TE Bvwg Erkenntnis 2020/1/31 W142 2128890-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 31.01.2020
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Entscheidungsdatum

31.01.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W142 2128890-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Dr. Irene HOLZSCHUSTER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.05.2016, Zl. 1068094009/150496777, nach Durchführung von mündlichen Verhandlungen am 06.06.2019 und am 19.12.2019 zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) ist Staatsangehöriger von Afghanistan und stellte am 12.05.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Bei seiner Erstbefragung am selben Tag gab der BF an, er sei in Faryab geboren und traditionell sowie standesamtlich verheiratet. Seine Muttersprache sei Dari. Er sei sunnitischer Moslem und habe 12 Jahre lang die Grundschule in Faryab besucht. Zuletzt habe er als Bauer gearbeitet. Sein Vater sei bereits verstorben. Er habe noch seine Mutter, seine Ehefrau, zwei Söhne, zwei Töchter, vier Brüder und eine Schwester. Er habe in Afghanistan in Faryab gelebt.

Als Fluchtgrund gab der BF an, dass er von den Taliban verfolgt und bedroht worden sei. Bei einer Rückkehr habe er Angst vor den Taliban.

3. Am 19.04.2016 wurde der BF beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) niederschriftlich in der Sprache Dari einvernommen. Der BF gab an, dass es ihm gesundheitlich gut gehe, er keine Medikamente und keine medizinische Betreuung benötige. Sein Name sei falsch geschrieben worden. Laut seiner Tazkira werde dieser XXXX geschrieben.

Zu seinen persönlichen Verhältnissen gab er ergänzend an, der Volksgruppe der Usbeken anzugehören. Er spreche Dari und Usbekisch. Er habe 11 Jahre die Grundschule besucht und die Matura nachgeholt. Seine finanzielle Situation sei gut, er habe selbstständig in einer Lebensmittelfabrik gearbeitet. An seiner Adresse im Herkunftsstaat würde niemand wohnen, das Haus stehe leer. Seine Familie lebe bei seiner Schwiegermutter in XXXX . Er sei beruflich immer viel unterwegs gewesen, unter anderem in Kabul. Gelebt habe er aber immer in Faryab. Seine Familie, seine Mutter, seine Geschwister und seine Schwiegerfamilie lebe noch in Afghanistan. Sie hätten von seinem Vater sechs Häuser geerbt (alle in XXXX ). Dort lebe die gesamte Familie. Das Verhältnis zu den Angehörigen sei gut, er telefoniere jeden Tag. Er besitze in seinem Heimatort ein großes Haus mit Grundstück (ca. 3.000qm groß). Ca. 500m entfernt sei sein Geschäft. Seinen Lebensunterhalt habe er aus seiner selbstständigen Tätigkeit in einer Lebensmittelfabrik bestritten (von 2009-2016). Er habe klein angefangen, aber nun hätten sie 10 Angestellte. Die Fabrik habe keinen bestimmten Namen, man sage dort Fabrik " XXXX ". Sie würden Schafsdärme nach Kabul liefern, diese würden dann weiter nach Deutschland gehen. Die Fabrik würde nicht mehr existieren, er habe Probleme mit seinen Brüdern bekommen. Nach Vorhalt, dass er beim BFA angegeben habe Bauer gewesen zu sein, gab der BF an, dass dies nicht stimme und ein Fehler sei. Laut Dolmetscher würde auch auf der Tazkira stehen, dass der BF Besitzer einer Schafsdarmfabrik sei.

Zu seinem Leben in Österreich gab er an, dass die Cousine seiner Frau in Linz lebe. Er mache einen Deutschkurs und sei kein Mitglied in Vereinen. Er habe zwei Tage Nachbarschaftshilfe geleistet.

Zu seinen Fluchtgründen befragt, gab der BF wie folgt an:

[...]

A: Vor ca. 7 Jahren habe ich meine Firma in Faryab eröffnet. Ich habe überall in den Regionen von verschiedenen Metzgern Schafsdärme gekauft. In einem Bezirk namens XXXX habe ich ein Haus gekauft. Dort habe ich die Schafsdärme gelagert. Dort machte ich alle Vorbereitungen. Dann wurde alles zur Fabrik gebracht. In dieser Umgebung waren die Taliban sehr aktiv. Mein Vater stammt aus der Umgebung, deswegen haben wir dort viele Verwandte. Ca. 2 Monate vor meiner Ausreise war ich in XXXX und habe dort in meinem Lager gearbeitet. Auf einmal kam es zu einem Kampf zwischen den Taliban und den afghanischen Regierungstruppen. Die Regierung griff die Taliban an. Ich ging zum nächsten Dorf. Dort lebte ein guter Bekannter meines Vaters namens XXXX . 3 Tage und 3 Nächte blieb ich bei ihm. Eines Tages sah ich einen Polizisten aus Faryab. Er sagte, dass in einer Stunde ein Polizeiauto nach XXXX fährt und dass ich mitfahren kann. Dann war ich wieder zu Hause. Ca. 10 Tage blieb ich zu Hause. Während dieser Zeit eroberten die Taliban die Gebiete zurück. XXXX kam zu uns und sagte, dass die Taliban bei diesem Krieg mehrere Leute verloren haben. Ca. 100 Taliban wurden getötet. Ich wurde als Spion der afghanischen Regierung dargestellt, weil ich mit dem Polizeiauto mitfuhr. Die Leute beobachteten mich dabei und haben die Taliban benachrichtigt, dass ich das Versteck der Taliban verraten hätte. Aufgrund meiner Information wären so viele Taliban verstorben. XXXX sagte, dass ich vorsichtig sein soll. 2 Tage später kam ein Mann. Er hatte ein Messer in der Hand und griff mich an. Ich wehrte mich und wurde nicht getötet. In der Nähe unseres Hauses gibt es NGO's und eine Polizei. Daher war die Sicherheit sehr gut. Der Mann ist dann geflüchtet. Ich dachte, dass die Taliban nicht locker lassen werden. Deshalb verließ ich Afghanistan. Nach meiner Flucht zerstörten die Brüder meine Fabrik.

