TE Bvwg Erkenntnis 2020/4/16 G307 2207472-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.04.2020
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Entscheidungsdatum

16.04.2020

Norm

B-VG Art. 133 Abs4
FPG §67 Abs1
FPG §67 Abs2
FPG §70 Abs3

Spruch

G307 2207472-2/7E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geb. XXXX, StA. Deutschland, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 03.09.2018, Zahl XXXX, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A) Der Beschwerde wird insoweit stattgegeben, als die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf 2 Jahre herabgesetzt wird. Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Oberösterreich (im Folgenden: BFA) vom 29.06.2018, wurde der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) aufgefordert, zur in Aussicht genommenen Erlassung eines Aufenthaltsverbotes wie zu seinen persönlichen und finanziellen Verhältnissen binnen zwei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens Stellung zu nehmen.

2. Hierauf teilte der BF mit Schriftsatz vom 19.07.2018 mit, dass er im gegenständlichen Verfahren durch RA Mag. Christoph AUMAYR (im Folgenden: RV) in 6230 Mattighofen vertreten werde und ersuchte zugleich um Fristerstreckung.

3. Am 24.08.2018 erstattete der BF durch seinen damaligen RV eine Antwort auf die unter I.1. angeführte Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme (VEB) und legte dieser mehrere, seine Person betreffende Bescheinigungsmittel bei.

4. Mit dem oben im Spruch angeführten Bescheid, dem RV des BF zugestellt am 13.09.2018, wurde gegen den BF gemäß § 67 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein auf 6 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot erlassen (Spruchpunkt I.) und ihm gemäß § 70 Abs. 3 FPG ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat ab Durchsetzbarkeit dieser Entscheidung erteilt (Spruchpunkt II.).

5. Mit Schriftsatz vom 11.10.2018, beim BFA eingebracht am 12.10.2018, erhob der BF durch seinen RV Beschwerde gegen den im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG). Darin wurde begehrt, den bekämpften Bescheid aufzuheben und ersatzlos zu beheben sowie das Verfahren einzustellen, in eventu den Bescheid aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

6. Das Bundesamt legte den vorliegenden Verwaltungsakt samt Beschwerde dem BVwG am 18.10.2018 vor, welche dort am 19.10.2018 einlangten.

7. Mit Schreiben vom 11.02.2020 teilte der BF dem BVwG mit, dass das mit Mag. AUMAYR bisher bestandene Vollmachtverhältnis aufgelöst worden sei.

8. Am 10.03.2020 fand vor dem BVwG, Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF teilnahm und seine Lebensgefährtin, Stefanie LAMBRECHT, als Zeugin einvernommen wurde.

9. Am 11.03.2020 übermittelte der BF dem erkennenden Gericht die in der mündlichen Verhandlung angeforderten Unterlagen, welche dort am 16.03.2020 einlangten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Name und Geburtsdatum), ist deutscher Staatsangehöriger, geschieden und mit der deutschen Staatsbürgerin XXXX, geb. am XXXX seit Sommer 2018 liiert, lebt mit dieser jedoch nicht im gemeinsamen Haushalt.

1.2. Der BF hält sich seit Jänner 2010 durchgehend in Österreich auf und ist hier seit dem 14.01.2010 ohne Unterbrechung gemeldet.

1.3. Der BF schloss in Deutschland die Pflichtschule (Hauptschule) ab und verfügt über eine Ausbildung zum Fleischhauer sowie Industriemechaniker.

1.4. Der BF ist Vater der am XXXX geborenen XXXX, welche in XXXX im Haushalt der Kindesmutter, XXXX; geb. am XXXX, rumänische Staatsbürgerin, wohnhaft und von dessen Arbeitsstelle etwa 13 km entfernt ist. Die Tochter besucht den BF alle zwei Wochen und hält sich dann das ganze Wochenende bei ihrem Vater auf. Für seine Exfrau, zugleich Kindesmutter, ist der BF verpflichtet, bis zum 01.04.2022 monatlich € 1.360,00 an Unterhalt zu bezahlen, wobei dieser Anspruch erlischt, wenn die Exfrau während dieser Zeit eine neue Lebensgemeinschaft oder Ehe eingehen sollte. Für die Tochter hat der BF monatlich einen Unterhalt in der Höhe von € 640,00 zu erbringen.

Abgesehen davon hält sich an Familienangehörigen noch der Vater des BF, XXXX, in Österreich auf, in dessen Wohnung er bis zum 13.08.2019 Unterkunft nahm. Die in Deutschland lebende Mutter trifft der BF im Schnitt einmal wöchentlich - etwa um mit ihr essen zu gehen - hält aber mit ihr aber auch telefonischen Kontakt.

1.5. Die Lebensgefährtin (LG) ist im selben Tattoo-Studio, welches der BF betreibt, selbständig erwerbstätig. Sie wohnt mit ihren beiden Kindern im Alter von 5 und 14 Jahren in der Nähe ihres Arbeitsplatzes in Deutschland und ist vom Wohnort des BF ca.20 Minuten entfernt. Der BF pflegt zu seinen Stiefkindern ein sehr gutes Verhältnis, was sich in gegenseitigen Besuchen und gemeinsamen Unternehmungen mit den jeweiligen Kindern bei der LG und umgekehrt äußert.

1.6. Der BF betreibt seit dem Jahr 2013 in XXXX/Deutschland ein Tattoo-Studio, das in seinem Eigentum steht. Hiefür ist - mit Stichtag der mündlichen Verhandlung - eine Kreditsumme von €

302.000,00 offen, wobei der BF derzeit eine Rückzahlungsrate von monatlich rund € 1.700,00 zu erststatten hat. Der BF erwirtschaftete im Jahr 2019 (Jänner bis Dezember) ein Betriebsergebnis von €

46.506,59.

In Österreich war der BF vom 07.10.2002 bis 24.10.2002 bei der XXXX im Arbeiterdienstverhältnis beschäftigt und erhielt dafür einen Bruttolohn in der Höhe von € 860,30. Abgesehen davon ging er in Österreich keiner weiteren Erwerbstätigkeit nach.

