Entscheidungsdatum
11.02.2020Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W200 2168599-1/19E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. SCHERZ als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. 01.01. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch RA Dr. Christian Schmaus, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.07.2017, Zl. 1094905810-151782867, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 28.01.2019, zu Recht:
A) I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des
angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
III. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt III. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben und festgestellt, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG und § 52 FPG 2005 iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer unzulässig ist.
Gemäß § 54 Abs. 1 Z 1, § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 AsylG 2005 wird XXXX der befristete Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" in der Dauer von zwölf Monaten erteilt.
IV. Der Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird ersatzlos behoben.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Der Beschwerdeführer führt nach eigenen Angaben den im Spruch genannten Namen, ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der hazarischen Volksgruppe und dem schiitischen Glauben an, war im Heimatland zuletzt in der Provinz Sar-e-Pol wohnhaft, reiste am 16.11.2015 illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am selben Tag einen Antrag auf internationalen Schutz.
Im Rahmen der Erstbefragung am 16.11.2015 nannte der minderjährige Beschwerdeführer als Fluchtgrund den Krieg und die schlechte Sicherheitslage Afghanistans. Er hätte dort keine Zukunft für sich gesehen, weshalb er in den Iran geflüchtet sei. Den Iran hätte er verlassen, da er keine Dokumente gehabt hätte. Er hätte gehört, dass iranische Behörden Afghanen ohne Dokumente nach Afghanistan oder in den Krieg nach Syrien schicken würden.
Im Rahmen der Einvernahme vor dem BFA am 08.11.2016 gab der minderjährige Beschwerdeführer an, dass seine Mutter und sein Bruder im Heimatdorf leben würden, eine Schwester in Kabul und eine andere Schwester im Iran, jeweils mit den eigenen Familien. Der Vater sei in seiner Kindheit verstorben. Diesen hätten die Taliban getötet. Seine Mutter hätte ihm gesagt, dass Krieg geherrscht hätte. Sein Großvater und sein Vater hätten in den Krieg ziehen müssen. Während der Großvater es überlebt hätte, sei der Vater gestorben. Der Lebensunterhalt sei nach dem Tod des Vaters durch Bewirtschaftung der eigenen Grundstücke bestritten worden. Ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits würden noch in Afghanistan im Heimatdorf leben. Sie würden von der Landwirtschaft leben.
Er hätte Afghanistan direkt von seinem Heimatdorf aus vor zwei Jahren verlassen und hätte dann zehn Monate lang in Ghom, im Iran gelebt. Dort hätte er in einer Hühnerfarm und auf der Baustelle gearbeitet. In Afghanistan würde seine Familie in einem Eigentumshaus leben.
Als Fluchtgrund gab er an, dass es ihnen grundsätzlich gut gegangen sei, aber während der letzten Jahre sei dort sehr viel gekämpft worden. Es gebe Probleme mit den Taliban, weil er Hazara und Schiit sei. Wenn sie ihn erwischen würden, würden sie ihn töten. Seit kurzem gebe es auch den IS dort. Weitere Fluchtgründe hätte er nicht. Die Taliban würden glauben, dass sie Ungläubige seien. Sie hätten einen Cousin getötet, der nach Mazar e-Sharif reisen hätte wollen. Wann das genau gewesen wäre, wisse er nicht mehr.
Mit Bescheid des BFA vom 24.07.2017 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie festgestellt, dass die Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Es wurde ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen gewährt (Spruchpunkt IV.).
Gegen den Bescheid des BFA wurde fristgerecht Beschwerde erhoben und das bisherige Vorbringen, wonach Hazara verfolgt würden, im Wesentlichen bekräftigt. Zudem sei eine Rückkehr und Neuansiedelung in einem anderen Landesteil aufgrund seiner Minderjährigkeit nicht möglich.
Mit Schreiben vom August 2017 legte der Beschwerdeführer eine Mitgliedsbestätigung in einem Alpenverein, eine Mitgliedsbestätigung in einem Fußballverein, eine Bestätigung über Freiwilligenarbeit in einer Einrichtung für Menschen mit Behinderung im Ausmaß von regelmäßig zwei Wochenstunden sowie eine Teilnahmebestätigung an der offenen Wild:Werkstatt vor.
Mit Schreiben vom Oktober 2017 legte er medizinische Unterlagen sowie ein positives ÖSD-Deutsch-Zertifikat A2 und drei Bestätigungen über die Teilnahme an Workshops der Caritas vor.
In weiterer Folge wurde ein handschriftlich verfasstes Schriftstück vorgelegt. Eine Übersetzung ergab, dass darin einige afghanische Flüchtlinge im Iran über die Mutter und Schwester und Schwägerin des Beschwerdeführers den Aufenthalt im Iran in Ghom bestätigen.