F: Haben Sie noch weitere Gründe, weshalb Sie Ihr Heimatland verlassen haben?

A: Nein.

F: Haben Sie sämtliche Gründe und Vorfälle, welche Sie zum Verlassen Ihres Heimatlandes veranlasst haben, angeführt?

A: Ja.

...

F: Waren die Umsätze in Ihrer Firma die letzten Jahre immer gleich?

A: Gut, bis zum Schluss lief das Geschäft gut.

F: Wer genau hat Sie dabei beobachtet, als Sie in das Polizeiauto gestiegen sind?

A: Ich weiß es nicht, man sagt, dass es die Dorfbewohner gewesen wären.

F: Wer genau hat dann Kontakt mit den Taliban aufgenommen?

A: XXXX sagte zu mir, dass die Taliban mit ihm Kontakt aufgenommen hätte und nach mir gefragt hätten. Sie fragten nach mir. Sie sagten, dass sie verlässliche Informationen hätten. Viele der Taliban Kämpfer wären getötet worden.

F: Wieso haben Sie nicht durch den Weißbärtigen und den Mullah des Dorfes den Taliban erklärt, dass Sie nur zufällig dort waren und das Versteck nicht verraten haben?

A: Die Taliban sind Verbrecher und nicht berechenbar. Wenn sie auf jemanden fixiert sind, bringen sie ihn um. Das habe ich oft erlebt. Für die Taliban war ich ein Spion.

F: Aber sie wurden nicht umgebracht.

A: Ich bin rechtzeitig geflüchtet. Unser Nachbar, ein Polizist, sagte, dass die Regierung mich nicht beschützen kann.

F: Wer war der Mann, der Sie attackiert hätte?

A: Ich weiß es nicht, er tauchte aus dem Nichts aus, ich sagte das auch bei der Polizei in Afghanistan.

F: Haben Sie Anzeige erstattet?

A: Ich meldete den Vorfall, es wurde aber nicht schriftlich aufgenommen.

F: Nannte der Mann mit dem Messer Ihren Namen?

A: Nein. Er kam einfach auf mich zu.

F: Haben Sie das Gefühl, dass das mit den Taliban zusammen hängt?

A: Nein, ich kannte den Mann nicht. Ich weiß nicht ob er zu den Taliban gehört, aber es war zwei bis drei Tage nach der Warnung meines Freundes.

F: Wo war der Vorfall?

A: Genau vor unserem Haus.

F: Wie sah der Mann aus?

A: Er war ein junger Mann, ca. 25 Jahre alt. Er war gekleidet wie die Leute aus dem Dorf. Mit einem Turban verdeckte er das Gesicht.

F: Wie kann Ihre Familie, insbesondere Ihre Brüder, ohne Probleme dort leben?

A: Sie haben Probleme, meine Kinder dürfen die Schule nicht besuchen, meine Familie verlässt das Haus nicht. Unbekannte Männer waren bei meinen Brüdern und fragten nach mir. Sie dementierten den Kontakt zu mir.

F: Wurde Ihnen ausreichend Zeit eingeräumt, ihre Probleme vollständig und so ausführlich, wie Sie es wollten, zu schildern?

A: Ja.

F: Haben Sie sich wegen Ihrer Probleme an die Polizei, an ein Gericht, eine Behörde, einen Anwalt, eine Menschenrechtsorganisation, wie die in Ihrer Nähe, oder sonst eine Stelle gewandt?

A: Nein.

F: Warum nicht?

A: Die Menschenrechtsorganisation erfuhr davon. XXXX arbeitet dort und wusste Bescheid. Aber er konnte nichts machen.

[...]

Zu seinem Leben in Österreich gab er an, in einer betreuten Unterkunft der Grundversorgung zu leben. Er wolle arbeiten und Deutsch lernen.

Bei einer Rückkehr in seine Heimat befürchte er von den Taliban getötet zu werden. Er sei Landesverräter und wisse von seinem Bruder, dass die Taliban noch hinter ihm her seien. Er könne auch nicht in einem anderen Teil seines Heimatlandes leben, da man ihn überall finden werde.

Im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

Tazkira des BF;

-

Tazkira der Frau und der Kinder.

4. Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesamtes vom 20.05.2016 wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt I.). Unter Spruchpunkt II. wurde der Antrag des BF bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Ferner wurde dem BF unter Spruchpunkt III. ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan gemäß § 46 FPG zulässig sei. In Spruchpunkt IV. wurde festgehalten, dass die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

Das Bundesamt stellte fest, dass der BF afghanischer Staatsangehöriger sei, sich zum sunnitisch-muslimischen Glauben bekenne und der Volksgruppe der Usbeken angehöre. Seine Identität habe nicht zweifelsfrei festgestellt werden können. Der BF sei verheiratet und habe zwei Söhne und zwei Töchter. Der BF sei selbstständiger Unternehmer einer Lebensmittelfabrik gewesen. Die finanzielle Situation der Familie sei gut gewesen. Er habe keine asylrelevanten Gründe glaubhaft machen können.

Beweiswürdigend führte das BFA im Wesentlichen aus, es sei völlig unglaubwürdig, dass ausgerechnet der BF als Spion der afghanischen Regierung dargestellt worden sei, zumal es sich bei ihm um keine "High Profile-Person" handle. Auch habe er nicht angeben habe können, wer ihn bei den Taliban verraten habe oder mit dem Messer attackiert habe, was ebenso unglaubwürdig sei. Weiters sei nicht glaubwürdig, dass der BF in ein Polizeiauto eingestiegen wäre und damit nach Hause gebracht worden sei. Der BF habe angegeben, dass die Taliban eine Person sofort umbringen würden, wenn sie auf diese fixiert wären. Daraus könne aber geschlossen werden, dass auch der BF längst nicht mehr am Leben sein müsste und erscheine sein Vorbringen erneut völlig unglaubwürdig. Auch könne die gesamte Familie des BF nach wie vor im Heimatort leben, weshalb auch der BF dort leben könne.

