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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
NAG 2005 §11 Abs2 Z1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des B T in W, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt MBA, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 8/1/1-3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 8. Juli 2019, VGW-151/047/2654/2019-18, betreffend Aufenthaltstitel (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Mit Bescheid des Landeshauptmannes von Wien vom 15. Jänner 2019 wurde der Antrag des Revisionswerbers, eines kosovarischen Staatsangehörigen, auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 11 Abs. 2 Z 4 und Abs. 5 iVm § 11 Abs. 2 Z 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) abgewiesen.
2 Die dagegen erhobene Beschwerde wurde mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien als unbegründet mit der Maßgabe, dass die Abweisung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1, Z 4 und Abs. 5 NAG zu erfolgen habe, abgewiesen. Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
3 Begründend stellte das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung fest, der Revisionswerber sei in Österreich am 10. Jänner 2014 im Zuge einer fremdenpolizeilichen Kontrolle festgenommen und am 13. Jänner 2014 in Schubhaft genommen worden. Am 13. Jänner 2014 habe der Revisionswerber einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der am 17. März 2014 wegen der Zuständigkeit Ungarns zurückgewiesen worden sei; gleichzeitig sei die Außerlandesbringung des Revisionswerbers angeordnet worden. Danach habe er durchgehend ohne Aufenthaltsberechtigung bis zu seiner Ausreise am 17. Juli 2018 in Österreich gelebt. Im Jänner 2015 habe der Revisionswerber seine nunmehrige Ehefrau, eine österreichische Staatsbürgerin, kennengelernt. Am 30. November 2015 sei der gemeinsame Sohn, ebenfalls österreichischer Staatsbürger, geboren. Ein Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ vom 18. Juli 2016 sei wegen unzulässiger Inlandsantragstellung abgewiesen worden. Der Revisionswerber sei in Österreich keiner Beschäftigung nachgegangen. Die Ehefrau des Revisionswerbers beziehe Notstandshilfe. Der Revisionswerber habe einen Deutschkurs auf dem Niveau A1 positiv absolviert. Zu dem vom Revisionswerber vorgelegten Arbeitsvertrag vom 27. November 2018 führte das Verwaltungsgericht aus, dass kein förmliches Bewerbungsgespräch zwischen dem Arbeitgeber und dem Revisionswerber stattgefunden hätte. Seine Familie lebe, mit Ausnahme eines Bruders, der bei der Firma des vermeintlichen Arbeitgebers arbeite, im Kosovo. Für seinen minderjährigen Sohn leiste der Revisionswerber keinen Unterhalt.
4 Beweiswürdigend führte das Verwaltungsgericht ausführlich und unter Zugrundlegung der Zeugenaussage des vermeintlichen Arbeitgebers aus, dass der vorgelegte Arbeitsvertrag bloß aus Gefälligkeit abgeschlossen worden sei. Der Arbeitgeber habe nicht angeben können, welche Ausbildung der Revisionswerber vorweisen könne. Während im Arbeitsvertrag eine Tätigkeit des Revisionswerbers als Maler festgehalten sei, habe der als Zeuge einvernommene Arbeitgeber in der Verhandlung ausgeführt, dass er ihn für Hilfsarbeitertätigkeiten in seinem Betrieb anstellen würde.
5 In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, der Revisionswerber habe keine ausreichenden finanziellen Mittel nachweisen können, sodass das Erteilungshindernis des § 11 Abs. 2 Z 4 NAG vorliege. Darüber hinaus liege der Abweisungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 NAG vor, weil der Revisionswerber durch seinen fast vierjährigen unrechtmäßigen Aufenthalt zu erkennen gegeben hat, dass er nicht gewillt ist, sich an maßgebliche fremdenrechtliche Vorschriften zu halten und sein Aufenthalt somit öffentlichen Interessen widerstreiten würde.
6 Bei der gemäß § 11 Abs. 3 NAG vorzunehmenden Beurteilung nach Art. 8 EMRK berücksichtigte das Verwaltungsgericht die illegale Einreise, den langjährigen rechtswidrigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich und die Verletzung von Meldeverpflichtungen. Der Revisionswerber leiste keinen Unterhalt. Die integrationsbegründenden Umstände, wie das Entstehen des Familienlebens und der Erwerb von Deutschkenntnissen, sei zu einem Zeitpunkt entstanden, zu dem sich der Fremde seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein hätte müssen. Er hätte somit nicht damit rechnen dürfen, dauerhaft in Österreich bleiben zu können. Das öffentliche Interesse an der Einhaltung der fremdenrechtlichen Bestimmungen würde das Interesse des Revisionswerbers an einer Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinn des Art. 8 EMRK überwiegen.
