TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/16 W266 2225129-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2020
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Entscheidungsdatum

16.04.2020

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art. 133 Abs4

Spruch

W266 2225129-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, Bakk. Phil. als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, Niederösterreich und Burgenland, gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland, vom 15.10.2019, OB: XXXX , betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

A)

Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer stellte am 6.5.2019 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Burgenland (= belangte Behörde), unter anderem einen Antrag auf Ausstellung eines Behindertenpasses sowie einen Antrag auf die Vornahme der Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".

Die belangte Behörde holte in der Folge ein neurologisches Sachverständigengutachten samt Stellungnahmen zu Einwendungen des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs ein, welches einen Grad der Behinderung in Höhe von 50% und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Der Inhaber des Passes bedarf einer Begleitperson" feststellte. Der Behindertenpass wurde am 26.8.2019 an den Beschwerdeführer versandt.

Mit dem im Spruch zitierten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ein ärztliches Gutachten samt Stellungnahmen zu Einwendungen des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs, eingeholt worden wäre, welches dem Bescheid beigelegt sei und einen Bestandteil der Begründung bilde. Aufgrund dieses Gutachtens sei dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar und lägen somit die Voraussetzungen für die genannte Zusatzeintragung nicht vor.

Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer, ohne Vorlage neuer Beweismittel, fristgerecht Beschwerde erhoben und bringt darin im Wesentlichen vor, dass nach der Intention des Gesetzgebers zu den erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen, welche eine Voraussetzung für die Vornahme der beantragten Zusatzeintragung seien, unter anderem auch schwere kognitive Einschränkungen, welche mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung einhergehen würden, gezählt werden würden. Beim Beschwerdeführer seien, wie aus den bereits vorgelegten Befunden ersichtlich, hochgradige Defizite bei der Merkfähigkeit festgestellt worden. Weiters sei ein breitbeiniges, unsicheres Gangbild festgestellt und es sei festgehalten worden, dass der Beschwerdeführer komplexere Aufgaben nicht verstehe. Weiters sei dem Beschwerdeführer, nach diesem Befund, aufgrund der genannten geistigen Defizite die Benützung der öffentlichen Verkehrsmittel unzumutbar. In einem weiteren klinisch-psychologischen Befund sei darüber hinaus eine mangelnde Lesefähigkeit bzw. ein mangelndes Leseverständnis attestiert worden. Aufgrund der hochgradigen geistigen Defizite sei der Beschwerdeführer nicht in der Lage, Gefahren im öffentlichen Raum einzuschätzen und es sei ein Orientierungsdefizit gegeben. Diese Umstände seien im erstinstanzlichen Gutachten nicht ausreichend thematisiert worden, weshalb dieses mangelhaft geblieben sei. Es würden daher aufgrund von erheblichen Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten des Beschwerdeführers gegenständlich die Voraussetzungen der beantragten Zusatzeintragung vorliegen.

Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt langten am 6.11.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

Zur Überprüfung des Beschwerdevorbringens wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt.

Mit Schreiben vom 2.1.2020 wurde das eingeholte Gutachten dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde zur allfälligen Stellungnahme binnen zweier Wochen übermittelt.

Der Beschwerdeführer gab mit Schreiben vom 16.1.2020 eine Stellungnahme ab, in welcher er sich dem eingeholten Gutachten anschloss. Die belangte Behörde hat sich innerhalb der Frist nicht geäußert.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt, insbesondere in die im Akt erliegenden Befunde und Einholung eines neurologischen Gutachtens sowie eines aktuellen Auszugs aus dem zentralen Melderegister, steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:

Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger, am XXXX geboren und wohnhaft in XXXX . Ihm wurde aufgrund des gegenständlichen Antrags am 26.08.2019 ein unbefristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 50% und der Zusatzeintragung "Der Inhaber des Passes bedarf einer Begleitperson" ausgestellt.

Hinsichtlich des Gesundheitszustands wird folgendes festgestellt:

Allgemeinzustand: gut, Ernährungszustand: schlank

Größe: 178,00 cm Gewicht: 78,00 kg Neurostatus:

Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen keine Paresen, Fersen-, Zehenspitzen- und Einbeinstand beidseits möglich die Muskeleigenreflexe sind seitengleich untermittellebhaft auslösbar. Die Koordination ist intakt, die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird allseits als intakt angegeben, bis auf Schmerzen im linken Bein distal.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Das Gangbild ist ohne Hilfsmittel etwas breitspurig.

Psychiatrischer Status:

Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ teilweise orientiert, Antriebsstörung, Auffassung reduziert, kognitiv deutlich eingeschränkt, leichte Rechenaufgaben (10-7, 100-7) können nicht gelöst werden, sinnerfassendes Lesen bereitet deutliche Schwierigkeiten. Affekt ausgeglichen, Stimmungslage euthym, in beiden Skalenbereichen affizierbar, keine Ein- und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.