Betreffend die Nichtzuerkennung des subsidiären Schutzes wurde ausgeführt, dass der BF gesund und arbeitsfähig sei. Seine Familie würde in Afghanistan im Heimatdorf leben, mit dieser stehe der BF in Kontakt. Es sei ihm möglich, Unterstützung seiner Familie in Anspruch zu nehmen, da der BF und seine Geschwister sechs Häuser vom Vater geerbt hätten. Eine Rückkehr nach Afghanistan zu seiner Familie sei für den BF zumutbar und möglich, er würde nicht in eine die Existenz bedrohende Notlage geraten. Auch könne der BF Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Zur Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der BF illegal eingereist sei und keine familiären Anknüpfungspunkte in Österreich habe. Er besuche einen Deutschkurs. Eine besondere Integration bestehe nicht. Er arbeite geringfügig für die Caritas, sei aber nicht selbsterhaltungsfähig und lebe von der Grundversorgung.

5. Gegen den Bescheid des BFA richtet sich die vollumfängliche Beschwerde, in welcher inhaltliche Rechtswidrigkeit, unrichtige rechtliche Beurteilung und die Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht wurden. Weiters wurde ausgeführt, dass die Länderfeststellungen mangelhaft und unvollständig seien. Die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan - insbesondere auch in der Provinz Faryab - sei prekär. Dazu wurde auf zahlreiche Berichte aus den Jahren 2016 verwiesen. Auch die Beweiswürdigung der belangten Behörde sein unschlüssig, der BF habe sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet. Die Behörde habe keinen Abgleich mit den einschlägigen Länderfeststellungen vorgenommen und könnten daher keine Aussagen über die Plausibilität der Aussagen des BF getroffen werden. Die vom BFA angegebenen vermeintlichen Widersprüche hätten sich bei näherer Auseinandersetzung leicht auflösen lassen. Die Behörde habe völlig außer Acht gelassen, dass der BF schon von einem Attentäter attackiert worden sei und sich gegen diesen wehren habe können. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Behörde argumentiere, dass es sich beim BF um keine "High-Profile-Person" handle, zumal dieser in XXXX eine eigene Firma gehabt habe und dort sehr bekannt gewesen sei. Mehrere Leute in der Nähe hätten gesehen, wie er in das Polizeiauto eingestiegen sei und sei der BF auch von seinem Freund XXXX vor den Taliban gewarnt worden. Es sei daher sehr wohl nachvollziehbar, dass der BF von den Taliban als Spion dargestellt werde. Die belangte Behörde gehe davon aus, dass der BF in einem verfolgungssicheren Ort leben könne, habe jedoch diesen Ort nicht benannt. Soweit das BFA zum Schluss komme, dass der BF Unterstützung seiner Familie in Anspruch nehmen könne, so sei dem zu entgegnen, dass seine Familie mittlerweile bei den Schwiegereltern wohne. Die Familie habe Probleme (die Kinder würden nicht die Schule besuchen dürfen und seine Familie würde das Haus nicht verlassen). Zudem hätten die Brüder die Firma des BF zerstört, damit sie nicht selbst Probleme mit den Taliban bekommen würden. Die Beweiswürdigung der Behörde sei daher zur Gänze mangelhaft. Für den BF gäbe es auch keine IFA, zumal der BF über keine familiären oder sozialen Anknüpfungspunkte in anderen Landesteilen verfüge und die afghanischen Behörden ihn nicht beschützen könnten. Dem BF sei Asyl, ansonsten subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen. Auch eine Rückkehrentscheidung sei nicht zulässig.

Mit der Beschwerde brachte der BF folgenden Unterlagen in Vorlage:

-

Bestätigung betreffend die Geschehnisse in Afghanistan;

-

Bestätigung, wonach der BF seit 01.10.2015 über das Projekt "Nachbarschaftshilfe" regelmäßig beschäftigt sei;

-

Kursbestätigung für den Kurs "Deutsch als Fremdsprache (Lesen und Schreiben 2) von Februar bis Mai 2016.

6. Am 04.06.2019 langte eine Stellungnahme des BF ein. Es wurde auf die Anfragebeantwortung zur Situation von Personen, die von den Taliban verdächtigt werden, als Spion für die Regierung zu arbeiten sowie die Anfragebeantwortung zur Organisation und Struktur der Taliban verwiesen. Weiters wurde ausgeführt, dass die Sicherheitslage in der Provinz Faryab nach wie vor prekär sei und auf die UNHCR-Richtlinien sowie den EASO-Bericht von April 2019 verwiesen. Dieser halte fest, dass neben der schlechten Sicherheitslage in ganz Afghanistan auch Nahrungsmittelknappheit, Hunger und Wasserknappheit herrsche. Laut dem ACCORD-Bericht "Afghanistan: Entwicklung der wirtschaftlichen Situation, der Versorgungs- und Sicherheitslage in Herat, Mazar-e Sharif (Provinz Balkh) und Kabul 2010-2018" von Dezember 2018 habe sich auch die Lage in der Provinz Balkh verschlechtert. Binnenvertriebene würden überwiegend unter unzumutbaren Umständen leben. Die Aufnahmekapazitäten in den Provinzhauptstädten wie Kabul, Herat und Mazar-e Sharif seien stark überlastet, es sei der Zugang zu Wohnraum und dem Arbeitsmarkt nicht gewährleistet. Das Gutachten von Friedericke Stahlmann belege, dass die Zugehörigkeit zu einem sozialen Netzwerk essentiell sei, um Zugang zu grundlegenden Leistungen bekommen zu können. Auch die Dürre sei für die Knappheit der Wasserversorgung im Umland von Mazar-e Sharif und Herat verantwortlich.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 06.06.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein der Rechtsvertreterin des BF eine öffentliche mündliche Verhandlung durch.

Der BF gab an, gesund zu sein. Sein Name laute XXXX . Er habe in der Heimat Familie. Er habe vier Brüder, seine Mutter und seine Schwester. Jetzt seien alle in der Türkei. Er habe 12 Jahre lang die Schule besucht und die Matura abgeschlossen. Er habe eine kleine Fabrik gehabt in der sie Schafsfelle verarbeitet hätten. Nachdem er weggegangen sei, sie diese zugesperrt worden. Seine Ehefrau und die Kinder würden derzeit in XXXX , in der Provinz Faryab leben. Seine Familie lebe von ca. 5.000 USD (aus dem Verkauf der Fabrik und des Hauses). Seine Frau lebe bei ihrem Bruder und ihrer Mutter gemeinsam in einem kleinen Haus.