1.7. Zu den Verurteilungen des BF, wobei die Punkte 1. bis 6. von deutschen Gerichten geahndete Delikte betreffen:

1.7.1. Amtsgericht XXXX, zu Aktenzahl XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2004, wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 6 tatmehrheitlichen Fällen in Tatmehrheit, vorsätzlich unerlaubten Besitzes von erlaubnispflichtiger Munition in Tatmehrheit, vorsätzlicher Körperverletzung gemäß §§ 223, 230 StGB, § 53 BtMG, § 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1, 29 Abs. 1 Nr. 1 WaffenG, § 52 Abs. 3, Nr. 2 iVm Anlage 1 Abschnitt 1, Unterabschnitt 3, Nr. 1 WaffenG, §§ 27, 28, 29, 31 Abs. 2 Jugendgerichtsgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten;

1.7.2. Amtsgericht XXXX, zu XXXX, in Rechtkraft erwachsen am XXXX.2004, wegen vorsätzlicher Beschädigung oder Zerstörung einer Sache gemäß §§ 303 Abs. 1, 303 C Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von insgesamt € 800,00;

1.7.3. Amtsgericht XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2005, wegen in Mittäterschaft begangenen Diebstahls gemäß §§ 242 Abs. 1, 25 Abs. 2, 55 StGB zu einer Geldstrafe von insgesamt €

2.400,00;

1.7.4. Amtsgericht XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2005, wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gemäß §§ 142 Abs. Nr. 1, 69 und 69 A StGB zu einer Geldstrafe von insgesamt €

1.250,00;

1.7.5. Amtsgericht XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2006, wegen unerlaubten Handels mit ausschließlich für den persönlichen Gebrauch bestimmten Betäubungsmitteln psychotropen Stoffen und Drogenausgangsstoffen gemäß §§ 22, 23, StGB, §§ 56, 1 Abs. 1, § 3 Abs. 1, § 29 As. 1 Nr. 2 Abs. 2 BtMG zu einer Freiheitsstrafe von 8 Monaten;

1.7.6. Amtsgericht XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2020 wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß §§ 45 Abs. 1, 73, 73c StGB, §§ § 1 Abs. 1, 3 Abs. 1 Nr. 1, 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 4 Monaten; diese Haftstrafe verbüßt der BF seit dem XXXX.2020 in der Justizastalt XXXX.

1.7.7. Landesgericht XXXX zu XXXX, in Rechtskraft erwachsen am XXXX.2018, wegen Suchtmittelhandels und unerlaubten Umgangs mit Suchtmitteln gemäß §§ 28a Abs 3 (iVm Abs.1, 1. Fall) SMG, § 12, 3. Fall StGB; § 28a Abs. 3 (iVm Abs. 1. 5. Fall) SMG, § 12 2. Fall StGB; § 27 Abs. 2 (iVm Abs. 1 Z 1 1. und 2. Fall) SMG; § 28 Abs. 4 (IVm Abs. 1 2. Satz) SMG zu einer Freiheitsstrafe von insgesamt 18 Monaten, wovon 12 Monate bedingt unter Setzung einer Probezeit von 3 Jahren verhängt wurden.

Der BF wurde im Zuge dieser Verurteilung für schuldig gesprochen, er habe in XXXX, XXXX und anderen Orten vorschriftswidrig

A) Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden

Menge erzeugt, nämlich zur Erzeugung durch andere beigetragen, indem er etwa Mitte 2016 eine Anlage zur Aufzucht von Cannabispflanzen um den Betrag von € 6.000,00 an die gesondert verfolgten XXXX und XXXX, die vorschriftswidrig eine Menge von zumindest 2 kg Cannabiskraut mit einem Reinheitsgehalt von zumindest 10 % THCA und 1 % Delta-9-THC erzeugt hätten, verkauft, wobei er zum Zeitpunkt der Tat selbst an Suchtmittel gewöhnt gewesen sei und die Straftat vorwiegend deshalb begangen habe, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;

B) Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden

Menge, nämlich insgesamt zumindest 626 Gramm Amphetamin mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest etwa 10 % und insgesamt zumindest 147 Gramm Kokain mit einem durchschnittlichen Reinheitsgehalt von zumindest 20 % im Zeitraum Frühjahr 2016 bis Frühjahr 2018 an XXXX und XXXX teilweise selbst verkauft habe, teilweise die gesondert verfolgten XXXX und XXXX sowie einen bislang unbekannten Albaner mit der Überlassung beauftragt habe, wobei er im Tatzeitpunkt selbst an Suchtmittel gewöhnt gewesen sei und die Straftat vorwiegend deshalb begangen habe, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;

C) seit Jänner 2018 bis zum XXXX.2018 87 Stück Cannabispflanzen zum Zweck der Gewinnung einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge Cannabiskraut mit dem Vorsatz angebaut habe, dass dieses in Verkehr gesetzt werde, wobei er zum Zeitpunkt der Tat selbst an Suchtmittel gewöhnt gewesen sei und die Straftat vorwiegend deshalb begangen habe, um sich für seinen persönlichen Gebrauch Suchtmittel oder Mittel zu deren Erwerb zu verschaffen;

D) Suchtgift, nämlich Cannabiskraut, seit jedenfalls Ende 2016 bis

Mai 2018, in wiederholten Angriffen erworben und besessen habe, wobei er die Taten ausschließlich zum persönlichen Gebrauch begangen habe.

Als mildernd wurden hiebei das teilweise Geständnis sowie die Sicherstellung von Suchtgift und einer Aufzuchtsanlage, als erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen, und zwei Vorstrafen in Deutschland wegen Drogendelinquenz gewertet.

Es wird festgestellt, dass der BF die beschriebenen Verhaltensweisen gesetzt und die erwähnten Straftaten begangen hat.

Der BF wurde im Rahmen dieser Verurteilung am XXXX.2018 festgenommen und am XXXX.2018 aus der Haft entlassen. Diesbezüglich erging zu XXXX ein Beschluss des LG XXXX vom XXXX.2018, mit dem die bedingte Entlassung des BF unter folgenden Auflagen bzw. Anordnungen ausgesprochen wurde:

A) Beistellung eines Bewährungshelfers

B) Ärztliche Überwachung des Gesundheitszustandes sowie

C) Absolvierung einer Psychotherapie.

