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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §58 Abs11 Z2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Sulzbacher und Dr. Pfielals Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des YC in W, vertreten durch Mag. Josef Phillip Bischof und Mag. Andreas Lepschi, Rechtsanwälte in 1090 Wien, Währinger Straße 26/1/3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 30. Oktober 2019, W197 1261294-2/13E, betreffend insbesondere Zurückweisung des Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005, Rückkehrentscheidung und Nebenaussprüche (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein chinesischer Staatsangehöriger, hält sich seit spätestens Anfang 2000 im Bundesgebiet auf. Mit (unbekämpft gebliebenem) Bescheid vom 12. Mai 2005 wies das Bundesasylamt einen von ihm am 11. Juni 2002 gestellten Asylantrag ab. Es sprach aus, dass seine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung nach China zulässig sei und wies ihn gemäß § 8 Abs. 2 Asylgesetz 1997 aus dem österreichischen Bundesgebiet aus.
2 Mit rechtskräftigem Urteil vom 3. April 2001 hatte das Landesgericht für Strafsachen Wien über den Revisionswerber wegen des Verbrechens des Raubes eine einjährige Freiheitsstrafe verhängt. Ein deshalb mit Bescheid vom 8. November 2001 erlassenes unbefristetes Aufenthaltsverbot ließ der Revisionswerber unbeachtet.
3 Mit Bescheid vom 11. Juni 2012 wurde die Dauer des Aufenthaltsverbotes auf zehn Jahre reduziert, mit Bescheid vom 13. Februar 2015 wurde es gemäß § 69 Abs. 2 FPG aufgehoben; begründet wurde dies jeweils mit einer Änderung der maßgeblichen Rechtslage.
Im letztgenannten Bescheid wurde, auf Basis eines polizeilichen Erhebungsberichtes vom 2. Jänner 2015, zudem ausgeführt, dass eine vom Revisionswerber geltend gemachte Lebensgemeinschaft mit einer chinesischen Staatsangehörigen nicht bestehe. Der Revisionswerber bewohne, mit drei weiteren Chinesen, ein Zimmer in einer Betreuungseinrichtung der Caritas; die vermeintliche Lebensgefährtin wohne dagegen in einem anderen Wiener Gemeindebezirk und führe mit ihm auch keine Lebensgemeinschaft.
4 Mit Eingabe vom 6. Juli 2015 stellte der im Bundesgebiet verbliebene Revisionswerber den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005. Dabei verwies er insbesondere auf seinen langjährigen Aufenthalt in Österreich und behauptete wiederum das Bestehen einer im gemeinsamen Haushalt geführten Lebensgemeinschaft mit der erwähnten aufenthaltsberechtigten chinesischen Staatsangehörigen.
5 Mit Bescheid vom 11. September 2015 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) diesen Antrag gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Es erließ eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach China zulässig sei, und bestimmte gemäß § 55 FPG für die freiwillige Ausreise eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung. Einen Antrag des Revisionswerbers vom 29. Juli 2015 auf Nachsicht von der Vorlage von Dokumenten wies es gemäß § 4 Abs. 2 AsylG-DV 2005 ab. Auch das BFA verneinte in seiner Begründung mit Bezug auf den erwähnten Erhebungsbericht vom 2. Jänner 2015 das Bestehen der vom Revisionswerber geltend gemachten Lebensgemeinschaft.