Nach seiner Tätigkeit in der Firma befragt, gab der BF an, dass er die Felle von den Metzgern gesammelt und sie in der Fabrik in Salzwasser eingelegt und verpackt habe. Er habe sie nach Kabul an verschiedene Firmen verkauft. Er habe zudem eine Tante und einen Onkel mütterlicherseits die in seiner Heimatstadt XXXX in Afghanistan leben würden und von der Bewirtschaftung ihrer eigenen Getreidefelder leben würden. Weiters würden vier Schwestern des verstorbenen Vaters in der Umgebung von Faryab leben und dort den Lebensunterhalt durch Grundstücke bzw. Schafe bestreiten. Zu seiner Volksgruppenzugehörigkeit befragt, gab der BF an, er sei väterlicherseits Tadschike, mütterlicherseits Usbeke. Er sei aber den Tadschiken zugehörig. Auf seinen Dokumenten sei als Muttersprache Usbekisch vermerkt.

Zu den vorgelegten Dokumenten gab der BF wie folgt an:

[...]

R: Sie haben Dokumente vorgelegt: Ist dies auf der AS 65 Ihre Tazkira?

BF: Ja.

R: Was ist das auf der AS 67 für ein Dokument?

BF: Das ist das Abschlusszeugnis der 12. Klasse.

R: Was ist das auf der AS 69 für ein Dokument?

BF: Es gehört zur Tazkira.

R: Was ist das auf der AS 71 für ein Dokument?

BF: Es gehört auch zur Tazkira. Es ist die Tazkira meines Sohnes Mujib. Das Dokument auf der Seite 73 ist die Tazkira meines Sohnes Kayhan. Auf Seite 75 befindet sich die Tazkira meiner Ehefrau.

R: Was ist das Dokument auf der Seite 91?

BF: Das ist mein Maturazeugnis.

R: Was ist das Dokument auf der Seite 93?

BF: Die Eheschließungsbestätigung, das Dokument wurde erst später nach der Eheschließung vom Gericht ausgestellt.

R: Was ist das Dokument auf der Seite 95?

BF: Das ist die Rückseite des Eheschließungsdokumentes.

R: Was ist das Dokument auf der Seite 241 und 243?

BF: Es ist ein Schreiben, worin bestätigt wird, dass ich in Afghanistan Probleme habe. Ich habe dieses Schreiben erst nach dem negativen Bescheid des Bundesamtes erhalten, nachdem mir die Diakonie gesagt hat, dass ich etwas brauche, wo bestätigt wird, dass ich Probleme in Afghanistan habe und deshalb nicht zurückkehren kann.

R: Wer hat Ihnen das Dokument geschickt?

BF: Mein Bruder hat es mir zugeschickt. Er hat damals mit mir gemeinsam in der Heimat gearbeitet.

R: Wissen Sie genau, wann Ihnen Ihr Bruder das geschickt hat?

BF: Genau weiß ich es nicht mehr. Als ich den negativen Bescheid von BFA erhalten habe und ich mit der Diakonie gesprochen habe, hat es ca. einen Monat gedauert, bis ich dieses Schreiben erhalten habe.

R: Was steht jetzt genau in diesem Schreiben auf der AS 241 und 243?

BF: Dass ich Probleme hatte und diese Probleme auch bei der afghanischen Behörde angezeigt wurden. Es bestätigt auch, dass mir die afghanische Polizei bei meiner Flucht aus Afghanistan geholfen hat. Ich habe die Polizei in Afghanistan angerufen und habe gesagt:

"Ich brauche eine Betätigung, dass ihr mir bei der Flucht geholfen habt". Dieser Polizist wusste von meiner Flucht und deshalb habe ich die Bestätigung bekommen.

R: Von wem wurde diese Bestätigung ausgestellt?

BF: Die Polizei hat es dort ausgestellt.

R: Welche Polizei hat es ausgestellt?

BF: Die Sicherheitspolizei in der Stadt XXXX .

R: Sie persönlich haben diese Sicherheitspolizei in XXXX angerufen?

BF: Ich habe meinen Bruder angerufen und der hat seinen Hörer dem Polizisten gegeben und dann habe ich mit dem Polizisten gesprochen. Ich habe meinen Bruder angerufen und ihm gesagt, er möge zur Polizei gehen und wenn ich ihn wieder anrufe, soll er den Hörer dem Polizisten geben, damit ich mit ihm sprechen kann.

R: Wieso haben Sie nicht persönlich am Telefon der Sicherheitspolizei angerufen?

BF: Ich habe die Nummer von denen nicht.

R: Aber Ihr Bruder hätte Ihnen die Nummer doch geben können.

BF: Er hat sie mir später gegeben und auf dem Schreiben steht auch die Telefonnummer.

R: Zeigen Sie mir die Telefonnummer auf dem Schreiben.

BF zeigt auf dem Schreiben auf der AS 243 die Telefonnummer. Die Telefonnummer der Sicherheitspolizei in XXXX lautet: XXXX.

R: Heißt das, wenn ich von Österreich aus diese Nummer anrufe, bin ich mit der Sicherheitspolizei in XXXX verbunden?

BF: Ja, Sie können das. Ob derzeit jemand dort ist, weiß ich nicht. Aber Sie können es gerne versuchen. Es ist eine Polizeistation.

R wählt die oben genannte Telefonnummer. In XXXX ist es derzeit ca. 12:48 Uhr. Es kommt zu keiner Verbindung, es ertönt immer nur ein Besetztzeichen. Die Telefonnummer wird von der R drei Mal gewählt.

BF: Als ich bei dieser Polizeistation angerufen habe, hat mir ein Polizist bestätigt, dass meine Geschichte wahr ist und die haben wiederum mit höheren Behörden Kontakt aufgenommen und diese haben auch bestätigt, dass meine Geschichte wahr ist und deshalb gibt es mehrere Unterschriften mit Fingerabdrücken auf dem Dokument. Das sind höhere Polizisten, die diese Unterschriften und Fingerabdrücke geleistet haben.

