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L3715 Anliegerbeitrag, Kanalabgabe, UmweltabgabeNorm
B-VG Art18 Abs2Leitsatz
Feststellung der Gesetzwidrigkeit einer Verordnung über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr mangels gesetzlicher Ermächtigung für ein rückwirkendes InkrafttretenSpruch
I. §6 erster Satz ("Diese Verordnung tritt mit 01.01.2019 in Kraft.") der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 20. Dezember 2018 bis 4. Jänner 2019, war gesetzwidrig.
II. Die Burgenländische Landesregierung ist zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches im Landesgesetzblatt für das Burgenland verpflichtet.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Antrag
Mit einem auf Art139 Abs1 Z1 B-VG gestützten Antrag begehrt das Landesverwaltungsgericht Burgenland, festzustellen, dass §6 erster Satz ("Diese Verordnung tritt mit 01.01.2019 in Kraft.") der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 20. Dezember 2018 bis 4. Jänner 2019, gesetzwidrig war.
II. Rechtslage
Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
1. §16 Abs1 Finanzausgleichsgesetz 2017 (FAG 2017), BGBl I 116/2016, lautet auszugsweise:
"C. Ausschließliche Landes(Gemeinde)abgaben
§16. (1) Ausschließliche Landes(Gemeinde)abgaben sind insbesondere:
1. - 14. […]
15. Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen;
16. - 18. […]"
2. §17 FAG 2017 lautet auszugsweise:
"D. Gemeindeabgaben auf Grund freien Beschlussrechtes
[…]
(3) Die Gemeinden werden ferner ermächtigt, durch Beschluss der Gemeindevertretung folgende Abgaben vorbehaltlich weiter gehender Ermächtigung durch die Landesgesetzgebung auszuschreiben:
1.-3. [...]
4. Gebühren für die Benützung von Gemeindeeinrichtungen und -anlagen, die für Zwecke der öffentlichen Verwaltung betrieben werden, mit Ausnahme von Weg- und Brückenmauten, bis zu einem Ausmaß, bei dem der mutmaßliche Jahresertrag der Gebühren das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Einrichtung oder Anlage sowie für die Verzinsung und Tilgung der Errichtungskosten unter Berücksichtigung einer der Art der Einrichtung oder Anlage entsprechenden Lebensdauer nicht übersteigt.
5. […]
(4) Verordnungen der Gemeinden auf Grund dieses Bundesgesetzes können bereits nach dessen Kundmachung erlassen werden, wobei diese Verordnungen frühestens mit dem Inkrafttreten dieses Gesetzes in Kraft gesetzt werden dürfen. Werden derartige Verordnungen erst nach Inkrafttreten dieses Gesetzes erlassen, können diese rückwirkend mit Inkrafttreten dieses Gesetzes in Kraft gesetzt werden."
3. Das Burgenländische Kanalabgabegesetz (KAbG), LGBl 41/1984 idF LGBl 11/2015, lautet auszugsweise:
"3. Abschnitt
Kanalbenützungsgebühren
§10
Allgemeines
(1) Soferne Gemeinden auf Grund bundesgesetzlicher Ermächtigung durch Verordnung des Gemeinderates Gebühren für die Benützung der Kanalisationsanlage vorschreiben, gelten hiefür die Bestimmungen dieses Abschnittes.
(2) Dem Gemeinderat steht es frei, innerhalb der bundesgesetzlichen Ermächtigung hinsichtlich des Abgabengegenstandes, der Entstehung der Abgabenschuld, des Abgabenschuldners und der Fälligkeit von diesem Gesetz abweichende Bestimmungen zu treffen.
§11
Höhe der Gebühr
(1) Das Ausmaß des mutmaßlichen Jahresertrages der Kanalbenützungsgebühren darf das doppelte Jahreserfordernis für die Erhaltung und den Betrieb der Kanalisationsanlage, für die Verzinsung und Tilgung der Kosten für die Errichtung, die Erweiterung, den Umbau oder die Erneuerung unter Berücksichtigung einer der Art der Anlage entsprechenden Lebensdauer sowie für die Bildung einer angemessenen Erneuerungsrücklage nicht übersteigen.
