TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/7 W154 2131600-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 07.02.2020
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Entscheidungsdatum

07.02.2020

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §52
IntG §10
IntG §9

Spruch

W154 2131600-1/24E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. KRACHER als Einzelrichterin über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung - Diakonie, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.7.2016, Zl. 1052863000 - 150233253, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 11.6.2019, am 10.9.2019 und am 7.10.2019 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 iVm §§ 9 und 10 Integrationsgesetz wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang

Der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger reiste in das Bundesgebiet ein, legte einen afghanischen Reisepass und eine Tazkira vor und und stellte am 4.3.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

Er wurde am 6.3.2015 niederschriftlich im Rahmen einer Erstbefragung einvernommen und gab eingangs an, in Kapisa geboren und aus dem Distrikt Nejrab ausgereist zu sein, der Volksgruppe der Tadschiken sowie dem moslemischen Glauben anzugehören und zwölf Jahre lang in Kapisa die Schule besucht zu haben.

Zu seinem Fluchtgrund brachte er vor, dass sein Vater als Offizier gearbeitet habe, weshalb der Beschwerdeführer und seine Familie von den Taliban bedroht worden seien. Er habe Angst um sein Leben.

Am 28.4.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Dabei legte er diverse Deutschkursbesuchsbestätigungen, Teilnahmezertifikate (Computerkurs viermal 2 Stunden, Summer School), Zeugnisse über die Abschlussprüfungen aus Englisch, Globalität und Transkulturalität sowie Kreativität und Gestaltung, eine Bestätigung über die Teilnahme an einem Vorbereitungslehrgang zum Nachholen des Pflichtschulabschlusses, ÖSD Zertifikate A1 und A2, Unterstützungsschreiben sowie Teilnahmebestätigungen an weiteren Integrationsveranstaltungen vor. Ebenfalls vorgelegt wurden acht Fotos vom Vater und zweien der Brüder des Beschwerdeführers. Zunächst erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen wie bisher, aus dem Bezirk Nejrab in der Provinz Kapisa zu stammen, der tadschikischen Volksgruppe anzugehören und sunnitischen Glaubens zu sein. In seinem Heimatort habe er zwölf Jahre die Schule besucht und sei gemeinsam mit seinen Geschwistern bei den Eltern aufgewachsen. Die Mutter und die Geschwister würden noch im selben Dorf leben, in welchem die Familie ein eigenes Haus besitze. In Afghanistan würden noch seine Eltern, sieben Brüder und eine Schwester aufhältig sein. Der Vater lebe in der Provinz Helmand, wo er am Militärflughafen Dienst als Kommandant (Oberst) versehe. Ein Bruder versehe Dienst als Polizist in der Verwaltung in der Provinz Zabul, ein anderer Bruder als Soldat (Unteroffizier) in Kabul. Zudem gebe es je einen Onkel väterlicherseits und mütterlicherseits in Kapisa. Sowohl zu seinem Vater als auch zu den beiden Brüdern stehe der Beschwerdeführer in telefonischem Kontakt. Älter als der Beschwerdeführer seien nur die beiden berufstätigen Brüder, die anderen Brüder und die Schwester seien jünger als er, der älteste davon ca. 18 Jahre alt.

Der Beschwerdeführer selbst habe in der Heimat nicht gearbeitet, die gesamte Familie hätte vom Einkommen des Vaters und der beiden Brüder gelebt.

Zu seinem Fluchtgrund brachte der Beschwerdeführer vor, als der Vater und die beiden Brüder für den Staat tätig gewesen seien, wäre eine Talibangruppe in ihrem Dorf sehr aktiv gewesen und hätte den Beschwerdeführer dreimal aufgefordert, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Er habe mit seinem Vater darüber gesprochen, der ihm dies nicht erlaubt und ihn angewiesen habe, die Situation mit dem Ältestenrat zu besprechen. Dieser hätte ihm bereits nach dem ersten Vorfall erklärt, nichts gegen die Taliban machen zu können und ihn aufgefordert, selber eine Lösung zu finden. Nachdem der Beschwerdeführer dies seinem Vater mitgeteilt habe, hätte ihm dieser gesagt, es wäre besser, wenn er das Land verlasse, weil er und seine Brüder nicht immer anwesend sein könnten, um ihn zu beschützen. Drei Tage nachdem er mit seinem Vater gesprochen habe, habe er seinen Heimatort in Richtung Kabul verlassen, sich dort bei einem Freund aufgehalten, ca. einen Monat danach einen Reisepass und ein Visum für den Iran bekommen und sei ausgereist. Von Kabul sei einmal für eine ganze Nacht mit dem Linienbus ins Heimatdorf zu seiner Mutter gefahren, Probleme habe es dabei nicht gegeben. Er sei immer nachts mit dem Linienbus unterwegs gewesen.

Der erste Vorfall habe stattgefunden, als den Beschwerdeführer nachts am Heimweg von der Moschee drei Männer angesprochen und ihm vorgeworfen hätten, dass seine beiden Brüder und sein Vater für den Staat tätig wären. Sie hätten ihn aufgefordert, für sie zu arbeiten, aus Angst habe der Beschwerdeführer erklärt, er werde sich das überlegen. Beim zweiten Mal habe er nachts die Äcker der Familie bewässert, als ihn gegen 22 Uhr drei andere Männer aufgesucht und dasselbe wie letztes Mal gesagt und gefragt hätten. Beim dritten Mal seien wieder drei Unbekannte nachts zu ihm auf den Acker gekommen und hätten das gleiche wie bisher gewollt. Dass diese Personen ihn gekannt hätten, obwohl er sie nicht, erklärte er damit, jemand aus dem Dorf hätte sie sicher informiert. Am nächsten Morgen um 5:00 habe der Beschwerdeführer sein Dorf verlassen und nur die Tazkira und das Geld mitgenommen. Dass es sich um Taliban gehandelt habe, wisse er deshalb, weil sie mit Kalaschnikows und Pistolen bewaffnet gewesen seien und ihn aufgefordert hätten, für die Taliban zu kämpfen. Ihre Bekleidung habe der Beschwerdeführer nicht gesehen, weil es nachts gewesen sei. Sie hätten sich drei Meter von ihm entfernt befunden. Gefoltert oder geschlagen sei der Beschwerdeführer nicht worden, auch seien die Taliban nicht bei ihm zu Hause gewesen. Weder der Vater, noch die beiden älteren Brüder, noch sonst jemand in der Familie sei jemals von den Taliban bedroht worden.

