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67/01 VersorgungsrechtNorm
B-VG Art140 Abs1 Z1 litdLeitsatz
Zurückweisung eines Parteiantrags auf Aufhebung von Bestimmungen des Sozialhilfe-GrundsatzG und des Nö SozialhilfeG betreffend Grundsätze für die Sozialhilfe mangels PräjudizialitätSpruch
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Begründung
Begründung
I. Antrag
Mit dem vorliegenden, auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützten Antrag begehrt der Antragsteller, der Verfassungsgerichtshof möge
"im Rahmen des Art140 Abs1 litd B-VG aus Anlass der Beschwerde folgende Bestimmungen des SozialhilfegrundG, BGBl I Nr 108/2019 und des NÖ SozialhilfeG 2000, LGBl Nr 8/2019, und zwar
§3 Abs3 SozialhilfegrundG:
'Leistungen der Sozialhilfe sind subsidiär und nur insofern zu gewähren, als der Bedarf nicht durch Eigenmittel des Bezugsberechtigten oder durch diesem zustehende und einbringliche Leistungen Dritter abgedeckt werden kann'
§2 Abs1 Zi. 1 NÖ SozialhilfeG 2000:
'Die Hilfe ist nur insoweit zu leisten, als der jeweilige Bedarf nicht durch eigene Mittel oder durch Leistungen Dritter tatsächlich gedeckt wird'
als verfassungswidrig aufheben".
II. Rechtslage
1. §3 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz, BGBl I 41/2019, lautet auszugsweise wie folgt (die angefochtene Bestimmung ist hervorgehoben):
"Allgemeine Grundsätze
§3. (1) Die Landesgesetzgebung hat sicherzustellen, dass Leistungen der Sozialhilfe nur nach Maßgabe dieses Bundesgesetzes und aufgrund der entsprechenden Ausführungsgesetze gewährt werden.
(2) Leistungen der Sozialhilfe sind nur Personen zu gewähren, die von einer sozialen Notlage betroffen und bereit sind, sich in angemessener und zumutbarer Weise um die Abwendung, Milderung oder Überwindung dieser Notlage zu bemühen.
(3) Leistungen der Sozialhilfe sind subsidiär und nur insoweit zu gewähren, als der Bedarf nicht durch eigene Mittel des Bezugsberechtigten oder durch diesem zustehende und einbringliche Leistungen Dritter abgedeckt werden kann."
2. §2 NÖ SHG, LGBl 9200-13, lautet auszugsweise wie folgt (die angefochtene Wortfolge ist hervorgehoben):
"§2
Grundsätze
Bei der Leistung der Sozialhilfe sind folgende Grundsätze einzuhalten:
1. Die Hilfe ist nur so weit zu leisten, als der jeweilige Bedarf nicht durch eigene Mittel oder durch Leistungen Dritter tatsächlich gedeckt wird (Subsidiaritätsprinzip)."
3. §231 ABGB, JGS 946/1811 idF BGBl I 15/2013, lautet auszugsweise wie folgt:
"Kindesunterhalt
§231. (1) Die Eltern haben zur Deckung der ihren Lebensverhältnissen angemessenen Bedürfnisse des Kindes unter Berücksichtigung seiner Anlagen, Fähigkeiten, Neigungen und Entwicklungsmöglichkeiten nach ihren Kräften anteilig beizutragen.
(2) Der Elternteil, der den Haushalt führt, in dem er das Kind betreut, leistet dadurch seinen Beitrag. Darüber hinaus hat er zum Unterhalt des Kindes beizutragen, soweit der andere Elternteil zur vollen Deckung der Bedürfnisse des Kindes nicht imstande ist oder mehr leisten müsste, als es seinen eigenen Lebensverhältnissen angemessen wäre.
(3) Der Anspruch auf Unterhalt mindert sich insoweit, als das Kind eigene Einkünfte hat oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig ist."
III. Sachverhalt und Antragsvorbringen
1. Der Antragsteller ist als Vater auf Grund einer Unterhaltsvereinbarung zwischen ihm und seinem 1998 geborenen Sohn, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft *******, vom 20. November 2001 zu einem monatlichen Unterhalt von € 290,69 gegenüber seinem Sohn verpflichtet. Der Sohn wohnt im Haushalt seiner Mutter und geht keiner Beschäftigung nach; ihm wurde im Juni 2019 bescheidmäßig der Aufenthalt in einer Tagesstätte eines Vereins zur Berufsintegration für die Dauer von drei Jahren bewilligt. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, stellte mit Gutachten vom 7. November 2016 und in weiterer Folge vom 17. Oktober 2019 einen Behinderungsgrad von 50 % beim Sohn des Antragstellers fest. Ferner wurde festgestellt, dass er voraussichtlich dauernd außerstande ist, sich selbst Unterhalt zu verschaffen und dieser Umstand bereits vor dem vollendeten 18. Lebensjahr eingetreten ist.
