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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art130 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision der J S in W, vertreten durch Dr. Wolfgang Schöberl, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Universitätsstraße 11, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 9. September 2019, VGW-151/053/184/2019-4, betreffend Säumnisbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem NAG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien) zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerberin, einer serbischen Staatsangehörigen, wurde aufgrund ihres Antrages vom 9. August 2016 unter Berufung auf ihre Ehe mit einem österreichischen Staatsbürger am 2. September 2016 ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) erteilt. Am 2. August 2017 stellte die Revisionswerberin beim Landeshauptmann von Wien (Behörde) einen Verlängerungsantrag.
2 Mit Verständigung von der Beweisaufnahme vom 19. März 2018 teilte die Behörde der Revisionswerberin mit, dass beabsichtigt sei, das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren betreffend ihren Erstantrag vom 9. August 2016 wegen des Verdachtes einer Scheinehe wiederaufzunehmen. Weiters wurde der Revisionswerberin die Möglichkeit gegeben, zu den bisherigen Ermittlungsergebnissen der Landespolizeidirektion Wien (Abschlussbericht vom 26. Juni 2017) Stellung zu nehmen.
3 Mit Schriftsatz vom 9. Oktober 2018, bei der Behörde am 24. Oktober 2018 eingelangt, erhob die Revisionswerberin Säumnisbeschwerde.
4 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis wies das Verwaltungsgericht Wien die Säumnisbeschwerde ab. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision unzulässig sei.
5 Begründend führte das Verwaltungsgericht aus, in dem Bericht der Landespolizeidirektion Wien vom 26. Juni 2017 sei diese Behörde zu dem Schluss gekommen, dass mit ziemlicher Sicherheit davon auszugehen sei, dass die Ehe nur geschlossen worden sei, um der Revisionswerberin einen Aufenthaltstitel zu verschaffen. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Korneuburg vom 13. Oktober 2017 sei die Revisionswerberin zwar vom Verdacht des Eingehens einer Aufenthaltsehe gemäß § 117 Abs. 1 Fremdenpolizeigesetz freigesprochen worden, weil nicht mit der für das Strafverfahren erforderlichen Sicherheit festgestellt habe werden können, dass die Revisionswerberin die Ehe eingegangen sei, ohne ein gemeinsames Familienleben führen zu wollen. Mit Verständigung von der Beweisaufnahme vom 19. März 2018 sei die Revisionswerberin darüber in Kenntnis gesetzt worden, dass geplant sei, das Verfahren hinsichtlich des Erstantrages wiederaufzunehmen und den Verlängerungsantrag abzuweisen. Im Hinblick darauf, dass zur Rechtskonformität des Aufenthaltstitels bis dato noch keine Entscheidung vorliege, sei auch die Entscheidung über den Verlängerungsantrag noch nicht möglich. Eine Säumigkeit der Behörde liege daher allein durch die Überschreitung der sechsmonatigen Entscheidungsfrist nicht vor.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die dagegen erhobene Revision nach Durchführung des Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
7 Gemäß § 8 Abs. 1 VwGVG kann Beschwerde wegen Verletzung der Entscheidungspflicht gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 3 B-VG (Säumnisbeschwerde) erhoben werden, wenn die Behörde die Sache (ausgenommen kürzerer oder längerer gesetzlicher Entscheidungsfristen) nicht innerhalb von sechs Monaten entschieden hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antrag auf Sachentscheidung bei der Stelle eingelangt ist, bei der er einzubringen war. Die Beschwerde ist abzuweisen, wenn die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen ist.
8 Im vorliegenden Fall stellte die Revisionswerberin den gegenständlichen Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels bei der Behörde am 2. August 2017, sodass die sechsmonatige Entscheidungsfrist bei Einbringung der Säumnisbeschwerde am 24. Oktober 2018 abgelaufen war.
9 Aus dem Akteninhalt ergibt sich, dass seit der schriftlichen Verständigung vom 19. März 2018 keine weiteren Ermittlungsschritte von der Behörde gesetzt wurden. Anhaltspunkte dafür, dass die Verzögerung nicht auf ein überwiegendes Verschulden der Behörde zurückzuführen wäre, finden sich nicht.
10 Sofern das Verwaltungsgericht der Auffassung ist, dass die Behörde wegen der (geplanten) Wiederaufnahme des Verfahrens betreffend den Erstantrag nicht säumig sei, unterliegt es einem Irrtum. Die Verlängerung eines Aufenthaltstitels setzt eine aufrechte Titelerteilung voraus (vgl. § 24 und § 2 Abs. 1 Z 11 NAG). Gemäß der Aktenlage ist bisher keine Wiederaufnahme des Erstverfahrens erfolgt, sondern wurde diese lediglich in Aussicht genommen. Der am 2. September 2016 erstmalig erteilte Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ ist somit weiterhin Teil des Rechtsbestandes. Abgesehen davon würde selbst ein Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung nichts an der Entscheidungspflicht der Behörde ändern. Die Behörde (das Verwaltungsgericht) hätte im Verlängerungsverfahren zu prüfen, ob der zu verlängernde Aufenthaltstitel dem Rechtsbestand angehört, und ihre (allenfalls auch negativ ausfallende) Entscheidung innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Entscheidungsfrist treffen müssen (vgl. VwGH 19.6.2018, Ra 2018/03/0021, Rn. 27 und 28, mwN).
11 Dies hat - wie die Revision zutreffend aufzeigt - das Verwaltungsgericht verkannt, sodass das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
12 Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.
13 Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 3. Juni 2020
Schlagworte
Verletzung der EntscheidungspflichtEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020220015.L00Im RIS seit
04.08.2020Zuletzt aktualisiert am
04.08.2020