Der Gesundheitszustand des BF entwickelte sich, was die Loslösung von der Sucht betrifft, positiv. Ebenso besuchte der BF eine Psychotherapie (siehe dazu Näheres zu 1.9.).

1.8. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

1.9. Zur Suchtmittelabhängigkeit und den absolvierten Therapien:

Der BF konsumierte seit seinem 16. Lebensjahr nahezu durchgehend Suchmittel. Von Frühjahr 2016 bis Ende April 2018 nahm er täglich 3 bis 5 Gramm Marihuana zu sich. Es ist anzunehmen, dass dieser regelmäßige Drogenkonsum mit der bei ihm im Kindesalter diagnostizierten Aufmerksamkeitsdefizits- und Hyperaktivitätsstörung einherging. Insbesondere in den Jahren 2016 bis zum Frühjahr 2018 bestand eine eindeutige Drogenbindung, wobei der BF zeitweise zusätzlich bis zu 20 Flaschen Bier am Tag zu sich nahm. Beginnend mit XXXX.2018 konnten in den entnommenen Haarproben des BF keine Suchtmittelspuren mehr nachgewiesen werden, es ist von einer Abstandnahme des Drogenkonsums seit dem vorletzten Haftantritt des BF, am XXXX.2018, auszugehen. Folge der langjährigen Drogenabhängigkeit war auch der zweimalige Entzug der Lenkerberechtigung in den Jahren 2009 in Deutschland und 2017 (November) in Österreich. Seit September 2018 - bis zumindest XXXX.2020 - absolviert der BF bei der XXXX in XXXX eine psychotherapeutische Behandlung.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Der oben unter Punkt I. angeführte Verfahrensgang ergibt sich aus dem unzweifelhaften und unbestrittenen Akteninhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes des BFA und des vorliegenden Gerichtsaktes des Bundesverwaltungsgerichtes.

2.2. Die oben getroffenen Feststellungen beruhen auf den Ergebnissen des vom erkennenden Gericht aufgrund der vorliegenden Akten durchgeführten Ermittlungsverfahrens und werden in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung als maßgeblicher Sachverhalt zugrunde gelegt:

2.2.1. Soweit in der gegenständlichen Rechtssache Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Familienstand, Aufenthalt des BF im Bundesgebiet während des oben genannten Zeitraums, Pflichtschulabschluss und Berufsausbildung in Deutschland, Wohnort der unter II.1.4. angeführten Verwandten und der LG, die Beziehung mit dieser und deren Dauer, die getrennte Haushaltsführung von der LG und Bestand einer Tochter getroffen wurden, folgen diese aus den widerspruchsfrei gebliebenen Angaben des BF in seiner Stellungnahme vor dem BFA und der mündlichen Verhandlung wie der Aussage seiner LG vor dem erkennenden Gericht, dem Inhalt des auf den Namen des BF lautenden Auszuges aus dem Zentralen Melderegister, der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft XXXX (AS 50), der Geburtsurkunde der Tochter und dem Scheidungsbeschluss des Bezirksgerichts XXXX vom XXXX.2018, Zahl XXXX. Aus diesem folgt auch die Höhe des an die Exfrau und Tochter zu leistenden Unterhalts sowie die zeitliche Begrenzung des ersteren.

Der BF legte zum Beweis seiner Identität einen deutschen Personalausweis vor, an dessen Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel aufgekommen sind.

Der Betrieb eines Tattoo-Studios seit dem Jahr 2013, das im Jahr 2019 erzielte Betriebsergebnis, die Höhe des noch aushaftenden Kredites sowie jene der laufenden monatlichen Kreditraten sind den Ausführungen des BF in der mündlichen Verhandlung, der vorgelegten Gewinn- und Verlustrechnung aus dem Jahr 2019, der Bescheinigung der XXXX vom 11.02.2020 sowie jener der XXXX, etabliert in XXXX in Deutschland, vom 26.02.2020 zu entnehmen.

Die vormalige Tätigkeit bei XXXX in Österreich sowie die Höhe des daraus lukrierten Lohnes sind aus dem Inhalt des auf den BF lautenden Sozialversicherungsdatenauszuges ersichtlich.

Da der BF bis vor seinem aktuellen Haftantritt in seinem Studio arbeitete und in der mündlichen Verhandlung vermeinte gesund zu sein, wird davon ausgegangen, dass er an keinen Krankheiten leidet und arbeitsfähig ist.

Die gute Beziehung des BF zu seinen Stiefkindern sowie die gemeinsam verbrachte Zeit mit dieser, der LG und seiner Tochter ergeben sich aus den Ausführungen des BF in der Verhandlung vor dem BVwG und decken sich mit den Aussagen seiner LG. Diese hat vor dem erkennenden Gericht auch angegeben, mit dem BF keinen gemeinsamen Haushalt zu führen und in dessen Studio selbständig erwerbstätig zu sein.

Die kurzen Entfernungen zwischen dem Tattoo-Studio, dem Wohnort der Tochter des BF, der Unterkunftnahme der LG in Deutschland sowie die örtliche Nähe zu Mutter und Vater des BF von dessen Arbeitsplatz und jüngstem privaten Wohnsitz des BF ergeben sich aus dessen Angaben, jenen der LG in der mündlichen Verhandlung, dem Inhalt der Stellungnahme des Mag. AUMAYR an das Bundesamt, den diesbezüglichen ZMR-Auszügen und einer Nachschau auf google maps seitens des Gerichts.

Die Verurteilungen samt Entscheidungsgründen zum Urteil des LG XXXX folgen dem Amtswissen des erkennenden Gerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich wie das Internationale Strafregister. Daraus ergibt sich auch, dass dem BF in Deutschland insgesamt 6 und nicht - wie vom BF in der Verhandlung vor dem BVwG behauptet 2 - Verurteilungen zur Last liegen.

Zeitpunkt der Festnahme und jener der Entlassung aus der Haft in Bezug auf die österreichische Verurteilung ergeben sich aus der Vollzugsdateninformation der Justizanstalt XXXX sowie dem ZMR. Den Angaben des BF in der mündlichen Verhandlung (wie dem ZMR-Auszug seiner Person) ist ferner der aktuelle Haftaufenthalt in der Justizanstalt XXXX zu entnehmen, der sich wiederum mit der im Internationalen Strafregister aufscheinenden jüngsten Verurteilung des AG XXXX deckt.