R: Wie viel mussten Sie bezahlen, um dieses Dokument zu erhalten?

BF: Nein, er hat kein Geld von mir bekommen. Er wusste von meinem Leben und ich musste nichts bezahlen dafür.

R: Wo befindet sich das Kuvert, worin diese Bestätigung von Ihrem Bruder nach Österreich übermittelt wurde?

BF: Es wurde mir per Post von meinem Bruder geschickt, das Kuvert habe ich jedoch verloren.

R: Welcher Bruder hat Ihnen diese Bestätigung geschickt? Können Sie mir den Namen bitte aufschreiben?

BF: Zainullah (siehe Beilage ./A).

Die BFV gibt an, bei der Diakonie in Feldkirch nachzufragen, ob sich das Kuvert oder eine Kopie davon im Akt befindet.

[...]

R: Wo befindet sich das Original dieser Bestätigung. Im Akt befindet sich eine Farbkopie?

BF: Das Dokument, auf der AS 241 und 243 habe ich vorgelegt. Ich habe lediglich diese Farbkopie der Bestätigung aus Afghanistan erhalten.

R: Wo befindet sich das Original?

BF: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Ich kann mit der Polizei reden und fragen, wo das Original ist.

R: Wie wollen Sie mit der Polizei reden?

BF: Ich muss dann mit meiner Frau Kontakt aufnehmen, dass sie dorthin geht und vor Ort das Handy einem Polizisten gibt und ich dann mit dem Polizisten sprechen kann und ich ihnen sage, dass sie mir vor ca. drei Jahren diese Bestätigung geschickt haben und sie frage, wo sich das Original befindet.

R: Wieso rufen Sie nicht selbst bei der Polizei an? Sie haben doch selbst die Telefonnummer der Polizei bekanntgegeben. Warum muss Ihre Frau mit ihrem Handy hingehen, damit Sie mit einem Polizisten sprechen können?

BF: Ich habe jetzt diese Telefonnummer nicht, ich habe sie mir nicht aufgeschrieben. Aber, wenn Sie mir die Nummer geben, werde ich die Polizei anrufen.

R wählt erneut die oben angeführte Telefonnummer, kann aber niemanden erreichen. Es ertönt immer ein Besetztzeichen.

R: Können Sie mir die Telefonnummer Ihrer Frau geben?

BF schaut auf seinem Handy nach und gibt sein Handy der BFV. R fordert die BFV, ihr das Handy zu übergeben. Der BF kommt zur R vor und wählt die Nummer seiner Frau. Er spricht mit ihr Usbekisch.

R: Warum sprechen Sie mit Ihrer Frau Usbekisch?

BF: In XXXX wird hauptsächlich Usbekisch gesprochen. Meine Frau kann auch Dari sprechen.

R: Warum haben Sie mit ihr dann nicht auf Dari gesprochen, damit wir es alle verstehen?

BF: Wenn ich sie wieder anrufe, kann ich mit ihr auf Dari sprechen. In XXXX sind viele Usbeken und jeder spricht zu Hause untereinander Usbekisch.

R: Wer spricht innerhalb Ihrer Familie Usbekisch?

BF: Die ganze Familie. Mein Vater konnte Usbekisch, daher hat er auch meine Mutter geheiratet. Meine Familie spricht untereinander Usbekisch. Meine Tazkira ist auch in usbekischer Sprache geschrieben.

R: Warum ist die Tazkira in usbekischer Sprache geschrieben?

BF: Nein, sie ist in Farsi geschrieben, aber auf der Tazkira steht, dass meine Muttersprache Usbekisch ist.

R: Von was lebt Ihre Ehefrau in Afghanistan?

BF: Ich schicke ihr immer so ca. 100 Euro. Ich bekomme von der Caritas Geld und wenn ich arbeite, bekomme ich auch etwas Geld. Außerdem hat sie vom Hausverkauf 5.000 USD bekommen. Das Haus wurde vor ca. zwei Jahren von meinem Bruder verkauft. Ich kann nicht genau sagen, an welchem Datum das war.

R: Wie viel hat Ihre Reise nach Österreich gekostet?

BF: Ca. 7.000 Euro.

R: Woher hatten Sie das Geld?

BF: Ich selber hatte Geld. Ich hatte ca. 25.000 USD. Ich habe diese Fabrik gehabt.

R: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, nach Österreich zu reisen?

BF: Die Familie von meiner Frau lebt in Linz und sie haben mit mir gesprochen und haben gesagt: "Komm nach Österreich, hier ist es sicher". Deswegen habe ich die Reise nach Europa begonnen.

R: Wieso ist Ihre Frau mit den Kindern nicht mit Ihnen mitgereist?

BF: Weil ich mit Hilfe von Schleppern unterwegs war und diese Reise für meine Familie zu gefährlich gewesen wäre. Ich musste durch mehrere Länder reisen.

[...]

R: In welcher Sprache ist dieses Schreiben von AS 241 und 243 verfasst?

BF: In Dari.

R: Wieso wurde dieses Schreiben nicht übersetzt?

BF: Wo hätte ich das übersetzen lassen sollen? Ich habe es der Diakonie eh gegeben?

R: Was steht in diesem Schreiben?

Der BF liest vor und die D übersetzt: Sehr geehrter Herr XXXX ! Der Sohn von XXXX , der Fabrikbesitzer, in dem Ort XXXX , in der Provinz Faryab, der die Tätigkeit der Schaffell- und Schafdarmbearbeitung gemacht hat, der die Schaffelle und Schafdarme von Metzgern aus XXXX immer abgeholt hat und in seiner Fabrik verarbeitet hat, diese sind in Salzwasser eingelegt worden und geputzt worden und verpackt worden. Zwischen den Taliban und der afghanischen Behörde kam es zu einem Kampf und ich habe mich zu dieser Zeit in dem Raum in XXXX befunden und gearbeitet.

Erklärend gibt der BF an, dass er sich einen Raum in XXXX gemietet hat und dort seine Arbeit gemacht hat.

