TE OGH 2020/5/20 6Ob62/20s

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Veröffentlicht am 20.05.2020
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen F*****, geboren am ***** 2005, *****, vertreten durch die Eltern K*****, und O*****, über den Revisionsrekurs des Landes Wien (Magistrat der Stadt Wien Wiener Kinder- und Jugendhilfe Rechtsvertretung Bezirk 10, 1100 Wien, Alfred-Adler-Straße 12) als Kinder- und Jugendhilfeträger gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Dezember 2019, GZ 42 R 440/19w-19, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 3. Oktober 2019, GZ 41 Ps 128/19y-14, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben und in der Sache dahin entschieden, dass die Entscheidung des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Der Minderjährige ist das Kind von K***** und O*****, deren Ehe mit Beschluss vom 23. 4. 2018 einvernehmlich geschieden wurde. Im Scheidungsfolgenvergleich vereinbarten die Eltern, dass die Obsorge für das Kind beiden Elternteilen „gemeinsam verbleibe“ und dass dieses sich überwiegend bei der Mutter aufhalten und von dieser hauptsächlich betreut werden würde. Der Vater verpflichtete sich zur Leistung eines monatlichen Unterhaltsbeitrags. Festgehalten wurde außerdem, dass die Mutter die (doppelte) Familienbeihilfe für das Kind beziehe.

Am 31. 1. 2019 (Vater) und am 25. 1. 2019 (Mutter) schlossen die Eltern mit dem Kinder- und Jugendhilfeträger Land Wien (Magistrat der Stadt Wien Wiener Kinder- und Jugendhilfe Soziale Arbeit mit Familien Bezirk 10 B) eine „Vereinbarung der vollen Erziehung“ und stimmten der Übernahme des Kindes in die volle Erziehung der Stadt Wien zu. Diese werde mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut, was auch die gesetzliche Vertretung im Bereich der Pflege und Erziehung umfasse.

Am 16. 7. 2019 beantragte der Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT) seine Betrauung mit der Vermögensverwaltung im Umfang der Beantragung und Verwaltung des Eigenanspruchs des Kindes auf Familienbeihilfe; dieser stehe dem Kind nach § 6 Abs 5 FamLAG zu. Eine solche gerichtliche Betrauung werde benötigt, um dem zuständigen Finanzamt im Verfahren über die Zuerkennung der Familienbeihilfe die Vertretungsbefugnis nachweisen zu können.

Die Eltern äußerten sich zu diesem Antrag nicht.

Das Erstgericht wies den Antrag ab. Abgesehen davon, dass dieser keine Begründung aufweise, weshalb der Entzug der Obsorge im genannten Teilbereich wegen sonstiger Kindeswohlgefährdung (§ 181 ABGB) erforderlich sei, bedürfe es eines derartigen Entzugs auch gar nicht. Die Familienbeihilfe diene im konkreten Fall der Deckung des Unterhaltsbedarfs des Kindes, womit die gesetzliche Vertretung bei der Geltendmachung des Eigenanspruchs des Kindes in den Teilbereich der Pflege und Erziehung der Obsorge falle, mit dem aber ohnehin der KJHT betraut sei.

Das Rekursgericht trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung auf und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob die Geltendmachung des Eigenanspruchs des Kindes nach § 6 Abs 5 FamLAG und die Verwaltung der insoweit ausbezahlten Beträge in den Bereich der Pflege und Erziehung oder in den Bereich der Vermögensverwaltung falle.

In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht unter Hinweis auf zahlreiche gleichlautende Entscheidungen der Familienrechtssenate des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien die Auffassung, der KJHT sei zwar im Hinblick auf § 30 Abs 1 WKJHG zur Gänze mit der Pflege und Erziehung des Kindes betraut und werde die Familienbeihilfe im Fall dieser vollen Erziehung zur Deckung der beträchtlichen laufenden Kosten derselben verwendet, doch betreffe die Antragstellung zur Erlangung der Familienbeihilfe dennoch nicht Pflege und Erziehung, sondern den Teilobsorgebereich der Vertretung des Kindes nach außen in einer vermögensrechtlichen Angelegenheit. Die Betrauung des KJHT mit dieser Angelegenheit stelle einen Eingriff in die Rechtssphäre der obsorgeberechtigten Eltern dar, deren rechtliches Gehör somit zu wahren sei; darüber hinaus sei zu prüfen, ob bzw inwiefern die Betrauung des KJHT im Interesse des Kindes dringend geboten sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des KJHT ist zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Das Rekursgericht hat „infolge Rekurses des [Kindes], vertreten durch den [KJHT]“ entschieden, obwohl der Antrag (richtigerweise) vom KJHT gestellt und auch der Rekurs von diesem erhoben worden waren; der KJHT strebt ja eine (weitere) Beschränkung der Obsorge der Eltern an. Offensichtlich aufgrund dieser Formulierung des Rekursgerichts hat nunmehr der KJHT den Revisionsrekurs im Namen des Kindes erhoben, was aber im Hinblick auf die ursprüngliche Antragstellung und den Rekurs unbeachtlich ist.

2. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen befindet sich das Kind (seit 6. 2. 2019; vgl Rekurs Seite 1 unten) aufgrund der mit den Eltern abgeschlossenen Vereinbarungen in voller Erziehung des KJHT Land Wien, worunter gemäß § 30 Abs 2 WKJHG die Pflege und Erziehung (unter anderem) in einer Pflegefamilie zu verstehen ist. Nach Abs 1 ist der KJHT „mit der Pflege und Erziehung zur Gänze betraut“.

3.1. Der Oberste Gerichtshof hat bereits klargestellt, dass die Unterhaltsleistungen der Eltern regelmäßig der Erbringung bzw Finanzierung jener Obsorgemaßnahmen dienen, die der Pflege und Erziehung zuzuordnen sind. Dementsprechend betrifft die Geltendmachung von Unterhalt den Bereich der Pflege und Erziehung und nicht jenen der Vermögensverwaltung. Die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen steht damit grundsätzlich jenem Elternteil zu, dem die Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde. Für eine unterschiedliche Zuordnung der Empfangnahme von Unterhalt und der Geltendmachung besteht kein sachlicher Grund (8 Ob 99/12k [ErwG 3.3.] EF-Z 2013/55 = iFamZ 2013/48 [Fucik]). Der Lebensbedarf des Kindes einschließlich einer altersüblichen Freizeitgestaltung sei primär von den Eltern im Rahmen ihrer Unterhaltspflicht zu bestreiten; nur die nach Befriedigung der Verwaltungskosten verbleibenden Erträgnisse des Vermögens des Kindes seien zur Deckung seines Unterhalts zu verwenden. Der Vermögensstamm dürfe zur Bestreitung des Lebensbedarfs nur ausnahmsweise herangezogen werden, wenn die Unterhaltsleistungen der Eltern (und Großeltern) nicht ausreichen. Der Unterhalt diene also der Deckung der aktuellen, angemessenen (Lebens-)Bedürfnisse des Kindes. Dies betreffe vor allem die regelmäßig benötigten Betreuungs- und Versorgungsleistungen, die benötigten Leistungen zur Wahrung des körperlichen Wohls und der Gesundheit, weiters die Aufwendungen für die Ausbildung und zur Freizeitgestaltung. Die Vermögensverwaltung betreffe demgegenüber die Erhaltung und mögliche Vermehrung des Stammvermögens sowie die Gebarung mit den Erträgnissen. Nur wenn der Einsatz des eigenen Vermögens des Kindes im Einzelfall zur Befriedigung seiner aktuellen Bedürfnisse erforderlich ist, sei mit der Vermögensverwaltung auch die Bestreitung von Ausgaben für das Kind geboten. Die Vermögensverwaltung betreffe also die Heranziehung des eigenen Stammvermögens und der Erträgnisse des Kindes.

3.2. Diese Entscheidung wurde sowohl von zweitinstanzlicher Rechtsprechung (LGZ Wien EFSlg 137.624 [2013]) übernommen als ihr auch von der Literatur (Gitschthaler in Schwimann/Kodek, ABGB5 [2018] § 158 Rz 4; ebenda Neuhauser § 231 Rz 514; im Ergebnis auch Barth in Klang³ [2008] §§ 176, 176b ABGB Rz 16) zugestimmt. Es besteht somit keine Veranlassung, von der Auffassung wieder abzugehen, wonach die gesetzliche Vertretung in Unterhaltssachen grundsätzlich – außer bei anderslautender Beschlussfassung – demjenigen zusteht, dem Pflege und Erziehung zukommt bzw übertragen wurde (8 Ob 99/12k [ErwG 6.1.]); dies kann auch der KJHT sein (vgl 8 Ob 99/12k; Neuhauser aaO).

4. Nach § 6 Abs 5 FamLAG haben Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und des Wohnbedarfs getragen wird, unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 bis 3). Erheblich behinderte Kinder im Sinne des § 2 Abs 1 lit c, deren Eltern ihnen nicht überwiegend den Unterhalt leisten und die einen eigenständigen Haushalt führen, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs 1 und 3).

Nach den Behauptungen des KJHT, denen die Eltern nicht entgegen getreten sind (§ 17 AußStrG), und den Ausführungen der Vorinstanzen steht dem minderjährigen F***** hier ein solcher Anspruch zu. Die Antragstellung des KJHT zielt darauf ab, ihn rechtlich in die Lage zu versetzen, diesen Anspruch für das Kind auch geltend machen zu können.

