TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/28 W161 2214671-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.01.2020
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Entscheidungsdatum

28.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W161 2214671-1/15E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Monika LASSMANN als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. am XXXX alias XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Verein Menschenrechte Österreich, gegen den Bescheid des Bundesamtes für

Fremdenwesen und Asyl vom 29.01.2019, Zl.: 1113282307-160611417, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 30.09.2019 zu

Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der volljährige Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte am 29.04.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner Erstbefragung am 30.04.2016 gab der BF an, er sei am

XXXX in XXXX , Afghanistan geboren und verheiratet. Seine Muttersprache sei Farsi/Persisch. Er bekenne sich zum schiitischen Islam. Er habe sieben Jahre lang (2001-2008) die Grundschule in Teheran besucht und sei zehn Jahre lang als Arbeiter tätig gewesen. Er habe noch seine Eltern, seine Gattin und seinen Sohn. Er habe in Teheran gelebt.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass seine Frau bereits verheiratet gewesen sei und sie gemeinsam vor ihrem Mann weggelaufen seien. Sie habe ihren Mann nicht geliebt, dieser habe sie schlecht behandelt und sie hätten schon längere Zeit eine Beziehung gehabt. Er habe damals um ihre Hand angehalten, aber sie sei ihm nicht zur Frau gegeben worden. Er sei mit seiner Frau nach XXXX geflohen, diese halte sich momentan mit dem Sohn dort auf. Sie habe Angst vor dem Exmann, dieser verfolge und bedroht sie.

Wenn er nach Afghanistan zurückkehren müsse, würde er getötet werden, weil er gegen das islamische Gesetz verstoßen habe. Es bestehe Gefahr durch die Bevölkerung, durch den Staat, von Seiten seines Stammes und durch die weitschichtige Familie, da sie unehrenhaft gehandelt hätten. Außerdem sei sein Vater für Kommandant XXXX tätig und habe daher viele Feinde, die auch den BF verfolgen würden. Sein Vater sei seit drei Jahren verschwunden, dies nachdem er nach Afghanistan zurückkehrt wäre.

3. Am 14.11.2018 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in der Sprache Farsi einvernommen. Er sei gesund, nehme keine Medikamente und sei nicht in ärztlicher Behandlung. Er gehöre der Volksgruppe der Saadat an und sei im Bezirk XXXX in der Provinz Daikundi geboren. Mit drei oder vier Jahren sei er mit seinen Eltern in den Iran geflüchtet und sie hätten an verschiedenen Orten gelebt. Von 2000-2008 habe er im Iran (Teheran Umgebung) Privatunterricht bekommen. Er sei so wie in der Schule unterrichtet worden. Die Eltern seien wegen der Kriegshandlungen der Taliban - die gerade das Land eingenommen hätten - ausgewandert. Sein Vater sei einer der Leute des Kommandanten XXXX gewesen, darum hätten sie Afghanistan verlassen müssen. Der BF sei nicht mehr in Afghanistan gewesen, der Vater schon. Er habe 8-9 Jahre in der Stoffverfahrenstechnik in Teheran gearbeitet. Im Iran habe er an verschiedenen Orten gelebt. Die letzten acht Jahre habe er in der Provinz Teheran gelebt, von dieser Adresse aus sei er für drei Monate in die Provinz XXXX geflüchtet. Danach sei er sechs Monate in XXXX gewesen, dort habe er seine Familie gelassen. Er habe mit seiner Mutter und seiner Frau zusammengelebt. Als er das Land verlassen habe, sei seine Frau schwanger gewesen. Sein Vater sei vor fünf Jahren verstorben. Seine Mutter arbeite als Freiberuflerin (z.B. auf Safranfeldern, in Gärtnereien oder als Hausbedienstete). Seine Frau sei Hausfrau und Mutter. Er habe sonst lediglich eine Tante in Pakistan, sonst niemanden. Vor etwa zwei Wochen habe er mit seiner Frau und seiner Mutter telefoniert. Sein Vater habe Grundstücke gehabt, diese seien aber bei einem Hinterhalt konfisziert worden. Er wisse nicht genau, was passiert sei. Diese Info habe er von Leuten (Verwandte von Nachbarn) aus Afghanistan, die in den Iran gekommen seien.

