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41/02 Staatsbürgerschaft, Pass- und Melderecht, Fremdenrecht, AsylrechtNorm
BVG-Rassendiskriminierung ArtI Abs1Leitsatz
Verletzung im Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander durch Nichtzuerkennung des Status subsidiär Schutzberechtigter betreffend eine Staatsangehörige von Somalia und ihr minderjähriges Kind; mangelhafte Auseinandersetzung mit der Versorgungs- und Gefährdungslage für MinderjährigeSpruch
I. 1. Die Beschwerdeführer sind durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, gegen die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, gegen die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, gegen die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebungen und gegen die Festsetzung einer 14-tägigen Frist zur freiwilligen Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl Nr 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis wird insoweit aufgehoben.
2. Im Übrigen wird die Behandlung der Beschwerden abgelehnt.
II. Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit € 2.616,– bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe
I. Sachverhalt, Beschwerde und Vorverfahren
1. Die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter des minderjährigen Zweitbeschwerdeführers. Beide sind Staatsangehörige Somalias und Angehörige des Clans der Gabooye.
2. Nach ihrer Einreise in das Bundesgebiet stellte die Erstbeschwerdeführerin am 29. November 2014 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zu ihren Fluchtgründen befragt, gab sie zusammengefasst an, dass ihr Exmann Mitglied bei der Al-Shabaab gewesen sei. Sie selbst sei eines Tages von der AMISOM gefangen genommen, eine Woche festgehalten und zur Al-Shabaab befragt worden. Zudem sei sie gefoltert und vergewaltigt worden, wobei sie auch eine Fehlgeburt erlitten habe. Nach ihrer Freilassung sei sie von der Al-Shabaab mit dem Umbringen bedroht worden, weshalb sie nach Hargeysa zu ihren Eltern geflüchtet sei.
3. Der Zweitbeschwerdeführer ist am 1. Juni 2016 in Österreich geboren. Die Erstbeschwerdeführerin stellte als gesetzliche Vertreterin des Zweitbeschwerdeführers am 21. Juni 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz, wobei sie keine eigenen Fluchtgründe für den Zweitbeschwerdeführer geltend machte.
4. Mit Bescheiden vom 12. Juli 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) die Anträge der Beschwerdeführer bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß §3 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 ab; ebenso wurden die Anträge auf Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten gemäß §8 Abs1 iVm §2 Abs1 Z13 AsylG 2005 in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia abgewiesen. Weiters wurden Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §57 AsylG 2005 nicht erteilt, gemäß §10 Abs1 Z3 AsylG 2005 iVm §9 BFA-VG Rückkehrentscheidungen gemäß §52 Abs2 Z2 FPG erlassen und gemäß §52 Abs9 FPG festgestellt, dass die Abschiebungen der Beschwerdeführer in die autonome Region Somaliland in Somalia gemäß §46 FPG zulässig sei. Gemäß §55 Abs1 bis 3 FPG wurde die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen festgesetzt.
5. Die dagegen erhobenen Beschwerden wurden mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16. April 2019, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, abgewiesen.
5.1. Das Bundesverwaltungsgericht begründet die abweisende Entscheidung hinsichtlich der Zuerkennung des Asylstatus in Bezug auf die Erstbeschwerdeführerin damit, dass ihrem Fluchtvorbringen keine Glaubwürdigkeit zukomme. Im Hinblick auf den minderjährigen Zweitbeschwerdeführer führt es aus, dass nicht erkannt werden könne, dass ihm auf Grund seiner Clanzugehörigkeit eine asylrelevante Verfolgung drohe.
5.2. In Bezug auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten führt das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass in Somaliland Frieden herrsche, auch in Hargeysa gebe es keine Sicherheitsprobleme. Es ergebe sich aus den Länderberichten, dass es auf Grund der überdurchschnittlichen Regenfälle 2018 bei der Getreideernte zu den größten Erträgen seit 2010 kommen werde. Die Nahrungsmittelversorgung, die Marktbedingungen und die Einkommensmöglichkeiten hätten sich erholt.
Die Erstbeschwerdeführerin sei zwar Analphabetin, jedoch habe sie im Herkunftsland als Gemüseverkäuferin gearbeitet und sei auch weiterhin arbeitsfähig sowie im erwerbsfähigen Alter. Sie habe den überwiegenden Teil ihres Lebens in Somaliland verbracht, wodurch sie mit den kulturellen Gepflogenheiten ihres Herkunftsstaates vertraut sei. Die Beschwerdeführer könnten zudem im Falle ihrer Rückkehr nach Hargeysa mit Unterstützung durch Familienangehörige, zum Beispiel durch die Zurverfügungstellung einer Unterkunft, sowie durch Hilfe bei der Arbeitssuche oder mit Verpflegung rechnen.
