Entscheidungsdatum
04.02.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W178 2178619-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Drin. Maria PARZER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Herrn XXXX , geb. XXXX , StA: Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie und Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für
Fremdenwesen und Asyl, Zl: 1094398305-151740978, vom 24.10.2017, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.01.2020, zu
Recht erkannt:
A)
I. Die Beschwerde zu Spruchpunkt I wird abgewiesen.
II. Der Beschwerde zu Spruchpunkt II wird Folge gegeben und es wird gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 Herrn XXXX der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird Herrn XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 04.02.2021 erteilt.
IV. Die Spruchpunkte III. und IV. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos aufgehoben.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt:
1. Herr XXXX (in der Folge: Beschwerdeführer bzw Bf), ein männlicher Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 09.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Bei seiner niederschriftlichen Erstbefragung durch die Polizei am 11.11.2015 gab der Beschwerdeführer an, dass er sich im Iran heimlich mit seiner Frau traf. Diese sei schwanger geworden. Sein Schwiegervater sei aber gegen die Heirat gewesen und habe andere Pläne für seine Tochter gehabt. Der Beschwerdeführer gab weiters an, dass er nicht wisse, was passieren könne, wenn sein Schweigervater von der Schwangerschaft erfahre. Eine solche familiäre Situation sei beim afghanischen Volk tabu und er sei deshalb mit seiner Frau geflüchtet.
3. Am 16.10.2017 wurde der Beschwerdeführer von einem Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge: belangte Behörde) einvernommen. Er sei gesund und habe einen Sohn. Er sei entgegen der Angaben des Protokolls der niederschriftlichen Erstbefragung nicht verheiratet. Er sei in der Stadt XXXX im Iran geboren worden. In XXXX lebten auch seine beiden Eltern, ein Bruder, drei Schwestern sowie ein Onkel mütterlicherseits. In der Stadt Mazar-e-Sharif in Afghanistan lebten darüber hinaus Geschwister seiner Eltern, die er aber noch nie gesehen habe. Er sei 12 Jahre in die Schule gegangen und habe die Matura. Er habe in einer Apotheke und auch als Schweißer gearbeitet. Er sei Hazara und schiitischer Moslem. Einen Asylantrag stelle er wegen des Vaters seiner Lebensgefährtin, der seine Lebensgefährtin aufgrund der verheimlichten Beziehung und der Schwangerschaft umbringen oder nach Afghanistan bringen könne. Genauso könne es zu Problemen mit der Familie des Beschwerdeführers kommen. Hätte die Behörde im Iran mitbekommen, dass seine Lebensgefährtin schwanger sei, hätten beide bestraft werden können. Da es nicht erlaubt sei, vor der Ehe eine Beziehung zu haben, hätte er gesteinigt und seine Lebensgefährtin genötigt werden können. Eine Alternative in Afghanistan gebe es nicht, weil dort seit 40 Jahren Krieg herrsche und es ständig Selbstmordanschläge gebe. In Österreich lerne er über das Internet Deutsch und habe vor, über die Volkshochschule den Hauptschulabschluss zu machen.
4. Mit Bescheid vom 24.10.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan (Spruchpunkt II.) ab. Weiters wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, gegenüber dem Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Schließlich sprach die belangte Behörde aus, dass die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).
5. Mit Beschwerde vom 23.11.2017 bekämpfte der Beschwerdeführer den Bescheid in vollem Umfang. Er brachte vor, dass das Ermittlungsverfahren mangelhaft durchgeführt worden sei. Insbesondere seien teils veraltete, teils irrelevante Länderberichte verwendet und diese überdies selektiv zitiert worden. Die belangte Behörde habe außerdem die westliche Orientierung und die gemischtstämmige Beziehung in ihren Ermittlungen gänzlich unberücksichtigt gelassen. Es liege auch eine mangelhafte Beweiswürdigung vor. Dies ergebe sich bereits aus der Verwendung veralteter Länderberichte. Darüber hinaus fehle eine nähere Begründung, weshalb der Beschwerdeführer als nicht glaubwürdig eingestuft werde. Die belangte Behörde habe sich auch nicht mit der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zu der religiösen und ethnischen Minderheit der schiitischen Hazara auseinandergesetzt. Weiters läge eine unrichtige rechtliche Beurteilung vor, wobei lediglich allgemein auf die Ausführungen in einem Erkenntnis des VwGH (Erk vom 13.10.2015, Ra 2015/19/0106) verwiesen wird.
Der Beschwerdeführer stellte darüber hinaus die Anträge auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung sowie Behebung des angefochtenen Bescheides zur Gänze.
6. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.01.2020 zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes in Anwesenheit eines Dolmetschers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Rechtsberaters neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde ordnungsgemäß zu dieser öffentlichen mündlichen Verhandlung geladen, ein Vertreter des Bundesamtes nahm entschuldigt nicht an der Verhandlung teil. Im Wesentlichen bekräftigte der Beschwerdeführer seine bisherigen Angaben. Bezüglich seiner Familienangehörigen in Mazar-e-Sharif ergänzte er, dass lediglich eine Tante väterlicherseits dort gelebt habe, die allerdings bereits verstorben sei.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer, geboren am XXXX , ist afghanischer Staatsbürger und wurde in der Stadt XXXX im Iran geboren, wo er seither lebte. Seine Eltern und seine drei Schwestern leben gemeinsam in einem Haus in dieser Stadt, Stadtteil XXXX . Sein Bruder lebt im selben Stadtteil. Ein Onkel mütterlicherseits lebt ebenso in XXXX .
Seine Eltern stammen aus der Provinz Balkh, Gegend Mazar-e Sharif, und sind vor seiner Geburt in den Iran übersiedelt.
Seine Muttersprache ist Farsi, er versteht auch Dari, abgesehen von einigen Unsicherheiten.
Der Beschwerdeführer ist Moslem, Schiit und gehört der Volksgruppe der Hazara an.
Er ist ledig. Er hat einen in Österreich lebenden Sohn ( XXXX ).
Der Sohn lebt bei der Kindesmutter XXXX .
Frau XXXX und dem gemeinsamen Sohn wurde mit Erkenntnissen des BVwG vom 07.01.2020 der Status der Asylberechtigten zuerkannt (W178 2178600-1 und W178 2178613-1).
Der Beschwerdeführer sieht seinen Sohn etwa ein bis zwei Mal pro Woche. Die Treffen finden meistens in einem Einkaufzentrum statt. Es besteht eine Vereinbarung über die gemeinsame Obsorge mit der Kindesmutter, die mit Beschluss vom 22.11.2018 pflegschaftsgerichtlich genehmigt wurde.