Die Taliban würden in ihrem Tal wohnen, es gebe ein paar junge Männer, die sie mitgenommen hätten.

Am 9.5.2016 wurde der Beschwerdeführer vor dem Bundesamt nochmals zu seiner Fluchtroute einvernommen.

Mit dem gegenständlich angefochtenen Bescheid des Bundesamtes wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG hinsichtlich der Zuerkennung Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf seinen Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Gemäß § 57 AsylG wurde ihm ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde festgelegt, dass die Frist für die freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidungen betrage (Spruchpunkt IV.).

Dagegen richtet sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde, der ein Volkshochschulezeugnis über die Abschlussprüfung aus Gesundheit und Soziales der Pflichtschulabschluss-Prüfung sowie eine Bescheinigung über einen Erste-Hilfe Grundkurs beigelegt wurden.

Am 11.6.2019 führte das Bundesverwaltungsgericht unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Dari und eines länderkundigen Sachverständigen für Afghanistan eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei entschuldigt nicht teilnahm. Dabei erklärte der Beschwerdeführer im Wesentlichen, in einem näher genannten Dorf im Distrikt Nejrab in der Provinz Kapisa geboren zu sein und bis kurz vor seiner Ausreise immer zusammen mit seiner Familie im Heimatdorf gelebt zu haben. Kurz vor seiner Ausreise habe er sich in Kabul aufgehalten. Bis zur zwölften Klasse habe er die Schule besucht und absolviert, jedoch keine Berufsausbildung. Da sein Vater und die beiden älteren Brüder auswärts gearbeitet hätten, habe der Beschwerdeführer die Rolle des Familienoberhauptes gespielt und sei für die Außenangelegenheiten, nämlich Bewirtschaftung der Landwirtschaft bzw. Bewässerung zuständig gewesen. Er hätte zu Hause bleiben und sich um die jüngeren Geschwister kümmern müssen. Die Familie habe in einem eigenen Haus gelebt, seine Angehörigen würden sich nach wie vor dort aufhalten. Der Vater sei Oberst und arbeite noch immer am Militärflughafen in der Provinz Helmand, der älteste Bruder in Zabul, der zweitälteste in einem Militärcamp in Kabul. Der Vater würde alle 5 bis 6 Monate für ca. 10 bis 15 Tage nach Hause kommen, die Brüder ca. einmal im Jahr. Die Stellung seines Vaters kenne der Beschwerdeführer nicht. Er arbeite dort im Büro und erledige Schreibarbeit. Ein Oberst könne nicht ein Gewehr oder eine Pistole tragen und an Kampfhandlungen teilnehmen. Der Beschwerdeführer selbst sei der drittälteste der Brüder, die übrigen Geschwister seien jünger als er. Insgesamt wären sie neun Geschwister, acht Brüder und eine Schwester. Der viertälteste Bruder habe wegen der Probleme das Haus verlassen, der Beschwerdeführer wisse nicht, wo er sich aufhalte. Die anderen lebten noch im Haus der Familie im Heimatdorf.

Aufgefordert, seine Fluchtgründe und seine gegenwärtige Gefährdung detailliert zu schildern, brachte der Beschwerdeführer vor, zunächst seien auf dem Heimweg von der Moschee plötzlich die Taliban vor ihm gestanden und hätten ihn bedroht. Sie hätten ihm vorgehalten, dass sein Vater und seine Brüder für die Regierung arbeiteten und Militärangehörige seien. Anschließend hätten sie ihn aufgefordert, für die Taliban zu arbeiten. Der Grund für die Aufforderung sei eben die Tätigkeit seiner Familienangehörigen für die Regierung gewesen. Zudem hätten die Taliban bereits viele Jugendliche mitgenommen. Sie würden jeden Mann mitnehmen. Ein spezieller Grund dafür sei, wenn Menschen für die Regierung tätig wären. Die Taliban hätten gesagt, dass sie bereits die anderen Jugendlichen mitgenommen hätten und auch den Beschwerdeführer mitnehmen wollten.

Nach dem ersten Mal habe er dies zu Hause zunächst seiner Mutter, dann dem Vater mitgeteilt, der ihn aufgefordert habe, darüber mit den Dorfältesten zu sprechen, was er auch getan habe. Diese hätten ihm jedoch mitgeteilt, dass sie dagegen nichts machen könnten. Die Taliban seien stärker und größer als die Dorfbewohner und bewaffnet. Das Dorf werde von den Taliban beherrscht.

Vorgelegt wurden Kopien der Ausweise des Vaters und der beiden älteren Brüder.

Im Rahmen der Verhandlung wurde der Sachverständige damit beauftragt, aufgrund des Verfahrensaktes des Bundesamtes und auf Grundlage des in der Verhandlung Gesagten eine gutachterliche Stellungnahme zu erstellen.

Am 10.9.2019 und am 7.10.2019 wurde die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht fortgesetzt.

Am 10.9.2019 wurde zunächst begonnen, die gutachterliche Stellungnahme des länderkundigen Sachverständigen vorzutragen und zu übersetzen, auf Antrag des Beschwerdeführervertreters wurde die Verhandlung vertagt.