Der Vater habe mit ihnen in Teheran gelebt, sei aber aus zwei Gründen zurück nach Afghanistan gegangen: Die Familie der Frau des BF habe gesagt, sie würden die Tochter nicht hergeben, wenn die Familie auf der Flucht sei und der Vater hätte seine Fluchtgeschichte klären sollen. Der zweite Grund sei, dass er einer der Leute des Kommandanten XXXX gewesen sei und Informationen gehabt habe, die XXXX - einer der neuen Kommandanten - haben hätte wollen. Nach Vorhalt, der BF habe bei der Erstbefragung angegeben, dass der Vater bei der Rückkehr nach Afghanistan seit drei Jahren verschollen sei, gab der BF an, er sei damals der Meinung gewesen, dass der Vater noch lebe, nun habe er den Beweis, dass er gestorben sei. Er habe Geschichten von überall her, dass der Vater getötet worden sei. Von welcher Seite wisse er nicht. Zum Lebensunterhalt seiner Familie befragt, gab der BF an, dass die Mutter arbeite und die Familie unterstütze. Weiters gab der BF an, er werde von der Polizei im Iran gesucht.

Befragt aus welchem Grund er den Iran verlassen habe, gab der BF wie folgt an:

"Ich habe meine Frau geliebt damals als sie noch nicht meine Frau war, geliebt. Nachgefragt war das im Herbst 1393; ich bin zu Ihrer Familie gegangen, um um ihre Hand anzuhalten, und diese Familie hat gesagt, dass wir aus Afghanistan geflüchtet sind und die Familie wollte nach Afghanistan wieder zurückgehen. 1391 im Frühling war ich das erste Mal mit meinen Eltern bei dieser Familie um um die Hand anzuhalten. Beim erseten Mal haben sie gesagt dass wir geflüchtet sind und sie geben mir nicht die Tochter, das zweite Mal war mein Vater bereits in Afghanistan um diese Forderungen zu klären und wir haben aber nichts mehr von ihm gehört und diese Familie hat uns wieder abgelehnt. Im Winter 1393 hat ihr Cousin, d.h. der Sohn ihres Onkels väterlicherseits um ihre Hand angehalten und man hat sie ihm sofort gegeben obwohl er drogenabhängig war und arbeitslos. Sie wurde mit ihrem Cousin verheiratet und sie haben drei Monate miteinander gelebt. Sie hat mich geliebt und litt darunter. Ihr Mann hat sie schlecht behandelt. Sie hat versucht sich das Leben zu nehmen, sie kam ins Krankenhaus und als ich das erfahren habe, habe ich ihr mit Hilfe von XXXX (die beste Freundin meiner Frau), eine Nachricht zukommen lassen, dass ich die gemeinsame Flucht vorbereiten werde, also dass sie von Hause zu mir nach Hause kommen kann und von ihrem Mann wegkommt. Zuerst habe ich meine Mutter nach XXXX übersiedelt, dann habe ich mit dem Sohn meines Chefs alles vorbereitet und es war Anfang Frühling, wo wir das durchgezogen haben und sie weg von ihrem Mann flüchtet und zu mir nach Hause kommt. Drei Monate waren wir in XXXX am Anwesen von Freunden meines Chefs, es hieß dann, dass wir nicht mehr dort bleiben könnten und sind nach XXXX gezogen.

LA: War Ihre Frau da schon geschieden?

VP: Ja in den ersten drei Monaten wurde zwischen den beiden Familien die Scheidung einvernehmlich vollzogen. Nachgefragt war sie noch nicht geschieden als ich sie zu mir holte, erst in der Zeit als sie bei mir wohnte, kam es zur einvernehmlichen Scheidung zwischen den beiden Familien. Es lief alles über Papier und es lief gezwungenermaßen, es war nur für die Familie intern gelöst aber das Problem betraf uns beide noch weiterhin.

LA: Das heißt der Exmann hat damals kein Mitspracherecht zur Scheidung gehabt?

VP: Nein, die Familie hat meine Exfrau freigegeben und dafür mussten sie die jüngere Schwester diesem Mann geben. Der Exmann muss aber seine Ehre retten und hiermit seine Frau zurückholen und mich umbringen. Die Familie des Exmannes meiner Frau hat das zur Anzeige gebracht und die Polizei war bei uns zu Hause an unserem Wohnort in XXXX wo wir davor gewohnt haben und in der Werkstatt wo ich vorher gearbeitet habe und nachdem in XXXX vielmehr Afghanen festgenommen wurden und nach Afghanistan abgeschoben wurden und wir die Nachrichten bekommen haben, dass wir gesucht werden, habe ich empfunden, dass wir in XXXX nicht mehr sicher sind. Ich habe nach einem Schlepper gesucht. Ich war dann ein Monat in Varamin und bin dann nach Europa.

LA: Aber Ihre Frau war ja auch in Gefahr und Sie sind ohne Sie geflüchtet?