Der BF liest weiter und die D übersetzt: Bei diesem Kampf kamen viele Taliban ums Lebens, darunter waren wichtige Taliban-Personen. Dieser Kampf hat drei Tage gedauert und XXXX hat in diesen drei Tagen bei der Familie XXXX Schutz gesucht. Alle haben sich in den Häusern versteckt, weil es Krieg gab und keiner hat sich getraut, hinauszugehen. Er ist mit dem behördlichen Auto (Ranger) nach XXXX gebracht worden. Als die Behörden mich nach XXXX gebracht haben, haben die Bewohner von XXXX gesehen, dass ich mit dem behördlichen Auto dorthin gebracht wurde und deshalb haben mich die Leute von XXXX beschuldigt, ein Spion zu sein.

R bricht die Übersetzung ab, da der BF augenscheinlich nicht das Dokument liest, sondern eigene Erklärungen mit einbringt. Daher wird eine schriftliche Übersetzung des Dokumentes auf den AS 241 und 243 veranlasst.

[...]

Zu seinem Leben in Österreich gab er an, ehrenamtlich (für 4 EUR/Stunde) bei der Caritas gearbeitet zu haben. Zur vorgelegten Arbeitsbestätigung gab der BF an, dass er in den Motels Reinigungsarbeiten durchführen, in der Küche mithelfen und ein bisschen kochen solle. In Linz würden Verwandte seiner Frau leben.

Nach der Rückübersetzung gab der BF wie folgt an:

[...]

Nach der Rückübersetzung gibt der BF an, dass er die Probleme nicht angezeigt hat, sondern die Polizisten von dem Vorfall, der passiert ist, gewusst haben und sie mich von XXXX mit einem Auto nach Hause in meinen Heimatort gebracht haben.

Nach der Rückübersetzung gibt der BF weiters an, dass er mit zwei Autos und 6 Polizisten in seinen Heimatort von XXXX gebracht wurde. Einer von den 6 Polizisten sei ein Freund von ihm. Da sich dieser genau an diesen Tag erinnern konnte, hat er veranlasst, dass dieses Schreiben verfasst wird und dieses einschließlich seines Freundes und den anderen fünf Polizisten, die ihn begleitet haben und auch von höheren Polizisten unterschrieben wurde. Diese höheren Polizisten konnten deswegen diese Bestätigung unterfertigen, weil die 6 Polizisten diesen Vorfall bestätigt haben.

Nach der Rückübersetzung gibt der BF weiters an, dass er für diese Bestätigung deshalb nichts habe zahlen müssen, weil sein Freund diese Bestätigung veranlasst hat.

[...]

Im Zuge der Verhandlung legte der BF folgende Unterlagen vor:

-

Arbeitszusage vom 04.06.2019, wonach bestätigt werde, dass der BF unverzüglich im Unternehmen ( XXXX ) nach den Bedingungen des Kollektivvertrages eingestellt werde, sobald der BF eine Arbeitserlaubnis für Österreich erhalte;

-

Undatierter Arbeitsrechtlicher Vorvertrag (Verwendung als Küchenhilfe für 40 Wochenstunden, Bruttolohn EUR 1.600,-, Probezeit ein Monat, unbefristet);

-

Bestätigung, wonach der BF die Kurse A1.1., A1.2. und Förderkurs Sprache im Jahr 2017 und den Kurs A2.1. von Mai bis Juli 2018 besucht habe;

-

Bestätigung, wonach der BF von Jänner 2017 bis April 2018 gemeinnützige Tätigkeiten im Ausmaß von bis zu 27,5h monatlich verrichtet habe (Reinigung der Außenanlage, Entfernen von Unkraut, Freimachen von Schächten, Ein- und Ausräumen von Möbeln etc.);

-

Bestätigung, wonach der BF von August bis November 2017 den Kurs "Deutsch als Fremdsprache (Kurs A1.2)" besucht habe.

Die Verhandlung wurde auf unbestimmte Zeit vertagt.

8. In weiterer Folge wurde vom Bundesverwaltungsgericht die Übersetzung des vorgelegten

Schreibens (AS 241 und 243) veranlasst.

9. Am 19.06.2019 langte eine nicht unterschriebene Stellungnahme/Protokollrüge der Rechtsvertretung des BF beim Bundesverwaltungsgericht ein. Es wurde zusammengefasst ausgeführt, dass das Verhandlungsprotokoll vom 06.06.2019 von der Rechtsvertreterin nicht unterschrieben worden sei, da diese zum Schluss der mündlichen Verhandlung um Protokollierung ihrer Einwendungen wegen Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der Niederschrift ersucht habe, dies jedoch verweigert worden sei. Ferner sei der Antrag auf Unterbrechung der Verhandlung trotz Ersuchen nicht protokolliert worden und dem Antrag nicht stattgegeben worden. Bezüglich der Angaben des BF in der Verhandlung am 06.06.2019 sei weiters anzumerken, dass nicht auszuschließen sei, dass der BF unter anderen Rahmenbedingungen (wenn ihm Gelegenheit geboten worden wäre, in Ruhe sein Vorbringen zu erstatten und auf jeden einzelnen, sachlich formulierten und von der Dolmetscherin übersetzten Vorhalt zu antworten) weiterführende, plausible und detaillierte Angaben getätigt hätte.

10. Am 21.06.2019 langte die Übersetzung der Dokumente (AS 241 und 243) ein.

11. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 19.12.2019 in Anwesenheit eines Dolmetschers für die Sprache Dari und im Beisein eines Rechtsvertreters des BF eine weitere öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch.

Der BF gab an, gesund zu sein. Sein Name sei auf der Aufenthaltsberechtigungskarte richtig geschrieben.

