TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/12 W148 2176980-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.02.2020
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Entscheidungsdatum

12.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §13 Abs2 Z2
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2

Spruch

W148 2176980-1/46E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Dr. KEZNICKL als Einzelrichter über die Beschwerde von Herrn XXXX , geboren am XXXX , Staatsangehörigkeit Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung - Diakonie und Volkshilfe, vom 13.11.2017 gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 23.10.2017, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

I.1. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) hat nach schlepperunterstützter und unrechtmäßiger Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 28.01.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005) gestellt.

2. Am 29.01.2016 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die niederschriftliche Erstbefragung des BF statt, bei der er zu seinem Fluchtgrund befragt vorbrachte, dass die Taliban in ihrem Dorf von jeder Familie einen jungen Mann für den heiligen Krieg rekrutieren hätten wollen. Er sei der älteste Sohn in seiner Familie gewesen. Die Taliban hätten seinen Vater bedroht. Sie hätten zu seinem Vater gesagt, dass dieser den BF zu den Taliban schicken solle, ansonsten würden sie die ganze Familie töten. Letztes Mal hätten sie ihnen eine Woche dafür Zeit gegeben. Deswegen hätten ihn seine Eltern nach Europa geschickt.

3. Bei seiner Einvernahme am 12.07.2017 gab der BF vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Steiermark (in Folge: BFA), im Beisein einer Dolmetscherin für die Sprache Paschtu an, dass seine bisherigen Angaben im Verfahren der Wahrheit entsprächen.

Der BF führte zu seinen Fluchtgründen aus, dass es in seinem Dorf große Probleme gegeben habe. Wenn sie weiter hinauf in das Gebiet der Taliban gegangen seien, habe die Regierung gemeint, sie arbeiteten mit den Taliban. Wenn man im Gebiet der Regierung gewesen sei, hätten die Taliban behauptet, man arbeite mit der Regierung zusammen. Die Taliban hätten sie immer wieder zu Hause aufgesucht und hätten den BF rekrutieren wollen. Sie hätten sie dazu gezwungen, ihnen etwas zu Essen zu geben und hätten sie immer belästigt. Sie hätten gewollt, dass er für sie spioniere, wann jemand von der Regierung komme und wo dieser sich aufhalte. Wenn er das nicht tue, würde ihm eine große Gefahr drohen. Deshalb sei der BF nach Kabul gegangen und sein Onkel väterlicherseits habe ihm einen Schlepper besorgt. Nach seiner Ausreise seien die Taliban bei seinem Vater gewesen und hätten nach ihm gefragt. Sein Vater habe ihnen gesagt, dass der BF bei Verwandten sei. Nun hätten sie herausgefunden, dass der BF in Europa sie. Sie hätten seinem Vater gesagt, dass sie ihn umbringen würden, weil er ein Ungläubiger sei.

4. Am 12.07.2017 erließ das BFA gemäß § 13 AsylG eine Verfahrensanordnung, in der dem BF der Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet, wegen eingebrachter Anklage einer gerichtlich strafbaren Handlung, die nur vorsätzlich begangen werden kann, durch die Staatsanwaltschaft, mitgeteilt wurde.

5. Am 24.07.2017 erstatte der BF eine Stellungnahme zu seinem Asylvorbringen und legte Beweismittel vor.

6. Am 12.09.2017 langte beim BFA eine Verständigung des BG XXXX (GZ: XXXX ) von einer rechtskräftigen Folgeverurteilung des BF wegen § 218 Abs. 1a StGB, § 83 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von einem Monat, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, als Zusatzstrafe gemäß §§ 31 und 40 StGB unter Bedachtnahme auf XXXX , beim BFA ein.

7. Das BFA hat mit Bescheid vom 23.07.2017, Zl. XXXX , den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 Asylgesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2500 (AsylG) idgF (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA- VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z. 2 FPG erlassen. Es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt III.). Gemäß § 55 Abs. 1-3 FPG betrage die Frist für seine freiwillige Ausreise zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.). Gemäß § 13 Abs. 2 Z 2 AsylG habe er das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 12.07.2017 verloren (Spruchpunkt V.).

Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz begründete das BFA im Wesentlichen damit, dass eine Verfolgung durch die Taliban nicht glaubhaft sei. Es könne nicht festgestellt werden, dass ihm unter Zugrundelegung seines Vorbringens in Afghanistan Verfolgung aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten drohen würde. Das Ermittlungsverfahren habe auch keine Gründe ergeben, die zur Zuerkennung von subsidiärem Schutz gem. § 8 AsylG 2005 führen könnten. Zuletzt kam das BFA zu dem Schluss, dass die Rückkehrentscheidung zulässig sei und er sein Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet verloren habe.