Anlässlich der Fortsetzung der Verhandlung am 7.10.2019 wurde das Gutachten des länderkundigen Sachverständigen vom 20.6.2019 vom Beginn an vorgetragen und übersetzt.

Darin wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Angaben des Beschwerdeführers, dass er direkt aus seiner Herkunftsregion kommen würde, nicht authentisch seien und nicht den dortigen Verhältnissen entsprächen, wenn man von der Vorgangsweise der Taliban gegen die Angehörigen von Offizieren, die sich gegen sie an der Front befänden, ausgehe. Wenn sich sein Vater tatsächlich seit Jahren als Oberst an der gefährlichen vordersten Kriegsfront - nämlich in Helmand - befinde, könne er sich nicht kurz vor seiner Ausreise im Heimatdorf aufgehalten haben. Helmand sei ein Kriegsgebiet, das sich hauptsächlich unter der Herrschaft der Taliban und der Drogenbosse befinde. Ein Oberst, der aktiv im Rahmen der Nationalarmee an einem heiklen Ort wie Helmand Dienst leiste, sei für die Taliban in seiner Heimatregion der Feind Nummer 1. Wenn sie Informationen darüber hätten, woher er stamme, dann würden sie seine Familie nicht schonen. In einem solchen Fall gebe es mehrere Methoden gegen sie vorzugehen:

Entweder würden sie die Familie aus dem Dorf vertreiben und sein Haus besetzen oder sie mit einer hohen Geldsumme bestrafen oder seine im Heimatdorf befindlichen Söhne foltern. Wenn der Oberst an der Kriegsfront die Truppen befehligte, sei dies ein Akt der Feindschaft gegen die Taliban und in diesem Fall würden diese keinen seiner Söhne schonen. Wenn der Beschwerdeführer das Land verlassen habe, würden die Taliban andere Brüder, die noch im Dorf lebten, mitnehmen, zuerst verhaften und schwer foltern und dies dem Oberst mitteilen, damit er darunter leide oder versuche, mit Ihnen einen Deal zu machen. Dann könnte es vorkommen, dass die Söhne bei einem gefährlichen Einsatz an der vordersten Reihe eingesetzt würden.

Die Familie von Polizisten und Unteroffizieren könnten unter Umständen in ihrem Heimatdorf leben. Die Taliban würden diese Familien auffordern, zu veranlassen, dass ihre Söhne die Dienste aufgeben bzw. die Armee verlassen, sonst würden sie von den Taliban mit Geldstrafen belegt und im schlimmsten Fall aus ihrem Heimatdorf vertrieben.

Angesichts dieser Tatsachen lasse ein Oberst auf keinem Fall seine Familie in seiner Region zurück, wenn diese von den Taliban beherrscht werde. Die Familien der hohen Offiziere würden auf keinen Fall im Herrschaftsbereich der Taliban leben, weil sie wüssten, dass diese auf alle Fälle die Sippenhaft geltend machen würden, seine Söhne mit Gewalt mitnehmen und in einer Art von Sklaventätigkeit für sich einsetzten. Zudem würden sie mindestens einen der Söhne schwer foltern oder auch töten, wenn der Oberst seinen Dienst an der Front gegen die Taliban nicht beende. Die Aufgaben eines Obersts seien es, entweder Kommandant einer Truppe, im Falle des Vaters des Beschwerdeführers, einer Brigade an der Front oder ein Leiter der Militäreinrichtung an der Front zu sein. Ein Oberst sei bewaffnet und habe mit Sicherheit zwei schwer bewaffnete Leibwächter aus der Reihe seiner Soldaten.

Dem Beschwerdeführer wurde Gelegenheit gegeben, sich zum Gutachten zu äußern: Dabei erklärte er, es gebe nur einen einzigen Punkt betreffend sein Herkunftsdorf. Er wiederhole es noch einmal, er stamme aus dem bereits genannten Dorf, Distrikt bzw. aus der Region. Seine Familie lebe nach wie vor dort. Der Sachverständige bestätige in seinem Gutachten, dass die Familie eines Offiziers Probleme in Afghanistan habe. Dieselben Probleme habe er selbst in Afghanistan gehabt, wie den Protokollen zu entnehmen sei.

Dazu erläuterte das länderkundige Sachverständige Folgendes:

"Der BF muss sich die Schlussfolgerung meines Gutachtens vor Augen halten und sich dementsprechend dazu äußern, nämlich habe ich in meinem Gutachten zum Ausdruck gebracht, dass die Angaben des BF, dass sein Vater als Oberst an der Kriegsfront alle 6 Monate zu einem Familienbesuch nach Hause gekommen ist, unmöglich ist und dass ich das nicht für authentisch halte, dass der Vater des BF als Oberst tatsächlich nach Hause kommt bzw. seine Familie dort leben kann, wo die Taliban Einfluss im Dorf haben. Außerdem sind die Äußerungen des BF, dass der Vater ihn, den BF und seiner Familie geraten hätte, sich mit den Dorfältesten zu beraten, wenn sie mit den Taliban Probleme haben. Der BF hat angegeben, dass er seinen Vater angerufen und ihm gesagt hätte, dass die Taliban ihnen Probleme bereiten würden. Der Vater hätte ihm dann geraten, mit den Dorfältesten Kontakt aufzunehmen. Diese Angaben entsprechen jedoch nicht den Tatsachen in Afghanistan. Ein Oberst an der Kriegsfront würde seine Familie jedenfalls aus einem Dorf mit Taliban-Einfluss evakuieren. Denn einem Obersten an der Front ist bewusst, dass seine Familie in hohe Gefahr gerät, wenn die Taliban in seinem Heimatdorf Einfluss gewinnen und sogar seine Söhne bedrohen. Diese Angaben des BF kann man der ersten Seite des Gutachtens im letzten Absatz zu den Angaben des BF zu seinem Fluchtvorbringen entnehmen."

