdatum, eine allfällige Versicherungsnummer, den Wohnort und einen festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen.

...

§ 45. (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen."

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1. Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2. (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3. (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-

sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-

zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4. (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.

(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

..."

Die maßgebliche Bestimmung der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz über die Ausstellung von Behindertenpässen und Parkausweisen, BGBl. II. Nr. 495/2013 idgF BGBl. II Nr. 263/216 lautet:

"§ 1 Abs. 4 Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist jedenfalls einzutragen:

1. die Art der Behinderung, etwa, dass der Inhaber/die Inhaberin des Passes

...

g) eine Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich der Verordnung des Bundesministers für Finanzen über außergewöhnliche Belastungen, BGBl. Nr. 303/1996, aufweist; diese Eintragung ist vorzunehmen, wenn Tuberkulose, Zuckerkrankheit, Zöliakie oder Aids entsprechend einem festgestellten Grad der Behinderung von mindestens 20 % vorliegt.

..."

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Beim Leiden 1 des Beschwerdeführers handelt es sich um ein muskelinvasives Blasenkarzinom, mit einem Eintrittsdatum 03/2018, welches der medizinische Sachverständige nach der Position 13.01.03 "Entfernte Malignome mit weiterführender Behandlungsnotwendigkeit innerhalb der Heilungsbewährung" mit einem Grad der Behinderung von 60 % richtig einstufte. Dabei berücksichtigte der medizinische Sachverständige richtigerweise, dass eine Ausschabung im März 2018 erfolgte und sich der Beschwerdeführer einer Chemotherapie unterziehen musste. Berücksichtigt ist auch, dass er sich im Stadium III mit Hydronephrose rechts und Niereninsuffizienz befindet.

Beim Leiden 2 handelt es sich um die im Jahr 1996 erworbene Immunschwäche, HIV oder auch Aids genannt, welche der medizinische Sachverständige richtigerweise nach Position 10.03.13., Leichte Immundefekte, mit einem Grad der Behinderung von 10 vH einstufte. Bei diesem Immundefekt berücksichtigte der medizinische Sachverständige richtigerweise, dass der Beschwerdeführer einen guten Ernährungs- und Allgemeinzustand aufweist, und die Viruslast derzeit unter der Nachweisgrenze liegt. Es besteht trotz Therapie eine Infektanfälligkeit, es liegen jedoch keine außergewöhnlichen Infektionen vor.

Das neu hinzugekommene Leiden 3 ist eine periphere Neuropathie, welche der medizinische Sachverständige richtig nach Position 04.06.01., Polyneuropathie mit sensiblen und motorischen Ausfällen leichten Grades, der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 10 vH einstufte. Dabei berücksichtigte der medizinische Sachverständige, dass beim Beschwerdeführer keine maßgeblichen motorischen Ausfälle vorliegen.

Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens des BVwG eingeholte Sachverständigengutachten eines Arztes für Allgemeinmedizin vom 30.04.2019, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 29.04.2019 zu Grunde gelegt.

Der medizinische Sachverständige stellt in diesem Sachverständigengutachten fest, dass eine ungünstige wechselseitige Leidensbeeinflussung der Leiden des Beschwerdeführers wegen fehlender maßgeblicher funktioneller Zusatzrelevanz nicht besteht, woraus sich ein Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H. ergibt.

Die vom Beschwerdeführer im Rahmen des Beschwerdeverfahrens vorgelegten Befunde waren nicht geeignet, die durch den medizinischen Sachverständigen getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes zu belegen.

Es liegen daher die Voraussetzungen für die vom Beschwerdeführer gewünschte Erhöhung des Grades der Behinderung von 60 vH auf 70 vH nicht vor.

Nachdem das Leiden 2, die erworbene Immunschwäche (Aids) aktuell einen Grad der Behinderung von 10 vH, und nicht von 20 %, erreicht, liegen auch die Voraussetzungen für die vom Beschwerdeführer begehrte Zusatzeintragung D1 nicht vor.

Was das Vorbringen des Beschwerdeführers betrifft, dass er Probleme habe, in seinem Heimatbezirk einen Parkplatz zu finden, so sei der Vollständigkeit halber darauf hingewiesen, dass dieses Vorbringen in keinerlei Zusammenhang mit der Ausstellung eines Behindertenpasses steht, weswegen dieses Vorbringen für das gegenständliche Verfahren nicht von Relevanz ist.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2. Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das vom BVwG eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass, Gesundheitsschädigung, Grad der Behinderung,
Sachverständigengutachten, Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W261.2196250.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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