In einer Stellungnahme vom 29.10.2018 brachte der Beschwerdeführervertreter vor, dass der Beschwerdeführer einen Kreuzbandriss laboriere, sowie an einer posttraumatischen Belastungsstörung und depressiven Episode leide. Unterlagen darüber wurden ebenfalls vorgelegt. Zudem legte der Beschwerdeführer ein positives ÖSD-Deutsch-Zertifikat B1 und eine Teilnahmebestätigung hinsichtlich eines Pflichtabschluss Tageslehrgangs, eines Theatertrainings sowie eines Fußballvereins vor.
Das Bundesverwaltungsgericht führte am 28.01.2019 zur Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes in Anwesenheit eines Dolmetschers eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, in welcher der Beschwerdeführer in Anwesenheit seines Rechtsvertreters und Vertrauensperson neuerlich zu seinen Fluchtgründen befragt wurde. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl wurde ordnungsgemäß zu dieser Verhandlung geladen, ein Vertreter des Bundesamtes nahm jedoch entschuldigt nicht an der Verhandlung teil.
Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund an, dass die Ortschaft von den Taliban angegriffen worden sei und Kampfhandlungen begonnen hätten. Zehn Minuten vom Haus entfernt hätten ebenfalls Kampfhandlungen stattgefunden. Ein Mann sei angegriffen worden, dessen Bruder für die Regierung gearbeitet hätte. Er hätte mit einem Cousin ausgemacht, dass er mit ihm nach Mazar-e Sharif fahre. Der Beschwerdeführer selbst hätte aber kein Geld gehabt und die Mutter hätte es ihm nicht erlaubt. Der Cousin sei dann alleine gefahren und nach vier oder fünf Stunden hätte dessen Vater erfahren, dass der Cousin von den Taliban ermordet worden sei. Befragt, ob ihm konkret selbst etwas passiert sei, gab er an, damals ein Kind gewesen zu sein und dass ihm deshalb nichts passiert sei, aber zehn Minuten von ihm entfernt, sei alles Mögliche passiert. Nach einem Verwandten befragt, gab er an, dass die gesamte Familie aufgrund der schlechten Sicherheitslage und der Bombardierung des Heimatortes in den Iran gegangen sei. Der Beschwerdeführer legte zudem eine Bestätigung des bfi über das Ablegen eines Teils der Pflichtabschlussprüfungen sowie eines Erste-Hilfe-Kurses und zwei Unterstützungsschreiben vor.
Mit Stellungnahme vom 18.02.2019 verwies der Beschwerdeführervertreter auf die Deutschkenntnisse des Beschwerdeführers auf B1-Niveau, die Möglichkeit der Absolvierung eines Probemonats in einem Mechanikerbetrieb, die gute Integration durch die Mitgliedschaft in diversen Fußballvereinen, sowie, dass der Beschwerdeführer im Alter von 15 Jahren, sohin in einem besonders vulnerablen Alter, nach Österreich gekommen sei und hier erstmals einen sicheren Raum gefunden hätte. Zu der in der Verhandlung anwesenden Vertrauensperson hätte er ein enges Verhältnis. Weiters wurden Empfehlungsschreiben von Freundinnen und Bekannten des Beschwerdeführers und ein fachärztlicher Befund (Psychotherap.) vom 31.01.2019 vorgelegt. Dem Beschwerdeführer stehe in Afghanistan kein familiäres Netzwerk mehr zur Verfügung.
Der Beschwerdeführer selbst legte am 21.06.2019 eine Bestätigung über seine Aufnahme zur Ausbildung zum Rettungssanitäter des Arbeiter-Samariterbund Wien vor.
In einer weiteren Stellungnahme vom 28.06.2019 verwies der Beschwerdeführervertreter auf einen fachärztlichen Befund eines Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie vom 31.05.2019 mit den Diagnosen PTPS und rezidivierende depressive Episode. In diesem Befund wird festgehalten, dass der Beschwerdeführer an wiederkehrenden Episoden leide, in denen er sich selbst verletze und die Zukunftsperspektive brüchig wäre, wobei dann Selbstmordgedanken vermehrt auftreten würden. Der Beschwerdeführervertreter wies weiters darauf hin, dass der Beschwerdeführer in Österreich erstmals ein stabiles soziales Netzwerk und notwendige therapeutische Betreuung habe. Durch den Wegfall dieses in Österreich gegeben Netzwerkes, die Trennung des Beschwerdeführers im Alter von 15 Jahren von seiner Familie und seinem Haus in Zusammenschau mit der nachweislich krankheitswerten psychischen Situation sei mit einer maßgeblichen Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer umgehend retraumatisiert werden würde. Auch die Betreuungsperson des Beschwerdeführers, eine Hauptbezugsperson, beschreibe den Beschwerdeführer als labil, sowie den Umgang mit dieser Erkrankung als alarmierend. Die Versorgungslage in Afghanistan bei psychischen Erkrankungen sei katastrophal und folglich neben der Gefahr einer Retraumatisierung auch eine entsprechende Behandlungsmöglichkeit nicht möglich. Die zwar vorhandenen Medikamente könne der Beschwerdeführer aufgrund seiner Ausgangslage (ohne Familie, ohne soziales Netzwerk, ohne Kenntnisse der städtischen Struktur, ohne jegliche finanzielle Mittel) de facto nicht erhalten. Als Angehöriger der Volksgruppe der Hazara sei der Zugang zu den ohnehin nicht ausreichend vorhandenen Ressourcen und medizinischer Versorgung noch weiter eingeschränkt.