7 Weiters führte das Verwaltungsgericht aus, dass kein derart intensives Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Revisionswerber und seiner Ehegattin bzw. seinem Sohn bestünde, welches die Ehegattin oder seinen Sohn de facto zwingen würde, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen.
8 Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
9 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 Soweit die Revision geltend macht, der Revisionswerber hätte ab Stellung seines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels am 12. April 2016 durchaus davon ausgehen können, dass er die Entscheidung im Inland hätte abwarten dürfen, ist auszuführen, dass die Stellung eines Antrages noch nicht zum Aufenthalt in Österreich berechtigt.
13 Dem Vorbringen, wonach selbst ein rechtswidriger Aufenthalt für sich genommen allein nicht zum Fehlen der Erteilungsvoraussetzung nach § 11 Abs. 2 Z 1 NAG führe, ist entgegenzuhalten, dass das Verwaltungsgericht nicht bloß diesen Aspekt, sondern das Gesamtverhalten des Fremden in seiner Prognoseentscheidung berücksichtigt hat (vgl. VwGH 3.10.2017, Ra 2016/22/0056, 3.2., mwN, zur Verpflichtung gemäß § 11 Abs. 2 Z 1 iVm Abs. 4 Z 1 NAG, alle den antragstellenden Fremden betreffenden relevanten Umstände zu berücksichtigen). Die einzelfallbezogene Beurteilung der Gefährdungsprognose ist im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (VwGH 18.1.2017, Ra 2016/22/0117). Dass die vom Verwaltungsgericht nach Durchführung einer Verhandlung erzielte Lösung in unvertretbarer Weise erfolgt wäre, zeigt die Revision nicht auf.
14 Soweit sich die Revision gegen die Beweiswürdigung in Bezug auf das Vorliegen eines Arbeitsvertrages wendet, ist entgegenzuhalten, dass die Beweiswürdigung nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges, nicht aber um die konkrete Richtigkeit handelt, sowie wenn es darum geht, ob die in diesem Denkvorgang gewürdigten Beweisergebnisse in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/22/0119, Rn. 9, mwN). Mit dem Vorbringen, der Arbeitsvertrag sei für beide Seiten verbindlich, vermag der Revisionswerber nicht aufzuzeigen, dass die Einschätzung des Verwaltungsgerichtes, wonach der Arbeitsvertrag bloß zum Schein abgeschlossen worden wäre, unzutreffend sei.
15 Wenn sich die Revision weiter gegen die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung wendet, ist auszuführen, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes die im Rahmen der Entscheidung über einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommene Interessenabwägung im Allgemeinen, wenn sie - wovon auch hier auszugehen ist - auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze erfolgte, nicht revisibel im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG ist (vgl. VwGH 8.10.2019, Ra 2019/22/0130, Rn. 12, mwN). Dem Revisionsvorbringen, wonach die Ehefrau des Revisionswerbers unter Berufung auf ein klinisch-psychologisches Gutachten vom 5. Jänner 2017 psychisch krank sei und der Unterstützung des Revisionswerbers bedürfe, ist entgegenzuhalten, dass dieses Gutachten im Verfahren betreffend den erstmaligen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels vom 12. April 2016 vorgelegt wurde. Über diesen Antrag wurde mit Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom 6. Dezember 2017 entschieden (mit Beschluss des VwGH vom 22. März 2018, Ra 2018/22/0056, wurde die dagegen erhobene Revision des Revisionswerbers zurückgewiesen); im gegenständlichen Verfahren wurde kein diesbezügliches Vorbringen erstattet.
16 Auf Basis des dargestellten festgestellten Sachverhaltes, zu dem in der Revision nichts Abweichendes vorgebracht wird, kann die vom Verwaltungsgericht durchgeführte Interessenabwägung jedenfalls nicht als unvertretbar angesehen werden.
17 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und Abs. 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 3. Juni 2020
Schlagworte
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019220193.L00Im RIS seit
04.08.2020Zuletzt aktualisiert am
04.08.2020