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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
AsylG 2005 §7, §8, §10, §57Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status einer subsidiär Schutzberechtigten an eine Staatenlose aus dem Libanon; keine Auseinandersetzung mit den einschlägigen Länderfeststellungen zu Frauen und StaatenlosenSpruch
I. 1. Die Beschwerdeführerin ist durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie gegen die Feststellung der derzeitigen Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen sie abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt.
Insoweit wird die Beschwerde dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abgetreten.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, der Beschwerdeführerin zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Beschwerdeführerin, eine am 3. März 1984 in Beirut (Libanon) geborene Staatenlose, reiste am 15. Jänner 1993 mit ihren Eltern und Geschwistern in das österreichische Bundesgebiet ein. Ihr wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 2. März 1994 Asyl gemäß §3 AsylG 1991 gewährt. Sie besuchte hier die Volksschule, Mittelschule und die AHS, absolvierte anschließend eine Ausbildung zur Zahnarztassistentin und besuchte weitere Kurse (zB einen Nageldesignerkurs sowie einen Mundhygienekurs). Sie arbeitete immer wieder zumindest auf geringfügiger Basis, weist aber auch zahlreiche Zeiten des Arbeitslosengeldbezuges auf und konnte denselben Arbeitsplatz jeweils nur für kurze Zeit durchgehend halten (maximal ein Jahr und vier Monate).
Die Einschreiterin ist seit 12. Dezember 2014 mit einem österreichischen Staatsbürger verheiratet; aus dieser Ehe entstammen zwei Kinder (geboren am 9. Oktober 2015 und am 6. August 2018), die ebenfalls österreichische Staatsbürger sind.
In Österreich leben auch die Eltern der Beschwerdeführerin, ihre Schwester sowie ihre Schwiegereltern, die alle österreichische Staatsbürger sind und zu denen regelmäßiger Kontakt besteht (zu ihrem Bruder hat die Einschreiterin keinen Kontakt).
Die Beschwerdeführerin weist in Österreich acht rechtskräftige Verurteilungen auf (dazu kommt eine rechtskräftige Verurteilung in Schweden wegen schweren Betruges aus dem Jahr 2016 [zwei Jahre Freiheitsstrafe]):
– 2001: teils vollendeter, teils versuchter Raub gemäß §15 iVm §142 Abs1 StGB, gewerbsmäßiger Diebstahl gemäß §127 iVm §130 erster Fall StGB, gewerbsmäßiger Betrug gemäß §146 iVm §148 erster Fall StGB und Nötigung gemäß §105 Abs1 StGB (20 Monate Freiheitsstrafe, davon 14 Monate bedingt nachgesehen [Probezeit: drei Jahre]; Jugendstraftat);
– 2003: versuchter Diebstahl gemäß §15 iVm §127 StGB (50 Tagessätze à € 2,–, sohin € 100,– Geldstrafe [Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre]; Straftat als junge Erwachsene);
– 2004: schwerer gewerbsmäßiger Betrug gemäß §146 iVm §147 Abs1 Z1 und Abs2 sowie §148 zweiter Fall StGB, versuchter schwerer gewerbsmäßiger Diebstahl gemäß §15 iVm §127, §128 Abs1 Z4 und §130 erster Fall StGB sowie Urkundenunterdrückung gemäß §229 Abs1 StGB (zwei Jahre Freiheitsstrafe [vorzeitige Entlassung aus der Haft unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren]);
– 2009: schwerer gewerbsmäßiger Betrug gemäß §146 iVm §147 Abs1 Z1 und §148 zweiter Fall StGB sowie schwerer gewerbsmäßiger Diebstahl gemäß §127 iVm §128 Abs1 Z4 und §130 zweiter Fall StGB (zwei Jahre Freiheitsstrafe);
– 2009: versuchter Diebstahl gemäß §15 iVm §127 StGB (acht Wochen Freiheitsstrafe);
– 2011: teils vollendeter, teils versuchter schwerer gewerbsmäßiger Betrug gemäß §15 iVm §146, §147 Abs1 Z1 erster und vierter Fall und Abs2 sowie §148 zweiter Fall StGB, teils vollendeter, teils versuchter schwerer gewerbsmäßiger Diebstahl gemäß §15 iVm §127, §128 Abs1 Z4 und §130 erster Fall StGB, Entfremdung unbarer Zahlungsmittel gemäß §241e Abs1 und 2 StGB, Urkundenunterdrückung gemäß §229 Abs1 StGB und Gebrauch fremder Ausweise gemäß §231 Abs1 StGB (vier Jahre Freiheitsstrafe [vorzeitige Entlassung aus der Haft unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren]);