Die Familie des Beschwerdeführers hätte in den Iran fliehen müssen. Der Beschwerdeführer verfüge demnach weder in den angeführten Städten noch in anderen Teilen Afghanistans über ein familiäres und soziales Netzwerk, das ihn bei den aufgrund der Spezifika des Einzelfalls vorliegenden Problemen unterstützen könnte. Er sei niemals in einer der angeführten Städte aufhältig gewesen und kenne demnach die dortigen Strukturen, Straßen, Verhältnisse und Lebensumstände nicht.
Zusammenfassend sei daher festzuhalten, dass dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Einzelfall bezogenen Situation sowie der Gefahr der Retraumatisierung einer Neuansiedlung insbesondere in Kabul, Herat oder Mazar e-Sharif nicht zumutbar sei.
Der Stellungnahme war ein Zeugnis über die Pflichtschulabschlussprüfung des Beschwerdeführers vom 19.03.2019, eine Bestätigung über ehrenamtliche Tätigkeit sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Werte- und Orientierungskurs im Mai 2019 angeschlossen.
Mit Schreiben vom 21.11.2019 übermittelte der Beschwerdeführer eine Schulbesuchsbestätigung vom 11.10.2019, wonach er seit dem Schuljahr 2019/2020 die HTL Wien besucht.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Zur Person:
Der volljährige Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger Afghanistans, gehört der Volksgruppe der Hazara an, ist schiitischer Moslem, ledig und kinderlos. Er reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 16.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Zum Antragszeitpunkt war er minderjährig. Er wurde in der Provinz Sar-e Pul geboren, spricht Dari und Farsi als Muttersprache und hat acht Jahre lang die Schule in Afghanistan besucht. Der Beschwerdeführer lebte mit seiner Familie bis zu seinem 15. Lebensjahr in Sar-e Pul. Danach ist er alleine in den Iran ausgereist. Er lebte zehn Monate lang im Iran, zum Teil bei einer Schwester, die sich ebenfalls im Iran, Ghom, befand, ehe er nach Europa ausgereist ist. Im Iran hat er illegal auf einer Hühnerfarm und auf Baustellen gearbeitet. Sein Vater ist bereits verstorben. Seine restliche Familie, nämlich seine Mutter, ein Bruder und insgesamt zwei Schwestern befinden sich mittlerweile ebenfalls im Iran. Er hat Kontakt zu seiner Familie im Iran. Es kann jedoch nicht mit ausreichender Sicherheit festgestellt werden, dass ihn seine Familie im Iran im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan finanziell unterstützen könnte und würde.
Der Beschwerdeführer hat keine Verwandten mehr in Afghanistan.
Festgestellt wird, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eine gegen ihn gerichtete Verfolgung oder Bedrohung durch staatliche Organe oder durch Private, sei es vor dem Hintergrund seiner ethnischen Zugehörigkeit, seiner Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischen Gesinnung zu erwarten hätte.
Des Weiteren droht ihm auch keine konkrete und individuelle Verfolgung aufgrund der Tatsache, dass er in Europa bzw. dem Iran gelebt hat. Gleichsam wird festgestellt, dass nicht jedem Afghanen, der aus Europa bzw. dem Iran nach Afghanistan zurückkehrt physische und/oder psychische Gewalt in Afghanistan droht.
Zudem hatte er in Afghanistan auch keine Probleme aufgrund seiner Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit. Der Beschwerdeführer würde im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan nicht aufgrund seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Hazara und dem schiitischen Glauben verfolgt werden.
Dem Beschwerdeführer wäre eine Rückkehr nach Sar-e Pul aufgrund der dortigen Sicherheitslage nicht zumutbar. Ihm steht aber eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Mazar-e Sharif und Herat zur Verfügung. Er ist jung und arbeitsfähig. Überdies hat er Berufserfahrung als Baustellenarbeiter und eine achtjährige Schulbildung genossen.