Weiters erläuterte der länderkundige Sachverständige, dass es nicht darum gehe zu beweisen, ob der Vater Oberst sei oder nicht, sondern darum, ob die Familie eines Obristen, der sich im aktiven Kriegsdienst gegen die Taliban befinde, in einem Dorf wohnen könne, welches unter dem Einfluss der Taliban stehe. Außerdem sei es unmöglich, dass ein Oberst, der sich in der ersten Reihe des Kriegsdienstes in Helmand befinde, alle sechs Monate zum Zwecke des Familienbesuchs in sein Heimatdorf begebe und dort immer wieder zehn Tage lang bleibe, wenn dieses Dorf unter dem Einfluss der Taliban stehe.

In weiterer Folge erklärte der Beschwerdeführer, an keiner lebensbedrohlichen Erkrankung zu leiden und in Österreich keine Familienangehörigen zu haben. Er wohne seit seiner Ankunft in einer Pension und erhalte € 180 monatlich vom Sozialamt. Er habe mehrmals versucht, in Österreich einer Arbeit nachzugehen, diesbezüglich habe er die Ablehnungsbestätigungen der Arbeitserlaubnis des AMS. Im letzten Monat habe er beim Magistrat den Antrag gestellt, um selbstständig zu werden. Bezüglich des Gewerbescheins würde er in etwa einer Woche den Bescheid bekommen, dann könne er sich auch an das Sozialamt wenden, ob sein Anspruch auf die Leistungen, nämlich auf das Wohnen und auf Differenzen des monatlichen Betrages, weiterbestünden.

Vor fast zwei Jahren habe der Beschwerdeführer in der Volkshochschule einen Pflichtschulabschluss absolviert, ein Sprachzeugnis Niveau B1 habe er auch bereits und könne es vorlegen. Zudem gebe es eine Supervisionsbestätigung darüber, dass der Beschwerdeführer bei der Caritas freiwillig als Dolmetscher ausgeholfen habe. Über die Caritas habe er auch zwei bis dreimal in der Woche Sachspenden übernommen und anderweitig geholfen zum Beispiel bei der Gartenarbeit. Weiters sei er Mitglied einer Fußballmannschaft, habe den Führerschein gemacht, könne Empfehlungsschreiben und diverse weitere Deutschkursbestätigungen vorlegen. Seit zwei Monaten lebe er in einer Partnerschaft mit einer rumänischen Freundin, die er jedoch nicht zu sich ins Heim bringen dürfe. Zudem habe er viele österreichische Bekannte, eine davon sei im Saal anwesend. Sie sei die Freundin seines besten Freundes und würde ihn seit fast vier Jahren kennen.

Vorgelegt wurden die Allgemeinen Länderfeststellungen der Staatendokumentation zu Afghanistan und eine Stellungnahmefrist von drei Wochen eingeräumt.

Diese Stellungnahme langte beim Bundesverwaltungsgericht am 29.10.2019 ein. Darin wurde im Wesentlichen angeführt, dass der Beschwerdeführer seit 1.10.2019 über eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern verfüge und aufgrund seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit selbsterhaltungsfähig sei. Dazu wurde ein Auszug aus dem Gewerbeinformationssystem Austria vom 2.10.2019 beigelegt. Der Beschwerdeführer sei bereits aus der zur Verfügung gestellten Flüchtlingsunterkunft ausgezogen und habe sich privat eine Wohnung gemietet. Er komme für die Wohnkosten und den Lebensunterhalt selbst auf. Dazu wurde eine Meldebestätigung beigelegt. Er sei überdurchschnittlich gut integriert, spreche fast perfekt die deutsche Sprache und werde von seinen Freunden und Bekannten geschätzt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger, gehört zur Volksgruppe der Tadschiken und dem sunnitischen Glauben an. Er wurde im Distrikt Nejrab in der Provinz Kapisa geboren, besuchte in Afghanistan zwölf Jahre die Schule und wuchs mit Eltern und Geschwistern im familieneigenen Haus auf. Die Familie besitzt eine Landwirtschaft. Bis knapp vor seiner Ausreise hielt sich der Beschwerdeführer bei seiner Familie auf, den letzten Monat bei einem Freund in Kabul. Seine Familie lebt nach seinen Angaben nach wie vor im eigenen Haus, sein Vater und zwei seiner Brüder sind im Staatsdienst.

Der Beschwerdeführer konnte nicht glaubhaft machen, in Afghanistan von den Taliban von Zwangsrekrutierung bzw. als Angehöriger der Familie seines Vaters von Verfolgung bedroht zu sein.

Beim volljährigen Beschwerdeführer handelt es sich um einen alleinstehenden, gesunden und leistungsfähigen Mann. Er wuchs in Afghanistan auf, besuchte dort zwölf Jahre lang die Schule wurde dort sozialisiert und beherrscht eine Landessprache (Dari) auf muttersprachlichem Niveau. In Österreich holte er dem Pflichtschulabschluss nach, erwarb den Führerschein und eine Gewerbeberechtigung. Unter Berücksichtigung der Länderberichte und der persönlichen Situation des Beschwerdeführers ist deshalb in einer Gesamtbetrachtung nicht zu erkennen, dass er im Fall seiner Abschiebung und Ansiedelung in Herat oder in der Stadt Mazar-e Sharif in eine ausweglose Lebenssituation geraten und real Gefahr laufen würde, eine Verletzung seiner durch Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK oder der durch die Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention geschützten Rechte zu erleiden.

