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001 Verwaltungsrecht allgemein;Norm
AVG §37;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Brandtner, über die Beschwerde des 1956 geborenen T Z in Wien, vertreten durch Dr. Rainer Herzig, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Dr. Karl Lueger-Ring 12, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. September 1995, Zl. 303.281/2-III/11/95, betreffend Zurückweisung einer Berufung i.A. einer Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 25. September 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gegen den Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 2. Juni 1995 gemäß § 66 Abs. 4 AVG zurückgewiesen.
Die belangte Behörde führte begründend aus, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides rechtswirksam am 9. Juni 1995 erfolgt, die Berufung jedoch erst am 26. Juni 1995, und daher verspätet, eingebracht worden sei.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Gemäß § 17 Abs. 1 ZustG ist dann, wenn die Sendung an der Abgabestelle nicht zugestellt werden kann und der Zusteller Grund zur Annahme hat, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält, das Schriftstück im Falle der Zustellung durch die Post beim zuständigen Postamt zu hinterlegen. Nach Abs. 2 dieser Bestimmung ist der Empfänger von der Hinterlegung schriftlich zu verständigen. Die Verständigung ist in den für die Abgabestelle bestimmten Briefkasten (Briefeinwurf, Hausbrieffach) einzulegen, an der Abgabestelle zurückzulassen, oder, wenn dies nicht möglich ist, an der Eingangstüre (Wohnungs-, Haus-, Gartentüre) anzubringen.
Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG ist die hinterlegte Sendung mindestens zwei Wochen bis zur Abholung bereitzuhalten. Der Lauf dieser Frist beginnt mit dem Tag, an dem die Sendung erstmals zur Abholung bereitgehalten wird. Hinterlegte Sendungen gelten mit dem ersten Tag dieser Frist als zugestellt. Sie gelten nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, daß der Empfänger oder dessen Vertreter im Sinne des § 13 Abs. 3 wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem die hinterlegte Sendung behoben werden könnte.
Der Beschwerdeführer tritt der Annahme der belangten Behörde, daß die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides (durch Hinterlegung an einer Adresse in Wien) am 9. Juni 1995 rechtswirksam erfolgt sei, insofern entgegen, als er behauptet, in der Zeit vom 1. Juni bis 13. Juni 1995 bei seiner Schwester und seinem Schwager in Traun zu Besuch gewesen zu sein. Er sei erst am 13. Juni 1995 an die Abgabestelle zurückgekehrt. Er habe den Bescheid am 13. Juni 1995 erhalten, die Zustellung des erstinstanzlichen Bescheides sei daher frühestens mit diesem Datum ordnungsgemäß erfolgt. Seine am 26. Juni 1995 eingebrachte Berufung sei daher rechtzeitig.
Nach Ausweis des Verwaltungsaktes wurde der angefochtene Bescheid am 9. Juni 1995 beim Postamt 1218 Wien hinterlegt. Die am 26. Juni 1995 teleraphisch übermittelte Berufung enthält den Beisatz "innerhalb offener Frist".
Vor Zurückweisung einer Berufung als verspätet hat die Behörde entweder von Amts wegen zu prüfen, ob ein Zustellmangel unterlaufen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. Dezember 1951, Slg. NF. Nr. 2367/A), wenn nämlich Umstände auf einen solchen hinweisen, oder dem Berufungswerber die offenbare Verspätung seines Rechtsmittels vorzuhalten; unterläßt sie dies, so kann der Berufungswerber ohne Verstoß gegen das Neuerungsverbot den Zustellmangel in seiner Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof dartun (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 23. März 1988, Zl. 88/18/0048). Verbindet die Partei des Verwaltungsverfahrens die Setzung einer nach der Aktenlage verspäteten Verfahrenshandlung mit der Wendung "in offener Frist", so trifft die Behörde die Verpflichtung zur amtswegigen Prüfung der Richtigkeit dieser Behauptung (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. Juni 1995, Zl. 95/21/0109). Geht die Behörde von der Feststellung der Versäumung der Rechtsmittelfrist aus, ohne dies dem Berufungswerber vorgehalten zu haben, so hat sie das Risiko einer Bescheidaufhebung zu tragen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 21. März 1994, Zl. 94/10/0010, mwN).
Der belangten Behörde, die die Feststellung der Versäumung der Berufungsfrist dem Beschwerdeführer vor Erlassung des die Berufung zurückweisenden Bescheides nicht vorgehalten hat, obwohl die Wendung in der Berufung "innerhalb offener Frist" Anlaß zu behördlichen Erhebungen über die Rechtzeitigkeit oder Verspätung dieses Rechtsmittels Anlaß gegeben hätte, ist somit ein Verfahrensfehler unterlaufen, wobei im Hinblick auf die Darlegungen der Beschwerde nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Behörde bei Vermeidung des Verfahrensfehlers zu einem anderen Ergebnis hätte gelangen können.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Inhalt der Berufungsentscheidung Voraussetzungen der meritorischen Erledigung Zurückweisung (siehe auch §63 Abs1, 3 und 5 AVG) Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 Verfahrensgrundsätze im Anwendungsbereich des AVG Offizialmaxime Mitwirkungspflicht Manuduktionspflicht VwRallg10/1/1European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996192465.X00Im RIS seit
11.07.2001