Der Beschwerdeführer hält sich nachweislich seit November 2015 in Österreich auf. Im Bundesgebiet verfügt er über keine Familienangehörige, hat jedoch bereits zahlreiche Kontakte geknüpft. Der Beschwerdeführer hat seit Anfang 2016 eine Patin, die ihn bei jeder Gelegenheit unterstützt, ihm zahlreiche Ratschläge gibt und ihn anleitet sowie eine Lernhilfe ist und zu der er ein sehr inniges freundschaftliches Verhältnis hat. Auch seine Freizeit verbringt er regelmäßig mit seiner Patin und ihrer Familie.
Der Beschwerdeführer leidet an einer Posttraumatischen Belastungsstörung F43.1 sowie einer Rezidivierenden depressiven Episode F33.1, die sich in Form von ausgeprägten Einschlaf- und Durchschlafstörungen und wiederkehrenden Alpträumen sowie in immer wiederkehrenden Episoden manifestieren, in denen er sich selbst verletzt und die Zukunftsperspektive brüchig wird, wobei dann vermehrt Suizidgedanken auftreten. Der Beschwerdeführer befindet sich aufgrund seiner psychischen Erkrankung in der Einrichtung "die boje - Ambulatorium für Kinder und Jugendliche in Krisensituationen" in Behandlung und nimmt regelmäßig psychopharmazeutische Medikamente (Seroquel 25mg 0-0-1, Seroquel 50mg XR 0-0-1) ein. Er absolviert alle zwei Wochen eine Psychotherpaie in deutscher Sprache. Die weitere Einnahme der Medikamente sowie Behandlung ist weiterhin notwendig, um noch größere psychische Schwankungen zu vermeiden.
Dennoch hat der Beschwerdeführer seinen bislang im Bundesgebiet verbrachten Aufenthalt äußerst positiv genutzt und war von Beginn an außerordentlich bemüht, in Österreich Fuß zu fassen und sich zu integrieren. Er hat zahlreiche Deutschkurse besucht, spricht sehr gut Deutsch und hat schon seine Pflichtschulabschluss-Prüfung im März 2019 positiv absolviert. Zudem hat er bereits am 07.02.2017 sein ÖSD Zertifikat A2 und am 04.01.2018 seine ÖSD Deutschprüfung B1 positiv abgeschlossen sowie am 15.05.2019 an einem Werte- und Orientierungskurs gemäß Integrationsgesetz teilgenommen. Es liegen zahlreiche Empfehlungsschreiben für den Beschwerdeführer vor. Außerdem ist er in seiner Freizeit auch aktiv, spielt Fußball in mehreren Fußballvereinen, hat regelmäßig Freiwilligenarbeit in einer Einrichtung der Caritas für Menschen mit Behinderung im Ausmaß von regelmäßig zwei Wochenstunden geleistet, ist seit April 2019 regelmäßig in der Einrichtung das s'Häferl der Diakonie als ehrenamtlicher Mitarbeiter tätig und bereitet Mahlzeiten vor und serviert diese (ab), besuchte mehrere Workshops der Caritas und einen Erste-Hilfe-Kurs und ist überdies seit 02.09.2019 Schüler der HTL Wien 20.
Einer Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit sind bisher lediglich ausländerbeschäftigungsrechtliche Regelungen entgegengestanden. Der Beschwerdeführer hätte die Möglichkeit der Absolvierung eines Probemonats im Mechanikerbetrieb, A-Z Autoreparaturen - XXXX GesmbH und bei entsprechender Arbeitsleistung im Probemonat auch der Aufnahme als Lehrling. Der Beschwerdeführer hatte zudem bereits eine Zusage des Arbeiter-Samariterbundes Wien zur Ausbildung zum Rettungssanitäter erhalten, die jedoch bloß daran scheiterte, dass er keine Strafregisterbescheinigung vorlegen konnte, da er bei der Beantragung einer solchen keinen amtlichen Lichtbildausweis vorlegen konnte zumal die weiße Aufenthaltsberechtigungskarte nicht ausreichte. Der Beschwerdeführer ist bereits sehr gut in die österreichische Gesellschaft integriert. Er ist strafgerichtlich unbescholten.
Unter Berücksichtigung der Persönlichkeitskonstellation, des Lebensverlaufs seit seiner Einreise und seinen Zukunftsperspektiven ist von einer positiven Prognose auszugehen. Es liegt ein aufrechtes Privatleben in Österreich vor. Eine Rückkehrentscheidung würde einen ungerechtfertigten Eingriff in das Privatleben des Beschwerdeführers darstellen.