Die Gründe für das Abdriften in die Drogenkriminalität, die Suchtmittelabhängigkeit, deren Dauer und die Kombination mit der Alkoholabhängigkeit, die Entwicklung der Abstinenz, die Wahrnehmung einer Psychotherapie und der zweimalige Entzug der Lenkerberechtigung sind dem klinisch-psychologischen Gutachten des XXXX vom XXXX.2018, den Befunden des XXXX in XXXX, XXXX vom XXXX.2018, XXXX.2019, XXXX.2019, XXXX.2020, der fachärztlichen-psychiatrischen Stellunganhme des XXXX vom XXXX.2019 sowie der Bestätigung des XXXX vom XXXX.2020 zu entnehmen und mit dem dahingehenden Vorbringen des BF in der mündlichen Verhandlung in Einklang zu bringen.

Die zur bedingten Entlassung erlassenen Anordnungen und Auflagen sind dem oberwähnten Beschluss des LG XXXX, der sich in Kopie im Akt befindet, zu entnehmen.

Was die in der Beschwerde durch die Verhängung des vorliegenden Aufenthaltsverbotes ausgeschlossene Möglichkeit des BF betrifft, seine Tochter legal in Österreich besuchen zu können, wird auf die äußerst geringe Entfernung zwischen vom Wohnort der Tochter des BF zur deutschen Grenze und dem Tattoo-Studio hingewiesen sowie hervorgehoben, dass sich der BF derzeit ohnehin in Haft befindet und sich die Kindesmutter deshalb mit der Tochter in die JA XXXX begeben müsste, um diesen zu sehen. Weitere Kritikpunkte zur Beweiswürdigung haben sich im Rechtsmittel nicht aufgetan.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu Spruchteil A):

3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides.:

Gemäß § 2 Abs. 4 Z 1 FPG gilt als Fremder, jeder der die österreichische Staatsbürgerschaft nicht besitzt und gemäß Abs. 8 leg cit. als EWR-Bürger, ein Fremder der Staatsangehöriger einer Vertragspartei des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR-Abkommen) ist.

Der BF ist auf Grund seiner rumänischen Staatsbürgerschaft EWR-Bürger gemäß § 2 Abs. 4 Z 8 FPG.

3.1.1. Der mit "Unionsrechtliches Aufenthaltsrecht von EWR-Bürgern für mehr als drei Monate" betitelte § 51 NAG lautet:

"§ 51. (1) Auf Grund der Freizügigkeitsrichtlinie sind EWR-Bürger zum Aufenthalt für mehr als drei Monate berechtigt, wenn sie

1. in Österreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind;

2. für sich und ihre Familienangehörigen über ausreichende Existenzmittel und einen umfassenden Krankenversicherungsschutz verfügen, so dass sie während ihres Aufenthalts weder Sozialhilfeleistungen noch die Ausgleichszulage in Anspruch nehmen müssen, oder

3. als Hauptzweck ihres Aufenthalts eine Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung bei einer öffentlichen Schule oder einer rechtlich anerkannten Privatschule oder Bildungseinrichtung absolvieren und die Voraussetzungen der Z 2 erfüllen.

(2) Die Erwerbstätigeneigenschaft als Arbeitnehmer oder Selbständiger gemäß Abs. 1 Z 1 bleibt dem EWR-Bürger, der diese Erwerbstätigkeit nicht mehr ausübt, erhalten, wenn er

1. wegen einer Krankheit oder eines Unfalls vorübergehend arbeitsunfähig ist;

2. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach mehr als einjähriger Beschäftigung der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt;

3. sich als Arbeitnehmer bei ordnungsgemäß bestätigter unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach Ablauf seines auf weniger als ein Jahr befristeten Arbeitsvertrages oder bei im Laufe der ersten zwölf Monate eintretender unfreiwilliger Arbeitslosigkeit der zuständigen regionalen Geschäftsstelle des Arbeitsmarktservice zur Verfügung stellt, wobei in diesem Fall die Erwerbstätigeneigenschaft während mindestens sechs Monaten erhalten bleibt, oder

4. eine Berufsausbildung beginnt, wobei die Aufrechterhaltung der Erwerbstätigeneigenschaft voraussetzt, dass zwischen dieser Ausbildung und der früheren beruflichen Tätigkeit ein Zusammenhang besteht, es sei denn, der Betroffene hat zuvor seinen Arbeitsplatz unfreiwillig verloren.

(3) Der EWR-Bürger hat diese Umstände, wie auch den Wegfall der in Abs. 1 Z 1 bis 3 genannten Voraussetzungen der Behörde unverzüglich, bekannt zu geben. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die näheren Bestimmungen zur Bestätigung gemäß Abs. 2 Z 2 und 3 mit Verordnung festzulegen."

Der "Bescheinigung des Daueraufenthalts für EWR-Bürger" betitelte § 53a NAG lautet:

"§ 53a. (1) EWR-Bürger, denen das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht zukommt (§§ 51 und 52), erwerben unabhängig vom weiteren Vorliegen der Voraussetzungen gemäß §§ 51 oder 52 nach fünf Jahren rechtmäßigem und ununterbrochenem Aufenthalt im Bundesgebiet das Recht auf Daueraufenthalt. Ihnen ist auf Antrag nach Überprüfung der Aufenthaltsdauer unverzüglich eine Bescheinigung ihres Daueraufenthaltes auszustellen.

(2) Die Kontinuität des Aufenthalts im Bundesgebiet wird nicht unterbrochen von

1. Abwesenheiten von bis zu insgesamt sechs Monaten im Jahr;

2. Abwesenheiten zur Erfüllung militärischer Pflichten oder

3. durch eine einmalige Abwesenheit von höchstens zwölf aufeinander folgenden Monaten aus wichtigen Gründen wie Schwangerschaft und Entbindung, schwerer Krankheit, eines Studiums, einer Berufsausbildung oder einer beruflichen Entsendung.