– 2017: Diebstahl gemäß §127 StGB und Hehlerei gemäß §164 Abs2 und 3 StGB (drei Monate Zusatzfreiheitsstrafe [unter Bedachtnahme auf die oben erwähnte Verurteilung in Schweden aus dem Jahr 2016]);
– 2018: teils vollendeter, teils versuchter schwerer gewerbsmäßiger Diebstahl gemäß §15 iVm §127, §128 Abs1 Z5 und §130 Abs2 erster Fall StGB, Verleumdung gemäß §297 Abs1 zweiter Fall StGB und Gebrauch fremder Ausweise gemäß §231 Abs1 StGB (drei Jahre und sechs Monate Freiheitsstrafe).
Die Einschreiterin verbüßt derzeit eine Haftstrafe, aus der sie voraussichtlich im November 2021 entlassen werden wird. Sie ist für ihr jüngeres Kind obsorgeberechtigt, das bei ihr in der Justizanstalt lebt (die Obsorge für das ältere Kind kommt seit August 2016 der Schwiegermutter der Beschwerdeführerin zu; der Ehemann der Einschreiterin verbüßt derzeit ebenfalls eine Haftstrafe).
2. Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 17. November 2011 wurde der Beschwerdeführerin der Status der Asylberechtigten aberkannt und festgestellt, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Der Status der subsidiär Schutzberechtigten wurde ihr nicht zuerkannt, jedoch festgestellt, dass ihre Abschiebung in den Libanon unzulässig sei. Dieser Bescheid wurde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 28. März 2012 behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines Bescheides an das Bundesasylamt zurückverwiesen.
3. Mit Bescheid vom 31. Jänner 2019 erkannte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Einschreiterin den Status der Asylberechtigten gemäß §7 Abs1 Z1 AsylG 2005 ab und stellte gemäß §7 Abs4 leg.cit. fest, dass ihr die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme. Weiters wurde ihr der Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs3a iVm §9 Abs2 leg.cit. nicht zuerkannt, ihr kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 leg.cit. erteilt und gemäß §10 Abs1 Z4 leg.cit. iVm §9 BFA-VG festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gegen die Beschwerdeführerin gemäß §52 Abs2 Z3 FPG iVm §9 Abs1 bis 3 BFA-VG derzeit unzulässig sei. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis als unbegründet ab.
4. Gegen diese Entscheidung richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses, in eventu die Abtretung der Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof, beantragt wird.
5. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Gerichts- und Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen und auf die Begründung der angefochtenen Entscheidung verwiesen.
II. Rechtslage
Die im vorliegenden Fall maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:
§6 Abs1, §7 Abs1 und 4, §8 Abs1 bis 3a und 6, §9 Abs2 und §10 Abs1 AsylG 2005 lauten:
"3. Abschnitt
Ausschluss von der Zuerkennung und
Aberkennung des Status des Asylberechtigten
Ausschluss von der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten
§6. (1) Ein Fremder ist von der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten ausgeschlossen, wenn
1. und so lange er Schutz gemäß Art1 Abschnitt D der Genfer Flüchtlingskonvention genießt;
2. einer der in Art1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Ausschlussgründe vorliegt;
3. aus stichhaltigen Gründen angenommen werden kann, dass der Fremde eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, oder
4. er von einem inländischen Gericht wegen eines besonders schweren Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist und wegen dieses strafbaren Verhaltens eine Gefahr für die Gemeinschaft bedeutet. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.