(2) Zu den Errichtungskosten im Sinne des Abs1 litc zählen nicht
a) die der Gemeinde für die Errichtung oder Änderung der Kanalisationsanlage gewährten Zuschüsse, die nicht zurückzuzahlen sind, und
b) der durch Kanalisationsbeiträge (§2 Abs1) gedeckte Teil der Errichtungskosten.
(3) Der Abgabenanspruch entsteht mit Beginn des Monats, in dem erstmalig die Benützung der Kanalisationsanlage möglich ist.
(4) Die Kanalbenützungsgebühr ist mit ihrem Jahresbetrag festzusetzen.
(5) Die Festsetzung gemäß Abs4 gilt auch für die folgenden Jahre, soweit nicht infolge einer Änderung der Voraussetzungen für die Festsetzung des Jahresbetrages ein neuer Abgabenbescheid zu erlassen ist. Entsteht der Abgabenanspruch während des Jahres, ist die Kanalbenützungsgebühr für dieses Jahr nur in dem verhältnismäßigen Anteil der Jahresgebühr festzusetzen. Dasselbe gilt sinngemäß im Falle einer Veränderung der bisherigen Gebühr. Die Kanalbenützungsgebühr wird am 15. Feber, 15. Mai, 15. August und 15. November zu je einem Viertel ihres Jahresbetrages fällig."
4. §81 und §82 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003, LGBl 55/2003 idF LGBl 83/2016, lauten:
"5. Hauptstück
Verwaltungsakte und Verwaltungsverfahren
§81
Fristen
Soweit in anderen Gesetzen nicht anderes bestimmt ist, betragen Kundmachungs- und Auflagefristen zwei Wochen.
§82
Verordnungen der Gemeinde
(1) Verordnungen der Gemeinde bedürfen zu ihrer Rechtswirksamkeit der öffentlichen Kundmachung. Aus der Verordnung muss erkennbar sein, von welchem Organ der Gemeinde sie erlassen wurde. Die Kundmachung ist vom Bürgermeister innerhalb von zwei Wochen nach der Beschlussfassung – bei Verordnungen, die der Genehmigung der Aufsichtsbehörde bedürfen, unverzüglich nach erfolgter Genehmigung – durch Anschlag an der Amtstafel durchzuführen. Bei Kundmachung von Verordnungen, die der aufsichtsbehördlichen Genehmigung bedürfen, ist auf die erfolgte aufsichtsbehördliche Genehmigung hinzuweisen. Neben der Kundmachung durch Anschlag an der Gemeindeamtstafel und ohne Einfluss auf die Rechtswirksamkeit sind Verordnungen der Gemeinde vom Bürgermeister auch auf andere Art ortsüblich bekanntzumachen, wenn dies notwendig oder zweckmäßig ist. Die Rechtswirksamkeit von Verordnungen beginnt, wenn nicht gesetzlich oder auf Grund des Abs2 ausdrücklich anderes bestimmt ist, frühestens mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist (§81) folgenden Tag.
(2) Bei Gefahr im Verzug kann, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, in der Verordnung angeordnet werden, dass ihre Rechtswirksamkeit bereits vor dem im Abs1 bestimmten Tag beginnt, frühestens jedoch mit Ablauf des Kundmachungstags.
(3) Verordnungen, deren Umfang oder Art den Anschlag an der Amtstafel nicht zulassen, können im Gemeindeamt zur öffentlichen Einsicht während der Amtsstunden innerhalb der Kundmachungsfrist aufgelegt werden. Die Auflegung ist nach Abs1 kundzumachen.
(4) Geltende Verordnungen sind im Gemeindeamt während der Amtsstunden zur allgemeinen Einsichtnahme aufzulegen. Auf Verlangen sind – gegebenenfalls gegen Ersatz der Kosten – Kopien auszufolgen."