VP: Der Unterschied ist, dass wir Männer viel leichter zu erkennen sind, das war das Argument meiner Mutter und meiner Frau, dass sie sich hinter dem Schleier verstecken können.

LA: Wer hat gewusst wo Sie mittlerweile mit Ihrer Frau wohnen?

VP: Niemand hat gewusst wo wir wohnen. Ich bin deswegen weg, weil es viele Gründe gab, weil die Afghanen ständig kontrolliert und festgenommen wurden, sie mussten nach Syrien kämpfen oder nach Afghanistan abgeschoben werden.

LA: Wann haben Sie Ihre Frau geheiratet?

VP: Am XXXX .

LA: Ist die Familie Ihrer Frau auch in den Iran geflüchtet?

VP: Die Familie der Ehefrau ist aus wirtschaftlichen Gründen in den Iran.

LA: Sie haben gesagt, dass die Familie Ihrer Ehefrau wieder zurück nach Afghanistan wollte wohnen diese wieder in Afghanistan?

VP: Als ich in Europa ankam habe ich die Nachricht erhalten, dass sie wieder in Afghanistan sind auch deshalb weil die Familie dachte, dass ich mit meiner Frau nach Europa geflüchtet bin.

LA: Haben Sie im Einverständnis Ihrer beiden Familien geheiratet?

VP: Meine Familie war einverstanden aber ihre nicht. Ursprünglich hat auch die Mutter meiner Frau keine Einwände gehabt, es war nur der Vater, der Einwände hatte.

LA: Haben Sie sämtliche Gründe, die Sie veranlasst haben, Ihr Herkunftsland zu verlassen, vollständig vorbringen können?

VP: Ja das habe ich.

LA: Können Sie Ihr Vorbringen mit Beweismitteln untermauern? Z.B. Heiratsurkunde?

VP: Nein die Bestätigung ist in XXXX bei meiner Frau, wir haben traditionell geheiratet vor einem Mullah konnten dies aber nicht registrieren lassen weil wir keine Dokumente hatten.

...

LA: Mit wem haben Sie in XXXX zusammengelebt?

VP: Mit meiner Mutter und mit meiner Frau bei unserer Vermieterin in einem Haus.

LA: Kennen Sie den Exmann Ihrer Frau persönlich?

VP: Ja.

LA: Wie gut kennen Sie ihn?

VP: Wir waren alle in einem Viertel.

LA: Haben Sie persönlich auch mit ihm zu tun gehabt?

VP: Wir waren keine Freunde haben uns begrüßt.

LA: Wurden Sie von ihm persönlich bedroht? VP: Am Anfang als der Exmann namens XXXX meine jetzige Frau geheiratet hat, war ich weiterhin aber heimlich mit ihr in Kontakt. Ein paar Tage nach der Hochzeit hat er erfahren, dass sie mit mir im Kontakt ist. Er ist zu unserem Haus in XXXX gekommen und hat mit dem Messer auf seinem eigenen Arm eine Linie gezogen und sagte, dass er es heute bei sich machen würde aber morgen wenn du die Finger von meiner Frau nicht lässt mache ich das mit deinem Gesicht.

LA: Und hat er es getan?

VP: Ab diesem Zeitpunkt habe ich nicht mehr direkt mit ihr kommuniziert sondern über ihre Freundin XXXX .

...

LA: Warum sind Sie nicht mit Ihrer Frau nach Afghanistan gegangen und haben sich dort in eine sichere Provinz niedergelassen?

VP: Wegen den Feinden meines Vaters konnte ich nicht nach Afghanistan gehen und das was ich im Iran getan habe ist auch in Afghanistan strafbar.

LA: Wie weiß das jemand in Afghanistan wie Sie und Ihre Frau zusammen gekommen sind?

VP: Es gibt die Verwandten meiner Frau in Afghanistan und wenn ich etwas mieten will muss ich mich ausweisen und die Feinde meines Vaters tun mir etwas an. Die Familie ihres Exmannes und die Familie meiner Frau wollten nach Afghanistan ziehen und die hätten uns gefunden und erkannt.

LA: Aber Sie haben gesagt, sie haben keine Dokumente?

VP: Im Iran hatten wir keine aber es ist so wenn man etwas mietet muss man ein Formular ausfüllen wo de Name und der Nachname niedergeschrieben werden.

LA: Aber in Afghanistan gibt es kein Meldesystem, was sagen Sie dazu?

VP: Ich weiß nur, dass ich wegen der Feinde meines Vaters in Gefahr bin und die Familie meiner Frau mich verfolgen würde wenn ich in Afghanistan sei.

LA: Was haben die Feinde Ihres Vaters mit Ihnen persönlich zu tun?