Der Beschwerdeführer verfügt über eine 12-jährige Schulbildung und Matura. Er hat Berufserfahrungen als Schweißer und Verkäufer auf einem Basar sowie im Umgang mit Computer. Er ist gesund.
Die Eltern des Bf werden vom Bruder des Bf und einem Schwiegersohn unterstützt.
Der Bf hat im Iran mit einer Frau ( XXXX ) einige Monate vor der Ausreise eine außereheliche sexuelle Beziehung begonnen.
Frau XXXX (Freundin) gehört zur Volksgruppe der Paschtunen und ist auch im Iran geboren.
Ihre Familie lebt auch im Iran, in derselben Stadt wie die Familie des Bf; ihr Vater reist zwischendurch nach Afghanistan (Kandahar).
Frau XXXX hat einen Bruder, der nach den Angaben in der mündlichen Verhandlung in Deutschland lebt. Er war rund um die Trennung bei seiner Schwester.
Ohne Wissen der Familie (ausgenommen die Schwester) traf sich der Bf mit seiner Freundin in der Wohnung des Bruders, wenn dieser außer Haus war. Die Freundin wurde schwanger.
Daraufhin hat der Bf mit seiner Freundin den Iran verlassen, ohne seine Familie und die seiner Partnerin zu informieren. Seine Familie und die seiner Freundin wissen nichts vom gemeinsamen Sohn.
Es besteht derzeit Kontakt mit seiner Familie im Iran, die Eltern sind weiterhin mit seinem Verhalten nicht einverstanden.
Frau XXXX (die Mutter des Sohnes) hat keinen Kontakt zu ihren Verwandten.
Die in der Niederschrift vor dem BFA erwähnte Tante väterlicherseits in Mazar-e Sharif ist verstorben. Weitere Verwandte sind ihm persönlich nicht bekannt.
Der Bf hat gemeinsam mit Frau XXXX in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt; der Bf hat anfangs mit seiner Freundin und dem Sohn im gemeinsamen Haushalt gewohnt.
Im Jahre 2017 wurde der Bf von seiner Freundin und seinem Sohn per Einstweiliger Verfügung weggewiesen. Er wurde am 28.06.2018 des Vergehens der Körperverletzung nach § 83 Abs 1 StGB und des Vergehens der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB gegenüber seiner ehemaligen Lebensgefährtin XXXX schuldig gesprochen und zu einer bedingten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt.
Der Bf hat gemeinnützige Arbeit beim Roten Kreuz und der Caritas verrichtet und ist derzeit Mitglied eines Katastrophen-Teams (KAT-Einheit) des Österreichischen Roten Kreuzes, Landesverband Kärnten. In seiner Freizeit pflegt er freundschaftliche Kontakte zu anderen Mitgliedern des Teams. Er besucht derzeit den Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses und hat mehrere Deutsch-Sprachkurse absolviert. Der Beschwerdeführer versteht auf Deutsch an ihn gestellte Fragen, auch wenn sie komplizierterer Natur sind, und kann diese im Wesentlichen auch auf Deutsch beantworten.
1.2. Zur Lage im Herkunftsstaat:
Zur Lage im Herkunftsstaat wird auf die aktuellen Länderfeststellungen der Staatendokumentation vgl. Republik Österreich, Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019 (in der Folge: LIB), sowie auf die Richtlinie zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender des UNHCR vom 30.08.2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinie) und die Country Guidance: Afghanistan aus Juni 2019 des European Asylum Support Office (in der Folge: EASO Country Guidance) verwiesen.
1.2.1. Afghanische Flüchtlinge im Iran / Rückkehrer aus dem Iran (LIB S. 353):
Die Zahlen der Rückkehrer aus Iran sind auf hohem Stand, während ein deutliches Nachlassen an Rückkehrern aus Pakistan zu verzeichnen ist (2017: 154.000; 2018: 46.000), was im Wesentlichen mit den afghanischen Flüchtlingen jeweils gewährten Rechten und dem gewährten Status in Iran bzw. Pakistan zu begründen ist (AA 2.9.2019).
Rückkehrer haben zu Beginn meist positive Reintegrationserfahrungen, insbesondere durch die Wiedervereinigung mit der Familie. Jedoch ist der Reintegrationsprozess der Rückkehrer oft durch einen schlechten psychosozialen Zustand charakterisiert. Viele Rückkehrer sind weniger selbsterhaltungsfähig als die meisten anderen Afghanen. Rückkehrerinnen sind von diesen Problemen im Besonderen betroffen (MMC 1.2019).
Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert (BFA 13.6.2019). Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z.B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken (Kolleg/innen, Mitstudierende etc.) sowie politische Netzwerke usw. Die unterschiedlichen Netzwerke haben verschiedene Aufgaben und unterschiedliche Einflüsse - auch unterscheidet sich die Rolle der Netzwerke zwischen den ländlichen und städtischen Gebieten. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. So sind manche Rückkehrer/innen auf soziale Netzwerke angewiesen, wenn es ihnen nicht möglich ist, auf das familiäre Netz zurückzugreifen. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer/innen dar, was möglicherweise zu einem neuerlichen Verlassen des Landes führen könnte. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer/innen besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (BFA 4.2018).
Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Zudem können fehlende Vertrautheit mit kulturellen Besonderheiten und sozialen Normen die Integration und Existenzgründung erschweren. Das Bestehen sozialer und familiärer Netzwerke am Ankunftsort nimmt auch hierbei eine zentrale Rolle ein. Über diese können die genannten Integrationshemmnisse abgefedert werden, indem die erforderlichen Fähigkeiten etwa im Umgang mit lokalen Behörden sowie sozial erwünschtes Verhalten vermittelt werden und für die Vertrauenswürdigkeit der Rückkehrer gebürgt wird (AA 2.9.2019).
Haben die Rückkehrer lange Zeit im Ausland gelebt oder haben sie zusammen mit der gesamten Familie Afghanistan verlassen, ist es wahrscheinlich, dass lokale Netzwerke nicht mehr existieren oder der Zugang zu diesen erheblich eingeschränkt ist. Dies kann die Reintegration stark erschweren. Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab (AA 2.9.2019). Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Die Fähigkeit der afghanischen Regierung, vulnerable Personen einschließlich Rückkehrer/innen aus Pakistan und dem Iran zu unterstützen, bleibt begrenzt und ist weiterhin von der Hilfe der internationalen Gemeinschaft abhängig (USDOS 13.3.2019). Moscheen unterstützen in der Regel nur besonders vulnerable Personen und für eine begrenzte Zeit. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch. Deshalb versuchen sie in der Regel, so bald wie möglich wieder in den Iran zurückzukehren (BFA 13.6.2019).