2. Mit Schriftsatz vom 10. September 2019 begehrte der Antragsteller beim Bezirksgericht *******, ihn ab dem 16. September 2016 von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben, da sein Sohn bereits vor Erreichen der Volljährigkeit keine zielstrebige Ausbildung absolviert habe und auch keiner geregelten Tätigkeit nachgegangen sei. Sein Sohn beziehe Leistungen des Arbeitsmarktservice, woraus sich dessen Selbsterhaltungsfähigkeit ergebe.
3. Mit Beschluss vom 6. Februar 2020 wies das Bezirksgericht ******* den Antrag auf Enthebung von der Unterhaltsverpflichtung ab: Gemäß §231 ABGB seien die Eltern zur Unterhaltsleistung verpflichtet. Der Anspruch des Kindes auf Unterhalt werde insoweit gemindert, als das Kind eigene Einkünfte habe oder unter Berücksichtigung seiner Lebensverhältnisse selbsterhaltungsfähig sei. Die Neubemessung einer Unterhaltsleistung hänge unter anderem davon ab, ob beim Unterhaltsverpflichteten oder beim Unterhaltsberechtigten eine wesentliche Änderung der Verhältnisse eingetreten sei. Im vorliegenden Fall sei man bei der ursprünglichen Bemessung im Jahr 2001 davon ausgegangen, dass der Sohn des Antragstellers nicht selbsterhaltungsfähig sei; dies sei nach Ansicht des Bezirksgerichtes ******* weiterhin der Fall. Das Vorbringen des Antragstellers betreffend die Arbeitsfähigkeit seines Sohnes sei widersprüchlich: Zunächst habe der Antragsteller trotz Vorliegens eines Gutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, vehement darauf hingewiesen, dass sein Sohn arbeits- und ausbildungsunwillig sei. Nach Vorlage eines zweiten – gleichlautenden – Gutachtens des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien, sei es nunmehr auch für den Antragsteller unbestritten, dass sein Sohn außerstande sei, sich den notwendigen Unterhalt selbst zu beschaffen, dies bereits vor Erreichen der Volljährigkeit. Der Sohn habe vom Arbeitsmarktservice und vom Berufsförderungsinstitut Niederösterreich Bezüge erhalten, auf Grund ihrer Höhe würden diese den Unterhaltsanspruch allerdings nicht schmälern. Entgegen den Ausführungen des Antragstellers sei die Unterhaltsverpflichtung der Eltern vorrangig und nicht – im Hinblick auf eine allfällige Gewährung von Mindestsicherung oder Sozialhilfe – subsidiär zu sehen. Das Bestehen einer Unterhaltspflicht schließe die Gewährung von (Rest-)Mindestsicherung jedoch auch nicht aus, wobei eine diesbezügliche Beurteilung der Behörde und nicht dem Gericht obliege. Wie die Bezirkshauptmannschaft ******* bestätigt habe und dem Gericht durch langjährige Praxis bekannt sei, sei vor Gewährung der Mindestsicherung die Unterhaltspflicht der Kindeseltern der Höhe nach festzustellen, um danach eine Entscheidung über die Gewährung bzw die Höhe einer ergänzenden Mindestsicherung zu ermöglichen. Somit gehe das Vorbringen des Antragstellers völlig ins Leere, dass sein Sohn keinerlei Anträge auf Mindestsicherung eingebracht habe. Auch ein allfälliger Bezug der doppelten Familienbeihilfe durch den Sohn des Antragstellers habe keinerlei Auswirkungen auf die Höhe der Unterhaltsverpflichtung.
4. Gegen diesen Beschluss erhob der Antragsteller Rekurs und stellte aus Anlass dieses Rechtsmittels unter einem den vorliegenden Gesetzesprüfungsantrag. Darin legt der Antragsteller seine Bedenken wie folgt dar: Die angefochtenen Bestimmungen verletzten Art7 Abs1 und Art140 Abs1 Z1 litd B-VG, Art20 GRC, Art14 iVm Art6 Abs1 EMRK sowie Art2 StGG. Beide Regelungen seien unsachlich, da zum einen die Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhaltes auch bei volljährigen Kindern von der Unterhaltsverpflichtung der Eltern gemäß §231 Abs1 ABGB abhängig gemacht und zum anderen nicht zwischen volljährigen und minderjährigen Kindern unterschieden werde und auch nicht zwischen Personen, die (geistig) behindert seien und solchen, die arbeitsfähig seien und wieder in das Erwerbsleben eingegliedert werden könnten. Sehe man Ansprüche auf Sozialleistungen subsidiär, bestünde eine Unterstützung des Lebensunterhaltes nur dann, wenn Unterhaltsansprüche von Eltern uneinbringlich seien. Die Subsidiaritätsklausel konterkariere nicht nur Sinn und Zweck der Sozialhilfegesetzgebung, sondern sei auch nicht mit der derzeitigen Unterhaltsregelung gemäß §231 ABGB in Einklang zu bringen. Sozialhilfe solle die Eltern entlasten, wenn eine Selbsterhaltungsunfähigkeit in der geistigen oder psychischen Situation des Sozialhilfeempfängers begründet