VP: Deren Gedankengang besagt, dass sie auch das Kind ihres Feindes vernichten müssen bevor ich Macht bekomme und mich rächen würde.

LA: Das mit Ihrem Vater ist über 20 Jahre her, wie meinen Sie das? Wie sollen Sie die sogenannten Feinde erkennen?

VP: Sie haben mich registriert.

LA: Was meinen Sie sie wurde von ihnen registriert?

VP: Sie wissen wo ich lebe wo ich arbeite im Iran. Und sie würden in Afghanistan dann genau Register ziehen.

LA: Woher wissen Sie, dass diese Leute wussten wo in im Iran Sie waren?

VP: Die Feinde meines Vaters sind im Iran zu uns gekommen und haben erklärt wer sie sind und wollten meinen Vater, dass er nach Afghanistan kommt um Frieden zu schließen.

LA: Was haben Sie dann zu befürchten wenn diese Leute sowieso Frieden schließen wollten? VP: Als mein Vater zu den Leuten nach Afghanistan gegangen ist war er in der ersten Nacht im Haus des XXXX in XXXX und in der zweiten Nacht war er in der Nähe von XXXX wo er am Abend von Motorradfahrern mit Waffen aufgehalten wurde. Seine zwei Begleiter haben sie in Ruhe gelassen aber meinen Vater entführt. Sie haben die zwei Begleiter zusammen geschlagen und von da an haben wir keine Nachricht mehr. Wer ihn getötet hat wissen wir nicht. Entweder der Kommandant XXXX oder XXXX .

LA: Woher wissen Sie das alles?

VP: Von verschiedenen Personen die aus Afghanistan in den Iran gekommen sind.

LA: Wer ist XXXX ?

VP: Ich weiß nicht wer das ist.

LA: Wieso kennen Sie diese Namen dann so genau?

VP: Das ist jemand aus unserer Gegend XXXX in Afghanistan.

LA: Aber Sie haben gesagt, dass Sie seit Ihrer Kindheit nicht mehr dort waren bzw. in Afghanistan warum kennen Sie diese dann? Sie waren noch ein kleines Kind als Sie Afgh. verließen.

VP: Das passierte als ich 18 Jahre alt war.

LA: Was passierte?

VP: Als mein Vater nach Afghanistan ging

LA: Was meinen Sie jetzt? Wann ging Ihr Vater nach Afghanistan?

VP: Im Sommer 1391 (2012)

LA: Das war vier Jahre bevor Sie nach Europa gekommen sind und Sie waren nie wieder in Afghanistan haben Sie gesagt, was hätten Sie jetzt für Probleme in Afghanistan?

VP: Ich kann nicht nach Afghanistan, wegen der Familie meiner Frau und der Familie des Exmannes und ich habe niemanden dort.

LA: Sie haben Ihre Frau und Ihr Kind und können ein Leben aufbauen? Sie sind ein erwachsener Mann!

VP: Es ist Krieg in Afghanistan, die Familien sind in Afghanistan wie soll ich dort hin?

...

LA: Wer ist im Iran wohin gekommen? Sie haben gesagt diese Männer sind im Iran gewesen? VP: Da waren wir nicht mehr da das war im Frühling XXXX wir waren ja schon weg, mir hat man erzählt, dass nach uns gesucht wird. Nachgefragt hinter mir und meiner Frau.

LA: Erzählen Sie mir das genau was ist wann passiert was haben die Männer gesagt, wer hat ihnen das erzählt?

VP: XXXX ist der Sohn meines Chefs der hat mir das erzählt, nachgefragt hat er gesagt, dass XXXX mit der Polizei zu uns nach Hause gekommen sind und dann hat er in der Werkstatt, wo ich gearbeitet habe, nach mir gefragt.

LA: Vorher hat er nie nach Ihnen gesucht oder Sie aufgesucht?

VP: Als XXXX spät abends nach Hause kam und sah dass seine Frau nicht mehr da ist, hat er die Polizei gerufen und ging mit der Polizei zu uns nach Hause da waren wir schon weg auf der Flucht.

LA: Von welchen Feinden sprechen Sie überhaupt? Warum sind das Ihre Feinde?

VP: Die Feinde meines Vaters sind die Leute von XXXX . Dieser Mann ist ein Feind von Kommandanten XXXX . Mein Vater hat für XXXX gearbeitet Aus dem Grund musste er Afghanistan verlassen als ich drei oder vier Jahre alt war. Viele Jahre später haben die Boten des XXXX zu uns nach Hause gefunden nach XXXX im Iran und haben meinen Vater eingeladen nach Afghanistan zu kommen und die wichtigen Informationen die er viele Jahre mit sich getragen hat preis zu geben, damit er begnadigt wird.