1.2.2 Auch aus der EASO Country Guidance, Stand Juni 2019, ergibt sich, dass Rückkehrer ohne Unterstützungsnetzwerk in Afghanistan vor erheblichen Problemen stehen, vgl. auch www.easo.europa.eu/country-guidance, S. 37 und Seite 139:
Kap.II.21: Individuals who were born in Iran or Pakistan and/or who lived there for a long period of time:
This profile refers to Afghans who were born in or have spent a very long period as a refugee or a migrant in Iran or Pakistan. Not being accustomed to Afghan norms and expectations and having no support network in Afghanistan may lead to difficulties in finding job or shelter. Afghans who lived outside Afghanistan for a long period of time may also have a strong accent, which would be a further obstacle in finding a job. Afghans who grew up in Iran and are perceived as 'Iranised' or 'not Afghan enough' may sometimes receive offensive comments. In general, the treatment faced by individuals under this profile would not amount to persecution. In exceptional cases and based on additional individual circumstances, the accumulation of measures, including violations of human rights which is sufficiently severe as to affect an individual in a similar manner, could amount to persecution. (EASO Country Guidance, S. 75)
Afghan nationals who resided outside of the country over a prolonged period of time may lack essential local knowledge necessary for accessing basic subsistence means and basic services. An existing support network could also provide the applicant with such local knowledge. The background of the applicant, including their educational and professional experience and connections, as well as previous experience of living on their own outside Afghanistan, could be relevant considerations. For applicants who were born and/or lived outside Afghanistan for a very long period of time, IPA may not be reasonable if they do not have a support network which would assist them in accessing means of basic subsistence. (EASO Country Guidance, S. 139).
1.2.3 Aus der UNHCR-Richtlinie geht hervor, dass für Rückkehrer kaum Zugang zu Nahrungsmitteln und Unterkünften besteht:
Aufgrund der komplexen Situation in Afghanistan, die die Region als Ganzes betrifft, haben die Islamischen Republiken Iran, Afghanistan und Pakistan mit Unterstützung von UNHCR 2011 einen vierseitigen Konsultationsprozess initiiert, um langfristige Lösungen für afghanische Flüchtlinge in der Region zu ermitteln und umzusetzen. Auf Grundlage dieses Prozesses entstand die Solutions Strategy for Afghan Refugees to Support Voluntary Repatriation, Sustainable Reintegration and Assistance for Host Countries (SSAR), die ein umfassendes und integriertes Rahmenwerk für gemeinsame Maßnahmen bietet, dessen Ziel es ist, Asylraum für afghanische Flüchtlinge in den Nachbarländern zu erhalten und die nachhaltige Integration der Afghanen zu unterstützen, die sich freiwillig für eine Rückkehr nach Afghanistan entscheiden. Vor allem Letzteres ist wichtig angesichts der Schwierigkeiten vieler Rückkehrer sich in ihren Heimatgemeinden wiedereinzugliedern. Es wird berichtet, dass es für Rückkehrer außerordentlich schwierig ist, sich ein neues Leben in Afghanistan aufzubauen. Es wird berichtet, dass sie ganz besonders schutzbedürftig sind, da sie kaum Zugang zu Lebensgrundlagen, Nahrungsmitteln und Unterkunft haben. Zu den Problemen, mit denen sowohl Binnenvertriebene als auch zurückkehrende Flüchtlinge konfrontiert sind, zählen die andauernde Unsicherheit in ihren Herkunftsgebieten, der Verlust ihrer Existenzgrundlage und Vermögenswerte, fehlender Zugang zu medizinischer Versorgung und zu Bildung sowie Schwierigkeiten bei der Rückforderung von Land und Besitz. (UNHCR-Richtlinie, S. 41 f)
Dazu kommt die angespannte Lage in den städtischen Zentren Afghanistans, die häufiges Ziel von Rückkehrern und Binnenvertriebenen sind:
Der Protection Cluster in Afghanistan stellte schon im April 2017, nach den Rückkehrerströmen von 2016, aber noch vor den meisten Rückkehrern des Jahres 2017, Folgendes fest: "Der enorme Anstieg der Zahl der Heimkehrer [aus Pakistan und Iran] führte zu einer extremen Belastung der bereits an ihre Grenzen gelangten Aufnahmekapazität der wichtigsten Provinz- und Distriktzentren Afghanistans, nachdem sich viele Afghanen den Legionen von Binnenvertriebenen anschlossen, da sie aufgrund des sich zuspitzenden Konflikts nicht in ihre Herkunftsgebiete zurückkehren konnten. [...] Mit begrenzten Lebensgrundlagen, ohne soziale Schutznetze und angewiesen auf schlechte Unterkünfte sind die Vertriebenen nicht nur mit einem erhöhten Risiko der Schutzlosigkeit in ihrem alltäglichen Leben konfrontiert, sondern werden auch in erneute Vertreibung und negative Bewältigungsstrategien gezwungen, wie etwa Kinderarbeit, frühe Verheiratung, weniger und schlechtere Nahrung usw."" Laut der Erhebung über die Lebensbedingungen in Afghanistan 2016-2017 leben 72,4 Prozent der städtischen Bevölkerung Afghanistans in Slums, informellen Siedlungen oder unter unzulänglichen Wohnverhältnissen. (UNHCR-Richtlinie, S. 126)
Bezüglich der Zumutbarkeit (im Rahmen der Prüfung der internen Fluchtalternative, auch hier anzuwenden) führt UNHCR allgemein aus:
UNHCR ist ferner der Auffassung, dass eine interne Schutzalternative nur dann als zumutbar angesehen werden kann, wenn die Person im voraussichtlichen Neuansiedlungsgebiet Zugang zu einem Unterstützungsnetzwerk durch Mitglieder ihrer (erweiterten) Familie oder durch Mitglieder ihrer größeren ethnischen Gemeinschaft hat und man sich vergewissert hat, dass diese willens und in der Lage sind, den Antragsteller tatsächlich zu unterstützen. Die einzige Ausnahme von diesem Erfordernis der externen Unterstützung stellen nach Auffassung von UNHCR alleinstehende, leistungsfähige Männer und verheiratete Paare im erwerbsfähigen Alter ohne die oben beschriebenen besonderen Gefährdungsfaktoren dar. Diese Personen können unter bestimmten Umständen ohne Unterstützung von Familie und Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben, die die notwendige Infrastruktur sowie Lebensgrundlagen zur Sicherung der Grundversorgung bieten und die unter der tatsächlichen Kontrolle des Staates stehen. (UNHCR-Richtlinie, S. 124 f)
1.2.4 Verstoß gegen soziale Sitten / "Zina":
EASO stuft außerehelichen Sex ("Zina") als Verstoß gegen die sozialen Sitten Afghanistan ein, der - besonders für Frauen - schwerwiegende Folgen nach sich ziehen könne:
Zina is a moral crime perceived in Afghanistan as shameful and can be applied to women, as well as to men. This is a broad concept of all behaviour outside the norm: sex outside marriage, illicit sexual relations, adultery and pre-marital sex. [Society-based targeting, 3.6]. Zina can also be imputed to a woman in case of rape or sexual assault [Society-based targeting, 3.5]. It can lead to death threats and honour violence, including honour killings. Zina is punishable under both the Penal Code and Sharia.