sei. Die Subsidiarität der Sozialhilfe liege nicht im öffentlichen Interesse. Bei gleicher Behandlung aller Personen, die der Unterstützung des allgemeinen Lebensunterhaltes sowie des Wohnbedarfes bedürfen, stelle sich die Frage des Ersatzes nur insoweit, als Leistungen im Regressweg von Dritten oder vom Bezugsberechtigten selbst zurückgefordert werden könnten. Auf Grund einer Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 17. Dezember 2019 würden Alimentationsleistungen anrechnungsfreies Einkommen bilden; im konkreten Fall könnte sohin kein Regress vorgenommen werden. Als Folge bleibe vorliegend nur die Frage zu klären, inwieweit eine gleichzeitige Zahlung von Sozialhilfe und Unterhalt rechtlich möglich sei. Eine derartige Verpflichtung bestehe nach der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes nicht. Daher beruhe eine allfällige Doppelzahlung nicht auf §231 Abs1 ABGB, sondern auf einer freiwilligen Leistung, die als zivilrechtliche Schenkung zu werten sei. Auch mit Blick auf den im Gleichheitssatz verankerten Vertrauensschutz sei es verfassungswidrig, die Gewährung der Sozialhilfe vom Einkommen der Eltern abhängig zu machen, dürften diese doch darauf vertrauen, dass volljährige arbeitsunfähige Kinder Sozialhilfe erhalten. Da Alimentationsleistungen kein anrechenbares Einkommen bildeten, sei auch die Auskunft der Bezirkshauptmannschaft ******* unrichtig, dass vor Gewährung der Sozialhilfe die Unterhaltspflicht der Eltern geprüft werde; der darauf basierende Beschluss des Bezirksgerichtes ******* sei daher rechtswidrig, da von einem gleichheitswidrigen Subsidiaritätsprinzip ausgegangen werde, auch wenn diese Bestimmungen nicht explizit im Beschluss zitiert würden.
5. Das Bezirksgericht ******* teilte nach Aufforderung durch den Verfassungsgerichtshof mit, dass der Rekurs rechtzeitig erhoben wurde.
IV. Erwägungen
1. Der Antrag ist unzulässig.
2. Gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die als Partei einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, aus Anlass eines gegen diese Entscheidung erhobenen Rechtsmittels. Nach §62a Abs1 erster Satz VfGG idF BGBl I 78/2016 kann eine Person, die als Partei in einer von einem ordentlichen Gericht in erster Instanz entschiedenen Rechtssache wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, einen Antrag stellen, das Gesetz als verfassungswidrig aufzuheben.
3. Ein auf Art140 Abs1 Z1 litd B-VG gestützter Antrag auf Aufhebung eines Gesetzes oder von bestimmten Stellen eines solchen kann gemäß §62 Abs2 VfGG nur dann gestellt werden, wenn das Gesetz vom Gericht in der anhängigen Rechtssache unmittelbar anzuwenden bzw die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes eine Vorfrage für die Entscheidung der beim Gericht anhängigen Rechtssache ist oder nach Ansicht des Antragstellers wäre. Eine Antragstellung gemäß Art140 Abs1 Z1 litd B-VG setzt daher voraus, dass die angefochtene Bestimmung eine Voraussetzung der Entscheidung des ordentlichen Gerichtes im Anlassfall bildet (vgl VfSlg 20.010/2015, 20.029/2015).
4. Vor diesem Hintergrund erweist sich der Antrag als unzulässig:
4.1. Dem Antrag liegt ein unterhaltsrechtliches Verfahren vor dem Bezirksgericht ******* zugrunde. Gegenstand dieses Verfahrens ist die gesetzliche Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihrem Kind gemäß §231 ABGB. Während sich §3 Abs3 Sozialhilfe-Grundsatzgesetz von vorneherein an die Landesgesetzgebung und nicht an die Vollziehung richtet (vgl VfGH 12.12.2019, G164/2019) und somit im vorliegenden Verfahren nicht präjudiziell sein kann, gelangt auch §2 Z1 NÖ SHG im Unterhaltsverfahren vor dem Bezirksgericht ******* nicht zur Anwendung. Anders als der Antragsteller vermeint, hat sich das Gericht auch nicht implizit auf diese Bestimmung gestützt; vielmehr hält es fest, dass die zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung der Eltern gemäß §231 ABGB nicht subsidiär ist und verweist bezüglich allfälliger Sozialhilfeansprüche auf ein etwaiges Verwaltungsverfahren vor der Bezirksverwaltungsbehörde.
4.2. Der Antrag erweist sich daher infolge der mangelnden Präjudizialität der angefochtenen Bestimmungen als unzulässig.
V. Ergebnis
1. Der Antrag ist zur Gänze als unzulässig zurückzuweisen.
2. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / Parteiantrag, VfGH / PräjudizialitätEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:G147.2020Zuletzt aktualisiert am
02.07.2020