5. Die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 20. Dezember 2018 bis 4. Jänner 2019, lautet wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"VERORDNUNG
des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr
Gemäß der §§10, 11, 12 und 13 Kanalabgabegesetz, LGBl Nr 41/1984 idgF, im Zusammenhalt mit §17 Abs3 Z4 Finanzausgleichsgesetz 2017 — FAG 2017, BGBl I Nr 116/2016, wird verordnet:
§1
Zur Deckung der Betriebs- und Instandhaltungskosten der Kanalisationsanlage und zur teilweisen Deckung der Errichtungskosten werden nach den Bestimmungen des dritten Abschnittes des Kanalabgabegesetzes Kanalbenützungsgebühren erhoben.
§2
(1) Die Höhe der Kanalbenützungsgebühr wird mit 1,10 Euro pro m2 Berechnungsfläche gemäß §5 Abs2 KAbG festgesetzt.
(2) Das Beitragsausmaß ergibt sich aus dem mit der Berechnungsfläche vervielfachten Beitragssatz. Die gesetzliche Umsatzsteuer ist gesondert hinzuzurechnen.
§3
(1) Zur Entrichtung der Kanalbenützungsgebühr ist der Eigentümer der Anschlussgrundfläche verpflichtet. Miteigentümer schulden die Kanalbenützungsgebühr zur ungeteilten Hand. Dies gilt nicht, wenn die Eigentümer Wohnungseigentümer sind. In diesen Fällen kann aber, sofern ein gemeinsamer Verwalter bestellt ist, die Zustellung des Abgabenbescheides an diesen erfolgen.
(2) Ist die Anschlussgrundfläche vermietet, verpachtet oder sonst zum Gebrauch überlassen, ist die Kanalbenützungsgebühr dem Inhaber (Mieter, Pächter, Fruchtnießer) vorzuschreiben. Der Eigentümer haftet persönlich für die Abgabenschuld.
§4
Der Abgabenanspruch entsteht mit Beginn des Monats, in dem erstmalig die Benützung der Kanalisationsanlage möglich ist.
§5
Die Kanalbenützungsgebühr wird am 15. Feber, 15. Mai, 15. August und 15. November zu je einem Viertel ihres Jahresbetrages fällig.
§6
Diese Verordnung tritt mit 01.01.2019 in Kraft. Gleichzeitig tritt die Verordnung vom 13.03.2017 des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka betreffend die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr außer Kraft."
III. Antragsvorbringen und Vorverfahren
1. Dem Antrag liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Beim Landesverwaltungsgericht Burgenland ist ein Beschwerdeverfahren gegen einen Bescheid des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 26. Juni 2019 anhängig.
Mit Bescheid des Bürgermeisters der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 4. Februar 2019 wurde dem Beschwerdeführer vor dem Landesverwaltungsgericht eine jährliche Kanalbenützungsgebühr ab 1. Jänner 2019 im Gesamtbetrag von € 377,85 für seine an das Kanalnetz der Gemeinde Trausdorf angeschlossene Liegenschaft vorgeschrieben. Rechtsgrundlagen für diese Vorschreibung waren einerseits die §§10, 11 und 12 KAbG und andererseits §17 Abs3 Z4 FAG 2017 in Verbindung mit der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 20. Dezember 2018 bis 4. Jänner 2019. Die dagegen erhobene Berufung wurde vom Gemeinderat der Gemeinde Trausdorf an der Wulka mit Bescheid vom 26. Juni 2019 abgewiesen und der angefochtene Bescheid bestätigt.
2. Bei der Behandlung der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde sind beim Landesverwaltungsgericht Burgenland Bedenken ob der Gesetzmäßigkeit des ersten Satzes in §6 der genannten Verordnung ("Diese Verordnung tritt mit 01.01.2019 in Kraft.") entstanden.
Das Landesverwaltungsgericht Burgenland legte seine Bedenken wie folgt dar (ohne die Hervorhebungen im Original):
"Gemäß §11 Abs3 KAbG im Einklang mit §4 der Verordnung vom 19.12.2018 entsteht der Abgabenanspruch betreffend die Kanalbenützungsgebühr mit Beginn des Monats, in dem die erstmalige Benützung der Kanalisationsanlage möglich ist. Es handelt sich nicht um eine einmalige Abgabe, sondern ist diese Benützungsabgabe fortlaufend jährlich zu entrichten, wobei der Abgabenanspruch in den Folgejahren, wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 29.09.1997, 93/17/0302, zu §11 Abs3 KAbG ausgesprochen hat, regelmäßig mit Beginn des Monats Jänner entsteht. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die Vorschreibung einer Abgabe nach dem Grundsatz der Zeitbezogenheit von Abgabenvorschriften jene Rechtslage maßgeblich ist, die zum Zeitpunkt der Verwirklichung des Abgabentatbestandes gegolten hat, nicht aber jene, die zum Zeitpunkt der Erlassung des Abgabenbescheides gegolten hat (vgl VwGH vom 10.08.2010, 2009/17/0264, mwN).
