Entscheidungsdatum
16.04.2020Norm
Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1Spruch
W266 2222159-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Stephan WAGNER als Vorsitzenden und die Richterin Mag. Ulrike SCHERZ sowie den fachkundigen Laienrichter Mag. Rudolf HALBAUER, Bakk. Phil. als Beisitzer über die Beschwerde des XXXX , geboren am XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 2.7.2019, OB: XXXX , betreffend den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in nicht öffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
A)
Der Beschwerde wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid behoben. Die Voraussetzungen für die Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer war zum Zeitpunkt der gegenständlichen Antragstellung Inhaber eines bis 31.3.2019 befristeten Behindertenpasses mit einem Grad der Behinderung von 80% und der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung". Er stellte am 6.12.2018 beim Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich (= belangte Behörde), einen Antrag auf Verlängerung des Behindertenpasses sowie einen Antrag auf die Weitergewährung der Zusatzeintragung der "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung".
Die belangte Behörde holte in der Folge ein allgemeinmedizinisches Sachverständigengutachten samt einer Stellungnahme zu Einwendungen des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs ein, welches einen Grad der Behinderung in Höhe von 60% und das Vorliegen der Voraussetzungen für die Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor" feststellte. Der nunmehr unbefristete Behindertenpass wurde am 3.7.2019 an den Beschwerdeführer versandt.
Mit dem im Spruch zitierten Bescheid der belangten Behörde wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass abgewiesen. Die belangte Behörde begründete dies damit, dass im Rahmen des Ermittlungsverfahrens ein ärztliches Gutachten samt Stellungnahme zu Einwendungen des Beschwerdeführers im Rahmen des Parteiengehörs, eingeholt worden wäre, welches dem Bescheid beigelegt sei und einen Bestandteil der Begründung bilde. Aufgrund dieses Gutachtens sei dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar und lägen somit die Voraussetzungen für die genannte Zusatzeintragung nicht vor.
Gegen diesen Bescheid hat der Beschwerdeführer - unter Vorlage neuer Beweismittel - fristgerecht Beschwerde erhoben. Darin verwies er auf ein Schreiben eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Arztes für Allgemeinmedizin, welches sich näher mit den Ausführungen im dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegenden Sachverständigengutachten auseinandersetze und aufzeige, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Leiden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel nach wie vor unzumutbar sei.
Die Beschwerde und der dazugehörige Verwaltungsakt langten am 8.8.2019 beim Bundesverwaltungsgericht ein.
Zur Überprüfung des Beschwerdevorbringens wurde vom Bundesverwaltungsgericht ein neurologisches Sachverständigengutachten eingeholt.
Mit Schreiben vom 27.11.2019 wurde das eingeholte Gutachten dem Beschwerdeführer und der belangten Behörde zur allfälligen Stellungnahme binnen zweier Wochen übermittelt.
Weder die belangte Behörde noch der Beschwerdeführer gaben eine Stellungnahme ab.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Nach Einsicht in den behördlichen Verwaltungsakt, insbesondere in die im Akt erliegenden Befunde und Einholung eines neurologischen Gutachtens sowie eines aktuellen Auszugs aus dem zentralen Melderegister, steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt fest:
Der Beschwerdeführer ist österreichischer Staatsbürger, am XXXX geboren und wohnhaft in XXXX . Ihm wurde aufgrund des gegenständlichen Antrags am 3.7.2019 ein unbefristeter Behindertenpass mit einem Grad der Behinderung von 60% und der Zusatzeintragung "Gesundheitsschädigung gemäß § 2 Abs. 1 erster Teilstrich VO 303/1996 liegt vor" ausgestellt.
Hinsichtlich des Gesundheitszustands wird folgendes festgestellt:
Neurostatus:
Die Hirnnerven sind unauffällig, die Optomotorik ist intakt, an den oberen Extremitäten bestehen keine Paresen. Die Muskeleigenreflexe sind seitengleich mittellebhaft auslösbar, die Koordination ist intakt, an den unteren Extremitäten bestehen rechts > links distal betonte Paresen, trophische Störungen rechte UE.