[…]
Aberkennung des Status des Asylberechtigten
§7. (1) Der Status des Asylberechtigten ist einem Fremden von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn
1. ein Asylausschlussgrund nach §6 vorliegt;
2. einer der in Art1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention angeführten Endigungsgründe eingetreten ist oder
3. der Asylberechtigte den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen in einem anderen Staat hat.
[…]
(4) Die Aberkennung nach Abs1 Z1 und 2 ist mit der Feststellung zu verbinden, dass dem Betroffenen die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt. Dieser hat nach Rechtskraft der Aberkennung der Behörde Ausweise und Karten, die den Status des Asylberechtigten oder die Flüchtlingseigenschaft bestätigen, zurückzustellen.
4. Abschnitt
Status des subsidiär Schutzberechtigten
Status des subsidiär Schutzberechtigten
§8. (1) Der Status des subsidiär Schutzberechtigten ist einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
(2) Die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs1 ist mit der abweisenden Entscheidung nach §3 oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach §7 zu verbinden.
(3) Anträge auf internationalen Schutz sind bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§11) offen steht.
(3a) Ist ein Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon mangels einer Voraussetzung gemäß Abs1 oder aus den Gründen des Abs3 oder 6 abzuweisen, so hat eine Abweisung auch dann zu erfolgen, wenn ein Aberkennungsgrund gemäß §9 Abs2 vorliegt. Diesfalls ist die Abweisung mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. Dies gilt sinngemäß auch für die Feststellung, dass der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuzuerkennen ist.
[…]
(6) Kann der Herkunftsstaat des Asylwerbers nicht festgestellt werden, ist der Antrag auf internationalen Schutz bezüglich des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen. Diesfalls ist eine Rückkehrentscheidung zu verfügen, wenn diese gemäß §9 Abs1 und 2 BFA-VG nicht unzulässig ist.
[…]
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten
§9. […]
(2) Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des Abs1 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung auch dann zu erfolgen, wenn
1. einer der in Art1 Abschnitt F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe vorliegt;
2. der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt oder
3. der Fremde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§17 StGB) rechtskräftig verurteilt worden ist. Einer Verurteilung durch ein inländisches Gericht ist eine Verurteilung durch ein ausländisches Gericht gleichzuhalten, die den Voraussetzungen des §73 StGB, BGBl Nr 60/1974, entspricht.
In diesen Fällen ist die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit der Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der Feststellung zu verbinden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat unzulässig ist, da dies eine reale Gefahr einer Verletzung von Art2 EMRK, Art3 EMRK oder der Protokolle Nr 6 oder Nr 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
[…]
5. Abschnitt
Gemeinsame Bestimmungen
Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme
§10. (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §5 zurückgewiesen wird,
3. der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird,
4. einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt oder
5. einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wird
und in den Fällen der Z1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß §57 nicht erteilt wird.
[…]"
III. Erwägungen
Die Beschwerde ist zulässig.
A. Soweit sie sich gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie gegen die Feststellung der derzeitigen Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen die Einschreiterin richtet, ist sie auch begründet.
1. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsnorm enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
2. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht unterlaufen:
2.1. In den Länderfeststellungen der angefochtenen Entscheidung heißt es auszugsweise wie folgt (ohne die im Original enthaltenen Hervorhebungen):
"Frauen
Der Libanon hat 1997 das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW) ratifiziert, jedoch bezüglich zahlreicher Bestimmungen Vorbehalte eingelegt. Das dazugehörige Fakultativprotokoll zur Möglichkeit der Individualbeschwerde wurde bisher nicht unterzeichnet […].
