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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rigler sowie den Hofrat Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Studienbeihilfenbehörde, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Juli 2019, Zl. W203 2220611-1/2E, betreffend Studienbeihilfe (mitbeteiligte Partei: M S in M [D]), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit - im Vorstellungsweg bzw. infolge eines Vorlageantrags (§§ 42 bis 44 Studienförderungsgesetz 1992 - StudFG) ergangenen Bescheid des Senats derStudienbeihilfenbehörde (der Revisionswerberin) vom 24. September 2019 wurde in der Sache der Antrag des Mitbeteiligten, eines deutschen Staatsangehörigen, auf Studienbeihilfe für sein an der Universität Innsbruck betriebenes Doktoratsstudium abgewiesen. Begründend wurde ausgeführt, dass der Mitbeteiligte weder über eine Gleichstellungsvoraussetzung aufgrund Wanderarbeitnehmereigenschaft eines Elternteils noch aufgrund eigener Wanderarbeitnehmereigenschaft oder Daueraufenthaltsberechtigung verfüge. Es liege hinsichtlich des Mitbeteiligten auch keine „Integration in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem“ im Sinne des § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG bzw. im Sinne des Urteils des EuGH in der Rechtssache Bidar vor.
2 Infolge der dagegen vom Mitbeteiligten erhobenen Beschwerde hob das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit dem angefochtenen Beschluss diesen Bescheid gemäß § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG auf und verwies die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Revisionswerberin zurück. Die Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.
3 Begründend stellte das BVwG fest, dass der Mitbeteiligte, ein 1989 geborener deutscher Staatsbürger, ab dem Wintersemester 2014 an der Fachhochschule Kufstein den Masterstudiengang „ERP-System & Geschäftsprozessmanagement“ absolviert und durch Ablegung der Masterprüfung am 23. Februar 2017 ordnungsgemäß abgeschlossen habe. Seit dem Sommersemester 2017 betreibe der Mitbeteiligte an der Universität Innsbruck das Doktoratsstudium „Management (Dissertationsgebiet Betriebswirtschaft)“. Er habe von Dezember 2017 bis Dezember 2018 einen Wohnsitz in Österreich gehabt. Der Mitbeteiligte habe für das erwähnte Doktoratsstudium erstmals im Wintersemester 2018/19 die Gewährung von Studienbeihilfe beantragt.
4 Nach der zitierten Bestimmung des § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG erfüllten EWR-Bürger die Gleichstellungsvoraussetzungen, wenn sie in das österreichische Bildungs- oder Gesellschaftssystem integriert seien.
5 Zwar begründe der Umstand, dass der Mitbeteiligte, der sein Studium an der Fachhochschule Kufstein von Deutschland aus betrieben habe, in der Zeit von Dezember 2017 bis Dezember 2018 über einen aufrechten Wohnsitz in Österreich verfügt habe, noch keine ausreichende Integration in das österreichische Gesellschaftssystem im Sinne des § 4 Abs. 1a Z 3 zweiter Fall StudFG.
6 DieRevisionswerberin gehe aber zu Unrecht davon aus, dass der Mitbeteiligte nicht ausreichend in das österreichische Bildungssystem integriert wäre. Mit dem Tatbestand „Integration in das österreichische Bildungssystem“ sollte den Gesetzeserläuterungen zufolge den unionsrechtlichen Vorschriften und der Judikatur des EuGH Rechnung getragen werden. Neben der Integration in das österreichische Gesellschaftssystem sei in § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG alternativ auch die Integration in das österreichische Bildungssystem gesondert angeführt. Nach der von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf VwGH 25.6.2019, Ro 2018/10/0028) unter Hinweis auf die einschlägige EuGH-Judikatur entwickelten Kriterien sei jedenfalls davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte, der einen viersemestrigen Masterstudiengang zur Gänze in Österreich absolviert habe, sowohl hinsichtlich der Dauer als auch der Intensität als ausreichend in das österreichische Bildungssystem integriert anzusehen sei. Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil die Revisionswerberin im angefochtenen Bescheid - zu Recht - davon ausgehe, dass ein mindestens zweijähriger Schulbesuch (inklusive Reifeprüfung) als ausreichend anzusehen sei, um im Sinne des § 4 Abs. 1a Z 3 StudFG in das österreichische Bildungssystem integriert zu sein; es sei nicht ersichtlich, inwieweit dies zu einer höhergradigen Integration in das österreichische Bildungssystem führen sollte als ein zur Gänze in Österreich absolviertes und erfolgreich abgeschlossenes, mindestens zwei Jahr dauerndes, Studium.