Der Beschwerdeführer konnte ÖSD Zertifikate auf dem Niveau A1 und A2 sowie ein ÖIF Zeugnis auf dem Niveau B1 vorlegen. Zudem legte er die Pflichtschulabschluss Prüfung ab und erwarb einen österreichischen Führerschein. Er nahm an diversen Integrationsveranstaltungen und einem Erste-hilfe Grundkurs teil und war für die Caritas ehrenamtlich tätig, zum Beispiel als Dolmetscher und beim Sammeln von Sachspenden, auch half er freiwillig bei Gartenarbeiten. Er ist Mitglied in einer Fußballmannschaft und konnte diverse Unterstützungsschreiben vorlegen. Zudem ist er mittlerweile nicht mehr in der Grundversorgung, lebt in einer Privatwohnung und verfügt über eine Gewerbeberechtigung für das freie Gewerbe Güterbeförderung mit Kraftfahrzeugen oder Kraftfahrzeugen mit Anhängern und ist selbsterhaltungsfähig. Er hat eine Partnerschaft mit einer Rumänin.

Zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers

Politische Ereignisse: Friedensgespräche. Loya Jirga, Ergebnisse Parlamentswahl Ende Mai 2019 fand in Moskau die zweite Runde der Friedensgespräche zwischen den Taliban und afghanischen Politikern (nicht der Regierung. Anm.) statt. Bei dem Treffen äußerte ein Mitglied der Taliban. Amir Khan Muttaqi, den Wunsch der Gruppierung nach Einheit der afghanischen Bevölkerung und nach einer "inklusiven" zukünftigen Regierung. Des Weiteren behauptete Muttaqi. die Taliban würden die Frauenrechte respektieren wollen. Ein ehemaliges Mitglied des afghanischen Parlaments. Fawzia Koofi, äußerte dennoch ihre Bedenken und behauptete. die Taliban hätten kein Interesse daran. Teil der aktuellen Regierung zu sein. und dass die Gruppierung weiterhin für ein islamisches Emirat stünde. (Tolonews 31.5.2019a).

Vom 29.4.2019 bis 3.5.2019 tagte in Kabul die "große Ratsversammlung" (Loya Jirga). Dabei verabschiedeten deren Mitglieder eine Resolution mit dem Ziel. einen Friedensschluss mit den Taliban zu erreichen und den inner-afghanischen Dialog zu fördern. Auch bot Präsident Ghani den Taliban einen Waffenstillstand während des Ramadan von 6.5.2019 bis 4.6.2019 an. betonte aber dennoch. dass dieser nicht einseitig sein würde. Des Weiteren sollten 175 gefangene Talibankämpfer freigelassen werden (BAMF 6.5.2019). Einer weiteren Quelle zufolge wurden die kritischen Äußerungen zahlreicher Jirga-Teilnehmer zu den nächtlichen Militäroperationen der USA nicht in den Endbericht aufgenommen. um die Beziehungen zwischen den beiden Staaten nicht zu gefährden. Die Taliban nahmen an dieser von der Regierung einberufenen Friedensveranstaltung nicht teil. was wahrscheinlich u.a. mit dem gescheiterten Dialogtreffen. das für Mitte April 2019 in Katar geplant war. zusammenhängt. Dort wäre die Regierung zum ersten Mal an den Friedensgesprächen mit den Taliban

beteiligt gewesen. Nachdem erstere jedoch ihre Teilnahme an die Bedingung geknüpft hatte, 250 Repräsentanten nach Doha zu entsenden und die Taliban mit Spott darauf reagierten, nahm letztendlich kein Regierungsmitarbeiter an der Veranstaltung teil. So fanden Gespräche zwischen den Taliban und Exil-Afghanen statt, bei denen viele dieser das Verhalten der Regierung öffentlich kritisierten (Heise 16.5.2019).

Anfang Mai 2019 fand in Katar auch die sechste Gesprächsrunde zwischen den Taliban und den USA statt. Der Sprecher der Taliban in Doha, Mohammad Sohail Shaheen, betonte, dass weiterhin Hoffnung hinsichtlich der inner-afghanischen Gespräche bestünde. Auch konnten sich der Quelle zufolge die Teilnehmer zwar bezüglich einiger Punkte einigen, dennoch müssten andere "wichtige Dinge" noch behandelt werden (Heise 16.5.2019).

Am 14.5.2019 hat die unabhängige Wahlkommission (Independent Electoral Commission, IEC) die Wahlergebnisse der Provinz Kabul für das afghanische Unterhaus (Wolesi Jirga) veröffentlicht (AAN 17.5.2019; vgl. IEC 14.5.2019, IEC 15.5.2019). Somit wurde nach fast sieben Monaten (die Parlamentswahlen fanden am 20.10.2018 und 21.10.2018 statt) die Stimmenauszählung für 33 der 34 Provinzen vervollständigt. In der Provinz Ghazni soll die Wahl zusammen mit den Präsidentschafts- und Provinzialratswahlen am 28.9.2019 stattfinden. In seiner Ansprache zur Angelobung der Parlamentsmitglieder der Provinzen Kabul und Paktya am 15.5.2019 bezeichnete Ghani die siebenmonatige Wahl als "Katastrophe" und die beiden Wahlkommissionen, die IEC und die Electoral Complaints Commission (ECC), als "ineffizient" (AAN 17.5.2019).

Zivile-Opfer, UNAMA-Bericht

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im ersten Quartal 2019 (1.1.2019 - 31.3.2019) 1.773 zivile Opfer (581 Tote und 1.192 Verletzte), darunter waren 582 der Opfer Kinder (150 Tote und 432 Verletzte). Dies entspricht einem Rückgang der gesamten Opferzahl um 23% gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres, welches somit der niedrigste Wert für das erste Jahresquartal seit 2013 ist (UNAMA 24.4.2019).