8. Mit Verfahrensanordnung wurde dem BF ein Rechtsberater für das Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht zur Seite gestellt.

9. Gegen den oben genannten Bescheid richtet sich die beim BFA fristgerecht eingelangte Beschwerde des BF an das Bundesverwaltungsgericht. Es wurde versucht die Beweiswürdigung des Bescheids der belangten Behörde zu entkräften.

10. Der BF hat sich am 15.11.2017 für das ERIN-Projekt angemeldet.

11. Am 19.03.2018 langte die gekürzte Urteilsausfertigung des LG für Strafsachen XXXX (GZ: XXXX ) vom 07.03.2018 über die Verurteilung des BF wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 1. und 2. Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten, ein. Gemäß §§ 43a Abs. 3, 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug eines Teils der über ihn verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 2 StPO wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten laut Urteilen des LG für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 29.05.2017, rechtskräftig am 02.06.2017, und des BG XXXX zu XXXX vom 31.07.2017, rechtskräftig am 04.08.2017, jeweils abgesehen, jedoch gemäß § 53 Abs. 3 StGB jeweils die Probezeit auf fünf Jahre verlängert.

12. Am 26.09.2018 langte die gekürzte Urteilsausfertigung des LG für Strafsachen XXXX (GZ: XXXX ) vom 17.05.2018 über die Verurteilung des BF, wegen der Körperverletzung als Beitragstäter nach §§ 12 3. Fall, 83 Abs. 1 StGB; der versuchten Nötigung nach §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB; des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3 StGB und wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, Abs. 2 SMG, ein. Der BF wurde unter Bedachtnahme auf das Urteil des LG für Strafsachen XXXX (GZ: XXXX ) vom 07.03.2018 nach § 129 Abs. 1 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 3 Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43 Abs. 1 StGB der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

13. Am 22.01.2019 langten der Haftmeldezettel und die Vollzugsinformation zur Anhaltung des BF ein.

14. Am 01.03.2019 langte die Verständigung der Staatsanwaltschaft

XXXX von der Einstellung des Ermittlungsverfahrens wegen § 15 StGB, § 83 Abs. 1 StGB zu AZ: XXXX ein.

15. Das BVwG führte in der gegenständlichen Rechtssache am 21.06.2019 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der BF im Beisein seiner Rechtsvertretung teilnahm. Das BFA hat nicht an der Verhandlung teilgenommen. Er wurde ausführlich zu seinem Fluchtvorbingen befragt. Durch den erkennenden Richter wurde das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation mit Stand 29.06.2018, letzte Kurzinformation eingefügt am 26.03.2019, und die Analyse der Staatendokumentation zur sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat vom 13.06.2019 in das Verfahren eingebracht.

16. Am 22.07.2019 langte eine Stellungnahme des BF samt Urkundenvorlage beim BVwG ein.

17. Am 27.11.2019 wurde dem BF eine zweiwöchige Frist zur Stellungnahme zur Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Afghanistan vom 13.11.2019 eingeräumt.

18. Am 12.12.2019 langte eine Stellungnahme des BF zur Gesamtaktualisierung des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation beim BVwG ein.

19. Am 13.12.2019 langte die schriftliche Ausfertigung des LG für Strafsachen XXXX (GZ: XXXX ) vom 01.03.2019 über die Verurteilung des BF, wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten beim BVwG ein. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 2 StPO iVm § 53 Abs. 1 StGB wurde vom Widerruf der dem BF mit Urteilen des BG XXXX zu XXXX vom 31.07.2017, rechtskräftig am 04.08.2017, dem LG für Strafsachen

XXXX zu XXXX vom 07.03.2018, rechtskräftig am 08.03.2018 und dem LG für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 17.05.2018, rechtskräftig am 23.05.2018, gewährten bedingten Strafnachsichten abgesehen, jedoch gemäß § 494a Abs. 6 StPO die Probezeit betreffen die genannten Verurteilungen zu XXXX und zu XXXX auf fünf Jahre verlängert. Gemäß § 494a Abs. 1 Z4 StPO iVm § 53 Abs. 1 StGB wurde dem BF die mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 29.05.2017, rechtskräftig am 02.06.2017, gewährte bedingte Strafnachsicht betreffend eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von fünf Monaten widerrufen.