Fersen/Zehenspitzen/Einbeinstand rechts nicht möglich die Muskeleigenreflexe sind seitengleich nicht auslösbar.
Die Koordination ist ataktisch gestört die Pyramidenzeichen sind an den oberen und unteren Extremitäten negativ. Die Sensibilität wird in den UE rechts > links strumpfförmig als gestört angegeben
Das Gangbild ist mit einem Stock, verlangsamt mit angedeutetem Steppergang rechts. Die Stell- und Haltereflexe sind deutlich reduziert.
Psychiatrischer Status:
Örtlich, zeitlich, zur Person und situativ ausreichend orientiert, keine Antriebsstörung, Auffassung regelrecht. Keine kognitiven Defizite, Affekt ausgeglichen. Stimmungslage dysthym, in beiden Skalenbereichen affizierbar, zeitweise Ein- und Durchschlafstörung, keine produktive Symptomatik, keine Suizidalität.
Funktionseinschränkungen:
* Gefäßsanierung nach Aortenaneurysma
* Diabetes mellitus
* Polyneuropathie
* degenerative Veränderungen der Wirbelsäule
* Zustand nach Entfernung der Gallenblase
* Depressio
Beim Beschwerdeführer liegen keine erheblichen Einschränkungen der Funktion der Gelenke der oberen Extremitäten, keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit, psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder Funktionen und auch keine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems vor. Auch eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit ist beim Beschwerdeführer nicht gegeben. Es liegen weiters auch keine Schmerzzustände vor, die speziell mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einhergehen und deren Benützung erheblich einschränken oder verunmöglichen.
Allerdings ist beim Beschwerdeführer das Zurücklegen einer Gehstrecke von rund 300-400 m aufgrund der deutlichen Neuropathie unter 10 Minuten nicht möglich. Auch die Stell- und Haltereflexe sind reduziert, sodass eine erhöhte Sturzneigung besteht und dadurch ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gegeben ist. Aufgrund der erheblichen Einschränkungen der unteren Extremitäten des Beschwerdeführers ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf erhebliche Weise erschwert.
Es liegt kein Dauerzustand vor. Eine Nachuntersuchung ist ab 10/2022 notwendig.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen betreffend Geburtsdatum, Staatsbürgerschaft und Wohnadresse beruhen auf den glaubhaften Angaben des Beschwerdeführers am Antragsformular, auf den übereinstimmenden Unterlagen im Verwaltungsakt sowie auf dem eingeholten Auszug aus dem zentralen Melderegister.
Die Feststellungen zur Ausstellung eines Behindertenpasses ergeben sich ebenfalls aus dem Akteninhalt.
Hinsichtlich des Gesundheitszustands bzw. den Funktionsstörungen beruhen die Feststellungen auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten neurologischen Gutachten, welches auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers basiert. Dieses ist in sich schlüssig, nachvollziehbar und vollständig. Es wird darin vollständig und in nachvollziehbarer Art und Weise auf alle vom Beschwerdeführer vorgebrachten Leidenszustände unter Berücksichtigung der vorgelegten Befunde eingegangen.
Aus diesem Gutachten ergibt sich eindeutig, dass beim Beschwerdeführer zwar keine erheblichen Einschränkungen der Funktion der Gelenke der oberen Extremitäten, keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten oder Funktionen und auch keine schwere und anhaltende Erkrankung des Immunsystems vorliegen. Auch eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit wurde in dem Gutachten ausgeschlossen. Ebenso wenig liegen dem Gutachten zufolge Schmerzzustände vor, die speziell mit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel einhergehen und deren Benützung erheblich einschränken oder verunmöglichen.
Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten legt aber auch schlüssig und nachvollziehbar dar, dass dem Beschwerdeführer das Zurücklegen einer Gehstrecke von rund 300-400 m aufgrund der deutlichen Neuropathie unter 10 Minuten nicht möglich ist. Auch die Stell- und Haltereflexe sind als reduziert festgestellt, woraus eine erhöhte Sturzneigung abgeleitet und dadurch ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln verneint wird. Der Sachverständige begründet anschließend auch nachvollziehbar, warum aus seiner Sicht durch diese Funktionseinschränkungen die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel für den Beschwerdeführer erheblich erschwert ist.