(3) Abweichend von Abs. 1 erwerben EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 vor Ablauf der Fünfjahresfrist das Recht auf Daueraufenthalt, wenn sie

1. zum Zeitpunkt des Ausscheidens aus dem Erwerbsleben das Regelpensionsalter erreicht haben, oder Arbeitnehmer sind, die ihre Erwerbstätigkeit im Rahmen einer Vorruhestandsregelung beenden, sofern sie diese Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet mindestens während der letzten zwölf Monate ausgeübt und sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben;

2. sich seit mindestens zwei Jahren ununterbrochen im Bundesgebiet aufgehalten haben und ihre Erwerbstätigkeit infolge einer dauernden Arbeitsunfähigkeit aufgeben, wobei die Voraussetzung der Aufenthaltsdauer entfällt, wenn die Arbeitsunfähigkeit durch einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit eingetreten ist, auf Grund derer ein Anspruch auf Pension besteht, die ganz oder teilweise zu Lasten eines österreichischen Pensionsversicherungsträgers geht, oder

3. drei Jahre ununterbrochen im Bundesgebiet erwerbstätig und aufhältig waren und anschließend in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union erwerbstätig sind, ihren Wohnsitz im Bundesgebiet beibehalten und in der Regel mindestens einmal in der Woche dorthin zurückkehren;

Für den Erwerb des Rechts nach den Z 1 und 2 gelten die Zeiten der Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union als Zeiten der Erwerbstätigkeit im Bundesgebiet. Zeiten gemäß § 51 Abs. 2 sind bei der Berechnung der Fristen zu berücksichtigen. Soweit der Ehegatte oder eingetragene Partner des EWR-Bürgers die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt oder diese nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat, entfallen die Voraussetzungen der Aufenthaltsdauer und der Dauer der Erwerbstätigkeit in Z 1 und 2.

(4) EWR-Bürger, die Angehörige von unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürgern gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 sind, erwerben ebenfalls das Daueraufenthaltsrecht, wenn der zusammenführende EWR-Bürger das Daueraufenthaltsrecht gemäß Abs. 3 vorzeitig erworben hat oder vor seinem Tod erworben hatte, sofern sie bereits bei Entstehung seines Daueraufenthaltsrechtes bei dem EWR-Bürger ihren ständigen Aufenthalt hatten.

(5) Ist der EWR-Bürger gemäß § 51 Abs. 1 Z 1 im Laufe seines Erwerbslebens verstorben, bevor er gemäß Abs. 3 das Recht auf Daueraufenthalt erworben hat, so erwerben seine Angehörigen, die selbst EWR-Bürger sind und die zum Zeitpunkt seines Todes bei ihm ihren ständigen Aufenthalt hatten, das Daueraufenthaltsrecht, wenn

1. sich der EWR-Bürger zum Zeitpunkt seines Todes seit mindestens zwei Jahren im Bundesgebiet ununterbrochen aufgehalten hat;

2. der EWR-Bürger infolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit verstorben ist, oder

3. der überlebende Ehegatte oder eingetragene Partner die österreichische Staatsangehörigkeit nach Eheschließung oder Begründung der eingetragenen Partnerschaft mit dem EWR-Bürger verloren hat."

Der mit "Ausweisung" betitelte § 66 FPG lautet:

§ 66. (1) EWR-Bürger, Schweizer Bürger und begünstigte Drittstaatsangehörige können ausgewiesen werden, wenn ihnen aus den Gründen des § 55 Abs. 3 NAG das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht nicht oder nicht mehr zukommt, es sei denn, sie sind zur Arbeitssuche eingereist und können nachweisen, dass sie weiterhin Arbeit suchen und begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden; oder sie bereits das Daueraufenthaltsrecht (§§ 53a, 54a NAG) erworben haben; im letzteren Fall ist eine Ausweisung nur zulässig, wenn ihr Aufenthalt eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit darstellt.

(2) Soll ein EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigter Drittstaatsangehöriger ausgewiesen werden, hat das Bundesamt insbesondere die Dauer des Aufenthalts im Bundesgebiet, sein Alter, seinen Gesundheitszustand, seine familiäre und wirtschaftliche Lage, seine soziale und kulturelle Integration im Bundesgebiet und das Ausmaß seiner Bindung zum Herkunftsstaat zu berücksichtigen.

(3) Die Erlassung einer Ausweisung gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, die Ausweisung wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

Der mit "Aufenthaltsverbot" betitelte § 67 FPG lautet:

"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist.

(2) Ein Aufenthaltsverbot kann, vorbehaltlich des Abs. 3, für die Dauer von höchstens zehn Jahren erlassen werden.

(3) Ein Aufenthaltsverbot kann unbefristet erlassen werden, wenn insbesondere

1. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige von einem Gericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren rechtskräftig verurteilt worden ist;

2. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einer kriminellen Organisation (§ 278a StGB) oder einer terroristischen Vereinigung (§ 278b StGB) angehört oder angehört hat, terroristische Straftaten begeht oder begangen hat (§ 278c StGB), Terrorismus finanziert oder finanziert hat (§ 278d StGB) oder eine Person für terroristische Zwecke ausbildet oder sich ausbilden lässt (§ 278e StGB);

3. auf Grund bestimmter Tatsachen die Annahme gerechtfertigt ist, dass der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige durch sein Verhalten, insbesondere durch die öffentliche Beteiligung an Gewalttätigkeiten, durch den öffentlichen Aufruf zur Gewalt oder durch hetzerische Aufforderungen oder Aufreizungen, die nationale Sicherheit gefährdet oder

4. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen, ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder terroristische Taten von vergleichbarem Gewicht billigt oder dafür wirbt.

(4) Bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbotes ist auf die für seine Erlassung maßgeblichen Umstände Bedacht zu nehmen. Die Frist des Aufenthaltsverbotes beginnt mit Ablauf des Tages der Ausreise.

(Anm.: Abs. 5 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)"

Der mit "Schutz des Privat- und Familienlebens" betitelte § 9 BFA-VG lautet:

"§ 9. (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.

(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,

4. der Grad der Integration,

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

(3) Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005) verfügen, unzulässig wäre.