I.2. Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens (Sachverhalt)

Das Bundesverwaltungsgericht geht auf Grund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens von folgendem für die Entscheidung maßgebenden Sachverhalt aus:

a) Zur Person und zum Vorbringen des BF

1. Der Name des BF ist XXXX , er wurde am XXXX im Dorf XXXX , in XXXX , in der Provinz Kabul geboren. Er ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan. Weiters ist er Angehöriger der Volksgruppe der Paschtunen und bekennt sich zur sunnitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des BF ist Paschtu. Er spricht auch Dari und Deutsch. Die Feststellungen zur Identität des BF gelten ausschließlich für die Identifizierung seiner Person im Asylverfahren.

2. Der BF ist im Dorf XXXX , in XXXX , in der Provinz Kabul geboren und aufgewachsen. Er hat dort acht Jahre lang die Grundschule besucht und hat nebenbei zwei bis drei Jahre immer wieder auf Baustellen gearbeitet. Nachdem sein Vater durch eine Mine am Bein verletzt worden ist und nicht mehr arbeitsfähig gewesen ist, hat der BF die Schule abgebrochen, damit er arbeiten konnte, um die Familie zu versorgen. Er hat in der Landwirtschaft und auf Baustellen gearbeitet.

3. Seine Eltern, drei Brüder, zwei Schwestern und eine Tante väterlicherseits leben in seinem Heimatdorf. Die Kernfamilie des BF besitzt Felder, von deren Ertrag sie lebt. Diese Felder werden von den Brüdern des BF bewirtschaftet. Der BF steht mit seinem Vater über Facebook-Messenger in Kontakt.

Daneben leben ein Onkel väterlicherseits sowie ein Onkel und eine Tante mütterlicherseits in der Provinz Logar.

Der Vater des BF hat im Jahr 2013 seine Tätigkeit als Soldat für die afghanische Nationalarmee beendet.

4. Der BF hat im Jänner 2016 Afghanistan verlassen und ist über Pakistan, den Iran, die Türkei, Griechenland, Bulgarien, Serbien, Kroatien und Slowenien bis nach Österreich gereist, wo er nach unrechtmäßiger Einreise am 28.01.2016 den gegenständlichen Antrag gestellt hat.

5. Der BF hält sich seit Jänner 2016 in Österreich auf. Er hat von 08.08.2016 bis 16.09.2016 an einem Deutschkurs für das Sprachniveau A1 Basis teilgenommen. Er hat vom 10.03.2016 bis 08.07.2016 die 8. Schulstufe der NMS XXXX als außerordentlicher Schüler besucht. Er hat in seiner Freizeit verschiedene Sportarten, wie Kickboxen oder Fußball, betrieben. Er war weder Mitglied in einem Verein noch hat er sich ehrenamtlich betätigt.

Von 15.01.2019 bis 16.09.2019 befand sich der BF in Strafhaft.

Er hat seit Juni 2018 eine Freundin, mit der er sich mehrmals in der Woche getroffen hat. Sie hat ihn auch in der Haft besucht. Der BF hat nie mit seiner Freundin in einer Lebensgemeinschaft gelebt. Es besteht auch kein Abhängigkeitsverhältnis zwischen ihnen.

Er war bisher in Österreich nicht erwerbstätig. Er lebt von der Grundversorgung und ist nicht selbsterhaltungsfähig. Er verfügt über keine Einstellungszusage. Der BF hat keine Familienangehörigen in Österreich.

6. Der BF ist gesund und arbeitsfähig.

7. Der BF wurde in Österreich mehrfach rechtskräftig verurteilt:

7.1. Er wurde mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX , GZ XXXX , vom 29.05.2017 nach §§ 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall iVm Abs. 2 SMG, § 15 iVm §§ 27 Abs. 2a 2. Fall SMG zu einer bedingten Freiheitsstrafe von fünf Monaten verurteilt, die ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

7.2. Er wurde weiters mit Urteil des BG XXXX , GZ XXXX , vom 31.07.2017 nach § 218 Abs. 1a StGB, § 83 Abs. 1 StGB, unter Bedachtnahme auf das Urteil des LG für Strafsachen XXXX , GZ XXXX , vom 29.05.2017, zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von einem Monat verurteilt, die ihm unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

7.3. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX , GZ: XXXX , vom 07.03.2018 wurde der BF wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 1. und 2. Fall SMG, zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Gemäß §§ 43a Abs. 3, 43 Abs. 1 StGB wurde der Vollzug eines Teils der über ihn verhängten Freiheitsstrafe im Ausmaß von sechs Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 2 StPO wurde vom Widerruf der bedingten Strafnachsichten laut Urteilen des LG für Strafsachen XXXX , GZ XXXX , vom 29.05.2017 und des BG XXXX , GZ XXXX , 31.07.2017, jeweils abgesehen, jedoch gemäß § 53 Abs. 3 StGB jeweils die Probezeit auf fünf Jahre verlängert. Als mildernd wurde das Geständnis gewertet. Als erschwerend wurden eine einschlägige Vorverurteilung und die Tatbegehung innerhalb offener Probezeit angesehen.