Prosecution for zina affects women to a larger degree; punishment is also harsher for women [Societybased targeting, 3.6.1, 3.6.6]. Individuals and couples found to have committed zina are commonly sentenced by government courts to imprisonment and corporal punishments are carried out [Society-based targeting, 3.6.4]. In rural areas, where the government has less or no control, there have been reports of extrajudicial punishments by insurgent groups, such as the Taliban, and local powerbrokers, including executions, lashings and beatings [Society-based targeting, 3.6.5]. Women seeking protection face a gender-biased and discriminatory justice system [Key-socioeconomic indicators 2017, 3.8]. Women who flee home are often brought back to their family by the police or are imprisoned for 'moral crimes'. In detention, they face further sexual abuse or harassment by officials [Society-based targeting, 3.6.4, 3.8.4]. The acts to which individuals under this profile could be exposed are of such severe nature that they would amount to persecution (e.g. imprisonment, corporal punishment and killing).
The State could potentially be considered an actor of persecution. Persecution could also be by insurgent groups, as well as by the family and/or by society in general, as there is a low societal tolerance in Afghanistan for transgressing moral and honor codes. Not all individuals under this profile would face the level of risk required to establish well-founded fear of persecution. The individual assessment of whether or not there is a reasonable degree of likelihood for the applicant to face persecution should take into account risk-impacting circumstances, such as: gender (the risk is higher for women), area of origin (particularly affecting rural areas), conservative environment, perception of traditional gender roles by the family, power/influence of the actors involved, etc. (EASO Country Guidance, S. 64)
UNHCR verweist darauf, dass für Frauen wie Männer bei außerehelichem Geschlechtsverkehr ein Misshandlungsrisiko besteht. In Gebieten, die unter Kontrolle der Taliban stehen, könnte es zu harten Strafen, insbesondere Auspeitschung oder Tod kommen. Das Risiko bestehe zwar für Angehörige beider Geschlechter, sei aber für Frauen wesentlich höher:
Trotz Bemühungen der Regierung, die Gleichheit der Geschlechter zu fördern, sind Frauen aufgrund bestehender Vorurteile und traditioneller Praktiken, durch die sie marginalisiert werden, nach wie vor weit verbreiteter gesellschaftlicher, politischer und wirtschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt. Frauen, die vermeintlich soziale Normen und Sitten verletzen, werden weiterhin gesellschaftlich stigmatisiert und allgemein diskriminiert. Außerdem ist ihre Sicherheit gefährdet. Dies gilt insbesondere für ländliche Gebiete und für Gebiete, die von regierungsfeindlichen Kräften (AGEs) kontrolliert werden. Zu diesen Normen gehören strenge Kleidungsvorschriften sowie Einschränkungen der Bewegungsfreiheit von Frauen, wie zum Beispiel die Forderung, dass eine Frau nur in Begleitung einer männlichen Begleitperson in der Öffentlichkeit erscheinen darf. Frauen ohne Unterstützung und Schutz durch Männer, wie etwa Witwen und geschiedene Frauen, sind besonders gefährdet. Angesichts der gesellschaftlichen Normen, die allein lebenden Frauen Beschränkungen auferlegen, zum Beispiel in Bezug auf ihre Bewegungsfreiheit und auf Lebensgrundlagen, sind sie kaum in der Lage zu überleben. Bestrafungen aufgrund von Verletzungen des afghanischen Gewohnheitsrechts oder der Scharia treffen Berichten zufolge in überproportionaler Weise Frauen und Mädchen, etwa Inhaftierung aufgrund von "Verstößen gegen die Sittlichkeit" wie beispielsweise dem Erscheinen ohne angemessene Begleitung, Ablehnung einer Heirat, und "Weglaufen von zu Hause" (einschließlich in Situationen von häuslicher Gewalt). Einem beträchtlichen Teil der in Afghanistan inhaftierten Mädchen und Frauen wurden "Verstöße gegen die Sittlichkeit" zur Last gelegt. Es wird berichtet, dass weibliche Inhaftierte oft Tätlichkeiten sowie sexueller Belästigung und Missbrauch ausgesetzt sind. Da Anklagen aufgrund von Ehebruch und anderen "Verstößen gegen die Sittlichkeit" Anlass zu Gewalt oder Ehrenmorden geben können, versuchen die Behörden Berichten zufolge in einigen Fällen, die Inhaftierung von Frauen als Schutzmaßnahmen zu rechtfertigen. Männer, die vermeintlich gegen vorherrschende Gebräuche verstoßen, können ebenfalls einem Misshandlungsrisiko ausgesetzt sein, insbesondere in Fällen von mutmaßlichem Ehebruch und außerehelichen sexuellen Beziehungen. In Gebieten, die sich unter der tatsächlichen Kontrolle der Taliban und anderer regierungsfeindlicher Kräfte (AGEs) befinden, besteht für Frauen und Männer, die unmoralischer Verhaltensweisen bezichtigt werden, das Risiko, über die parallelen Justizstrukturen dieser regierungsfeindlichen Kräfte (AGEs) zu harten Strafen, einschließlich zu Auspeitschung und zum Tod, verurteilt zu werden.
UNHCR ist auf Grundlage der oben dargelegten Begründungen der Ansicht, dass für Personen, die vermeintlich gegen die gesellschaftlichen Sitten verstoßen, - abhängig von den jeweiligen Umständen des Falles - ein Bedarf an internationalem Flüchtlingsschutz aufgrund einer begründeten Furcht vor Verfolgung durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure wegen ihrer Religion, ihrer (ihnen zugeschriebenen) politischen Überzeugung, ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder aus anderen relevanten Konventionsgründen, in Verbindung mit der allgemeinen Unfähigkeit des Staates, Schutz vor einer solchen von nichtstaatlichen Akteuren ausgehenden Verfolgung zu bieten, bestehen kann. (UNHCR-Richtlinie, S. 87 ff)
Unter dem Einfluss der Scharia [...] droht die Todesstrafe auch bei anderen Delikten (z.B. Blasphemie, Apostasie, Ehebruch sog. "Zina", Straßenraub). In der afghanischen Bevölkerung trifft diese Form der Bestrafung und Abschreckung auf eine tief verwurzelte Unterstützung. Dies liegt nicht zuletzt auch an einem als korrupt und unzuverlässig geltenden Gefängnissystem und der Tatsache, dass Verurteilte durch Zahlungen freikommen können. (LIB, S. 276)
1.2.5
In den EASO Leitlinien 2019 (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019) wird die Provinz Balkh, und insbesondere die Stadt Mazar-e Sharif, als eine jener Gebiete definiert, in denen das Ausmaß willkürlicher Gewalt nicht ein derart hohes Niveau erreicht, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist - bloß aufgrund seiner Anwesenheit - ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen (EASO Leitlinien 2019, S. 29). Aus dem vorliegenden aktuellen Berichtsmaterial geht hervor, dass die Sicherheitslage in der Stadt Mazar-e Sharif nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.
