Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 18. Juni 2020 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Lässig als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in der Strafsache gegen Vesna J***** wegen des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 612 Hv 17/19k des Landesgerichts Korneuburg, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 16. Jänner 2020 (ON 45) ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nichtöffentlich (§ 62 Abs 1 zweiter Satz OGH-Geo 2019) den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Verneinung der aus Anlass der Nichtigkeitsbeschwerde zu beurteilenden Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung, ob der Tatbestand nach § 169 Abs 1 StGB Feststellungen zur Herbeiführung einer abstrakten Gefahr für Leib oder Leben einer unbestimmten Zahl von Menschen oder einer konkreten Gefahr für fremdes Eigentum in großem Ausmaß verlangt, würde ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bedeuten.
Text
Gründe:
Mit Urteil des Landesgerichts Korneuburg als Schöffengericht vom 16. Jänner 2020, GZ 612 Hv 17/19k-45, wurde Vesna J***** – soweit hier von Bedeutung – des Verbrechens der Brandstiftung nach § 169 Abs 1 StGB schuldig erkannt.
Danach hat sie am 1. Oktober 2019 in G***** an einer fremden Sache, nämlich am Einfamilienhaus ihres Sohnes Daniel J*****, ohne dessen Einwilligung eine Feuersbrunst verursacht, indem sie an drei verschiedenen Stellen des Hauses Matratzen und Polster anzündete, woraufhin Teile des Hauses abbrannten.
Gegen den Strafausspruch des Urteils richtet sich eine Berufung der Angeklagten (ON 49), über welche das Oberlandesgericht Wien (zu AZ 19 Bs 40/20a) noch nicht entschieden hat.
Rechtliche Beurteilung
In ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde (§ 23 StPO) erachtet die Generalprokuratur durch den in Rechtskraft erwachsenen Schuldspruch das Gesetz als verletzt. Dabei verweist sie begründend auf die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach der Tatbestand des § 169 Abs 1 StGB Feststellungen zu einer zumindest abstrakten Gefährdung von Leib oder Leben einer unbestimmten (nicht unbedingt größeren, aber nicht auf konkrete Einzelpersonen beschränkten) Zahl von Menschen (RIS-Justiz RS0130775) oder einer konkreten Gefahr für fremdes Eigentum in großem Ausmaß (RIS-Justiz RS0094935 [T6, T7]) erfordere. Eine entsprechende Feststellungsbasis sei der angefochtenen Entscheidung nicht zu entnehmen.
Gesetzesmaterialien (EBRV 30 BlgNR 13. GP 317 f) und Literatur (Fabrizy, StGB13 § 169 Rz 7) zu § 169 StGB geben im Zusammenhalt mit verschränkter Betrachtung der Abs 1 und 2 dieser Norm Anlass, die angesprochene Judikatur zu überdenken.
Das allfällige Verwerfen der Nichtigkeitsbeschwerde würde ein Abgehen von der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung erfordern, was nach § 8 Abs 1 Z 1 erster Fall OGHG einem verstärkten Senat vorbehalten bleibt.
Textnummer
E128429European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0130OS00024.20H.0618.000Im RIS seit
03.07.2020Zuletzt aktualisiert am
03.07.2020