7.4. Am 17.05.2018 wurde der BF mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX , GZ: XXXX , wegen der Körperverletzung als Beitragstäter nach §§ 12 3. Fall, 83 Abs. 1 StGB; der versuchten Nötigung nach §§ 15 Abs. 1, 105 Abs. 1 StGB; des Diebstahls durch Einbruch nach den §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3 StGB und wegen der Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG, § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall SMG und § 27 Abs. 1 Z 1 2. Fall, Abs. 2 SMG, verurteilt. Der BF wurde unter Bedachtnahme auf das Urteil des LG für Strafsachen XXXX , GZ: XXXX , vom 07.03.2018 nach § 129 Abs. 1 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 3 Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43 Abs. 1 StGB der Vollzug der Freiheitsstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde. Als mildernd wurde die teilweise der Wahrheitsfindung dienliche geständige Verantwortung, der Umstand, dass es teils beim Versuch geblieben ist und die Sicherstellung des Suchtgifts gewertet. Als erschwerend wurden eine einschlägige Vorverurteilung, der rasche Rückfall nach Verurteilung am 29.05.2017, die Tatbegehung teils während offener Probezeiten und das Zusammentreffen mehrerer Vergehen angesehen.

7.5. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX (GZ: XXXX ) vom 01.03.2019 wurde der BF wegen des Vergehens des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs. 2a 2. Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Gemäß § 494a Abs. 1 Z 2 StPO iVm § 53 Abs. 1 StGB wurde vom Widerruf der dem BF mit Urteilen des BG XXXX zu XXXX vom 31.07.2017, dem LG für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 07.03.2018 und dem LG für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 17.05.2018, gewährten bedingten Strafnachsichten abgesehen, jedoch gemäß § 494a Abs. 6 StPO die Probezeit betreffen die genannten Verurteilungen zu XXXX und zu XXXX auf fünf Jahre verlängert. Gemäß § 494a Abs. 1 Z4 StPO iVm § 53 Abs. 1 StGB wurde dem BF die mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 29.05.2017, gewährte bedingte Strafnachsicht betreffend eine Freiheitsstrafe im Ausmaß von fünf Monaten widerrufen. Als mildernd wurde die in geringem Maß reumütige, teilgeständige Verantwortung, die jedoch nicht wesentlich zur Wahrheitsfindung beigetragen hat gewertet. Als erschwerend wurde das Zusammentreffen mehrerer Vergehen, die Tatbegehung während offener Probezeiten, zwei einschlägige Vorverurteilungen und der rasche Rückfall nach seiner Verurteilung durch das LG für Strafsachen XXXX , GZ: XXXX , vom 17.05.2018 angesehen.

7.6. Bei den Verurteilungen des BF handelt es sich um Jugendstraftaten.

8. Der BF konnte nicht glaubhaft machen, dass er wegen seiner Weigerung sich den Taliban anzuschließen und der früheren Tätigkeit seines Vaters für die afghanische Nationalarmee von diesen einer Bedrohung oder einer Verfolgung ausgesetzt war oder bei einer Rückkehr dorthin ausgesetzt wäre.

Der BF hat seit Herbst 2018 eine Tätowierung des Kopfes des früheren afghanischen Präsidenten Dr. Najibullah auf dem rechten Oberarm. Er hat sich diese Tätowierung nicht aus einer ernsthaften politischen Überzeugung stechen lassen. Er ist auf Grund seiner Tätowierung, in Afghanistan keiner psychischen oder physischen Gewalt ausgesetzt.

Daher kann nicht festgestellt werden, dass er aus einer ihm, von den Taliban unterstellten politischen Gesinnung oder der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie von diesen bedroht wurde bzw. im Falle seiner Rückkehr in seinen Herkunftsstaat einer solchen Bedrohung ausgesetzt wäre.

Außerdem konnte nicht festgestellt werden, dass konkret der BF auf Grund der Tatsache, dass er sich in Europa bzw. im Westen aufgehalten hat, oder dass jeder afghanische Staatsangehörige, der aus Europa bzw. dem Westen nach Afghanistan kommt, in Afghanistan psychischer und/oder physischer Gewalt ausgesetzt wäre.