Die Lebenssituation der Frauen ist im Libanon insgesamt besser als in den meisten anderen Staaten der Region. Trotzdem sind Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen ein verbreitetes Problem. Gesellschaftlich wird dieses Thema jedoch kaum thematisiert. Frauenrechtsorganisation des Landes versuchen seit Jahren das Schweigen zu brechen und Frauen vor Gewalt zu schützen. Grobe Verstöße gegen kulturelle Normen werden im Namen der 'Familienehre', der Tradition oder gar der Religion sanktioniert. In Extremfällen kann dies die Betroffenen das Leben kosten […].
Die rechtliche Stellung der Frau wird stark durch die 15 unterschiedlichen Gesetze über den Personenstand (wie Islamisches Ehe- und Erbrecht, aber auch christlich-maronitisches Aufenthaltsbestimmungsrecht) beeinflusst, die Frauen teilweise stark diskriminieren […]. Es besteht kein einheitliches gesetzliches Mindestalter für das Eingehen einer Ehe. Stattdessen setzen religiöse Gerichte das Mindestalter auf Grundlage der jeweiligen konfessionellen Personenstandsgesetze fest, wonach Mädchen zum Teil bereits unter 15 Jahren heiraten dürfen. Ein Anfang 2017 im Parlament eingebrachter Gesetzesentwurf, der das Mindestalter für die Eheschließung generell auf 18 Jahre festlegen sollten, wurde nicht angenommen […]. Frauen werden auch bezüglich des Zugangs zur Scheidung und beim Aufenthalt der Kinder nach der Scheidung benachteiligt. Eine Ungleichbehandlung der Frau erfolgt aber nicht nur im Ehe-, Scheidungs- und Eigentumsrecht, sondern auch in Sorgerechts- und Erbschaftsfragen […].
Libanesische Frauen können im Gegensatz zu Männern ihre Staatsangehörigkeit nicht an ausländische Ehemänner und Kinder weitergeben […]. Kinder erwerben durch Geburt die libanesische Staatsangehörigkeit vom Vater, nicht aber von der Mutter. Verheiratete Frauen benötigen für die Ausstellung eines Reisepasses die Zustimmung des Ehemannes. Ehebruch wird nach dem libanesischen Strafgesetzbuch kriminalisiert; das Strafgesetz sieht bei Verurteilung wegen Ehebruchs für Frauen höhere Strafen vor als für Männer […].
[…]
Staatenlose
[…]
Etwa 1.000 bis 1.500 von insgesamt schätzungsweise 100.000 Kurden, die im Land leben, hatten trotz jahrzehntelanger Familienpräsenz im Land keine Staatsbürgerschaft. Die meisten waren Nachkommen von Migranten und Flüchtlingen; die Behörden verweigerten ihnen aber die Staatsbürgerschaft, um das religiöse Gleichgewicht im Land zu wahren. Die Regierung erließ 1994 einen Einbürgerungserlass, doch hohe Kosten und andere Hindernisse hinderten viele Menschen daran, den offiziellen Status zu erlangen. Einigen Personen wurde die Staatsbürgerschaft 2011 aufgrund eines Präsidialerlasses entzogen. Andere erhielten ein 'ID under consideration'-Dokument ohne Geburtsdatum und –ort. Staatenlosen fehlte es an offiziellen Ausweispapieren, die es ihnen ermöglichen würden, ins Ausland zu reisen und ohne Ausweispapiere könnten sie auch Schwierigkeiten haben, intern zu reisen bzw laufen Gefahr, inhaftiert zu werden. Sie hatten nur begrenzten Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und keinen Zugang zu vielen Berufen. Außerdem konnten sie keine öffentlichen Schulen oder Gesundheitseinrichtungen besuchen, keine Ehen oder Geburten registrieren und kein Eigentum besitzen oder erben […]."