Diese Verringerung wurde durch einen Rückgang der Zahl ziviler Opfer von Selbstmordanschlägen mit IED (Improvised Explosive Devices - unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung/Sprengfallen) verursacht. Der Quelle zufolge könnten die besonders harten Winterverhältnisse in den ersten drei Monaten des Jahres 2019 zu diesem Trend beigetragen haben. Es ist unklar, ob der Rückgang der zivilen Opfer wegen Maßnahmen der

Konfliktparteien zur Verbesserung des Schutzes der Zivilbevölkerung oder durch die laufenden Gespräche zwischen den Konfliktparteien beeinflusst wurde (UNAMA 24.4.2019). Die Zahl der zivilen Opfer aufgrund von Nicht-Selbstmord-Anschlägen mit IEDs durch regierungsfeindliche Gruppierungen und Luft- sowie Suchoperationen durch regierungsfreundliche Gruppierungen ist gestiegen. Die Zahl der getöteten Zivilisten, die regierungsfreundlichen Gruppierungen zugeschrieben wurden, übertraf im ersten Quartal 2019 die zivilen Todesfälle, welche von regierungsfeindlichen Elementen verursacht wurden (UNAMA 24.4.2019).

Kampfhandlungen am Boden waren die Hauptursache ziviler Opfer und machten etwa ein Drittel der Gesamtzahl aus. Der Einsatz von IEDs war die zweithäufigste Ursache für zivile Opfer: Im Gegensatz zu den Trends von 2017 und 2018 wurde die Mehrheit der zivilen Opfer von IEDs nicht durch Selbstmordanschläge verursacht, sondern durch Angriffe, bei denen der Angreifer nicht seinen eigenen Tod herbeiführen wollte. Luftangriffe waren die Hauptursache für zivile Todesfälle und die dritthäufigste Ursache für zivile Opfer (Verletzte werden auch mitgezählt, Anm.), gefolgt von gezielten Morden und explosiven Kampfmittelrückständen (UXO - unexploded ordnance). Am stärksten betroffen waren Zivilisten in den Provinzen Kabul, Helmand, Nangarhar, Faryab und Kunduz (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 24.4.2019).

Anschläge in Kabul-Stadt

Ende Mai 2019 fanden in Kabul-Stadt einige Anschläge und gezielte Tötungen in kurzen Abständen zu einander statt: Am 26.5.2019 wurde ein leitender Mitarbeiter einer NGO in Kart-e Naw (PD5, Police District 5) durch unbekannte bewaffnete Männer erschossen (Tolonews 27.5.2019a). Am 27.5.2019 wurden nach der Explosion einer Magnetbombe, die gegen einen Bus von Mitarbeitern des Ministeriums für Hadsch und religiöse Angelegenheiten gerichtet war, zehn Menschen verletzt. Die Explosion fand in Parwana-e Do (PD2) statt. Zum Vorfall hat sich keine Gruppierung bekannt (Tolonews 27.5.2019b).

Des Weiteren wurden im Laufe der letzten zwei Maiwochen vier Kontrollpunkte der afghanischen Sicherheitskräfte durch unbekannte bewaffnete Männer angegriffen (Tolonews 31.5.2019b).

Am 30.5.2019 wurden in Folge eines Selbstmordangriffes nahe der Militärakademie Marshal Fahim im Stadtteil Char Rahi Qambar (PD5) sechs Personen getötet und 16 Personen, darunter vier Zivilisten, verletzt. Die Explosion erfolgte, während die Kadetten die Universität verließen (1 TV NEWS 30.5.2019). Der Islamische Staat (IS) bekannte sich zu dem Anschlag (AJ 30.5.2019).

Am 31.5.2019 wurden sechs Personen, darunter vier Zivilisten, getötet und fünf Personen, darunter vier Mitglieder der US-Sicherheitskräfte, verletzt, nachdem ein mit Sprengstoff beladenes Auto in Qala-e Wazir (PD9) detonierte. Quellen zufolge war das ursprüngliche Ziel des Angriffs ein Konvoi ausländischer Sicherheitskräfte (Tolonews 31.5.2019c).

Am 2.6.2019 kam nach der Detonation von mehreren Bomben eine Person ums Leben und 17 weitere wurden verletzt. Die Angriffe fanden im Westen der Stadt statt, und einer davon wurde von einer Klebebombe, die an einem Bus befestigt war, verursacht. Einer Quelle zufolge transportierte der Bus Studenten der Kabul Polytechnic University (TW 2.6.2019). Der IS bekannte sich zu den Anschlägen und beanspruchte den Tod von "mehr als 30 Schiiten und Mitgliedern der afghanischen Sicherheitskräfte" für sich. Die Operation erfolgte in zwei Phasen: Zuerst wurde ein Bus, der 25 Schiiten transportierte, angegriffen, und darauf folgend detonierten zwei weitere Bomben, als sich "Sicherheitselemente" um den Bus herum versammelten. Vertreter des IS haben u.a. in Afghanistan bewusst und wiederholt schiitische Zivilisten ins Visier genommen und sie als "Polytheisten" bezeichnet. (LWJ 2.6.2019).