Der vom Bundesverwaltungsgericht herangezogene Sachverständige setzt sich auch ausreichend und nachvollziehbar mit dem in die Beschwerde integrierten Schreiben eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie sowie Arztes für Allgemeinmedizin auseinander und lässt dieses in seine Beurteilung einfließen.
Die Feststellung zur Notwendigkeit einer Nachuntersuchung ergibt sich ebenfalls aus den Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten, wonach eine Besserung des neurologischen Leidens des Beschwerdeführers möglich ist.
Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Gutachten wurde der belangten Behörde und dem Beschwerdeführer unter Einräumung einer zweiwöchigen Frist zur Äußerung übermittelt. Beide Verfahrensparteien haben sich dazu nicht mehr geäußert.
Seitens des Bundesverwaltungsgerichts bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit und Schlüssigkeit des vorliegenden neurologischen Gutachtens.
3. Rechtliche Beurteilung:
Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig. Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und die Entscheidung durch einen Senat unter Mitwirkung eines fachkundigen Laienrichters ergeben sich aus §§ 6, 7 BVwGG iVm § 45 Abs. 3 und 4 BBG.
Gemäß § 17 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung - BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 - DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn
1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder
2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
Zu A) Stattgabe der Beschwerde:
Gemäß § 1 Abs. 2 Bundesbehindertengesetz (BBG) ist unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.
Gemäß § 40 Abs. 1 BBG ist behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn
1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder
2. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder
3. sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder
4. für sie erhöhte Familienbeihilfe bezogen wird oder sie selbst erhöhte Familienbeihilfe beziehen oder
5. sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.
Gemäß § 41 Abs. 1 BBG gilt als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3), ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn
1. nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hierfür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder
2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder
3. ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.
Gemäß § 46 BBG beträgt die Beschwerdefrist abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung beträgt zwölf Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist auf Antrag des Menschen mit Behinderung jedenfalls die Feststellung einzutragen, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
* erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
* erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
* erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
* eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
* eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Gemäß § 1 Abs. 5 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in § 1 Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, ein Gutachten eines ärztlichen Sachverständigen des Bundessozialamtes. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktionsbeeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.
In den Erläuterungen zur oben genannten Verordnung wird auszugsweise Folgendes ausgeführt:
"Zu § 1 Abs. 2 (auszugsweise):
Abs. 2 unterscheidet zwei Arten von Eintragungen; solche, die die Art der Behinderung des Passinhabers/der Passinhaberin betreffen und jene, die Feststellungen über Erfordernisse des Menschen mit Behinderung im täglichen Leben treffen, etwa die behinderungsbedingte Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel."
"Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):
Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.
Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion - das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen - ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.
Durch die Verwendung des Begriffes "dauerhafte Mobilitätseinschränkung" hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.
Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.
Die Begriffe "erheblich" und "schwer" werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleichbedeutend.
Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.
Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:
-
arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option
-
Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen
-
hochgradige Rechtsherzinsuffizienz
-
Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie
-
COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie
-
Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie
-
mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden."
Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung "Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.5.2012, Zl. 2008/11/0128 und die dort angeführte Vorjudikatur sowie VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242 und 27.1.2015, Zl. 2012/11/0186).
Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH vom 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242).
Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit, öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt (VwGH vom 14.5.2009, Zl. 2007/11/0080).
Betreffend das Kalkül "kurze Wegstrecke" wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht. (vgl. u.a. Ro 2014/11/0013 vom 27.5.2014).
Daraus folgt:
Das gegenständliche Sachverständigengutachten entspricht den formalen und inhaltlichen Voraussetzungen der Einschätzungsverordnung und wird, aus den unter in der Beweiswürdigung näher ausgeführten Gründen, der Entscheidung zugrunde gelegt.