2.2. Im Rahmen der rechtlichen Beurteilung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht fallbezogen Folgendes aus:
"Vor dem Hintergrund der Feststellungen kann nicht gesagt werden, dass jene gemäß der Judikatur des EGMR geforderte Exzeptionalität der Umstände vorliegen würde, um die Außerlandesschaffung eines Fremden im Hinblick auf außerhalb staatlicher Verantwortlichkeit liegende Gegebenheiten im Zielstaat im Widerspruch zu Art3 EMRK erscheinen zu lassen (VwGH vom 21.08.2001, Zl 2000/01/0443). Es liegen keine begründeten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beschwerdeführerin mit der hier erforderlichen Wahrscheinlichkeit befürchten müsste, im Herkunftsland Übergriffen von im gegebenen Zusammenhang ausreichender Intensität ausgesetzt zu sein.
Unter Zugrundelegung des bisher Ausgeführten sowie der getroffenen Länderfeststellungen zur Versorgungslage im Herkunftsstaat kann auch nicht angenommen werden, dass die im Wesentlichen gesunde und arbeitsfähige Beschwerdeführerin mit Schulausbildung und Berufsbildung, die im Libanon zumindest bis zu ihrem 8. Lebensjahr aufgewachsen ist sowie sozialisiert wurde und die Landessprache zumindest mäßig beherrscht, nach einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat hinsichtlich ihrer Versorgung einer lebensbedrohenden Situation ausgesetzt wäre, zumal sich […] aus schlechteren Lebensbedingungen wie im aktuellen Aufenthaltsstaat, keine Gefährdung bzw B[e]drohung ergibt. Selbst wenn vor dem Hintergrund dessen die Beschwerdeführerin bei einer Rückkehr in eine in materieller Hinsicht beschwerliche Lebenssituation gelangen könnte, war aus diesen Erwägungen nicht abzuleiten, dass im konkreten Fall außergewöhnliche Umstände ('exceptional circumstances') vorliegen würden, die die hohe Schwelle eines Eingriffs iSv Art2 und 3 EMRK erreichen würden, zumal die Beschwerdeführerin auch keinem Personenkreis angehört, von dem anzunehmen ist, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstellt als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen kann. Auch aus dem unsubstantiierten Vorbringen der Beschwerdeführerin, dass sie staatenlos sei und darüberhinaus als Frau auf grundlegende Rechte verzichten müsse, lässt sich somit nichts gewinnen.
Unabhängig davon würden aber humanitäre Ermessensgründe - selbst bei hypothetischer Feststellung einer realen Gefahr einer Verletzung der Beschwerdeführerin nach Art3 EMRK - ohne Akteur, von dem der Schaden ausgeht und vor dem die Beschwerdeführerin geschützt werden muss, im Sinne des Urteils des EuGH vom 24.04.2018, C-353/16, eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes sachlich nicht erfüllen (vgl dazu auch VwGH 06.11.2018, Zl 2018/01/0106).
Schließlich kann auch nicht gesagt werden, dass eine Abschiebung der Beschwerdeführerin für diese als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konflikts mit sich bringen würde. Im Libanon ist eine Zivilperson nicht allein aufgrund ihrer Anwesenheit einer solchen Bedrohung ausgesetzt."