Am 3.6.2019 kamen nach einer Explosion auf der Darul Aman Road in der Nähe der American University of Afghanistan fünf Menschen ums Leben und zehn weitere wurden verletzt. Der Anschlag richtete sich gegen einen Bus mit Mitarbeitern der Independent Administrative Reform and Civil Service Commission (Tolonews 3.6.2019)

US-Angaben zufolge ist die Zahl der IS-Anhänger in Afghanistan auf ca. 5.000 gestiegen, fünfmal so viel wie vor einem Jahr. Gemäß einer Quelle profitiert die Gruppierung vom "zahlenmäßigen Anstieg der Kämpfer in Pakistan und Usbekistan und von aus Syrien geflohenen Kämpfern". Des Weiteren schließen sich enttäuschte Mitglieder der Taliban sowie junge Menschen ohne Zukunftsperspektive dem IS an, der in Kabul, Nangarhar und Kunar über Zellen verfügt (BAMF 3.6.2019). US-Angaben zufolge ist es "sehr wahrscheinlich", dass kleinere IS-Zellen auch in Teilen Afghanistans operieren, die unter der Kontrolle der Regierung oder der Taliban stehen (VOA 21.5.2019). Eine russische Quelle berichtet wiederum, dass ca. 5.000 IS-Kämpfer entlang der Nordgrenze tätig sind und die Nachbarländer bedrohen. Der Quelle zufolge handelt es sich dabei um Staatsbürger der ehemaligen sowjetischen Republiken, die mit dem IS in Syrien gekämpft haben (Newsweek 21.5.2019).

Rückkehr

Die International Organization for Migration (IOM) gewährt seit April 2019 keine temporäre Unterkunft für zwangsrückgeführte Afghanen mehr. Diese erhalten eine Barzuwendung von ca. 150 Euro sowie Informationen über mögliche Unterkunftsmöglichkeiten. Gemäß dem Europäischen Auswärtigen Amt (EAD) nutzten nur wenige Rückkehrer die Unterbringungsmöglichkeiten von IOM (BAMF 20.5.2019).

Quellen:

-

- 1 TV NEWS (30.5.2019): At least six killed in suicide blast near military academy in

Kabul,

http://www.1tvnews.af/en/news/afghanistan/38366-breaking-blast-rocks-

kabul, Zugriff 3.6.2019

-

AAN - Afghanistan Analysts Network (17.5.2019): The Results of Afghanistan's 2018

Parliamentary Elections: A new, but incomplete Wolesi Jirga,

https://www.afghanistan-analysts.org/the-results-of-afghanistans-2018-parliamentary-

elections-a-new-but-incomplete-wolesi-jirga/. Zugriff 22.5.2019

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AJ - Al Jazeera (30.5.2019): Suicide bomber targets Afghan military training centre in

Kabul,

https://www.aljazeera.com/news/2019/05/suicide-bomber-targets-afghan-

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (3.6.2019):

Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (20.5.2019):

Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

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BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (6.5.2019):

Briefing Notes, Afghanistan, per E-Mail

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BFA - Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Staatendokumentation (13.2.2019): Kabul Police Districts Map, liegt im Archiv der Staatendokumentation auf

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Heise (16.5.2019): Afghanistan: Wie viel Macht hat der Präsident?,

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Aktualisierung: Sicherheitslage in Afghanistan - Q4.2018

Allgemeine Sicherheitslage und sicherheitsrelevante Vorfälle

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt volatil. Die Vereinten Nationen (UN) registrierten im Berichtszeitraum 16.8.2018 - 15.11.2018 5.854 sicherheitsrelevante Vorfälle, was einen Rückgang von 2% gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres bedeutet. Bewaffnete Zusammenstöße gingen um 5% zurück, machten aber weiterhin den Großteil der sicherheitsrelevanten Vorfälle (63%) aus. Selbstmordanschläge gingen um 37% zurück, was möglicherweise an erfolgreichen Bekämpfungsmaßnahmen in Kabul-Stadt und Jalalabad liegt. Luftangriffe durch die afghanische Luftwaffe (AAF) sowie internationale Streitkräfte stiegen um 25%. Die am stärksten betroffenen Regionen waren der Süden, der Osten und der Süd-Osten. In der Provinz Kandahar entstand die Befürchtung, die Sicherheitsbedingungen könnten sich verschlechtern, nachdem der Polizeichef der Provinz und der Leiter des National Directorate for Security (NDS) im Oktober 2018 ermordet worden waren (UNGASC 7.12.2018). Gemäß dem Special Inspector General for Afghanistan Reconstruction (SIGAR) fanden bis Oktober 2018 die meisten Angriffe regierungsfeindlicher Gruppierungen in den Provinzen Badghis, Farah, Faryab, Ghazni, Helmand, Kandahar, Uruzgan und Herat statt. Von Oktober bis Dezember 2018 verzeichneten Farah, Helmand und Faryab die höchste Anzahl regierungsfeindlicher Angriffe (SIGAR 30.1.2019).

Nach dem Taliban-Angriff auf Ghazni-Stadt im August 2018, bestand weiterhin die Befürchtung, dass die Taliban großangelegte Angriffe im Südosten des Landes verüben könnten. Dies war zwar nicht der Fall, dennoch setzten Talibankämpfer die afghanischen Sicherheitskräfte am Stadtrand von Ghazni, in Distrikten entlang des Highway One nach Kabul und durch die Einnahme des Distrikts Andar in Ghazni im Oktober weiterhin unter Druck. Im Westen der Provinz Ghazni, wo die ethnische Gruppierung der Hazara eine Mehrheit bildet, verschlechterten sich die Sicherheitsbedingungen wegen großangelegter Angriffe der Taliban, was im November zur Vertreibung zahlreicher Personen führte. In Folge eines weiteren Angriffs der Taliban im Distrikt Khas Uruzgan der Provinz Uruzgan im selben Monat wurden ebenfalls zahlreiche Hazara-Familien vertrieben. Des Weiteren nahmen Talibankämpfer in verschiedenen Regionen vorübergehend strategische Positionen entlang der Hauptstraßen ein und behinderten somit die Bewegungsfreiheit zwischen den betroffenen Provinzen. Beispiele dafür sind Angriffe entlang Hauptstraßen nach Kabul in den Distrikten Daymirdad und Sayyidabad in Wardak, der Route Mazar - Shirbingham und Maimana - Andkhoy in den nördlichen Provinzen Faryab, Jawzjan und Balkh und der Route Herat - Qala-e-Naw im westlichen Herat und Badghis (UNGASC 7.12.2018). Trotz verschiedener Kampfhandlungen und Bedrohungen blieben mit Stand Dezember 2018 gemäß SIGAR die Provinzzentren aller afghanischen Provinzen unter Kontrolle bzw. Einfluss der afghanischen Regierung (SIGAR 30.1.2019).