Zu Afghanistan:
1. Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). Die Frühjahrsoffensive des Jahres 2019 trägt den Namen al-Fath (UNGASC 14.6.2019; vgl. AJ 12.4.2019; NYT 12.4.2019) und wurde von den Taliban trotz der Friedensgespräche angekündigt (AJ 12.4.2019; vgl. NYT 12.4.2019). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (UNGASC 14.6.2019). Offensiven der afghanischen Spezialeinheiten der Sicherheitskräfte gegen die Taliban wurden seit Dezember 2018 verstärkt - dies hatte zum Ziel die Bewegungsfreiheit der Taliban zu stören, Schlüsselgebiete zu verteidigen und damit eine produktive Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Seit Juli 2018 liefen auf hochrangiger politischer Ebene Bestrebungen, den Konflikt zwischen der afghanischen Regierung und den Taliban politisch zu lösen (TS 22.1.2019). Berichten zufolge standen die Verhandlungen mit den Taliban kurz vor dem Abschluss. Als Anfang September der US-amerikanische Präsident ein geplantes Treffen mit den Islamisten - als Reaktion auf einen Anschlag - absagte (DZ 8.9.2019). Während sich die derzeitige militärische Situation in Afghanistan nach wie vor in einer Sackgasse befindet, stabilisierte die Einführung zusätzlicher Berater und Wegbereiter im Jahr 2018 die Situation und verlangsamte die Dynamik des Vormarsches der Taliban (USDOD 12.2018).
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren (USDOD 6.2019). Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019). Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau. Die Ausnahme waren islamische Festtage, an denen, wie bereits in der Vergangenheit auch schon, das Kampfniveau deutlich zurückging, als sowohl regierungsfreundliche Kräfte, aber auch regierungsfeindliche Elemente ihre offensiven Operationen reduzierten. Im Gegensatz dazu hielt das Kampftempo während des gesamten Fastenmonats Ramadan an, da regierungsfeindliche Elemente mehrere Selbstmordattentate ausführten und sowohl regierungsfreundliche Truppen, als auch regierungsfeindliche Elemente, bekundeten, ihre operative Dynamik aufrechtzuerhalten (UNGASC 3.9.2019). Die Taliban verlautbarten, eine asymmetrische Strategie zu verfolgen: die Aufständischen führen weiterhin Überfälle auf Kontrollpunkte und Distriktzentren aus und bedrohen Bevölkerungszentren (UNGASC 7.12.2018). Angriffe haben sich zwischen November 2018 und Jänner 2019 um 19% im Vergleich zum Vorberichtszeitraum (16.8. - 31.10.2018) verstärkt. Insbesondere in den Wintermonaten wurde in Afghanistan eine erhöhte Unsicherheit wahrgenommen. (SIGAR 30.4.2019). Seit dem Jahr 2002 ist die Wintersaison besonders stark umkämpft. Trotzdem bemühten sich die ANDSF und Koalitionskräfte die Anzahl ziviler Opfer zu reduzieren und konzentrierten sich auf Verteidigungsoperationen gegen die Taliban und den ISKP. Diese Operationen verursachten bei den Aufständischen schwere Verluste und hinderten sie daran ihr Ziel zu erreichen (USDOD 6.2019). Der ISKP ist auch weiterhin widerstandsfähig: Afghanische und internationale Streitkräfte führten mit einem hohen Tempo Operationen gegen die Hochburgen des ISKP in den Provinzen Nangarhar und Kunar durch, was zu einer gewissen Verschlechterung der Führungsstrukturen der ISKP führt. Dennoch konkurriert die Gruppierung auch weiterhin mit den Taliban in der östlichen Region und hat eine operative Kapazität in der Stadt Kabul behalten (UNGASC 3.9.2019).
So erzielen weder die afghanischen Sicherheitskräfte noch regierungsfeindliche Elemente signifikante territoriale Gewinne. Das aktivste Konfliktgebiet ist die Provinz Kandahar, gefolgt von den Provinzen Helmand und Nangarhar. Wenngleich keine signifikanten Bedrohungen der staatlichen Kontrolle über Provinzhauptstädte gibt, wurde in der Nähe der Provinzhauptstädte Farah, Kunduz und Ghazni über ein hohes Maß an Taliban-Aktivität berichtet (UNGASC 3.9.2019). In mehreren Regionen wurden von den Taliban vorübergehend strategische Posten entlang der Hauptstraßen eingenommen, sodass sie den Verkehr zwischen den Provinzen erfolgreich einschränken konnten (UNGASC 7.12.2018). So kam es beispielsweise in strategisch liegenden Provinzen entlang des Highway 1 (Ring Road) zu temporären Einschränkungen durch die Taliban (UNGASC 7.12.2018; vgl. ARN 23.6.2019). Die afghanischen Verteidigungs- und Sicherheitskräfte stellen erhebliche Mittel für die Verbesserung der Sicherheit auf den Hauptstraßen bereit - insbesondere in den Provinzen Ghazni, Zabul, Balkh und Jawzjan. (UNGASC 3.9.2019).