(Anm.: Abs. 4 aufgehoben durch Art. 4 Z 5, BGBl. I Nr. 56/2018)

(5) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits fünf Jahre, aber noch nicht acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf mangels eigener Mittel zu seinem Unterhalt, mangels ausreichenden Krankenversicherungsschutzes, mangels eigener Unterkunft oder wegen der Möglichkeit der finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft eine Rückkehrentscheidung gemäß §§ 52 Abs. 4 iVm 53 FPG nicht erlassen werden. Dies gilt allerdings nur, wenn der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, die Mittel zu seinem Unterhalt und seinen Krankenversicherungsschutz durch Einsatz eigener Kräfte zu sichern oder eine andere eigene Unterkunft beizubringen, und dies nicht aussichtslos scheint.

(6) Gegen einen Drittstaatsangehörigen, der vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes bereits acht Jahre ununterbrochen und rechtmäßig im Bundesgebiet niedergelassen war, darf eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 4 FPG nur mehr erlassen werden, wenn die Voraussetzungen gemäß § 53 Abs. 3 FPG vorliegen. § 73 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 60/1974 gilt."

Der mit "Ausreiseverpflichtung und Durchsetzungsaufschub" betitelte § 70 FPG lautet:

"§ 70. (1) Die Ausweisung und das Aufenthaltsverbot werden spätestens mit Eintritt der Rechtskraft durchsetzbar; der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige hat dann unverzüglich auszureisen. Der Eintritt der Durchsetzbarkeit ist für die Dauer eines Freiheitsentzuges aufgeschoben, auf den wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung erkannt wurde.

(Anm.: Abs. 2 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 87/2012)

(3) EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen ist bei der Erlassung einer Ausweisung oder eines Aufenthaltsverbotes von Amts wegen ein Durchsetzungsaufschub von einem Monat zu erteilen, es sei denn, die sofortige Ausreise wäre im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich.

(4) Der Durchsetzungsaufschub ist zu widerrufen, wenn

1. nachträglich Tatsachen bekannt werden, die dessen Versagung gerechtfertigt hätten;

2. die Gründe für die Erteilung weggefallen sind oder

3. der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige während seines weiteren Aufenthaltes im Bundesgebiet ein Verhalten setzt, das die sofortige Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit gebietet."

3.1.2. Die Beschwerde war aus folgenden Gründen dem Grunde nach abzuweisen:

Der BF fällt aufgrund seiner deutschen Staatsangehörigkeit in den persönlichen Anwendungsbereich des § 67 FPG. Er ist seit dem 14.01.2010 im Bundesgebiet gemeldet, hält sich zum Entscheidungszeitpunkt des erkennenden Gerichtes zwar seit mehr als 10 Jahren im Bundesgebiet auf, zurückgerechnet vom Zeitpunkt der Ausweisungsentscheidung (13.09.2018; siehe unten zu den Ausführungen des Falles "Tsakouridis") waren es jedoch 8 Jahre und 8 Monate. Da er seit 2013 durchgehend ein Tattoo-Studio betreibt, ist von der Erfüllung der Voraussetzung des § 53a Abs. 1 NAG auszugehen. Es kommt demnach der Prüfmaßstab des § 67 Abs. 1., 1. bis 4. Satz für Unionsbürger zur Anwendung.

Gegen den BF als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger ist die Erlassung eines Aufenthaltsverbots gemäß §§ 67 Abs. 1, 1. und 2. Satz FPG daher nur zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist, wobei das persönliche Verhalten eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.

Bei der Beurteilung, ob ein 10jähriger Aufenthalt vorliegt oder nicht, ist auch die Judikatur des Verwaltungsgerichthofes und des Europäischen Gerichtshofes zu berücksichtigen:

In einem Verfahren betreffend Aufenthaltsverbot ist bei der Frage nach dem auf einen Fremden anzuwendenden Gefährdungsmaßstab das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der RL 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des EuGH vom 16.01.2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen, weil § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser RL - § 67 Abs. 1 fünfter Satz FrPolG 2005 im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a - dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten RL bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FrPolG 2005 führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich ununterbrochen sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind VwGH 24.03.2015, Ro 2014/21/0079, mwN; VwGH 19.02.2014, 2013/22/0309).

Es ist demnach gegenständlich für die Anwendung der Judikatur des EuGH in der Rs C-400/12 nicht relevant, ob gegen den Beschwerdeführer eine "Ausweisung" iSd § 66 FPG oder ein "Aufenthaltsverbot" iSd § 67 FPG erlassen wird. In beiden Fällen handelt es sich um eine von der Freizügigkeitsrichtlinie umfasste, aufenthaltsbeendende Maßnahme gegen einen Unionsbürger, zumal das Aufenthaltsverbot auch eine Ausweisung mitumfasst.

Der EuGH führt zudem in seiner Entscheidung vom aus:

"63 Mit seinen zusammen zu prüfenden ersten drei Fragen möchte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 gestellte Anforderung, den "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" gehabt zu haben, dahin auszulegen ist, dass - und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen - sie von einem Unionsbürger erfüllt werden kann, der in jungem Alter in einen anderen Mitgliedstaat als denjenigen, 17.04.2018, C-316/16 und C-424/16 dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, gekommen ist und dort 20 Jahre lang gelebt hat, bevor er dort zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden ist, die zu dem Zeitpunkt, in dem eine Ausweisungsverfügung gegen ihn ergeht, im Vollzug begriffen ist.

64 Insoweit trifft zwar erstens zu, dass die Erwägungsgründe 23 und 24 der Richtlinie 2004/38 einen besonderen Schutz für diejenigen Personen vorsehen, die vollständig in den Aufnahmemitgliedstaat integriert sind, insbesondere in Fällen, in denen sie dort geboren sind und dort ihr ganzes Leben lang ihren Aufenthalt gehabt haben, doch ist das entscheidende Kriterium für die Gewährung des durch Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 verbürgten verstärkten Schutzes nichtsdestoweniger, ob sich der Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat über ein Recht auf Daueraufenthalt im Sinne von Art. 16 und Art. 28 Abs. 2 dieser Richtlinie verfügt, wie von besagtem Art. 28 Abs. 3 gefordert, in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisungsverfügung in diesem Mitgliedstaat aufgehalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 31, und vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 23).

65 Daraus folgt insbesondere, dass der für die Gewährung des verstärkten Schutzes gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 erforderliche Aufenthalt von zehn Jahren vom Zeitpunkt der Verfügung der Ausweisung der betreffenden Person an zurückzurechnen ist (Urteil vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 24).