7 Ausgehend von der zu Unrecht vertretenen Auffassung, dass der Mitbeteiligte schon mangels Erfüllung der Gleichstellungserfordernisse die Voraussetzungen für den Erhalt der Studienbeihilfe nicht erfülle, habe die Revisionswerberin hinsichtlich des Vorliegens der (sonstigen) Anspruchsvoraussetzungen auf Gewährung einer Studienbeihilfe jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen. Der angefochtene Bescheid sei daher gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu beheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Revisionswerberin zurückzuverweisen gewesen.
8 Dagegen richtet sich die vorliegende Amtsrevision.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Die Amtsrevision bringt in den Zulässigkeitsgründen vor, die Argumentation des BVwG finde in der einschlägigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH Ro 2018/10/0028) keine Deckung, wonach bei der Beurteilung des Vorliegens einer Integration in das österreichische Gesellschaftssystem keine einschränkende Auslegung der vom EuGH erarbeiteten Kriterien stattzufinden habe. Vielmehr seien alle Umstände zu berücksichtigen, die eine besondere Verbundenheit mit diesem Staat auszudrücken vermögen. Entgegen dieser Judikatur habe das BVwG die Prüfung des Vorliegens der Integrationsvoraussetzungen für die „Bildungsintegration“ lediglich auf einen einzigen Umstand, nämlich auf die Absolvierung einer zweijährigen Ausbildung im tertiären Bereich, gestützt. Das BVwG habe sich entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht damit auseinander gesetzt, ob hinsichtlich des Mitbeteiligten andere integrationsbegründende Umstände vorlägen. Es habe in seine Abwägung nicht miteinbezogen, dass der Mitbeteiligte in Österreich weder aufgewachsen sei noch wenigstens einen Teil seiner Schulzeit verbracht habe; es sei nicht dargelegt worden, weshalb sich in der bloßen Konsumation eines inländischen tertiären Bildungsangebots eine Verbundenheit mit Österreich zeigen oder daraus resultieren solle. Das BVwG weiche auch insofern vom zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ab, als es im Faktum des Studienabschlusses ein taugliches Integrationskriterium sehe.
13 Dieses Vorbringen führt nicht zur Zulässigkeit der Revision.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich im erwähnten Erkenntnis Ro 2018/10/0028 mit dem Erfordernis der Integration der dortigen Revisionswerberin in das österreichische Gesellschaftssystem im Sinne des § 4 Abs. 1a Z 3 zweiter Fall StudFG auseinander gesetzt. Er hat dazu - der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH folgend - ausgesprochen, dass zur Beurteilung einer ausreichenden Integration eines Antragstellers in die Gesellschaft des Leistungsstaats im Rahmen einer Einzelfallprüfung alle Umstände zu berücksichtigen sind, die eine besondere Verbundenheit mit diesem Staat auszudrücken vermögen, wie etwa - jeweils bezogen auf den Leistungsstaat - die Dauer des rechtmäßigen Aufenthalts, die Staatsangehörigkeit, die Absolvierung eines erheblichen Teils der Schulausbildung, Familie, Sprachkenntnisse und sonstige soziale oder wirtschaftliche Bindungen.