Für das gesamte Jahr 2018, registrierten die Vereinten Nationen (UN) in Afghanistan insgesamt 22.478 sicherheitsrelevante Vorfälle. Gegenüber 2017 ist das ein Rückgang von 5%, wobei die Anzahl der sicherheitsrelevanten Vorfälle im Jahr 2017 mit insgesamt 23.744 ihren bisherigen Höhepunkt erreicht hatte (UNGASC 28.2.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 registriert die Vereinten Nationen (UN) insgesamt 5.856 sicherheitsrelevanter Vorfälle - eine Zunahme von 1% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. 63% Prozent aller sicherheitsrelevanten Vorfälle, die höchste Anzahl, wurde im Berichtszeitraum in den südlichen, östlichen und südöstlichen Regionen registriert (UNGASC 3.9.2019). Für den Berichtszeitraum 8.2-9.5.2019 registrierte die UN insgesamt 5.249 sicherheitsrelevante Vorfälle - ein Rückgang von 7% gegenüber dem Vorjahreswert; wo auch die Anzahl ziviler Opfer signifikant zurückgegangen ist (UNGASC 14.6.2019).
Für den Berichtszeitraum 10.5.-8.8.2019 sind 56% (3.294) aller sicherheitsrelevanten Vorfälle bewaffnete Zusammenstöße gewesen; ein Rückgang um 7% im Vergleich zum Vorjahreswert. Sicherheitsrelevante Vorfälle bei denen improvisierte Sprengkörper verwendet wurden, verzeichneten eine Zunahme von 17%. Bei den Selbstmordattentaten konnte ein Rückgang von 44% verzeichnet werden. Die afghanischen Sicherheitskräfte führen gemeinsam mit internationalen Kräften, weiterhin eine hohe Anzahl von Luftangriffen durch: 506 Angriffe wurden im Berichtszeitraum verzeichnet - 57% mehr als im Vergleichszeitraum des Jahres 2018 (UNGASC 3.9.2019).
Im Gegensatz dazu, registrierte die Nichtregierungsorganisation INSO (International NGO Safety Organisation) für das Jahr 2018 landesweit
29.493 sicherheitsrelevante Vorfälle, welche auf NGOs Einfluss hatten. In den ersten acht Monaten des Jahres 2019 waren es 18.438 Vorfälle. Zu den gemeldeten Ereignissen zählten, beispielsweise geringfügige kriminelle Überfälle und Drohungen ebenso wie bewaffnete Angriffe und Bombenanschläge (INSO o.D.).
Global Incident Map (GIM) verzeichnete in den ersten drei Quartalen des Jahres 2019 3.540 sicherheitsrelevante Vorfälle. Im Jahr 2018 waren es 4.433. Die folgende Grafik der Staatendokumentation schlüsselt die sicherheitsrelevanten Vorfälle anhand ihrer Vorfallarten und nach Quartalen auf (BFA Staatendokumentation 4.11.2019):
Jänner bis Oktober 2018 nahm die Kontrolle oder der Einfluss der afghanischen Regierung von 56% auf 54% der Distrikte ab, die Kontrolle bzw. Einfluss der Aufständischen auf Distrikte sank in diesem Zeitraum von 15% auf 12%. Der Anteil der umstrittenen Distrikte stieg von 29% auf 34%. Der Prozentsatz der Bevölkerung, welche in Distrikten unter afghanischer Regierungskontrolle oder -einfluss lebte, ging mit Stand Oktober 2018 auf 63,5% zurück. 8,5 Millionen Menschen (25,6% der Bevölkerung) leben mit Stand Oktober 2018 in umkämpften Gebieten, ein Anstieg um fast zwei Prozentpunkte gegenüber dem gleichen Zeitpunkt im Jahr 2017. Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (SIGAR 30.1.2019).
Ein auf Afghanistan spezialisierter Militäranalyst berichtete im Januar 2019, dass rund 39% der afghanischen Distrikte unter der Kontrolle der afghanischen Regierung standen und 37% von den Taliban kontrolliert wurden. Diese Gebiete waren relativ ruhig, Zusammenstöße wurden gelegentlich gemeldet. Rund 20% der Distrikte waren stark umkämpft. Der Islamische Staat (IS) kontrollierte rund 4% der Distrikte (MA 14.1.2019).