Herat: Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand und Obe (LIB 13.11.2019, S. 107-108).
In den EASO Leitlinien 2019 (EASO Country Guidance: Afghanistan, Juni 2019) wird die Stadt Herat ebenfalls als eines der Gebiete aufgezählt, in denen das Ausmaß willkürlicher Gewalt nicht ein derart hohes Niveau erreicht, dass wesentliche Gründe zur Annahme vorliegen, wonach ein Zivilist - bloß aufgrund seiner Anwesenheit - ein tatsächliches Risiko zu gewärtigen hätte, ernsthaften Schaden zu nehmen (EASO Leitlinien 2019, S. 29). Aus dem vorliegenden aktuellen Berichtsmaterial geht hervor, dass die Sicherheitslage in der Stadt Herat nach wie vor als ausreichend gut zu bewerten ist.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt ergibt sich aus dem vorliegenden Verfahrensakt des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl und des Bundesverwaltungsgerichts, insbesondere den Einvernahmen vor der Polizei, dem BFA und vor dem BVwG vom 10.01.2020 und aus dem Akt betreffend Frau XXXX und den XXXX (Zl.W178 2178600-1 und W178 2178613-1).
2.1 Zur Person des Beschwerdeführers:
Der Beschwerdeführer konnte genaue und detaillierte Angaben zu Herkunftsregion, Volkszugehörigkeit, Verwandtschaftsverhältnissen und Staatsangehörigkeit machen. Diese Angaben blieben im Wesentlichen über den gesamten Gang des Verfahrens gleich. Sie sind vor dem Hintergrund der Lage im Herkunftsstaat auch plausibel. Unklarheiten wie die vermeintliche Existenz von engeren Verwandten in Mazar-e-Sharif konnten glaubhaft aufgeklärt werden. Hinsichtlich der behaupteten Herkunftsregion, Volkszugehörigkeit, Verwandtschaftsverhältnisse und Staatsangehörigkeit wird den Angaben des Beschwerdeführers daher Glauben geschenkt.
2.2 Zu den Berichten zum Herkunftsstaat:
Die dem gegenständlichen Erkenntnis zugrunde gelegte länderkundliche LIB, die EASO Country Guidance und die UNHCR-Richtlinie durchliefen einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat:
Das den getroffenen Feststellungen zugrundeliegende Länderinformationsblatt der Staatendokumentation (LIB) des BFA wurde gemäß den vom Staatendokumentationsbeirat beschlossenen Standards und der Methodologie der Staatendokumentation erstellt. Zum Leitfaden des EASO (European Asylum Office) heißt es "The country guidance represents the common assessment of the situation in the country of origin by EU Member States" (EASO Country Guidance, S. 3).
Die UNHCR-Richtlinie wird vom UNHCR "auf Grundlage der langjährigen Expertise in Angelegenheiten, die im Zusammenhang mit der Schutzberechtigung und der Bestimmung des Flüchtlingsstatus stehen" veröffentlicht und sie basiert auf "detaillierten Recherchen, Berichten von Länderbüros des globalen UNHCR-Netzwerkes, Informationen von unabhängigen Länderexperten und -wissenschaftlern sowie anderen Quellen, die gründlich auf ihre Zuverlässigkeit überprüft wurden." (UNHCR-Richtlinie, Vorbemerkung).
2.3 Zum Fluchtgrund
2.3.1 Das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seinem Fluchtgrund hinsichtlich der außerehelichen Beziehung ist glaubhaft, die Angaben dazu sind schlüssig, die zeitliche Abfolge ist plausibel (betreffend den Zeitpunkt, an dem die Schwangerschaft bekannt wurde, die Flucht und die Geburt des Sohnes). Die Partnerin des Bf (Frau XXXX ) hat übereinstimmende Angaben gemacht.
2.3.2. Zu den Beziehungen und der persönlichen Situation
Der Beschwerdeführer hat glaubhaft dargelegt, dass er keine näheren Verwandten in Afghanistan hat. Die Mitglieder seiner Kernfamilie leben nach wie vor in XXXX im Iran, die erwähnten Tanten und Onkel mütter- bzw. väterlicherseits in Mazar-e-Sharif sind ihm persönlich nicht bekannt, eine Tante bereits verstorben. Bezüglich der Feststellungen betreffend seinen Sohn und die Zeit in Österreich existieren Unterlagen (Gerichtsbeschluss, Urteil) im Akt bzw. die Aussagen seiner Ex-Lebensgefährtin.
2.3.3 Zu den Befunden der Länderberichte EASO und UNHCR:
Bei Antragstellern auf internationalen Schutz, die noch nie oder schon lange nicht mehr in Afghanistan gelebt haben, ist nicht eine interne Fluchtalternative zu prüfen, die als Alternative zur Rückkehr in die Herkunftsregion dienen könnte, sondern die Ansiedlung im Land schlechthin. Die zur internen Fluchtalternative ergangenen Länderberichte sind hinsichtlich der Zumutbarkeit der Ansiedlung für die Bewertung aber heranzuziehen.
Was die spezielle Situation junger, gesunder, erwerbsfähiger männlicher Rückkehrer anbelangt, die im Iran oder in Pakistan aufgewachsen sind, existiert zu der Frage der Zumutbarkeit der Ansiedlung in Afghanistan (bzw. zur internen Fluchtalternative) zwischen der EASO Country Guidance und der UNHCR-Richtlinie ein unterschiedlicher Befund:
UNHCR nimmt unter bestimmten Umständen bei alleinstehenden, leistungsfähigen Männern im erwerbsfähigen Alter an, dass sie auch ohne Unterstützung durch Familienmitglieder oder durch Mitglieder ihrer ethnischen Gemeinschaft in städtischen und halbstädtischen Gebieten leben können. Eingeschränkt wird dies dadurch, dass keine zusätzlichen Gefährdungsfaktoren hinzutreten dürfen. Eine gesonderte Bewertung der speziellen Situation von Rückkehrern, die lange Zeit im Ausland gelebt haben, erfolgt nicht.