Zu seinem Leben in Österreich gab der BF an, Deutsch A1 und A2 fertig gemacht zu haben. Die Prüfung habe er bestanden und die Zertifikate vorgelegt. Nach Vorhalt der Richterin, dass im Akt lediglich Kursbesuchsbestätigungen einliegen würden, gab der BF an, eine Prüfung gehabt zu haben, er aber die Unterlagen verloren habe. Er habe die Prüfung A1-2. A1 plus gehabt, lesen und schreiben. Die A2 Prüfung habe er vor einem Jahr gemacht. Der Rechtsvertreter gab an, dass es kein ÖSD-Zertifikat gebe. Der BF führte aus, den Kurs fertig gemacht zu haben und ca. fünf bis sechs Monate später die Prüfung gehabt zu haben. Er habe aber keine Bestätigung. Weiters spiele er Fußball. Er koche sehr gerne und wolle gerne als Koch arbeiten.

Zu seinen Verwandten in Afghanistan gab er an, einen Onkel und vier Brüder in Afghanistan (Provinz Faryab, Dorf XXXX ) zu haben. Auch seine Frau und seine vier Kinder würden in Afghanistan leben. Er stehe mit der Frau in telefonischem Kontakt. Zum Lebensunterhalt seiner Familie gab der BF an, dass sie ihr Haus verkauft hätten, von der Verkaufssumme (80.000 USD) habe seine Frau 5.000 USD bekommen, davon würden sie leben. Alle zwei bis drei Monate schicke er ihnen 100-200 EUR. Befragt, wo seine Brüder in Afghanistan leben würden, gab der BF an, dass diese in der Türkei seien. Die Frau und die Kinder würden in einem Haus bei ihrem Bruder und ihrer Mutter leben.

Befragt, was bei einer Rückkehr in sein Heimatland passieren würde, gab der BF wie folgt an:

[...]

BF: Wenn ich zurückkehren muss, komme ich ums Leben. Die Taliban würden mich umbringen.

R: Glauben Sie, könnten Sie nicht in Kabul, Herat oder Mazar-e Sharif leben?

BF: Ich kann nicht in einer anderen Provinz leben, weil ich keinen Beruf, kein Geld und keine Wohnmöglichkeit habe und es gibt dort keine Jobs. Außerdem bin ich auf der sogenannten schwarzen Liste der Taliban.

R: Könnten Sie sich nicht an die Polizei wenden und um Hilfe ersuchen?

BF: Sie haben genug Informationen über die afghanische Polizei. Wie Sie wissen, können sich afghanische Polizisten selber nicht schützen. Die anderen bekommen gar keinen Schutz.

R: Ich habe die Schreiben auf den AS 241 und 243 übersetzen lassen, wie in der letzten Verhandlung vom 06.06.2019 angekündigt.

Verlesen werden die Übersetzungen.

R: Wie erklären Sie sich, dass bestimmte Felder leer sind?

BF: Ich war nicht dort. Diese Angelegenheit wurde von der Polizeistation 6. Bezirk und von der Sicherheitspolizei bestätigt und wurde mir geschickt. Es gibt auch eine Telefonnummer drauf von einem Beamten von der Provinz Faryab, dass er diese Angelegenheit bestätigen kann und wenn wir etwas brauchen, können wir uns an ihn wenden.

R: Von wem sprechen Sie?

BF: Er heißt XXXX und seine Telefonnummer ist auch auf diesem Dokument.

R: Wer ist dieser XXXX ?

BF: Er ist ein Abgeordneter und arbeitet in der Provinz, aber nicht im Parlament.

R: Wovon ist er ein Abgeordneter?

BF: Es gibt einen sogenannten Provinzrat. Er ist Abgeordneter des Provinzrates.

R: Wenn Ihre Frau und Ihre Kinder in Afghanistan leben können, weshalb können Sie nicht dort leben?

BF: Die Frauen in Afghanistan leben zu Hause und müssen einen Jador oder ein Burka tragen. Sie dürfen in Begleitung hinausgehen, aber sie müssen eine Burka tragen.

R: Wieso glauben Sie, dass, wenn Sie zurückkehren würden, die Taliban noch an Ihnen interessiert wären?

BF: Die Taliban kennen uns gut. Sie kennen sogar meinen Vater und unsere Tazkira ist auch aus dieser Ortschaft. Wir sind ihnen sehr bekannt.

R: Wo lebt Ihr Vater derzeit?

BF: Er ist bereits verstorben.

R: Wann ist er verstorben?

BF: Vor ca. acht Jahren.

R: Wo lebt Ihre Mutter?

BF: Sie lebt mit meinen vier Brüdern in der Türkei.

R: Haben Sie noch Cousins in Afghanistan?

BF: Ja, habe ich. Einen Cousin ms habe ich in Afghanistan und vier Cousins ms leben im Iran.

R: Haben Sie auch Cousins vs?

BF: Nein. Mein Vater hat keinen Bruder gehabt.

R: Hat Ihr Vater Schwestern gehabt?

BF: Ja, vier.

R: Und alle vier Schwestern Ihres Vaters haben keine Kinder?

BF: Ja, sie haben Kinder, aber sie befinden sich im Iran.

R: Wo lebt Ihr Cousin ms in Afghanistan?

BF: In XXXX .

R: Wie lange haben Sie in der Türkei gelebt bevor Sie nach Österreich gekommen sind?

BF: 15 Tage.

R: Wie viel haben Sie für die Reise nach Österreich insgesamt bezahlt?

BF: Ca. 7.000 USD.

R: Und dieses Geld haben Sie auch aus dem Hausverkauf bekommen?

BF: Es war mein eigenes, erspartes Geld.

R: Wie konnten Sie so viel Geld sparen? Wie war Ihnen das möglich?

BF: Ich habe als Businessmann gearbeitet, aber es war ein sehr kleines Business.

R: Sie waren selbständig tätig?

BF: Ja.

R: Was haben Sie genau gearbeitet als Businessmann?

BF: Ich habe die Häute von geschlachteten Schafen im ganzen Ort gekauft und auch die Gedärme habe ich gekauft und in der Stadt weiterverkauft.

R: Wie viele Angestellte hatten Sie?

BF: Fünf oder sechs Leute haben für mich gearbeitet.

R: Wie lange hatten Sie dieses Geschäft?

BF: Man kann es ein Familienbusiness nennen. Mein Vater hat auch in diesem Bereich gearbeitet.

R wiederholt die Frage.