Im Laufe des Wahlregistrierungsprozesses und während der Wahl am 20. und am 21. Oktober wurden zahlreiche sicherheitsrelevante Vorfälle registriert, welche durch die Taliban und den Islamischen Staat - Provinz Khorasan (ISKP) beansprucht wurden (UNGASC 7.12.2018; vgl. UNAMA 10.10.2018, UNAMA 11.2018). Während der Wahl in der Provinz Kandahar, die wegen Sicherheitsbedenken auf den 27. Oktober verschoben worden war, wurden keine sicherheitsrelevanten Vorfälle registriert. Die afghanischen Sicherheitskräfte entdeckten und entschärften einige IED [Improvised Explosive Devices - Improvisierte Spreng- oder Brandvorrichtung/Sprengfallen] in Kandahar-Stadt und den naheliegenden Distrikten (UNAMA 11.2018). Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) hatte zwischen 1.1.2018 und 30.9.2018 im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen insgesamt 366 zivile Opfer (126 Tote und 240 Verletzte) registriert (UNAMA 10.10.2018). Am offiziellen Wahltag, dem 20. Oktober, wurden 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) registriert, darunter 117 Kinder (21 Tote und 96 Verletzte) und 48 Frauen (2 Tote und 46 Verletzte). Am folgenden Wahltag, dem 21. Oktober, wurden 47 weitere zivile Opfer (4 Tote und 43 Verletzte) verzeichnet, inklusive 17 Kinder (2 Tote und 15 Verletzte) und Frauen (3 Verletzte). Diese Zahlen beinhalten auch Opfer innerhalb der Afghan National Police (ANP) und der Independet Electoral Commission (IEC) (UNAMA 11.2018). Die am 20. Oktober am meisten von sicherheitsrelevanten Vorfällen betroffenen Städte waren Kunduz und Kabul. Auch wenn die Taliban in den von ihnen kontrollierten oder beeinflussten Regionen die Wählerschaft daran hinderten, am Wahlprozess teilzunehmen,konnten sie die Wahl in städtischen Gebieten dennoch nicht wesentlich beeinträchtigen (trotz der hohen Anzahl von Sicherheitsvorfällen) (UNGASC 7.12.2018).

Die Regierung kontrolliert bzw. beeinflusst - laut Angaben der Resolute Support (RS) Mission - mit Stand 22.10.2018 53,8% der Distrikte, was einen leichten Rückgang gegenüber dem Vergleichszeitraum 2017 bedeutet. 33,9% der Distrikte sind umkämpft und 12,3% befinden sich unter Einfluss oder Kontrolle von Aufständischen. Ca. 63,5% der Bevölkerung leben in Gebieten, die sich unter Regierungskontrolle oder -einfluss befinden; 10,8% in Gegenden unter Einfluss bzw. Kontrolle der Aufständischen und 25,6% leben in umkämpften Gebieten. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an Distrikten unter Kontrolle bzw. Einfluss von Aufständischen sind Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).

Der ISKP ist weiterhin im Osten des Landes präsent und bekennt sich zu Selbstmordanschlägen und komplexen Angriffen in Nangarhar und zu sechs Angriffen in Kabul-Stadt. Des Weiteren finden in den Provinzen Nangarhar und Kunar weiterhin Kämpfe zwischen ISKP- und Talibankämpfern statt. Die internationalen Streitkräfte führten Luftangriffe gegen den ISKP in den Distrikten Deh Bala, Achin, Khogyani, Nazyan und Chaparhar der Provinz Nangarhar aus (UNGASC 7.12.2018).

Global Incident Map zufolge wurden im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 4.436 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert

Zivile Opfer

Die United Nations Assistance Mission in Afghanistan (UNAMA) registrierte im Berichtszeitraum (1.1.2018 - 31.12.2018) 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte), eine allgemeine Steigerung von 5% sowie eine Steigerung der Zahl der Toten um 11% gegenüber dem Vorjahreswert. 42% der zivilen Opfer (4.627 Opfer;

1.361 Tote und 3.266 Verletzte) wurden durch IED im Zuge von Anschlägen und Selbstmordanschlägen regierungsfeindlicher Gruppierungen (hauptsächlich ISKP) verursacht. Die Anzahl der Selbstmordanschläge unter Einsatz von IED stieg dabei um 22% und erreichte somit einen Rekordwert. Diese Art von Anschlägen verursachte 26% aller zivilen Opfer, während IED, die bei Nichtselbstmordanschlägen verwendet wurden, 16% der zivilen Opfer forderten. Kabul war mit insgesamt 1.866 Opfern (596 Tote und 1.270 Verletzte) die Provinz mit der höchsten Anzahl an Selbstmordanschlägen durch IED, während die Zahl der Opfer in Nangarhar mit insgesamt 1.815 (681 Tote und 1.134 Verletzte) zum ersten Mal fast die Werte von Kabul erreichte (hauptsächlich wegen des Einsatzes von IED bei Nichtselbstmordanschlägen). Kabul-Stadt verzeichnete insgesamt 1.686 zivile Opfer (554 Tote und 1.132 Verletzte) wegen komplexen und Selbstmordangriffen (UNAMA 24.2.2019).

Zusammenstöße am Boden (hauptsächlich zwischen regierungsfreundlichen und regierungsfeindlichen Gruppierungen) verursachten 31% der zivilen Opfer (insgesamt 3.382;

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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