Funktionseinschränkungen:

1. Intelligenzminderung, organisches Psychosyndrom

2. Aufbrauchserscheinungen des Bewegungsapparats

Beim Beschwerdeführer liegen keine erheblichen Einschränkungen der Funktion der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten und auch keine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit vor. Auch eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit ist beim Beschwerdeführer nicht gegeben. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von 300 - 400 Metern ist körperlich ebenso möglich, wie das Überwinden von Niveauunterschieden, wie z.B. beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln sowie das sichere Bewegen und Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln und es liegen keine Schmerzzustände vor, die speziell mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einhergehen und deren Benützung erheblich einschränken oder verunmöglichen. Es liegt beim Beschwerdeführer auch keine maßgebliche Stand- oder Gangunsicherheit vor.

Allerdings liegen beim Beschwerdeführer erhebliche Einschränkungen intellektueller Fähigkeiten mit schweren kognitiven Einschränkungen und einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum vor.

Es handelt sich um einen Dauerzustand.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen betreffend Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und Wohnadresse beruhen auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers am Antragsformular, auf den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem Auszug aus dem zentralen Melderegister.

Die Feststellungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses ergeben sich ebenfalls aus dem Akteninhalt.

Hinsichtlich des Gesundheitszustands bzw. den Funktionsstörungen beruhen die Feststellungen auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten neurologischen Gutachten, welches auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers basiert. Dieses ist in sich schlüssig, nachvollziehbar und vollständig. Es wird darin vollständig und in nachvollziehbarer Art und Weise auf alle vom Beschwerdeführer vorgebrachten Leidenszustände unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde eingegangen.

Aus diesem Gutachten ergibt sich eindeutig, dass beim Beschwerdeführer zwar keine erheblichen Einschränkungen der Funktion der Gelenke der oberen und unteren Extremitäten, und keine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder erhebliche Einschränkung der körperlichen Belastbarkeit vorliegt. Auch eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit ist beim Beschwerdeführer gemäß den nachvollziehbaren Ausführungen im Gutachten nicht gegeben. Das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke von

300 - 400 Metern sowie das Überwinden von Niveauunterschieden, wie

z. B. beim Ein- und Aussteigen in bzw. aus öffentlichen Verkehrsmitteln und das sichere Bewegen und Anhalten in öffentlichen Verkehrsmitteln wird ebenfalls als körperlich möglich beurteilt. Schmerzzustände, die speziell mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einhergehen und deren Benützung erheblich einschränken oder verunmöglichen wurden vom Sachverständigen verneint. Selbiges gilt auch hinsichtlich einer möglichen maßgeblichen Stand- oder Gangunsicherheit.

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten legt aber auch schlüssig und nachvollziehbar dar, dass beim Beschwerdeführer erhebliche Einschränkungen intellektueller Fähigkeiten mit schweren kognitiven Einschränkungen und einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum vorliegen. Der Sachverständige begründet anschließend auch nachvollziehbar, warum aus seiner Sicht durch diese Funktionseinschränkungen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für den Beschwerdeführer nicht möglich bzw. nicht zumutbar ist.

Der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Sachverständige setzt sich auch ausreichend und nachvollziehbar mit den vorliegenden Befunden auseinander und lässt diese in seine Beurteilung einfließen.

Die Feststellung, dass es sich um einen Dauerzustand handelt, ergeben sich ebenfalls aus den Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten.

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten wurde der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer unter Einräumung einer zweiwöchigen Frist zur Äußerung übermittelt. Der Beschwerdeführer hat sich dem Gutachten angeschlossen, die belangte Behörde hat sich dazu nicht mehr geäußert.

Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden neurologischen Gutachtens.

3. Rechtliche Beurteilung:

Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.

Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu A) Stattgabe der Beschwerde:

Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpaß auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder

5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hierfür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

* erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

* erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

* erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

* eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

* eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

In den Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:

"Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise):

Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel."

"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-

arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-

Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-

hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-

Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-

COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-

Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-

mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden."

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.5.2012, Zl. 2008/11/0128 und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242 und 27.1.2015, Zl. 2012/11/0186).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.5.2009, Zl. 2007/11/0080).

Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht. (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.5.2014).

Daraus folgt:

Das gegenständliche Sachverständigengutachten entspricht den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und wird, aus den unter in der Beweiswürdigung näher ausgeführten Gründen, der Entscheidung zugrunde gelegt.

Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

* erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

* erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

* erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

* eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

* eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

Beim Beschwerdeführer liegen, wie festgestellt, erhebliche Einschränkungen intellektueller Fähigkeiten mit schweren kognitiven Einschränkungen und einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung im öffentlichen Raum vor. Aus diesen Gründen ist dem Beschwerdeführer die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel nicht zumutbar und liegen daher die Voraussetzungen für die beantragte Eintragung vor.

Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn

1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder

2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt.

In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs-)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem eingeholten - vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten - Gutachten eines medizinischen Sachverständigen für Neurologie, dem weder die belangte Behörde noch der Beschwerdeführer widersprochen haben (der Beschwerdeführer hat sich vielmehr diesem angeschlossen). Die strittigen Tatsachenfragen gehören ausschließlich dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung, trotz deren Beantragung in der Beschwerde, im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.

Schlagworte

Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Unzumutbarkeit,
Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2020:W266.2225129.1.00

Zuletzt aktualisiert am

02.07.2020
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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