LA: Kennen Sie diese Männer (Feinde Ihres Vaters) persönlich?

VP: Ich habe sie gesehen aber ich kenne sie nicht.

LA: Warum kann Ihre Frau weiter in XXXX leben?

VP: Sie hat Angst und geht nicht außer Haus, sie ist zu Hause gefangen.

LA: Vorher haben Sie gesagt, sie ist Mutter und kann deswegen nicht arbeiten. Sie haben nicht gesagt, dass sie Angst hat oder zu Hause gefangen?

VP: Das war mein Fehler.

...

LA: Was hätten Sie bei einer Rückkehr nach Afghanistan konkret zu befürchten?

VP: Ich habe Angst vor der Familie meiner Frau und vor den Feinden meines Vaters."

Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, einen Schulabschluss zu machen, an Festen teilzunehmen, bei Jugend am Werk gearbeitet und privaten Menschen geholfen zu haben. Er lebe von der Grundversorgung und arbeite in der Straßenreinigung. Er habe Mitschüler und Österreicher als Freunde.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

mehrere Bestätigungen für die Teilnahme an Deutschkursen (Niveau A1.1 und A1.2):

-

ÖSD-Zertifikat A1 vom 13.02.2018;

-

Zwischenbericht über den BF von Jugend am Werk;

-

Empfehlungsschreiben einer Flüchtlingsbetreuerin und einer Lehrerin;

-

Teilnahmebestätigung an der Veranstaltung zum Thema "Familienformen und Gewaltschutz";

-

Terminkarte bei einem Interkulturellen Beratungs- und Therapiezentrum;

-

Bestätigung, wonach der BF an einem interreligiösen Friedensgebet teilgenommen habe;

-

Auszahlungsbestätigungen für geleistete Arbeit (Ausschneiden und Austragen von Ästen und Mähgut);

-

Bestätigung, wonach der BF am Vorbereitungslehrgang zur Pflichtschulabschlussprüfung teilnehme (Termin: 12.02.2018 bis 15.02.2019);

-

Fotos der Frau und des Kindes des BF sowie Fotos des BF bei Feiern mit Österreichern.

4. Am 16.11.2018 legte der BF eine Bestätigung über die Teilnahme an gemeinnütziger Arbeit (Straßenreinigung) vom 15.11.2018 vor.

5. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 29.01.2019 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei, sich zum muslimisch-schiitischen Glauben bekenne und der Volksgruppe der Saadat angehöre. Seine Identität habe nicht festgestellt werden können. Er sei Vater eines Sohnes, es habe aber nicht festgestellt werden können, dass er tatsächlich mit der Mutter des Kindes verheiratet sei. Er stamme aus der Provinz Daikundi, habe dort gemeinsam mit den Eltern bis etwa zu seinem vierten Lebensjahr gelebt und sei dann mit den Eltern in den Iran geflüchtet. Er habe acht Jahre in der Provinz Teheran, danach drei Monate in der Provinz XXXX und danach sechs Monate in XXXX gelebt. Seine Mutter, die Mutter seines Sohnes und der Sohn würden nach wie vor in XXXX leben. Der BF habe im Iran acht Jahre lang Privatunterricht erhalten und neun Jahre lang in einer Stoffverfahrenstechnik gearbeitet und sich so seinen Lebensunterhalt verdient. Eine individuelle Verfolgung in Afghanistan habe er nicht glaubhaft machen können.

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass die einvernehmliche Scheidung seiner nunmehrigen angeblichen Ehefrau nicht glaubhaft gewesen sei. Hätte deren Exmann die konkrete Absicht gehabt, den BF zu töten, dann wäre ihm dies auch gelungen. Der BF habe zwar angegeben, dass er Mashuma (die Mutter seines Sohnes) liebe, habe sie aber dennoch schwanger in XXXX zurückgelassen. Hinsichtlich der Verfolgung durch Feinde des Vaters wurde ausgeführt, dass die Familie schon vor über 20 Jahren Afghanistan verlassen habe. Der BF habe auch nie erwähnt, dass er wegen des Vaters von Leuten des Kommandanten aufgesucht worden wäre. Es sei daher auch nicht glaubhaft, dass der BF in Afghanistan von diesen aufgesucht werde, da der Vater nach Afghanistan zurückgekehrt sei und den Aufforderungen gefolgt sei. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der BF den Männern wichtig sein solle, zumal er damals noch ein Kleinkind gewesen sei. In Afghanistan bestehe auch kein Meldewesen, weshalb nicht davon auszugehen sei, dass die Familie des Exmannes oder die Feinde des Vaters den BF in Afghanistan ausfindig machen können.

Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass der BF jung, gesund und arbeitsfähig sei. Er leide an keinen lebensbedrohlichen Krankheiten. Seine Mutter arbeite und versorge den Sohn sowie die Mutter des Sohnes. Diese könne auch den BF unterstützen. Daikundi zähle zu den sicheren Provinzen und könne der BF auch in die Stadt Mazar-e Sharif, Kabul, Herat oder Bamyan zurückkehren. Er würde in keine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation geraten.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF illegal eingereist sei und keine Familienangehörigen und keine sonstigen relevanten privaten Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Er lebe von der Grundversorgung und sei nicht selbsterhaltungsfähig. Er habe Bildungsmaßnahmen wahrgenommen. Eine besondere Integrationsverfestigung bestehe nicht.

6. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde worin unschlüssige Beweiswürdigung und rechtliche Beurteilung sowie ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren gerügt wurde. Weiters wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass es die belangte Behörde unterlassen habe, auf das individuelle Vorbringen des BF einzugehen und die Gesamtbeurteilung anhand der verfügbaren Herkunftsstaatspezifischen Informationen und der Rechtsprechung entsprechend zu treffen. Es liege eine asylrechtlich relevante Verfolgung vor und würden sich keine Anhaltspunkte finden, dass das Vorbringen der Zwangsverheiratung der jetzigen Ehegattin mit deren Cousin nicht der Wahrheit entspreche. In Afghanistan seien außereheliche Beziehungen sowohl im Strafgesetzt als auch gemäß der Scharia verboten und gelten als ehrenverletzend. Aufgrund der unerlaubten Beziehung zu seiner jetzigen Frau werde der BF verfolgt und bestraft. Auch eine Verfolgung durch den Ehemann sowie dessen Familie sei nicht ausgeschlossen. Es wurde auf Artikel zu Blutfehden verwiesen und sei laut UNHCR die Situation bei einer außerehelichen Beziehung sowohl für die Frau, als auch für den Mann und dessen Familie gefährlich. Von einem ausreichenden Schutz in Afghanistan könne daher nicht ausgegangen werden. Weiters wurde daraufhin hingewiesen, dass die Sicherheitslage in Afghanistan nach wie vor prekär sei und die extreme Dürre zu einer Ernährungsunsicherheit führe. Auch sei der BF in Österreich bereits bestens integriert.

7. Am 18.02.2019 legte der BF ein Zeugnis über die bestandene Pflichtschulabschlussprüfung vom 15.02.2019 vor.

8. Am 13.09.2019 legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

Rahmenvertrag für den BF als selbstständiger Zeitungs- und Werbevermittler;

-

Verständigung des Magistrats vom 19.06.2019, wonach der BF zur Ausübung des Gewerbes "Werbemittelverteiler" berechtigt sei;

-

Auszüge betreffend die gewerbliche Tätigkeit des BF,

-

Mitteilung der Sozialversicherung vom 28.03.2019, wonach der BF von der Pflichtversicherung ausgenommen sei;

-

diverse Kontoauszüge der Sozialversicherungsanstalt (von April und Juli 2019);

-

Auszug aus dem Gewerbsinformationssystem;

-

Bestätigung von "Herz bewegt", wonach der BF am 08.08.2019 eine regelmäßige Spende von 20 EUR monatlich zugesagt habe;

-

Bestätigung der Krankenkasse über die Anmeldung einer geringfügigen Beschäftigung vom 04.09.2019.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 30.09.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in der der BF in Anwesenheit seiner Vertreterin ausführlich zu seinen Fluchtgründen, zu seinen persönlichen Umständen im Herkunftsstaat sowie seiner Integration in Österreich befragt wurde. Ein Vertreter des BFA nahm an der Verhandlung nicht teil. Die Verhandlungsmitschrift wurde der Erstbehörde übermittelt.

10. Am 05.12.2019 legte der BF Kontoauszüge der Sozialversicherungsanstalt (von Oktober 2019), eine Honorarnote (betreffend Speisenzustellung vom 01.10.-31.10.2019) sowie eine Vorschreibung der Wirtschaftskammer betreffend die Grundumlage vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des BF:

Der volljährige BF ist ein Staatsangehöriger Afghanistans, bekennt sich zum muslimischen Glauben (Schiit) und gehört der Volksgruppe der Saadat an. Der BF hat einen minderjährigen Sohn, welcher bei seiner Mutter im Iran lebt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF mit der Mutter seines Sohnes (einer Afghanin) traditionell verheiratet ist.