66 Zweitens ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass dieser Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren grundsätzlich ununterbrochen gewesen sein muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 27).

67 In dieser Hinsicht ist jedoch auch darauf hinzuweisen, dass Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 so zwar den Genuss des darin vorgesehenen verstärkten Schutzes vor Ausweisung von der Anwesenheit des Betroffenen im Hoheitsgebiet des fraglichen Mitgliedstaats in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisung abhängig macht, sich aber daraus nichts zu der Frage ergibt, welche Umstände eine Unterbrechung dieser Aufenthaltsdauer von zehn Jahren bewirken können, die für den Erwerb des Rechts auf verstärkten Ausweisungsschutz erforderlich ist (Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 29).

68 Der Gerichtshof hat so entschieden, dass hinsichtlich der Frage, inwieweit Abwesenheiten vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats in dem in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 genannten Zeitraum den Betroffenen daran hindern, in den Genuss des verstärkten Schutzes zu kommen, eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen jeweils zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen ist, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt (Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 32).

69 Dafür haben die mit der Anwendung von Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 betrauten nationalen Behörden alle in jedem Einzelfall relevanten Umstände zu berücksichtigen, insbesondere die Dauer jeder einzelnen Abwesenheit des Betroffenen vom Aufnahmemitgliedstaat, die Gesamtdauer und die Häufigkeit der Abwesenheiten sowie die Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, diesen Mitgliedstaat zu verlassen. Zu prüfen ist nämlich, ob die fraglichen Abwesenheiten bedeuten, dass sich der Mittelpunkt der persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen des Betroffenen in einen anderen Staat verlagert hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 33)

70 Was die Frage betrifft, ob gegebenenfalls Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe als solche und unabhängig von Zeiten der Abwesenheit vom Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats ebenfalls zu einem Abreißen des Bandes zu diesem Staat und zu einer Diskontinuität des Aufenthalts dort führen können, hat der Gerichtshof entschieden, dass zwar solche Zeiträume grundsätzlich die Kontinuität des Aufenthalts im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 unterbrechen. Für die Zwecke der Feststellung, ob sie damit zu einem Abreißen des zuvor geknüpften Bandes der Integration zum Aufnahmemitgliedstaat dergestalt geführt haben, dass der Betroffene nicht mehr in den Genuss des durch diese Bestimmung verbürgten verstärkten Schutzes kommen kann, ist aber gleichwohl eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen zu dem genauen Zeitpunkt vorzunehmen, zu dem sich die Frage der Ausweisung stellt. Im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung sind die Zeiträume der Verbüßung einer Haftstrafe zusammen mit allen anderen Anhaltspunkten zu berücksichtigen, die die Gesamtheit der im Einzelfall relevanten Gesichtspunkte ausmachen, wozu gegebenenfalls der Umstand zählt, dass der Betroffene in den letzten zehn Jahren vor seiner Inhaftierung seinen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat hatte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Januar 2014, G., C-400/12, EU:C:2014:9, Rn. 33 bis 38).

71 Insbesondere bei einem Unionsbürger, der früher, noch vor der Begehung einer seine Inhaftierung begründenden Straftat, bereits die Voraussetzung eines ununterbrochenen Aufenthalts von zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat erfüllte, kann nämlich der Umstand, dass er von den Behörden dieses Staates in Haft genommen wurde, nicht als geeignet angesehen werden, ohne Weiteres seine zuvor zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande abreißen zu lassen sowie die Kontinuität seines Aufenthalts in dessen Hoheitsgebiet im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 zu unterbrechen und ihn damit um den verstärkten Ausweisungsschutz zu bringen, der durch diese Bestimmung verbürgt ist. Ein solches Verständnis hätte auch zur Folge, dass dieser Bestimmung weitgehend ihre praktische Wirksamkeit genommen würde, da eine Ausweisung zumeist gerade wegen des Verhaltens des Betroffenen verfügt werden wird, das zu seiner Verurteilung und zum Freiheitsentzug geführt hat.

72 Im Rahmen der oben in Rn. 70 angesprochenen umfassenden Beurteilung, die hier vom vorlegenden Gericht vorzunehmen sein wird, wird dieses, was die Integrationsbande betrifft, die B in der Zeit des Aufenthalts vor seiner Inhaftierung zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpft hat, zu berücksichtigen haben, dass, je fester diese Integrationsbande zu dem besagten Staat insbesondere in gesellschaftlicher, kultureller und familiärer Hinsicht sind - in einem Maße beispielsweise, dass sie zu einer echten Verwurzelung in der Gesellschaft dieses Staates geführt haben, wie sie vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren festgestellt worden ist -, umso geringer die Wahrscheinlichkeit sein wird, dass eine Verbüßung einer Freiheitsstrafe zu einem Abreißen der Integrationsbande und damit zu einer Diskontinuität des Aufenthalts von zehn Jahren im Sinne des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 geführt haben kann.

73 Was die anderen für die Zwecke dieser umfassenden Beurteilung relevanten Anhaltspunkte anbelangt, so können sie, wie vom Generalanwalt in den Nrn. 123 bis 125 seiner Schlussanträge ausgeführt, zum einen die Art der die fragliche Haft begründenden Straftat sowie die Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, und zum anderen alle maßgeblichen Gesichtspunkte in Bezug auf das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs umfassen.

74 Während nämlich die Art der Straftat und die Umstände ihrer Begehung ermessen lassen, in welchem Maß sich der Betroffene gegebenenfalls der Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats entfremdet hat, kann sein Verhalten während der Haft wiederum dazu beitragen, dass eine solche Entfremdung verstärkt wird, oder aber im Gegenteil dazu, dass im Hinblick auf die baldige Wiedereingliederung des Betroffenen in die Gesellschaft des Aufnahmemitgliedstaats zuvor zu diesem geknüpfte Integrationsbande aufrechterhalten oder wiederhergestellt werden.

75 In letzterer Hinsicht ist auch zu berücksichtigen, dass, wie vom Gerichtshof bereits festgestellt, die Resozialisierung des Unionsbürgers in dem Staat, in den er vollständig integriert ist, nicht nur im Interesse dieses Staates, sondern auch im Interesse der Europäischen Union insgesamt liegt (Urteil vom 23. November 2010, Tsakouridis, C-145/09, EU:C:2010:708, Rn. 50).