4.1. Der Oberste Gerichtshof hat erst jüngst im Zusammenhang mit der Familienbeihilfe ausgeführt (1 Ob 203/18m [ErwG 5.1.] JAS 2019, 194 [Pree]):

Anders als das Pflegegeld, das der Finanzierung des pflegebedingten Mehraufwands dient, soll die Familienbeihilfe nach § 1 FamLAG einen Lastenausgleich im Interesse der Familie herbeiführen. Sie dient dem Zweck, die Pflege und Erziehung des Kindes (als Zuschuss) zu erleichtern sowie die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen – zumindest zum Teil – auszugleichen (RS0058747&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=True&SucheNachText=False">RS0058747; zuletzt 4 Ob 7/17h). Weiters kommt ihr (gemeinsam mit dem mit ihr zur Auszahlung gelangenden Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs 3 EStG 1988) auch die Funktion zu, jene einkommensteuerliche Mehrbelastung abzugelten, der unterhaltspflichtige Eltern durch die steuerliche Nichtabzugsfähigkeit des Unterhalts ausgesetzt sind (VfGH 30. 11. 2000, B1340/00&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True">B 1340/00; 4. 12. 2001, B2366/00&SkipToDocumentPage=True&SucheNachRechtssatz=False&SucheNachText=True">B 2366/00).

4.2. Berücksichtigt man nun, dass zwischenzeitig aufgrund der – seit der Entscheidung 4 Ob 150/19s (RZ 2020/1 [Spenling]) vom 11. 12. 2019 – nunmehr ständigen Rechtsprechung zum mit § 33 Abs 3a EStG idF BGBl I 2018/62 eingeführten Familienbonus Plus (FaBo+) der Gesetzgeber den FaBo+ mit der Zielsetzung eingeführt hat, die verfassungsrechtlich gebotene steuerliche Entlastung der Geldunterhaltspflichtigen nunmehr durch die steuergesetzlichen Maßnahmen Unterhaltsabsetzbetrag und FaBo+ herbeizuführen, wodurch eine Entkoppelung von Unterhalts- und Steuerrecht stattgefunden hat und die so genannte Familienbeihilfeanrechnung – jedenfalls bei minderjährigen Kindern – nicht mehr vorzunehmen ist (RS0132928), so verbleibt als Zweck der Familienbeihilfe, die Pflege und Erziehung des Kindes (als Zuschuss) zu erleichtern und die mit dessen Betreuung verbundenen Mehrbelastungen – zumindest zum Teil – auszugleichen.

4.3. Gerade diesem Zweck dient aber auch der Unterhaltsbeitrag, den der geldunterhaltspflichtige Elternteil gemäß § 231 ABGB zu leisten hat (vgl die Beispiele bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht4 [2019] Rz 1; siehe auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht9 [2019] 128; Neuhauser in Schwimann/Neumayr, ABGB-TaKomm4 [2017] § 231 Rz 2 – alle mit zahlreichen Judikaturnachweisen), womit nicht ersichtlich ist, weshalb zwar Geltendmachung und Empfangnahme von Kindesunterhalt zum Obsorgeteilbereich Pflege und Erziehung gehören sollen, nicht aber Geltendmachung und Empfangnahme von dem Kind zustehenen Familienbeihilfeleistungen.

5.1. Da somit bereits das Erstgericht zutreffend davon ausgegangen ist, dass es eines (weiteren) Entzugs der Obsorge der Eltern im Teilbereich Vermögensverwaltung gar nicht bedarf, war dessen abweisliche Entscheidung wiederherzustellen. Dass die Eltern dem Antrag des KJHT nicht entgegen getreten sind, schadet hierbei nicht, weil (auch) bei Nichtäußerung des Antragsgegners trotz Aufforderung nach § 17 AußStrG das Antragsbegehren hinsichtlich seiner rechtlichen Voraussetzungen uneingeschränkt auf der Grundlage des Akteninhalts zu prüfen ist; dies gilt vor allem auch für die Prüfung der Schlüssigkeit des Begehrens (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG I² [2019] § 17 Rz 94 mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung).

5.2. Lediglich der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (6 Ob 30/08t EF-Z 2008/95 = iFamZ 2008/146 [Fucik] = IPRax 2010, 542/38 [Hohloch, 567]; 4 Ob 82/10b) auch die Möglichkeit der Ausstellung eines so genannten „Obsorgedekrets“ (§ 107 Abs 1 Z 2 AußStrG) besteht, also einer Amtsbestätigung über aktenmäßig bei Gericht bekannte Tatsachen, wenn die Obsorgeverteilung zwischen den Eltern unstrittig ist. Sollte der KJHT also tatsächlich Schwierigkeiten haben, im Verfahren zur Erlangung der Familienbeihilfe seine Vertretungsbefugnis nachweisen zu können, bestünde auch die Möglichkeit der Ausstellung einer derartigen Amtsbestätigung. Die Ausstellung einer solchen hat der KJHT hier jedoch nicht begehrt.

Textnummer

E128235

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00062.20S.0520.000

Im RIS seit

03.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

26.11.2020
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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