EASO setzt in den Fassungen von Juni 2018 und Juni 2019 demgegenüber bei Rückkehrern generell die Existenz eines intakten Unterstützungsnetzwerkes voraus, damit eine interne Fluchtalternative gegeben sein kann.
In der Fassung vom 13.11.2019 wurde das Kapitel "Rückkehrer" im LIB über weite Strecken neu gefasst und befasst sich - im Gegensatz zur früheren Fassungen - jetzt explizit mit der Situation von nicht in Afghanistan aufgewachsenen Asylwerbern (vgl. oben unter 1.2.1).
In Bezug auf den gegenständlichen Fall stützt sich das Gericht im Wesentlichen auf die Befunde der EASO Country Guidance und des LIB, ohne die UNHCR-Richtlinien außer Acht zu lassen. Zum einen handelt es sich bei der EASO Country Guidance und dem LIB um die aktuelleren Publikationen: EASO datiert aus Juni 2019, das LIB aus November 2019, während die UNHCR-Richtlinie bereits am 30. August 2018 veröffentlicht wurde. Diesem Umstand kommt aufgrund der sich rasch ändernden Lage in Afghanistan besondere Bedeutung zu. Insbesondere die Lage der Rückkehrer und der Binnenflüchtlinge in den Provinzhauptstädten war laut der UNHCR-Richtlinie bereits 2018 im Begriff, sich laufend zu verschlechtern. Zum anderen nehmen nur die EASO Country Guidance und das LIB direkt Bezug auf die Situation der im Ausland sozialisierten Asylwerbern. Sie sind insofern die differenzierten und sohin im vorliegenden Fall die einschlägigeren Publikationen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa VfGH 12.12.2019, E 3369/2019, 24.9.2018, E 761/2018) und des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0533; 7.6.2019, Ra 2019/14/0114) ist dem Bericht der EASO-neben den UNHCR-Richtlinien - besondere Beachtung zu schenken.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1 Zu Spruchteil A.I.):
3.1.1 Gesetzliche Grundlagen
Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, soweit dieser Antrag nicht wegen Drittstaatsicherheit oder Zuständigkeit eines anderen Staates zurückzuweisen ist, der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Nach Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK ist Flüchtling, wer aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, sich außerhalb seines Heimatlandes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen; oder wer staatenlos ist, sich infolge obiger Umstände außerhalb des Landes seines gewöhnlichen Aufenthaltes befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, in dieses Land zurückzukehren.
3.1.2 Judikatur:
Zentrales Element des Flüchtlingsbegriffs ist die "begründete Furcht vor Verfolgung."
Eine Furcht kann nur dann wohlbegründet sein, wenn sie im Licht der speziellen Situation des Asylwerbers unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Verfolgerstaat objektiv nachvollziehbar ist (vgl. zB. VwGH 22.12.1999, 99/01/0334; 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011). Es kommt nicht darauf an, ob sich eine bestimmte Person in einer konkreten Situation tatsächlich fürchtet, sondern ob sich eine mit Vernunft begabte Person in dieser Situation aus Konventionsgründen fürchten würde. Unter Verfolgung ist ein ungerechtfertigter Eingriff von erheblicher Intensität in die zu schützende persönliche Sphäre des Einzelnen zu verstehen. Erhebliche Intensität liegt vor, wenn der Eingriff geeignet ist, die Unzumutbarkeit der Inanspruchnahme des Schutzes des Heimatstaates zu begründen.
Die Verfolgungsgefahr muss ihre Ursache in einem der Gründe haben, welche Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nennt (VwGH 09.09.1993, 93/01/0284; 15.03.2001, 99/20/0128); sie muss Ursache dafür sein, dass sich der Asylwerber außerhalb seines Heimatlandes bzw. des Landes seines vorigen Aufenthaltes befindet. Die Verfolgungsgefahr muss dem Heimatstaat bzw. dem Staat des letzten gewöhnlichen Aufenthaltes zurechenbar sein (VwGH 16.06.1994, 94/19/0183, 18.02.1999, 98/20/0468).
Die Verfolgungsgefahr steht mit der wohlbegründeten Furcht in engstem Zusammenhang und ist Bezugspunkt der wohlbegründeten Furcht. Eine Verfolgungsgefahr ist dann anzunehmen, wenn eine Verfolgung mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit droht, die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (VwGH 21.12.2000, 2000/01/0131; 25.1.2001, 2001/20/0011).
3.1.3 Im konkreten Fall:
Das Gericht geht davon aus, dass die außereheliche sexuelle Beziehung des Bf im Iran und die Existenz des Sohnes in Afghanistan nicht bekannt werden würde, wenn der Bf darüber nicht informiert, dies aus folgenden Gründen: Weder seine Familie noch die seiner Ex-Partnerin leben in Afghanistan. Überdies pflegt der Beschwerdeführer keinen Kontakt zur eigenen Familie und zur Familie seiner ehemaligen Lebensgefährtin. Er hat keine Verwandten in Afghanistan, mit denen er in Kontakt steht. Der Bf und seine Partnerin kommen aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen, während der Bf Hazara ist, ist die Mutter seines Kindes aus der Volksgruppe der Pashtunen. In Afghanistan existieren für diese Volksgruppen unterschiedliche Kreise und Netzwerke.
Es ist nicht als hinreichend wahrscheinlich zu betrachten, dass in Afghanistan die im Iran begangene Verletzung der traditionellen und religiösen Normen bekannt wird, wenn der Bf nicht selbst darüber redet und sich der Bf von allfälligen weitschichtigen Verwandten in Afghanistan fernhält.
Aus den Feststellungen ergibt sich für das Gericht, dass hinsichtlich des Beschwerdeführers keine wohlbegründete Furcht und auch keine Verfolgungsgefahr besteht, die mit so maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht, sodass die Rückkehr nach Afghanistan verwehrt ist.
Der Beschwerdeführer gehört der Volksgruppe der Hazara an und ist Schiit. Wie u.a. im Urteil des EGMR vom 05.07.2016 (EGMR AM/NL, 5.7.2016, 29.094/09) angeführt, führt die Angehörigkeit zur Minderheit der Hazara allein nicht dazu, dass im Fall einer Rückkehr nach Afghanistan eine unmenschliche Behandlung drohen würde. Der Bf hat auch keine konkrete Gefahr für ihn dargelegt.
Es ist daher der Beschwerde gegen Spruchpunkt I mangels Vorliegens einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr keine Folge zu geben.