Gemäß § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und
• erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder
• erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder
• erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder
• eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder
• eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 2 Z 1 lit. b oder d
vorliegen.
Beim Beschwerdeführer liegt, wie festgestellt, eine deutliche Neuropathie vor, welche das Zurücklegen einer Strecke von 300-400 Metern innerhalb von 10 Minuten verunmöglicht und auch die Stell- und Haltereflexe sind reduziert, sodass eine erhöhte Sturzneigung besteht und dadurch ein sicherer Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nicht gegeben ist. Aufgrund der genannten, deutlichen Beeinträchtigung der unteren Extremitäten des Beschwerdeführers ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel und die Zurücklegung einer Gehstrecke von ca. 300 bis 400m derzeit erheblich erschwert.
Aus diesen Gründen ist dem Beschwerdeführer die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aktuell nicht zumutbar und liegen daher die Voraussetzungen für die beantragte Eintragung vor.
Es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.
Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.
Gemäß § 24 Abs. 2 VwGVG kann die Verhandlung entfallen, wenn
1. der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder
2. die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist.
Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.
Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.
Unter dem Gesichtspunkt des Art. 6 EMRK (Art. 47 GRC) führte der Verwaltungsgerichtshof zur Frage der Durchführung einer beantragten mündlichen Verhandlung im Erkenntnis vom 16.12.2013, 2011/11/0180 (mit Hinweis auf EGMR 13.10.2011, Fexler gg. Schweden, Beschw. Nr. 36.801/06) aus, dass eine solche unterbleiben kann, wenn der Ausgang des Verfahrens vor allem vom Ergebnis der Gutachten medizinischer Sachverständiger abhängt und der Beschwerdeführer auch nicht behauptet, dass er den von der Behörde eingeholten Gutachten entgegentritt. Dies gilt nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichtes umso mehr für den Fall einer von den Parteien nicht beantragten mündlichen Verhandlung. In diesem Zusammenhang wird auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) verwiesen, die im Bereich von Entscheidungen, die eher technischer Natur ("rather technical in nature") sind und deren Ausgang von schriftlichen medizinischen Sachverständigengutachten abhängt ("the outcome depended on the written medical opinions") unter Rücksichtnahme u.a. auf die genannten Umstände von der Zulässigkeit des Absehens einer mündlichen Verhandlung ausgeht, dies nicht nur im Verfahren vor dem jeweils zuständigen Höchstgericht, sondern auch in Verfahren vor dem als erste gerichtliche Tatsacheninstanz zuständigen (Verwaltungs-)Gericht, dem die nachprüfende Kontrolle verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zukommt (vgl. etwa EGMR [Unzulässigkeitsentscheidung] 22.05.2012, Osorio gg. Schweden, Beschw. Nr. 21.660/09, sowie VwGH 03.10.2013, 2012/06/0221, mit Hinweis auf EGMR 18.07.2013, Beschw. Nr. 56.422/09, Schädler-Eberle gg. Liechtenstein; EGMR 10.05.2007, Beschw. Nr. 7401/04, Hofbauer gg. Österreich Nr. 2; EGMR 03.05.2007, Beschw. Nr. 17.912/05, Bösch gg. Österreich).
Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem eingeholten - vom erkennenden Gericht als schlüssig erachteten - Gutachten eines medizinischen Sachverständigen für Neurologie, dem weder die belangte Behörde noch der Beschwerdeführer widersprochen haben. Die strittigen Tatsachenfragen gehören ausschließlich dem Bereich zu, der von Sachverständigen zu beleuchten ist. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten ließ und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung, trotz deren Beantragung in der Beschwerde, im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern auch im Sinne des Gesetzes (§ 24 Abs. 1 VwGVG) liegt, weil damit dem Grundsatz der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Vielmehr hängt die Entscheidung im Gegenstand von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigungen.
Schlagworte
Behindertenpass, Sachverständigengutachten, Unzumutbarkeit,European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:W266.2222159.1.00Zuletzt aktualisiert am
02.07.2020