Die Kanalbenützungsgebühr ist gemäß §11 Abs4 KAbG mit ihrem Jahresbetrag festzusetzen, wobei gemäß Abs5 dieser Bestimmung die Festsetzung auch für die folgenden Jahre gilt, soweit nicht infolge einer Änderung der Voraussetzungen für die Festsetzung des Jahresbetrages ein neuer Abgabenbescheid zu erlassen ist.
Derartige Änderungen können die sachverhaltsmäßigen oder die rechtlichen Voraussetzungen betreffen. So ist beispielsweise bei einer Erhöhung des Einheitssatzes ein neuer Bescheid zu erlassen, der seinerseits wieder Dauerwirkung besitzt. Zu beachten ist, dass gemäß §11 Abs5 KAbG im Falle der Veränderung der bisherigen Gebühr der neue Jahresbetrag anteilig vorzuschreiben ist.
Mit der Verordnung vom 19.12.2018 wurde der Einheitssatz von 0,87 Euro pro m² Berechnungsfläche auf 1,10 Euro pro m² Berechnungsfläche (jeweils zuzüglich 10 % USt.) erhöht und wurde diese Erhöhung von der Abgabenbehörde zum Anlass genommen, den nun höheren Jahresbetrag ab 01.01.2019 auf Basis der Verordnung vom 19.12.2018 vorzuschreiben.
Zu beachten ist, dass der Gemeinderat der Gemeinde Trausdorf an der Wulka mit Beschluss vom 12.03.2019 eine neue Verordnung über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr erlassen hat. Diese Verordnung ist abgesehen von der Inkrafttretensbestimmung wortident mit der Verordnung vom 19.12.2018. Hinsichtlich des Inkrafttretens ordnet die Verordnung vom 12.03.2019 in ihrem §6 an, dass sie mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag in Kraft tritt und gleichzeitig die Verordnung vom 19.12.2018 außer Kraft tritt. Dies war mit 28.03.2019 der Fall (siehe hierzu Punkt […]).
Vom Landesverwaltungsgericht ist daher im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Vorschreibung der Kanalbenützungsgebühr, die das ganze Kalenderjahr 2019 betrifft, die Verordnung vom 19.12.2018 anzuwenden und ist zu prüfen […], ob die Vorschreibung der höheren Kanalbenützungsgebühr bereits ab 01.01.2019 rechtmäßig ist (oder bei Entfall des ersten Satzes des §6 der Verordnung erst ab 01.04.2019 rechtmäßig gewesen wäre).
§6 erster Satz der Verordnung vom 19.12.2018, der das rückwirkende Inkrafttreten dieser Verordnung mit 1. Jänner 2019 normiert, ist daher vom Verwaltungsgericht anzuwenden und somit im Sinne des Art89 Abs3 iVm Art135 Abs4 iVm Art139 Abs1 Z1 B-VG präjudiziell für die Entscheidung.
[…]
3. Nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland handelt es sich – wie unter Punkt […] dargelegt wird – bei der Bestimmung des §6 erster Satz der Verordnung vom 19.12.2018 um die Normierung eines unzulässigen rückwirkenden Inkrafttretens. Dieses angeordnete rückwirkende Inkrafttreten widerspricht Art18 B-VG, weshalb die Feststellung der Gesetzwidrigkeit dieser Bestimmung beantragt wird.
Dieses Feststellungsbegehren – statt eines Aufhebungsbegehrens – wird vom Verwaltungsgericht deshalb gestellt, da die Verordnung vom 19.12.2018 und somit die angefochtene Bestimmung bereits mit 28.03.2019 außer Kraft getreten ist (siehe hierzu Punkt […]).