76 Zu den Fragen, die das vorlegende Gericht im Zusammenhang damit aufwirft, dass die Berücksichtigung des Haftzeitraums, um festzustellen, ob die Kontinuität des zehnjährigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat vor der Ausweisung dadurch unterbrochen worden sei, je nach dem Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung zu beliebigen oder der Gleichheit abträglichen Ergebnissen führen könne, sind folgende Klarstellungen geboten.

77 In manchen Mitgliedstaaten kann zwar eine Ausweisung als Strafe oder als Nebenstrafe zu einer Freiheitsstrafe verfügt werden. Diese Möglichkeit ist in Art. 33 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ausdrücklich vorgesehen. In einem solchen Fall kann die künftige Freiheitsstrafe logischerweise nicht berücksichtigt werden, wenn es um die Beurteilung geht, ob sich der Bürger in den letzten zehn Jahren vor dem Ergehen der Ausweisungsverfügung ununterbrochen im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat.

78 Das kann somit z. B. zu dem Ergebnis führen, dass ein Unionsbürger, der zu dem Zeitpunkt, zu dem gegen ihn eine freiheitsentziehende Maßnahme zusammen mit einer Ausweisungsverfügung als Nebenstrafe oder Strafe ergeht, bereits einen ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat vorweisen kann, in den Genuss des verstärkten Ausweisungsschutzes kommt, der in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 vorgesehen ist.

79 Umgekehrt stellt sich in Bezug auf einen Bürger, dessen Ausweisung wie im Ausgangsverfahren nach seiner Inhaftierung verfügt wird, die Frage, ob die Haft bewirkt, dass die Kontinuität seines Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat unterbrochen wird und er um den Genuss des verstärkten Schutzes gebracht wird.

80 Insoweit ist jedoch zu betonen, dass bei einem Unionsbürger, der bei Haftantritt bereits einen zehnjährigen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat vorweisen kann, der Umstand, dass die Ausweisung während oder am Ende des Haftzeitraums verfügt wird, und die Tatsache, dass der Haftzeitraum so in den Zeitraum der letzten zehn Jahre vor Ergehen der Ausweisungsverfügung fällt, nicht ohne Weiteres eine Diskontinuität dieses Zehnjahreszeitraums zur Folge haben, aufgrund deren dem Betroffenen der verstärkte Schutz des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 verloren ginge.

81 Wie sich nämlich aus den Rn. 66 bis 75 des vorliegenden Urteils ergibt, ändert sich, wenn die Entscheidung über die Ausweisung während oder am Ende des Haftzeitraums ergeht, nichts daran, dass nach Maßgabe der in diesen Randnummern gemachten Ausführungen eine umfassende Beurteilung der Situation des betroffenen Bürgers vorzunehmen ist, um festzustellen, ob er in den Genuss dieses verstärkten Schutzes kommen kann.

82 In den vorstehend in den Rn. 77 bis 81 angesprochenen Fallgestaltungen hängt also die Gewährung oder Nichtgewährung des in Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen verstärkten Schutzes weiterhin von der Dauer des Aufenthalts und vom Grad der Integration des betroffenen Bürgers im Aufnahmemitgliedstaat ab.

83 Nach alledem ist auf die ersten drei Fragen in der Rechtssache C-316/16 zu antworten, dass Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen ist, dass im Fall eines Unionsbürgers, der eine Freiheitsstrafe verbüßt und gegen den eine Ausweisungsverfügung ergeht, die Voraussetzung dieser Bestimmung, den "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" gehabt zu haben, erfüllt sein kann, sofern eine umfassende Beurteilung der Situation des Betroffenen unter Berücksichtigung aller relevanten Gesichtspunkte zu dem Schluss führt, dass die Integrationsbande, die ihn mit dem Aufnahmemitgliedstaat verbinden, trotz der Haft nicht abgerissen sind. Zu diesen Gesichtspunkten gehören insbesondere die Stärke der vor der Inhaftierung des Betroffenen zum Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsbande, die Art der die verhängte Haft begründenden Straftat und die Umstände ihrer Begehung sowie das Verhalten des Betroffenen während des Vollzugs.

Zur vierten Frage in der Rechtssache C-316/16:

84 Mit seiner vierten Frage möchte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg im Wesentlichen wissen, zu welchem Zeitpunkt zu beurteilen ist, ob die Voraussetzung des Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38, den "Aufenthalt in den letzten zehn Jahren im Aufnahmemitgliedstaat" gehabt zu haben, erfüllt ist.

85 Nach dieser Bestimmung "darf eine Ausweisung nicht verfügt werden" gegen einen Unionsbürger, der seinen Aufenthalt "in den letzten zehn Jahren" im Aufnahmemitgliedstaat gehabt hat, es sei denn, es liegen zwingende Gründe der öffentlichen Sicherheit vor.

86 Aus diesem Wortlaut ergibt sich, dass unter "den letzten zehn Jahren" die zehn Jahre vor der Ausweisungsverfügung zu verstehen sind, so dass die Voraussetzung des ununterbrochenen zehnjährigen Aufenthalts zum Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung zu prüfen ist.

87 Wie oben in Rn. 65 in Erinnerung gerufen, hat der Gerichtshof im Übrigen bereits klargestellt, dass der Aufenthaltszeitraum von zehn Jahren, von dem die Gewährung des verstärkten Schutzes gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 abhängt, von dem Zeitpunkt an zurückzurechnen ist, zu dem die Verfügung der Ausweisung der betreffenden Person ergeht.

88 Aus dem Vorstehenden folgt, dass die Frage, ob eine Person die Voraussetzung erfüllt, ihren Aufenthalt in den letzten zehn Jahren vor der Ausweisungsverfügung im Aufnahmemitgliedstaat gehabt zu haben, und damit in den Genuss des verstärkten Schutzes gemäß Art. 28 Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/38 kommen kann, zu dem Zeitpunkt zu beurteilen ist, zu dem die Ausweisungsverfügung anfangs ergeht.

89 Es ist jedoch klarzustellen, dass diese Auslegung nicht der - anderen - Frage vorgreift, zu welchem Zeitpunkt zu beurteilen ist,

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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