6. Gegen diese Entscheidung richten sich die vorliegenden, auf Art144 B-VG gestützten Beschwerden, in denen insbesondere die Verletzung des verfassungs-gesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetzes BGBl 390/1973) behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses beantragt wird.
7. Das Bundesverwaltungsgericht hat von der Erstattung einer Gegenschrift abgesehen.
II. Erwägungen
1. Die – zulässigen – Beschwerden sind begründet.
2. Nach der mit VfSlg 13.836/1994 beginnenden, nunmehr ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (s etwa VfSlg 14.650/1996 und die dort angeführte Vorjudikatur; weiters VfSlg 16.080/2001 und 17.026/2003) enthält ArtI Abs1 des Bundesverfassungsgesetzes zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, das allgemeine, sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot, sachlich nicht begründbare Unterscheidungen zwischen Fremden vorzunehmen. Diese Verfassungsbestimmung enthält ein – auch das Sachlichkeitsgebot einschließendes – Gebot der Gleichbehandlung von Fremden untereinander; deren Ungleichbehandlung ist also nur dann und insoweit zulässig, als hiefür ein vernünftiger Grund erkennbar und die Ungleichbehandlung nicht unverhältnismäßig ist.
Diesem einem Fremden durch ArtI Abs1 leg.cit. gewährleisteten subjektiven Recht widerstreitet eine Entscheidung, wenn sie auf einem gegen diese Bestimmung verstoßenden Gesetz beruht (vgl zB VfSlg 16.214/2001), wenn das Verwaltungsgericht dem angewendeten einfachen Gesetz fälschlicherweise einen Inhalt unterstellt hat, der – hätte ihn das Gesetz – dieses als in Widerspruch zum Bundesverfassungsgesetz zur Durchführung des Internationalen Übereinkommens über die Beseitigung aller Formen rassischer Diskriminierung, BGBl 390/1973, stehend erscheinen ließe (s etwa VfSlg 14.393/1995, 16.314/2001) oder wenn es bei Erlassung der Entscheidung Willkür geübt hat (zB VfSlg 15.451/1999, 16.297/2001, 16.354/2001 sowie 18.614/2008).
Ein willkürliches Verhalten des Verwaltungsgerichtes, das in die Verfassungssphäre eingreift, liegt unter anderem in einer gehäuften Verkennung der Rechtslage, aber auch im Unterlassen jeglicher Ermittlungstätigkeit in einem entscheidenden Punkt oder dem Unterlassen eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens überhaupt, insbesondere in Verbindung mit einem Ignorieren des Parteivorbringens und einem leichtfertigen Abgehen vom Inhalt der Akten oder dem Außerachtlassen des konkreten Sachverhaltes (zB VfSlg 15.451/1999, 15.743/2000, 16.354/2001, 16.383/2001).
3. Ein solcher Fehler ist dem Bundesverwaltungsgericht hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an die Beschwerdeführer unterlaufen:
3.1. Die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis betreffen ua die (allgemeine) Sicherheitslage in Somalia, die Situation von Minderheiten/Clans, die Grundversorgung und die Dürresituation in Somalia. Die Feststellungen basieren ausweislich der Beweiswürdigung auf einer Vielzahl verschiedener, voneinander unabhängiger Quellen von regierungsoffiziellen und nichtregierungsoffiziellen Stellen. Nicht enthalten sind jedoch kinderspezifische Ausführungen.
3.2. Bei der Behandlung von Anträgen auf internationalen Schutz von Minderjährigen sind, unabhängig davon, ob diese unbegleitet sind oder gemeinsam mit ihren Eltern oder anderen Angehörigen leben, zur Beurteilung der Sicherheitslage einschlägige Herkunftsländerinformationen, in die auch die Erfahrungen in Bezug auf Kinder Eingang finden, bei entsprechend schlechter, volatiler allgemeiner Sicherheitslage jedenfalls erforderlich (vgl UNHCR, Richtlinien zum Internationalen Schutz: Asylanträge von Kindern im Zusammenhang mit Art1 [A] 2 und 1 [F] des Abkommens von 1951 bzw des Protokolls von 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 22.12.2009, Rz 74). Dementsprechend hat der Verfassungsgerichtshof wiederholt hervorgehoben, welche Bedeutung die Länderfeststellungen im Hinblick auf Minderjährige haben (vgl zB VfGH 9.6.2017, E484/2017 ua; 11.10.2017, E1803/2017 ua; 25.9.2018, E1463/2018 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua; 13.3.2019, E1480/2018 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua).