15 Neben dieser Integration in das Gesellschaftssystem - so der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis weiter - sei innerstaatlich alternativ auch die Integration in das österreichische Bildungssystem angeführt, weshalb diesbezügliche Integrationsmaßnahmen nicht nur bei der Integration in die Gesellschaft dieses Staates zu berücksichtigen seien, sondern auch als Integrationsmaßnahme ins Bildungssystem.
16 In diesem Zusammenhang hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich auf die in § 4 Abs. 1a Z 3 erster Fall StudFG grundgelegte Möglichkeit einer „bloßen Bildungsintegration“ hingewiesen (die etwa dann vorliegen könne, wenn eine österreichische Schule im Ausland besucht werde).
17 Fallbezogen - so der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis weiter - habe das BVwG dem Umstand, dass die dortige Revisionswerberin in den zwei Jahren ihres unmittelbar vor der Antragstellung liegenden Aufenthalts in Österreich ein Studium an der Universität Wien betrieben habe, keine Beachtung geschenkt, und zwar weder hinsichtlich einer Integration in das österreichische Gesellschaftssystem noch hinsichtlich einer Integration in das Bildungssystem.
18 Soweit die vorliegende Amtsrevision moniert, das BVwG sei von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, indem es das Vorliegen einer hinreichenden (Bildungs-)Integration des Mitbeteiligten lediglich auf den Umstand der Absolvierung einer Ausbildung im tertiären Bereich gestützt und sich nicht mit dem Vorliegen bzw. Fehlen anderer integrationsbegründender Umstände auseinandergesetzt habe, verkennt die Revision, dass der Verwaltungsgerichtshof im zitierten Erkenntnis Ro 2018/10/0028 das Erfordernis der Berücksichtigung all jener Umstände, die eine besondere Verbundenheit mit Österreich zum Ausdruck bringen, im Hinblick auf eine maßgebliche Integration der dortigen Revisionswerberin in das österreichische Gesellschaftssystem hervorgehoben hat.
19 Nach Auffassung des Verwaltungsgerichtshofes können die dafür maßgeblichen Kritieren zwar auch als Integrationsmaßnahmen in das Bildungssystem berücksichtigt werden. Dies schließt aber die - im vorliegenden Revisionsfall im Fokus stehende - Möglichkeit einer „bloßen Bildungsintegration“ nicht aus.
20 Davon ausgehend steht das erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes aber der vom BVwG gegenständlich einzelfallbezogen vorgenommenen Beurteilung, wonach die zur Gänze an einer österreichischenBildungseinrichtung des tertiären Bildungssektors (in der Mindestdauer von vier Semestern) absolvierte bzw. erfolgreich abgeschlossene Ausbildung (Masterprüfung) des Mitbeteiligten geeignet sei, dessen ausreichende Integration in das österreichische Bildungssystem im Sinne des § 4 Abs. 1a Z 3 erster Fall StudFG zu begründen, nicht entgegen, zumal die Revisionswerberin im erstinstanzlichen Bescheid selbst davon ausgeht, dass ein mindestens zweijähriger Schulbesuch (inklusive Reifeprüfung) eine maßgebliche Integration in das österreichische Bildungssystem bewirke.
21 Ein Abweichen von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt insofern nicht vor. Dass das BVwG den ihm zustehenden Anwendungsspielraum überschritten oder gar eine krasse oder unvertretbare Fehlbeurteilung des Einzelfalls vorgenommen hätte, zeigt die Revision nicht auf (vgl. etwa VwGH 30.1.2019, Ra 2018/10/0198;21.11.2019, Ra 2019/10/0177, jeweils mwN).
22 Gegen die vom BVwG vorgenommene Aufhebung und Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG bringt die Revision nichts vor.
23 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 29. Mai 2020
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019100149.L00Im RIS seit
22.07.2020Zuletzt aktualisiert am
22.07.2020