[…]
Während die Bgld GemO 2003 keinen Verfahrensschritt für den Fall vorsieht, dass die Aufsichtsbehörde keine Bedenken gegen die Verordnung der Gemeinde hegt, ist in §89 Abs2 leg cit die Verpflichtung normiert, gesetzwidrige Verordnungen der Gemeinde unter Wahrung eines Anhörungsrechtes aufzuheben.
Gegenständlich teilte die Aufsichtsbehörde mit Schreiben vom 04.02.2019, […], der Gemeinde mit, dass die Verordnung nach aufsichtsbehördlicher Prüfung nicht zur Kenntnis genommen werde. Begründend wurde darauf hingewiesen, dass mangels gesetzlicher Grundlage 'eine rückwirkende Inkrafttretung der Verordnung ausgeschlossen' sei. Von der Ausübung des Aufsichtsrechtes auf Aufhebung der Verordnung bzw im Fall hier des rechtswidrigen Teils der Verordnung (siehe VfSlg 11.553/1987) wurde Abstand genommen und die Gemeinde lediglich darauf hingewiesen, dass die Verordnung erneut zu beschließen und nach Kundmachung der Aufsichtsbehörde vorzulegen sei.
Diese Mitteilung stand sohin einer fortdauernden (rückwirkenden) Geltung der Verordnung vom 19.12.2018 nicht entgegen und war die Verordnung bis zu ihrem Außerkrafttreten am 28.03.2019 anzuwenden. An diesem Tag ist die vom Gemeinderat am 12.03.2019 beschlossene und vom 13.03.2019 bis 28.03.2019 kundgemachte Verordnung gemäß ihrem §6, welcher anordnet, dass sie mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist folgenden Tag in Kraft tritt und gleichzeitig die Verordnung vom 19.12.2018 außer Kraft tritt, in Kraft getreten.
4. Die Bgld GemO 2003 bietet ebenfalls keine Ermächtigung zur rückwirkenden Verordnungserlassung.
[…]
Zu betonen ist in diesem Zusammenhang, dass insbesondere auch §17 Abs4 FAG 2017 keine im Fall hier zum Tragen kommende Ermächtigung darstellt. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in VfSlg 13.370/1993 zum damals geltenden §15 Abs5 FAG 1979 ausgesprochen hat, ermächtigt diese Bestimmung die Gemeinden nur, Verordnungen aufgrund des freien Beschlussrechtes (rückwirkend) mit 1. Jänner 1979, nicht jedoch zu einem beliebigen anderen Termin in Kraft zu setzen (siehe VfSlg 13.370/1993 sowie 15.675/1999 zur vergleichbaren Bestimmung des §15 Abs6 FAG 1997). Der – wie Wortlaut und Entstehungsgeschichte zeigen – dazu gänzlich vergleichbare §17 Abs4 FAG 2017 scheint auch die Gemeinden allein dazu zu ermächtigen, Verordnungen aufgrund des freien Beschlussrechtes rückwirkend bloß mit 1. Jänner 2017 in Kraft zu setzen. Anderenfalls – so der Verfassungsgerichtshof – widersprächen derartige Regelungen Art18 B-VG, da die Bestimmung des Inkrafttretens in Form einer formalgesetzlichen Delegation den Verwaltungsbehörden überlassen würde.
Für das in §6 erster Satz der Verordnung vom 19.12.2018 verankerte rückwirkende Inkrafttreten liegt sohin keine Ermächtigungsgrundlage vor, weshalb diese Bestimmung gesetzwidrig war."
3. Die Burgenländische Landesregierung, die Gemeinde Trausdorf an der Wulka und die Parteien des Anlassverfahrens haben von der Erstattung einer Äußerung abgesehen.
IV. Erwägungen
1. Der – zulässige – Antrag ist begründet:
2. Der Verfassungsgerichtshof hat sich in einem auf Antrag eingeleiteten Verfahren zur Prüfung der Gesetzmäßigkeit einer Verordnung gemäß Art139 B-VG auf die Erörterung der geltend gemachten Bedenken zu beschränken (vgl VfSlg 11.580/1987, 14.044/1995, 16.674/2002). Er hat sohin ausschließlich zu beurteilen, ob die angefochtene Verordnung aus den in der Begründung des Antrages dargelegten Gründen gesetzwidrig ist (VfSlg 15.644/1999, 17.222/2004).