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht geht im angefochtenen Erkenntnis auf die Minderjährigkeit des Zweitbeschwerdeführers äußerst mangelhaft ein. Es trifft zunächst keine Feststellungen zur Versorgungs- und Gefährdungslage für Minderjährige in Somalia allgemein oder Somaliland im Besonderen. Zudem wird in der rechtlichen Begründung im Hinblick auf die Rückkehrentscheidung des Zweitbeschwerdeführers lediglich ausgeführt, dass sich der eineinhalb jährige Zweitbeschwerdeführer "in einem mit Anpassungsfähigkeit verbundenen Lebensabschnitt" befinde. Zwar sei er in Österreich geboren, seine bisherige Sozialisierung habe jedoch ausschließlich durch seine Eltern stattgefunden, beide somalische Staatsangehörige, die sich auf Somalisch miteinander unterhielten. Auf Grund familiärer Anknüpfungspunkte in Somaliland und der ihm in Hargeysa offenstehenden Ausbildungs- und Berufsmöglichkeiten sei zu erwarten, dass er sich an die Verhältnisse im Heimatstaat anpassen könne.
Damit unterbleibt aber eine Klärung der Frage, ob der Zweitbeschwerdeführer durch die Rückkehrentscheidung in seinen Rechten gemäß Art2 und 3 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten bedroht ist (vgl zB VfGH 21.9.2017, E2130/2017 ua; 11.10.2017, E1734/2017 ua; 26.2.2019, E3837/2018 ua; 26.6.2019, E2838/2018 ua).
3.4. Soweit sich das Erkenntnis auf die Nichtzuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an den Zweitbeschwerdeführer und – daran anknüpfend – auf die Rückkehrentscheidung bzw auf die Zulässigkeitserklärung der Abschiebung in den Herkunftsstaat Somalia unter Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise bezieht, ist es mit Willkür behaftet und insoweit aufzuheben. Dieser Mangel schlägt gemäß §34 Abs4 AsylG 2005 auf die Entscheidung betreffend die Erstbeschwerdeführerin durch (VfSlg 19.855/2014; VfGH 24.11.2016, E1085/2016 ua) und belastet auch diese mit objektiver Willkür (VfSlg 19.401/2011 mwN). Daher ist das Erkenntnis auch betreffend die Erstbeschwerdeführerin – im selben Umfang wie hinsichtlich des Zweitbeschwerdeführers – aufzuheben.
4. Die Behandlung der Beschwerden wird, soweit damit jeweils die Nichtzuerkennung des Status von Asylberechtigten bekämpft wird, abgelehnt:
Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung von Beschwerden ablehnen, wenn von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist (Art144 Abs2 B-VG). Ein solcher Fall liegt vor, wenn zur Beantwortung der maßgebenden Fragen spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen nicht erforderlich sind.
Die gerügten Rechtsverletzungen wären im vorliegenden Fall nur die Folge einer – allenfalls grob – unrichtigen Anwendung des einfachen Gesetzes. Spezifisch verfassungsrechtliche Überlegungen sind zur Beantwortung der aufgeworfenen Fragen nicht anzustellen.
III. Ergebnis
1. Die Beschwerdeführer sind somit durch das angefochtene Erkenntnis, soweit damit ihre Beschwerden gegen die Nichtzuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia, die Nichterteilung von Aufenthaltstiteln aus berücksichtigungswürdigen Gründen, die Erlassung von Rückkehrentscheidungen, die Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebungen sowie die Festsetzung der Frist für die freiwillige Ausreise abgewiesen werden, im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichbehandlung von Fremden untereinander (ArtI Abs1 Bundesverfassungsgesetz BGBl 390/1973) verletzt worden.
Das Erkenntnis ist daher in diesem Umfang aufzuheben, ohne dass auf das weitere Beschwerdevorbringen einzugehen ist.
2. Im Übrigen wird von der Behandlung der Beschwerden abgesehen.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 436,– enthalten.
Schlagworte
Asylrecht / Vulnerabilität, Kinder, Entscheidungsbegründung, Ermittlungsverfahren, RückkehrentscheidungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2020:E1954.2019Zuletzt aktualisiert am
06.07.2020