Der BF spricht die Sprachen Farsi und Dari.

Seine Identität steht nicht fest.

Der BF wurde in Afghanistan in der Provinz Daikundi geboren, wo er mit seinen Eltern bis etwa zu seinem vierten Lebensjahr lebte. Danach übersiedelten die Eltern gemeinsam mit dem BF in den Iran, wo der BF bis zu seiner Ausreise nach Europa lebte. Im Iran lernte der BF die Mutter seines Sohnes kennen.

Der BF hat in Afghanistan keine Verwandten. Sein Sohn, dessen Mutter und seine Mutter leben nach wie vor im Iran ( XXXX ). Die Mutter des BF ist erwerbstätig und versorgt den Sohn des BF und dessen Mutter. Der BF steht mit seiner Familie im Iran in Kontakt.

Es konnte nicht festgestellt werden, dass der Vater des BF tatsächlich verstorben ist.

Der BF erhielt im Iran etwa acht Jahre lang Privatunterricht und hat dort etwa acht bis neun Jahre lang im Bereich der Stoffverfahrenstechnik gearbeitet.

Der BF war zwar nur etwa bis zu seinem vierten Lebensjahr in Afghanistan aufhältig, er ist jedoch mit der afghanischen Kultur vertraut und in einem afghanischen Familienverband aufgewachsen.

Der BF leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheit. Er ist gesund und arbeitsfähig.

1.2. Zu den Fluchtgründen des BF:

Das vom BF ins Treffen geführte Verfolgungsvorbringen ist nicht glaubwürdig.

Es ist nicht glaubhaft, dass der BF im Iran die Mutter seines Sohnes - ohne Einwilligung ihrer Eltern - traditionell geheiratet hat und der BF oder seine Familie deshalb einer asylrelevanten Bedrohung oder Verfolgung durch die Familie dieser Frau ausgesetzt war/ist oder diese Familie den BF bzw. seine Familienangehörigen töten will.

Weiters ist nicht glaubhaft, dass der Vater des BF für einen Kommandanten namens XXXX gearbeitet hat und der BF deswegen - bei einer Rückkehr nach Afghanistan - von Feinden des Kommandanten bzw. Feinden des Vaters asylrelevant verfolgt werden wird.

Es kann nicht festgestellt werden, dass dem BF mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in Afghanistan eine an seine Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder seine politische Überzeugung anknüpfende aktuelle Verfolgung maßgeblicher Intensität droht.

Dem BF droht individuell und konkret, im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan, weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität.

Er hat mit den Behörden seines Herkunftsstaates weder aufgrund seiner Rasse, Nationalität, seines Religionsbekenntnisses oder seiner Volksgruppenzugehörigkeit noch sonst irgendwo Probleme.

Der BF war in Afghanistan auch keiner Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt und ist im Falle der Rückkehr nach Afghanistan keiner konkreten gegen ihn gerichteten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt.

Der BF hat mit seinem Vorbringen keine Verfolgung iSd GFK glaubhaft gemacht.

1.3. Zu einer möglichen Rückkehr des BF in den Herkunftsstaat:

Es kann nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass dem BF bei einer Überstellung in seine Heimatprovinz Daikundi aufgrund der volatilen Sicherheitslage und der dort stattfindenden willkürlichen Gewalt im Rahmen von internen bewaffneten Konflikten ein Eingriff in seine körperliche Unversehrtheit drohen würde.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befriedigen, ohne in eine auswegslose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen. Es kann nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Städte Mazar-e Sharif oder Herat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit in eine existenzbedrohende Notlage geraten würde.

Der BF ist jung, gesund und arbeitsfähig. Seine Existenz kann er in Mazar-e Sharif oder Herat - zumindest anfänglich - mit Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten sichern. Er ist auch in der Lage, eine einfache Unterkunft zu finden. Der BF hat auch die Möglichkeit, finanzielle Unterstützung in Form der Rückkehrhilfe in Anspruch zu nehmen, sodass er im Falle der Rückkehr - neben den eigenen Ressourcen - auf eine zusätzliche Unterstützung zur Existenzsicherung greifen kann. Diese Rückkehrhilfe umfasst jedenfalls auch die notwendigen Kosten der Rückreise. Er hat im Iran etwa acht Jahre lang privaten Unterricht erhalten und hat dort acht bis neun Jahre lang als Arbeiter in der Stoffverfahrenstechnik gearbeitet. Diese Berufserfahrung wird er auch in Mazar-e Sharif oder Herat nutzen können. Es ist dem BF möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedelung in der Stadt Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

Auch eine grundlegende medizinische Versorgung ist in Herat bzw. Mazar-e Sharif vorhanden.