Die Kontrolle über Distrikte, Bevölkerung und Territorium befindet sich derzeit in einer Pattsituation (SIGAR 30.4.2019). Die Anzahl sicherheitsrelevanter Vorfälle Ende 2018 bis Ende Juni 2019, insbesondere in der Provinz Helmand, sind als verstärkte Bemühungen der Sicherheitskräfte zu sehen, wichtige Taliban-Hochburgen und deren Führung zu erreichen, um in weiterer Folge eine Teilnahme der Taliban an den Friedensgesprächen zu erzwingen (SIGAR 30.7.2019). Intensivierte Kampfhandlungen zwischen ANDSF und Taliban werden von beiden Konfliktparteien als Druckmittel am Verhandlungstisch in Doha erachtet (SIGAR 30.4.2019; vgl. NYT 19.7.2019).
Zivile Opfer
Die Vereinten Nationen dokumentierten für den Berichtszeitraum 1.1.-30.9.2019 8.239 zivile Opfer (2.563 Tote, 5.676 Verletzte) - dieser Wert ähnelt dem Vorjahreswert 2018. Regierungsfeindliche Elemente waren auch weiterhin Hauptursache für zivile Opfer; 41% der Opfer waren Frauen und Kinder. Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (UNAMA 17.10.2019).
Für das gesamte Jahr 2018 wurde von mindestens 9.214 zivilen Opfern (2.845 Tote, 6.369 Verletzte) (SIGAR 30.4.2019) berichtet bzw. dokumentierte die UNAMA insgesamt 10.993 zivile Opfer (3.804 Tote und 7.189 Verletzte). Den Aufzeichnungen der UNAMA zufolge, entspricht das einem Anstieg bei der Gesamtanzahl an zivilen Opfern um 5% bzw. 11% bei zivilen Todesfällen gegenüber dem Jahr 2017 und markierte einen Höchststand seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 2009. Die meisten zivilen Opfer wurden im Jahr 2018 in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni und Faryab verzeichnet, wobei die beiden Provinzen mit der höchsten zivilen Opferanzahl - Kabul (1.866) und Nangarhar (1.815) - 2018 mehr als doppelt so viele Opfer zu verzeichnen hatten, wie die drittplatzierte Provinz Helmand (880 zivile Opfer) (UNAMA 24.2.2019; vgl. SIGAR 30.4.2019). Im Jahr 2018 stieg die Anzahl an dokumentierten zivilen Opfern aufgrund von Handlungen der regierungsfreundlichen Kräfte um 24% gegenüber 2017. Der Anstieg ziviler Opfer durch Handlungen regierungsfreundlicher Kräfte im Jahr 2018 wird auf verstärkte Luftangriffe, Suchoperationen der ANDSF und regierungsfreundlicher bewaffneter Gruppierungen zurückgeführt (UNAMA 24.2.2019).
Sowohl im gesamten Jahr 2018 (USDOD 12.2018), als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018). Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen (USDOD 6.2019). Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt (Vorjahreswert: 73) (USDOD 12.2018), zwischen 1.12.2018 und15.5.2019 waren es 6 HPAs (Vorjahreswert: 17) (USDOD 6.2019).
Anschläge gegen Gläubige und Kultstätten, religiöse Minderheiten
Die Zahl der Angriffe auf Gläubige, religiöse Exponenten und Kultstätten war 2018 auf einem ähnlich hohen Niveau wie 2017: bei 22 Angriffen durch regierungsfeindliche Kräfte, meist des ISKP, wurden 453 zivile Opfer registriert (156 Tote, 297 Verletzte), ein Großteil verursacht durch Selbstmordanschläge (136 Tote, 266 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).
Für das Jahr 2018 wurden insgesamt 19 Vorfälle konfessionell motivierter Gewalt gegen Schiiten dokumentiert, bei denen es insgesamt zu 747 zivilen Opfern kam (223 Tote, 524 Verletzte). Dies ist eine Zunahme von 34% verglichen mit dem Jahr 2017. Während die Mehrheit konfessionell motivierter Angriffe gegen Schiiten im Jahr 2017 auf Kultstätten verübt wurden, gab es im Jahr 2018 nur zwei derartige Angriffe. Die meisten Anschläge auf Schiiten fanden im Jahr 2018 in anderen zivilen Lebensräumen statt, einschließlich in mehrheitlich von Schiiten oder Hazara bewohnten Gegenden. Gezielte Attentate und Selbstmordangriffe auf religiöse Führer und Gläubige führten, zu 35 zivilen Opfern (15 Tote, 20 Verletzte) (UNAMA 24.2.2019).