6 Mit dem angefochtenen (nach mündlicher Verhandlung vom 24. Juli 2018 ergangenen) Erkenntnis vom 30. Oktober 2019 wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) eine dagegen vom Revisionswerber erhobene Beschwerde mit der Maßgabe ab, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückgewiesen und gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung nach § 52 Abs. 3 FPG erlassen werde. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG erklärte das BVwG die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
7 Begründend führte das BVwG aus, der Revisionswerber, dessen Identität nicht feststehe, habe während seines Aufenthalts im Bundesgebiet vier verschiedene Namen und ebenso viele unterschiedliche Geburtsdaten (als Aliasidentitäten) verwendet. Deshalb habe die Botschaft der Volksrepublik China mit Schreiben vom 23. Mai 2000, 31. Dezember 2001 und 12. März 2002 mitgeteilt, dass seine Personalien nicht haben festgestellt werden können und für ihn deshalb kein Heimreisezertifikat ausgestellt werde. Eine ähnliche Mitteilung der Vertretungsbehörde Chinas sei am 17. September 2012 ergangen. Auch bei einem „Interview-Termin“ am 27. September 2016 habe er nicht als chinesischer Staatsangehöriger identifiziert werden können. Zwischen März und April 2000, im Mai 2000, im Oktober 2000, zwischen Jänner und 1. Februar 2002 sowie zwischen 22. Jänner und 7. Februar 2003 sei er in Schubhaft angehalten worden und habe jeweils seine Enthaftung durch eine hungerstreikbedingte Haftunfähigkeit erzwungen. Er habe - wenn auch nur rudimentäre - Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2 erworben und sei verschiedenen (näher dargestellten, großteils unrechtmäßigen) Berufstätigkeiten, insbesondere in Chinarestaurants, nachgegangen. Im Zuge seines Aufenthalts habe er Sozialkontakte erworben und verfüge über einen „verbindlichen Arbeitsvorvertrag“.
Die von ihm im Verfahren behauptete Lebensgemeinschaft mit einer über den Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte Plus“ verfügenden chinesischen Staatsangehörigen habe dagegen nicht verifiziert werden können. Der Revisionswerber, der in früheren Einvernahmen die (nach nunmehrigem Vorbringen bereits damals bestehende) Lebensgemeinschaft nicht einmal erwähnt habe, sei (vor allem) in einem Flüchtlingsquartier der Caritas untergebracht gewesen, während seine angebliche Lebensgefährtin einen anderen Hauptwohnsitz gehabt habe. Weder diese noch der Revisionswerber seien bei ihrer Befragung in der mündlichen Verhandlung (vor dem BVwG) in der Lage gewesen, einen konkreten gemeinsamen Alltag nachvollziehbar zu schildern oder sonst eine Lebensgemeinschaft plausibel erscheinen zu lassen. Seit dem 18. Juni 2019 sei der Aufenthalt des Revisionswerbers schließlich unbekannt, er sei amtlich abgemeldet worden. Über sonstige familiäre oder engere soziale Anknüpfungspunkte in Österreich verfüge er nicht. Er sei gesund, arbeitsfähig und habe seine Sozialisierung in China erfahren, wo sich seine geschiedene Ehefrau und sein Sohn aufhielten. Mit der Möglichkeit einer Reintegration im Herkunftsstaat sei zu rechnen.
8 In seiner Abwägung nach § 9 Abs. 2 BFA-VG räumte das BVwG ein, dass sich der Revisionswerber rund 19 Jahre lang im Bundesgebiet aufhalte. Auch die Dauer des gegenständlichen Verfahrens sei als lang zu werten, doch begründe ein Antrag nach § 55 AsylG 2005 kein Aufenthalts- oder Bleiberecht. Zwar habe sich der Revisionswerber um berufliche Integration bemüht und einen Arbeitsvorvertrag vorgelegt, jedoch sei ihm eine „nachhaltige berufliche Integration“ nicht gelungen, vielmehr habe er trotz Ausübung einer (unerlaubten) Erwerbstätigkeit regelmäßig Leistungen aus der Grundversorgung bezogen. Dazu komme, dass der (nicht über ein Reisedokument verfügende) straffällig gewordene Revisionswerber seine Identität verschleiert und sich, zumal er die chinesische Botschaft nicht einmal aufgesucht habe, nicht um die Ausstellung erforderlicher Urkunden (etwa eines Reisepasses) bemüht habe. Der größte Teil des unrechtmäßigen und unsicheren Aufenthalts im Bundesgebiet („rund 16 von 19 Jahren“), der ihm auch bewusst gewesen sei, sei maßgeblich durch die Angabe unrichtiger Identitäten bedingt. Insgesamt überwiege das öffentliche Interesse an der Beendigung des unrechtmäßigen Aufenthalts das persönliche Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib im Bundesgebiet.