BF: Zuerst habe ich es zusammen mit meinem Vater gemacht und dann haben wir uns getrennt und ich habe es alleine gemacht.

R: Ab wann haben Sie alleine das Familienunternehmen geführt?

BF: Vor ca. 11 Jahren habe ich mich von meinem Vater arbeitsmäßig getrennt. Ich glaube, es war zwei Jahre nach meiner Hochzeit.

R: Wann haben Sie geheiratet?

BF: Ich erinnere mich nicht genau. Vielleicht vor 13 Jahren.

R: Können Sie mir den Namen Ihrer Ehefrau nennen?

BF: XXXX .

RV: Ihre Frau lebt bei Ihrem Schwager, stimmt das? Wenn Sie zurückkehren würden, würden Sie von ihm unterstützt werden?

BF: Er hat überhaupt keine finanziellen Möglichkeiten. Er verdient sein Geld sehr schwer. Wir sind telefonisch im Streit. Er sagt, ich solle meine Frau und Kinder nehmen, er hätte nicht genug finanzielle Mittel.

[...]

RV merkt an zu den übersetzten Dokumenten: Für mich ist es durchaus nachvollziehbar, dass bestimmte, im Vordruck enthaltene Felder zu den persönlichen Daten des BF, wie etwa Geburtsdatum oder Zahl der Tazkira nicht ausgefüllt sind, da der BF - wie angegeben - zum Zeitpunkt der Ausstellung des Dokumentes nicht persönlich anwesend war und daher der ausstellenden Behörde diese persönlichen Daten nicht genau bekannt waren.

R: Wissen Sie, wie diese Dokumente auf den AS 241 und 243 zustande gekommen sind?

BF: Mein Bruder ist zur Polizeistation des 4. Bezirkes gegangen. Er hat dort die ganze Angelegenheit geschildert. Das wurde von der Polizei bestätigt. Er ist dann mit dieser Bestätigung zu den Sicherheitsdiensten gegangen, dort wurde es auch bestätigt. Danach wurde es auch vom Provinzrat bestätigt. Als alle Bestätigungen von der Polizei, der Sicherheitspolizei und dem Provinzrat vorhanden waren, wurde mir dies per Post geschickt.

R: War dies der Sicherheitsdienst oder die Sicherheitspolizei?

BF: Es war der Sicherheitsdienst. Diese Dokumente, die ich vorgelegt habe, wurden überall mit Unterschriften der Polizei, des Sicherheitsdienstes und des Provinzrates unterschrieben, auch der stellvertretende Obmann des Provinzrates hat diese Dokumente mit seiner Unterschrift bestätigt. Der Stellvertreter hat auch seine Telefonnummer zur Verfügung gestellt. Falls jemand Fragen hat kann man sich an ihn wenden.

R: Wann war dieser Vorfall mit den Taliban?

BF: Es war ca. 10 Tage vor meiner Ausreise, im Jahr 2015.

R: Können Sie sich an den Monat erinnern?

BF: Ich glaube, es war im 2. Monat des Jahres 2015. Es war ca. im

12. Monat des afghanischen Kalenders.

R: War es im Februar 2015?

Der D gibt dazu erläuternd an: Am 20. Februar beginnt der 12. Monat des afghanischen Kalenders und endet am 20. März.

R: Sie haben mitgeteilt, dass der Vorfall mit den Taliban 10 Tage vor Ihrer Ausreise passiert ist. Wo haben Sie sich innerhalb dieser 10 Tage vor Ihrer Ausreise aufgehalten?

BF: In der Provinz Faryab, im Distrikt XXXX , im Dorf XXXX habe ich mich aufgehalten. Von dort ist auch meine Tazkira.

R: Bei wem haben Sie sich im Dorf XXXX aufgehalten?

BF: Ich habe dort nicht gelebt, ich habe dort Leder gesammelt und gekauft und wollte diese in XXXX verkaufen.

R: Wo haben Sie innerhalb der 10 Tage nach dem Vorfall mit den Taliban gelebt, bevor Sie ausgereist sind?

BF: Ich war in der Stadt XXXX .

R: Haben Sie zu Hause gelebt?

BF: Ja.

R: Sind Sie innerhalb dieser 10 Tage von den Taliban bedroht worden?

BF: Ja, ich wurde bedroht und ich wurde auch angegriffen. Ich wurde mit einem Messer gestochen.

R: Wann genau sind Sie mit einem Messer gestochen worden?

BF: Diese Ortschaft war ca. eine Woche unter der Kontrolle der afghanischen Regierung und wurde danach wieder von den Taliban zurückerobert. Ich wurde ca. eine Woche nach diesem Vorfall mit dem Messer angegriffen. Jemand namens XXXX hat mich informiert, dass die Taliban mich umbringen wollen und ich flüchten solle.

R: Wann sind Sie genau von XXXX informiert worden?

BF: Ca. drei Tage bevor ich meine Ortschaft verlassen habe und in den Iran gegangen bin.

R: Wie sind Sie dann von der Provinz Faryab, von XXXX , in den Iran gelangt?

BF: Über Mazar-e Sharif und Kabul bin ich nach Helmand gebracht worden und danach in den Iran gelangt. Ein Schlepper hat alles für mich organisiert.

R: Hat lediglich XXXX Sie darüber informiert, dass die Taliban Sie umbringen wollen?

BF: Er war ein Freund meines Vaters und er hat in dieser Ortschaft gelebt. Ich bin mit ein paar Männern aus unserer Ortschaft, die im Iran leben, per IMO in Kontakt. Sie haben mir gesagt, dass die Taliban in Moscheen über mich gesprochen haben und gesagt haben, dass ein Spion fast vier Jahre lang hier gelebt hat und sie hätten nicht gewusst, dass ich ein Spion für die afghanische Regierung war.

R: Seit wann leben diese Männer aus Ihrer Ortschaft im Iran?

BF: Ich habe sie nicht genau gefragt. Aus unserer Ortschaft gehen manche Männer in den Iran und wieder zurück nach Afghanistan.

R: Mit welchen Männern sind Sie per IMO in Kontakt?

BF: Sie sind väterlich weitschichtig mit mir verwandt.

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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