Er kann die Städte Herat und Mazar-e Sharif von Österreich aus sicher mit dem Flugzeug erreichen.

1.4. Zum (Privat) Leben des BF in Österreich:

Der unbescholtene BF hält sich seit etwa drei Jahren und neun Monaten im Bundesgebiet auf. Seit etwa einem Jahr bezieht er keine Leistungen aus der Grundversorgung mehr. Er hat als Werbemittelverteiler gearbeitet, nunmehr ist er selbstständig im Zustellgewerbe - als Essenslieferant - tätig. Sein monatliches Einkommen hängt von der Anzahl der Zustellungen ab. Zuvor hat er auch gemeinnützige Arbeiten geleistet. Der BF hat mehrere Deutschkurse besucht, verfügt aber nur über einfache Deutschkurse und hat lediglich ein Deutsch-Zertifikat auf dem Niveau A1 abgeschlossen. Weiters hat er in Österreich den Pflichtschulabschluss gemacht und an diversen Veranstaltungen teilgenommen. Er gehört keiner religiösen Verbindung und keiner sonstigen Gruppierung in Österreich an. Der BF wohnt gemeinsam mit einem Mitbewohner in einer privaten Unterkunft, die Miete bezahlt er selbst. In seiner Freizeit trifft er sich mit Freunden. Eine nachhaltige Integration des BF im Sinne einer tiefgreifenden Verwurzelung im Bundesgebiet kann nicht erkannt werden. Der BF konnte zwar Empfehlungsschreiben (von Flüchtlingshelfern und Deutschlehrern) in Vorlage bringen, dabei handelt es sich aber um keine engen sozialen Beziehungen. Es halten sich keine Verwandten des BF in Österreich auf.

1.5. Zur maßgeblichen Situation in Afghanistan:

Unter Bezugnahme auf das zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung aktuellste Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (Stand 04.06.2019) und die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 werden folgende entscheidungsrelevante, die Person des BF individuell betreffende Feststellungen zu Lage in Afghanistan getroffen:

1. Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen KI vom 4.6.2019, politische Ereignisse, zivile Opfer, Anschläge in Kabul, IOM (relevant für Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 23/ Rückkehr).

Politische Ereignisse: Friedensgespräche, Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl

Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung, Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban, Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi, die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments, Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete, die Taliban hätten kein Interesse daran, Teil der aktuellen Regierung zu sein, und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel, einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an, betonte aber dennoch, dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen, um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil, was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen, das für Mitte April 2019 in Katar geplant war, zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019

(1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019).

Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche

Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019). Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reformand Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

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Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

KI vom 26.3.2019, Anschläge in Kabul, Überflutungen und Dürre, Friedensgespräche, Präsidentschaftswahl (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage; Abschnitt 3/Sicherheitslage; Abschnitt 21/Grundversorgung und Wirtschaft).

Anschläge in Kabul-Stadt

Bei einem Selbstmordanschlag während des persischen Neujahres-Fests Nowruz in Kabul Stadt kamen am 21.3.2019 sechs Menschen ums Leben und weitere 23 wurden verletzt (AJ 21.3.2019, Reuters 21.3.2019). Die Detonation erfolgte in der Nähe der Universität Kabul und des Karte Sakhi Schreins, in einer mehrheitlich von Schiiten bewohnten Gegend. Quellen zufolge wurden dafür drei Bomben platziert: eine im Waschraum einer Moschee, eine weitere hinter einem Krankenhaus und die dritte in einem Stromzähler (TDP 21.3.2019; AJ 21.3.2019). Der ISKP (Islamische Staat - Provinz Khorasan) bekannte sich zum Anschlag (Reuters 21.3.2019). Während eines Mörserangriffs auf eine Gedenkveranstaltung für den 1995 von den Taliban getöteten Hazara-Führer Abdul Ali Mazari im überwiegend von Hazara bewohnten Kabuler Stadtteil Dasht-e Barchi kamen am 7.3.2019 elf Menschen ums Leben und 95 weitere wurden verletzt. Der ISKP bekannte sich zum Anschlag (AJ 8.3.2019).

Überflutungen und Dürre

Nach schweren Regenfällen in 14 afghanischen Provinzen kamen mindestens 63 Menschen ums

Leben. In den Provinzen Farah, Kandahar, Helmand, Herat, Kapisa, Parwan, Zabul und Kabul, wurden ca. 5.000 Häuser zerstört und 7.500 beschädigt (UN OCHA 19.3.2019). Dem Amt für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten der Ve

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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