3. Die Bedenken des Landesverwaltungsgerichtes Burgenland gehen dahin, dass die Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 20. Dezember 2018 bis 4. Jänner 2019, gemäß ihrem §6 erster Satz am 1. Jänner 2019 und somit rückwirkend in Kraft trat, weshalb sie in Widerspruch zu §82 Abs1 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 bzw zu Art18 Abs2 B-VG stehe. Die Burgenländische Landesregierung ist diesen Bedenken nicht entgegengetreten.
4. Gemäß der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist eine Rückwirkung von Verordnungen – von hier nicht in Betracht kommenden Sonderfällen (vgl VfSlg 20.232/2017) abgesehen – nur zulässig, wenn das Gesetz ausdrücklich dazu ermächtigt (vgl zB VfSlg 12.943/1991, 13.370/1993, 15.675/1999, 17.773/2006, 18.037/2006, 20.127/2016, 20.211/2017). Die Anordnung einer Rückwirkung muss sohin von der Ermächtigungsgrundlage umfasst sein.
5. Gemäß §82 Abs1 letzter Satz der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 beginnt die Rechtswirksamkeit von Verordnungen, wenn nicht gesetzlich oder auf Grund des Abs2 leg cit ausdrücklich anderes bestimmt ist, frühestens mit dem auf den Ablauf der Kundmachungsfrist (§81 leg cit) folgenden Tag. Nach Abs2 leg cit kann bei Gefahr im Verzug, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, in der Verordnung angeordnet werden, dass ihre Rechtswirksamkeit bereits vor dem im Abs1 bestimmten Tag beginnt, frühestens jedoch mit Ablauf des Kundmachungstages.
6. Hinweise auf das Vorliegen von Gefahr im Verzug sind dem Verordnungsakt nicht zu entnehmen und wurden auch von der verordnungserlassenden Gemeinde im gegenständlichen Verfahren nicht vorgebracht. Auch erteilen weder das Burgenländische Kanalabgabegesetz noch eine andere gesetzliche Bestimmung eine Ermächtigung zur rückwirkenden Erlassung einer Verordnung. Dabei geht das Landesverwaltungsgericht zutreffend davon aus, dass §17 Abs4 FAG 2017 Gemeinden allein dazu ermächtigt, Verordnungen auf Grund des freien Beschlussrechtes rückwirkend bloß zum 1. Jänner 2017 in Kraft zu setzen (vgl VfSlg 13.370/1993 und 15.675/1999).
7. §6 erster Satz der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 20. Dezember 2018 bis 4. Jänner 2019, sieht entgegen §82 Abs1 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 ein rückwirkendes Inkrafttreten der Verordnung am 1. Jänner 2019 vor. §6 erster Satz der genannten Verordnung war daher wegen Verstoßes gegen §82 Abs1 der Burgenländischen Gemeindeordnung 2003 gesetzwidrig.
V. Ergebnis
1. §6 erster Satz ("Diese Verordnung tritt mit 01.01.2019 in Kraft.") der Verordnung des Gemeinderates der Gemeinde Trausdorf an der Wulka vom 19.12.2018 über die Ausschreibung einer Kanalbenützungsgebühr, kundgemacht durch Anschlag an der Amtstafel vom 20. Dezember 2018 bis 4. Jänner 2019, war gesetzwidrig.
2. Die Verpflichtung der Burgenländischen Landesregierung zur unverzüglichen Kundmachung dieses Ausspruches erfließt aus Art139 Abs5 erster Satz B-VG und §59 Abs2 VfGG iVm §2 Abs1 Z6 Bgld VerlautbarungsG 2015.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Verordnungserlassung, Rückwirkung, Kanalisation Abgaben, Geltungsbereich (zeitlicher) einer Verordnung, Verordnung KundmachungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:V101.2019Zuletzt aktualisiert am
05.03.2021