4. Zu Spruchpunkt II
4.1 Gesetzliche Grundlagen:
Nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten einem Fremden zuzuerkennen,
1. der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, wenn dieser in Bezug auf die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen wird oder
2. dem der Status des Asylberechtigten aberkannt worden ist,
wenn eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde.
Nach § 8 Abs. 2 AsylG 2005 ist die Entscheidung über die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nach Abs. 1 leg. cit. mit der abweisenden Entscheidung nach § 3 leg. cit. oder der Aberkennung des Status des Asylberechtigten nach § 7 leg. cit. zu verbinden.
Gemäß § 8 Abs. 3 AsylG 2005 sind Anträge auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abzuweisen, wenn eine innerstaatliche Fluchtalternative (§ 11 leg. cit.) offensteht.
Die Zuerkennung von subsidiärem Schutz setzt somit voraus, dass die Abschiebung des Betroffenen in seine Heimat entweder eine reale Gefahr einer Verletzung insbesondere von Art. 2 oder 3 EMRK bedeuten würde oder für ihn eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes im Herkunftsstaat des Betroffenen mit sich bringen würde.
4.2.Judikatur allgemein:
Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mit der bisherigen höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum realen Risiko einer drohenden Verletzung der Art. 2 und 3 EMRK und zur ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im innerstaatlichen Konflikt auseinandergesetzt und diese wie folgt zusammengefasst (VwGH 21.02.2017, Ra 2016/18/0137, zuletzt von 12.12.2019, Ra 2019/01/0243 mit zahlreichen weiteren Hinweisen).
Nach dieser Rechtsprechung setzt die Beurteilung eines drohenden Verstoßes gegen Art. 3 EMRK eine Einzelfallprüfung voraus, in deren Rahmen konkrete und nachvollziehbare Feststellungen zu der Frage zu treffen sind, ob einer Person im Fall der Rückkehr in ihren Herkunftsstaat die reale Gefahr ("real risk") insbesondere einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung droht. Es bedarf einer ganzheitlichen Bewertung der möglichen Gefahren, die sich auf die persönliche Situation des Betroffenen in Relation zur allgemeinen Menschenrechtslage im Zielstaat zu beziehen hat (vgl. etwa VwGH 08.09.2016, Ra 2016/20/0053 mwN).
4.3 Im konkreten Fall:
4.3. Der Bf war noch nie in Afghanistan, seine Familie lebt schon seit vor seiner Geburt im Iran. Die Herkunftsregion seiner Familie ist die Provinz Balkh bzw. die Stadt Mazar-e Sharif. Diese Stadt ist nach dem LIB und der EASO-Einschätzung (zusammengefasst) hinreichend sicher und erreichbar. Als Fluchtalternative kämen auch die Stadt Herat in Frage.
Es sind dabei für die Prüfung die in der Judikatur zur Prüfung der internen Fluchtalternative aufgestellten Kriterien, die auch die Prüfung der Verletzung des Art. 3 EMRK zum Inhalt haben, heranzuziehen.
4.3.2 Zur mangelnden Eignung von Kabul, vgl. UNHCR-Richtlinien, S. 140, Kap.III C c)
4.3.3 Es ist aber zu prüfen, ob ihm am Ort der Ansiedlung die Gefahr der Verletzung des Art 3 GFK drohen würde:
Der Beschwerdeführer hat nach den obigen Feststellungen keine näheren Verwandten in Afghanistan mehr. Die Mitglieder seiner Kernfamilie leben nach wie vor in XXXX im Iran, die Tante mütterlicherseits aus Mazar-e-Sharif ist verstorben.
Bei einer Rückkehr nach Afghanistan könnte der Beschwerdeführer auf kein familiäres Unterstützungsnetzwerk zurückgreifen und kann sich auch unter Zurückgreifen auf losere Familienkontakte keines aufbauen. Aufgrund der Besonderheit der Umstände, dass der Bf seine Familie nach einem Verstoß gegen die traditionellen und religiösen Werte, was auch als der Familie Schande bringendes Verhalten gesehen wird (außerehelicher Geschlechtsverkehr, uneheliches Kind) seine Familie verlassen hat, würde ihm eine Unterstützung mit hoher Wahrscheinlichkeit auch nicht gewährt werden. Im Übrigen ist es - nach dem zu Spruchpunkt I Gesagtem - für seine Sicherheit nicht angebracht, auf seine familiären Wurzeln hinzuweisen.
Ein Unterstützungsnetzwerk aufgrund seiner ethnischen Zugehörigkeit zu den Hazara kann ebenfalls nicht genutzt werden. Die dafür nötige Inklusion in die lokale Hazara-Gemeinschaft birgt die Gefahr, dass die oben angeführten Umstände im Umfeld des Beschwerdeführers bekannt werden. Diesfalls drohte der Beschwerdeführer - neben der realen Gefahr einer Verfolgung aufgrund des Verstoßes gegen die religiösen und traditionellen Werte - die Verweigerung der Solidarität wegen des Fehlverhaltens.
Im Übrigen war die Weitergabe traditioneller afghanischer Sitten durch die Familie durch den langen Iranaufenthalt bereits verringert. Da er selbst noch nie in Afghanistan war, hat er persönlich somit keine lokalen Kenntnisse und seine Sprache jedenfalls eine Farsi-Färbung.
Auf eine Unterstützung durch seine Familie im Iran kann er nicht zählen, vgl. oben zur außerehelichen Beziehung.
Es wurde oben unter Pkt. 1.festgestellt, dass der Beschwerdeführer über eine 12-jährige Schulausbildung und Berufserfahrungen als Schweißer und Verkäufer und im Umgang mit Computern im Iran verfügt. Was seine berufliche Situation betrifft, so gilt er als erfahren und qualifiziert. Er ist auch gesund.
4.4 Neuere Judikatur des VfGH
Der VfGH weist im zuletzt ergangenen Erk 12.12.2019, E 3369/2019 und E 2692/2019 darauf hin, dass die zu im Iran geborenen und aufgewachsenen, alleinstehenden, jungen und arbeitsfähigen afghanischen Männern ohne familiäres Netzwerk in Afghanistan ergangene Judikatur des Verfassungsgerichtshofes, die allerdings auf einer älteren Berichtslage fußt (vgl. VfSlg. 20.228/2017), von einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgegangen ist. Es sei nunmehr auf die EASO Richtlinien vom Juni 2019 (die sich von denen vom Juni 2018 nicht im Wesentlichen unterscheiden, wohl aber von denen vom Jänner 2018) abzustellen. Dort wird von dieser Beurteilung ausdrücklich jene Gruppe von Rückkehrern ausgenommen, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben (S 109), vgl. insbesondere Rz 14 des Erk 12.12.2019, E 3369/2019 bzw. Rz 15 im Erk. 2692/2019:
"For applicants who were born and/or lived outside Afghanistan for a very long period of time, IPA may not be reasonable if they do not have a support network which would assist them in accessing means of basic subsistence. The following elements should be taken into account in this assessment:
-
Support network: a support network would be of particular importance in the assessment of the reasonableness of IPA for such applicants.