Angriffe im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen im Oktober 2018
Die afghanische Regierung bemühte sich Wahllokale zu sichern, was mehr als 4 Millionen afghanischen Bürgern ermöglichte zu wählen (UNAMA 11.2018). Und auch die Vorkehrungen der ANDSF zur Sicherung der Wahllokale ermöglichten eine Wahl, die weniger gewalttätig war als jede andere Wahl der letzten zehn Jahre (USDOS 12.2018). Die Taliban hatten im Vorfeld öffentlich verkündet, die für Oktober 2018 geplanten Parlamentswahlen stören zu wollen. Ähnlich wie bei der Präsidentschaftswahl 2014 warnten sie Bürger davor, sich für die Wahl zu registrieren, verhängten "Geldbußen" und/oder beschlagnahmten Tazkiras und bedrohten Personen, die an der Durchführung der Wahl beteiligt waren (UNAMA 11.2018; vgl. USDOS 13.3.2019). Von Beginn der Wählerregistrierung (14.4.2018) bis Ende des Jahres 2018, wurden 1.007 Opfer (226 Tote, 781 Verletzte) sowie 310 Entführungen aufgrund der Wahl verzeichnet (UNAMA 24.2.2019). Am Wahltag (20.10.2018) verifizierte UNAMA 388 zivile Opfer (52 Tote und 336 Verletzte) durch Wahl bedingte Gewalt. Die höchste Anzahl an zivilen Opfern an einem Wahltag seit Beginn der Aufzeichnungen durch UNAMA im Jahr 2009 (UNAMA 11.2018).
Regierungsfeindliche Gruppierungen
In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (USDOD 6.2019; vgl. CRS 12.2.2019) und stellt nicht nur für die beiden Länder eine Sicherheitsherausforderung dar, sondern eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität (USDOD 6.2019):
Taliban
Die USA sprechen seit rund einem Jahr mit hochrangigen Vertretern der Taliban über eine politische Lösung des langjährigen Afghanistan-Konflikts. Dabei geht es vor allem um Truppenabzüge und Garantien der Taliban, dass Afghanistan kein sicherer Hafen für Terroristen wird. Beide Seiten hatten sich jüngst optimistisch gezeigt, bald zu einer Einigung zu kommen (FAZ 21.8.2019). Während dieser Verhandlungen haben die Taliban Forderungen eines Waffenstillstandes abgewiesen und täglich Operationen ausgeführt, die hauptsächlich die afghanischen Sicherheitskräfte zum Ziel haben. (TG 30.7.2019). Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel. Das wird als Versuch gewertet, in den Friedensverhandlungen ein Druckmittel zu haben (USDOD 6.2019).
Der derzeitige Taliban-Führer ist nach wie vor Haibatullah Akhundzada (REU 17.8.2019; vgl. FA 3.1.2018) - Stellvertreter sind Mullah Mohammad Yaqub - Sohn des ehemaligen Taliban-Führers Mullah Omar - und Serajuddin Haqqani (CTC 1.2018; vgl. TN 26.5.2016) Sohn des Führers des Haqqani-Netzwerkes (TN 13.1.2017). Die Taliban bezeichnen sich selbst als das Islamische Emirat Afghanistan (VOJ o. D.). Die Regierungsstruktur und das militärische Kommando sind in der Layha, einem Verhaltenskodex der Taliban, definiert (AAN 4.7.2011), welche zuletzt 2010 veröffentlicht wurde (AAN 6.12.2018).
Ein Bericht über die Rekrutierungspraxis der Taliban teilt die Taliban-Kämpfer in zwei Kategorien: professionelle Vollzeitkämpfer, die oft in den Madrassen rekrutiert werden, und Teilzeit-Kämpfer vor Ort, die gegenüber einem lokalen Kommandanten loyal und in die lokale Gesellschaft eingebettet sind (LI 29.6.2017). Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Der Experte schätzte jedoch, dass die Zahl der Vollzeitkämpfer, die gleichzeitig in Afghanistan aktiv sind, selten 40.000 übersteigt (LI 23.8.2017). Im Jänner 2018 schätzte ein Beamter des US-Verteidigungsministeriums die Gesamtstärke der Taliban in Afghanistan auf 60.000 (NBC 30.1.2018). Laut dem oben genannten Experten werden die Kämpfe hauptsächlich von den Vollzeitkämpfern der mobilen Einheiten ausgetragen (LI 23.8.2017; vgl. AAN 3.1.2017; AAN 17.3.2017).
Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan. Seit Ende 2014 wurden 20 davon öffentlich zur Schau gestellt. Das Khalid bin Walid-Camp soll12 Ableger, in acht Provinzen betreibt (Helmand, Kandahar, Ghazni, Ghor, Saripul, Faryab, Farah und Maidan Wardak). 300 Militärtrainer und Gelehrte sind dort tätig und es soll möglich sein, in diesem Camp bis zu 2.000 Rekruten auf einmal auszubilden (LWJ 14.8.2019).
Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt (LI 23.8.2017). In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LI 23.8.2017).
Quellen:
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