9 Aufgrund dieser Abwägung bestehe für die Annahme, es lägen die Voraussetzungen für eine Mangelheilung nach § 4 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG-DV 2005 vor, kein Raum. Da der Revisionswerber die erforderlichen gültigen identitätsbezeugenden Dokumente nicht vorgelegt habe und somit seiner gesetzlich normierten Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen sei, sei der verfahrenseinleitende Antrag nach § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurückzuweisen.
10 Die dagegen erhobene Revision erweist sich als unzulässig:
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision nur zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
11 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
12 Unter diesem Gesichtspunkt wendet sich die Revision vor allem gegen die Interessenabwägung des BVwG und macht geltend, die bekämpfte Entscheidung weiche von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes ab, nach der ein mehr als zehnjähriger inländischer Aufenthalt grundsätzlich den persönlichen Interessen eines Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet ein entscheidendes Gewicht verleihe.
13 Dem ist zu entgegnen, dass auch bei einem mehr als zehnjährigen Inlandsaufenthalt in Verbindung mit dem Vorliegen gewisser integrationsbegründender Aspekte dann nicht zwingend von einem Überwiegen des persönlichen Interesses auszugehen ist, wenn dem Umstände entgegenstehen, die das gegen einen Verbleib im Inland sprechende öffentliche Interesse verstärken bzw. die Länge der Aufenthaltsdauer im Inland relativieren (vgl. zum Ganzen grundlegend VwGH 17.10.2016, Ro 2016/22/0005, Rn. 11 bis 16, und darauf verweisend etwa VwGH 24.10.2019, Ra 2019/21/0117, Rn. 11, und VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0378, Rn. 15).
14 Das BVwG setzte sich mit dieser Rechtsprechung auseinander und gelangte unter Bedachtnahme auf die besonderen Umstände des hier gegebenen Falles (insbesondere die - wenngleich lange zurückliegende - Straffälligkeit und Nichtbeachtung des in Rn. 2 und 3 erwähnten, bis Februar 2015 geltenden Aufenthaltsverbotes, wiederholtes fremdenrechtliches Fehlverhalten wie „Schwarzarbeit“, mehrfache unrichtige Identitätsangaben und Vereitelung der Rückführung sowie noch zuletzt die Täuschung über das Bestehen einer Lebensgemeinschaft) unter gewichtender Abwägung des öffentlichen Interesses mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen in Form einer Gesamtbetrachtung - auf nicht unvertretbare Weise - zum Überwiegen des öffentlichen Interesses und damit zur Versagung des beantragten Aufenthaltstitels (vgl. sinngemäß etwa VwGH 3.9.2015, Ra 2015/21/0121; VwGH 22.3.2017, Ra 2017/19/0028, Rn. 7, und VwGH 4.10.2018, Ro 2018/22/0011, Rn. 9, mwN).
15 Die vom Revisionswerber in diesem Zusammenhang angesprochene (in Rn. 7 wiedergegebene) Beweiswürdigung des BVwG, welches das Bestehen einer Lebensgemeinschaft mit der dargestellten Argumentation sowie auf Basis des von den Betroffenen in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks verneint hat, erscheint schlüssig. Auch war dem Revisionswerber der gesondert erwähnte Erhebungsbericht vom 2. Jänner 2015 sowohl aus dem Bescheid vom 13. Februar 2015 sowie dem im gegenständlichen Verfahren ergangenen Bescheid des BFA vom 11. September 2015 als auch aus der mündlichen Verhandlung des BVwG vom 24. Juli 2018 bekannt (und - entgegen dem Revisionsvorbringen - darüber hinaus auch im Wege der Akteneinsicht „zugänglich“), sodass mit dem der Sache nach gerügten Unterbleiben einer weiteren Erörterung dieses Berichts jedenfalls ein relevanter Verfahrensmangel nicht aufgezeigt wird.
16 Angesichts der nicht unvertretbaren Entscheidung des BVwG im Einzelfall liegt - entgegen der Ansicht des Revisionswerbers - kein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor. Auch sonst wurde in der Revision keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
Wien, am 28. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020210003.L00Im RIS seit
15.07.2020Zuletzt aktualisiert am
15.07.2020