-
Local knowledge: particular consideration should be given to whether the applicant has local knowledge and maintained any ties with Afghanistan. Afghan nationals who resided outside of the country over a prolonged period of time may lack essential local knowledge necessary for accessing basic subsistence means and basic services. The support network could also provide the applicant with such local knowledge.
-
Social and economic background: the background of the applicant, including their educational and professional experience and connections, as well as whether they were able to live on their own outside Afghanistan, could be relevant considerations."
In den Erk wird weiter ausgeführt, dass aus dem Bericht des EASO sohin hervorgeht, dass für die genannte Personengruppe eine innerstaatliche Fluchtalternative (bzw. eine Neuansiedlung Anmerkung BVwG, vgl. oben) dann nicht in Betracht komme, wenn am Zielort der aufenthaltsbeendenden Maßnahme kein Unterstützungsnetzwerk für die konkrete Person vorhanden sei, das sie bei der Befriedigung grundlegender existenzieller Bedürfnisse unterstützen könnte, und dass es einer Beurteilung im Einzelfall unter Heranziehung der folgenden Kriterien bedürfe: Unterstützungsnetzwerk, Ortskenntnis der betroffenen Person bzw. Verbindungen zu Afghanistan sowie sozialer und wirtschaftlicher Hintergrund (insbesondere Bildungs- und Berufserfahrung, Selbsterhaltungsfähigkeit außerhalb Afghanistans).
Wie der Verfassungsgerichtshof in dieser jüngsten Rechtsprechung (VfGH 12.12.2019, E 3369/2019-9; 12.12.2019, E 2692/2019-16) ausführt, muss daher in solchen Fällen eine Auseinandersetzung mit der speziellen Personengruppe jener Rückkehrer erfolgen, die entweder außerhalb Afghanistans geboren wurden oder lange Zeit außerhalb Afghanistans gelebt haben. Insbesondere bedarf es in solchen Fällen aufgrund der dargestellten Berichtslage einer Begründung "auf Grund welcher außergewöhnlichen Umstände es dem Beschwerdeführer dennoch möglich sein könnte, nach Afghanistan zurückzukehren, ohne dass er in seinen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß Art. 2 EMRK auf Lebens sowie gemäß Art. 3 EMRK, weder der Folter noch erniedrigender oder unmenschlicher Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden, verletzt wird." (VfGH 12.12.2019, E 3369/2019-9, Rz. 17).
4.5 Zur jüngst ergangenen Judikatur des VwGH:
Der VwGH hat in einem jüngst ergangenen Erk vom 12.12.2019, Ra 2019/01/0243, vom 30.12.2019, Ra 2019/18/0241- ohne auf die neueren EASO-Richtlinien und die geänderte Bewertung durch das LIB Bezug zu nehmen- seine Judikatur unter Berufung auf die Judikatur des EGMR und UNHCR-Richtlinien wiederholt, wonach für einen alleinstehenden, gesunden, erwachsenen Mann ohne besondere Vulnerabilität, auch wenn er nicht in Afghanistan aufgewachsen ist, eine innerstaatliche Fluchtalternative jedenfalls offenstehe. Es entspreche zudem der - auch zu dieser Berichtslage ergangenen - Rechtsprechung des VwGH, dass allein die Tatsache, dass ein Asylwerber in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere, selbst dann nicht, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt habe und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort zur Schule gegangen sei (unter Hinweis auf VwGH 17.09.2019, Ra 2019/14/0160, 17.12.2019, Ra Vergleich zu Jänner 2018 - nicht Bedacht genommen2019/18/0398).
Das BVwG-Erkenntnis, Zl. W248 21884667-1, auf das das Erk des VwGH Ra 2019/01/0243 Bezug nimmt, beruht auf dem LIB in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 29.06.2018 bzw. wurde der EASO- Bericht nicht herangezogen.
Der Beschluss des VwGH Ra 2019/20/0500, der das Erk W126 2140673-1 bestätigt, beruht auf dem LIB, Stand 01.03.2019; es wird auf den EASO- Bericht, Stand Juni 2018, zwar Bezug genommen, aber - im Gegensatz zum VfGH in den zitierten Erkenntnissen - wird im Erk-VwGH auf den geänderten Befund durch EASO - in den Erk nicht eingegangen.
Im Beschluss Ra 2019/18/0241 vom 30.12.2019, basierend auf W159 2153843-1, wird ebenfalls auf einen derzeit nicht mehr aktuellen LIB hingewiesen, hinsichtlich der EASO-Guidance gilt das im vorigen Absatz Gesagte.
Das LIB in der Fassung vom 13.11.2019 führt die Asylwerber, die lange Zeit im Ausland gelebt haben, auf Seite 350, letzter Absatz, gesondert an, anders als die Fassung Gesamtaktualisierung 29.06.2018; das Kapitel "Rückkehrer", ab S. 331 ff., wurde über weite Teile neu formuliert, vgl. insbesondere S. 349 in der aktuellen Fassung. So wurde auch der Hinweis (S. 349, 3.Absatz) aufgenommen, dass soziale, ethnische und familiäre Netzwerke für einen Rückkehrer unentbehrlich seien.
Es ist nach Ansicht des Gerichts entscheidend, dass nicht nur der EASO-Bericht ab der Fassung Juni 2018, sondern auch das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation in der Fassung vom 13.11.2019 hinsichtlich der nicht in Afghanistan aufgewachsenen Bf einen anderen Befund erstellt haben als in den vorigen Versionen. Die vom VwGH getroffene Einschätzung in den zuletzt ergangenen Erkenntnissen bzw. Beschlüssen beruht, wie bereits erwähnt, auf der älteren Fassung des Länderinformationsblattes bzw. geht es auf die neuere Befundlage im EASO-Berichts nicht ein.
Das Gericht sieht sich im Hinblick auf die Bedeutung, die die Gerichtshöfe öffentlichen Rechts der Aktualität von Länderberichten beimessen, veranlasst, die auf der neueren Berichtslage aufbauenden Judikate des VfGH, die im Übrigen im Plenum und nicht in einer Besetzung nach § 7 Abs 2 Z 1 VfGG ergangen sind, als maßgeblich für die Bewertung d des "real risk" Art. 3 EMRK heranzuziehen, vgl. u.a. E3870/2018 vom 30.11.2018, Ra 2018/18/0533 vom 15.01.2019)
4.6.Bei der Wertun