2.3.1. Das Bundesverwaltungsgericht gibt zwar die oben auszugsweise dargestellten Länderfeststellungen wieder: einerseits zu Frauen (Diskriminierung und Gewalt gegen Frauen sind ein verbreitetes Problem; grobe Verstöße gegen kulturelle Normen werden im Namen der "Familienehre", der Tradition oder gar der Religion sanktioniert, was den Betroffenen in Extremfällen das Leben kosten kann; teilweise starke Diskriminierung von Frauen durch die 15 unterschiedlichen Personenstandsgesetze; Ungleichbehandlung der Frau im Ehe-, Scheidungs- und Eigentumsrecht sowie in Sorgerechts- und Erbschaftsfragen) und anderseits zu Staatenlosen (keine offizielle Ausweispapieren, die es ihnen ermöglichen würden, ins Ausland zu reisen; ohne Ausweispapiere könnten Schwierigkeiten bei internen Reisen auftreten bzw besteht die Gefahr der Inhaftierung; begrenzter Zugang zum regulären Arbeitsmarkt und kein Zugang zu vielen Berufen; kein Besuch von öffentlichen Schulen oder Gesundheitseinrichtungen; keine Registrierung von Ehen oder Geburten; kein Besitz oder Erben von Eigentum). Das Gericht setzt sich aber nicht damit auseinander, welche Konsequenzen diese Länderfeststellungen für den vorliegenden Fall einer staatenlosen Einschreiterin haben, deren Familie (Ehemann, zwei Kinder, Eltern, Geschwister und Schwiegereltern) in Österreich lebt und die zwar über Verwandte im Libanon verfügt, zu denen sie allerdings – wie das Bundesverwaltungsgericht selbst feststellt – keinen Kontakt hat. Es kommt zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin keinem Personenkreis angehöre, von dem anzunehmen sei, dass sie sich in Bezug auf die individuelle Versorgungslage qualifiziert schutzbedürftiger darstelle als die übrige Bevölkerung, die ebenfalls für ihre Existenzsicherung aufkommen könne. Durch die fehlende Auseinandersetzung mit den einschlägigen Aussagen in den Länderberichten belastet das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit Willkür. Das angefochtene Erkenntnis ist daher, soweit es auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten und – daran anknüpfend – auf die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie auf die Feststellung der derzeitigen Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen die Einschreiterin gerichtet ist, wegen Verletzung des durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973 verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander aufzuheben.
2.3.2. Auch der im Zusammenhang mit der hypothetischen Feststellung einer realen Gefahr einer Verletzung der Beschwerdeführerin nach Art3 EMRK enthaltene Hinweis darauf, dass humanitäre Ermessensgründe ohne Akteur, von dem der Schaden ausgehe und vor dem die Einschreiterin geschützt werden müsse, im Sinne des Urteils des EuGH vom 24. April 2018, Rs. C-353/16, eine der wesentlichen Voraussetzungen für die Gewährung subsidiären Schutzes sachlich nicht erfüllen würden, steht im Widerspruch zur einschlägigen Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (vgl zuletzt VfGH 10.3.2020, E2570-2571/2019 mwN).
B. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Aberkennung des Status der Asylberechtigten und gegen die Feststellung richtet, dass der Einschreiterin die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt – wird die Behandlung der Beschwerde abgelehnt:
1. Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde ablehnen, wenn sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (Art144 Abs2 B-VG).
2. Die Beschwerde behauptet die Verletzung in näher bezeichneten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten.
3. Dem Bundesverwaltungsgericht ist bei Erlassung der angefochtenen Entscheidung keine Verletzung der Art2 und 3 EMRK unterlaufen, hat es sich doch in aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstandender Weise mit allen aus Art2 und 3 EMRK erfließenden Aspekten auseinandergesetzt (vgl zB VfSlg 18.610/2008).
4. Durch eine den Status der Asylberechtigten aberkennende und feststellende Entscheidung, dass der Einschreiterin die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt, kommt eine Verletzung des Art8 EMRK von vornherein nicht in Betracht.
IV. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführerin ist somit, soweit damit ihre Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten, gegen die Nichterteilung eines Aufenthaltstitels aus berücksichtigungswürdigen Gründen sowie gegen die Feststellung der derzeitigen Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gegen sie abgewiesen wird, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
2. Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
3. Im Übrigen – soweit sich die Beschwerde gegen die durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte Aberkennung des Status der Asylberechtigten und gegen die Feststellung richtet, dass der Einschreiterin die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt – wird von der Behandlung der Beschwerde abgesehen und diese gemäß Art144 Abs3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof abgetreten.
4. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 bzw §19 Abs3 Z1 iVm §31 letzter Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E3487.2019Zuletzt aktualisiert am
07.07.2020