Der BF konnte somit nicht glaubhaft machen, dass er seinen Herkunftsstaat aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung verlassen hat oder nach einer allfälligen Rückkehr mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit asylrelevante Übergriffe zu befürchten hätte.

9. Dem BF würde bei einer Überstellung nach Afghanistan in die Provinz Kabul ein reales Risiko einer Verletzung der Art. 2 oder 3 EMRK drohen.

Bei einer Rückkehr nach Afghanistan und einer Ansiedelung in den Städten Herat oder Mazar-e-Scharif kann der BF grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Dem BF steht somit eine zumutbare innerstaatliche Flucht- bzw. Schutzalternative in den Städten Herat oder Mazar-e-Scharif zur Verfügung.

b) Zur Lage im Herkunftsstaat

Das Bundesverwaltungsgericht trifft folgende entscheidungsrelevante Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat (Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019):

1. Auszug aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Afghanistan, Gesamtaktualisierung am 13.11.2019:

Politische Lage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB 13.11.2019, S. 12). Die Präsidentschaftswahlen und Parlamentswahlen finden gemäß Verfassung alle fünf Jahre statt. Die letzten Präsidentschaftswahlen fanden am 28. September 2019 statt; ein vorläufiges Ergebnis wird laut der unabhängigen Wahlkommission (IEC) für den 14. November 2019 erwartet (LIB 13.11.2019, S. 13).

Allgemeine Sicherheitslage

Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil, nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (LIB 13.11.2019, S. 18). Landesweit am meisten von diesem aktiven Konflikt betroffen, waren die Provinzen Helmand, Farah und Ghazni (LIB 13.11.2019, S. 18-19).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, die wichtigsten Bevölkerungszentren und Transitrouten sowie Provinzhauptstädte und die meisten Distriktzentren. Die afghanischen Kräfte sichern die Städte und andere Stützpunkte der Regierung; die Taliban verstärken groß angelegte Angriffe, wodurch eine Vielzahl afghanischer Kräfte in Verteidigungsmissionen eingebunden ist, Engpässe entstehen und dadurch manchmal auch Kräfte fehlen können, um Territorium zu halten. Kämpfe waren auch weiterhin auf konstant hohem Niveau (LIB 13.11.2019, S. 19). Die Provinzen mit der höchsten Anzahl an von den Aufständischen kontrollierten Distrikten waren Kunduz, Uruzgan und Helmand (LIB 13.11.2019, S. 23)

Wenngleich die Vereinten Nationen für das erste Halbjahr 2019 die niedrigste Anzahl ziviler Opfer registrierten, so waren Juli, August und September - im Gegensatz zu 2019 - von einem hohen Gewaltniveau betroffen. Zivilisten, die in den Provinzen Kabul, Nangarhar, Helmand, Ghazni, und Faryab wohnten, waren am stärksten vom Konflikt betroffen (in dieser Reihenfolge) (LIB 13.11.2019, S. 24).

Sowohl im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019 führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Diese Angriffe sind stetig zurückgegangen. Zwischen 1.6.2018 und 30.11.2018 fanden 59 HPAs in Kabul statt, zwischen 1.12.2018 und 15.5.2019 waren es 6 HPAs (LIB 13.11.2019, S. 25).

Regierungsfeindliche Gruppierungen:

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv - insbesondere die Grenzregion zu Pakistan bleibt eine Zufluchtsstätte für unterschiedliche Gruppierungen, wie Taliban, Islamischer Staat, al-Qaida, Haqqani-Netzwerk, Lashkar-e Tayyiba, Tehrik-e Taliban Pakistan, sowie Islamic Movement of Uzbekistan (LIB 13.11.2019, S. 26).

Zwischen 1.12.2018 und 31.5.2019 haben die Talibanaufständischen mehr Angriffe ausgeführt, als in der Vergangenheit üblich, trotzdem war die Gesamtzahl effektiver feindlicher Angriffe stark rückläufig. Diese Angriffe hatten hauptsächlich militärische Außenposten und Kontrollpunkte sowie andere schlecht verteidigte ANDSF-Posten zu Ziel (LIB 13.11.2019, S. 26).

Die Gesamtstärke der Taliban wurde von einem Experten im Jahr 2017 auf über 200.000 geschätzt, darunter angeblich 150.000 Kämpfer (rund 60.000 Vollzeitkämpfer mobiler Einheiten, der Rest sein Teil der lokalen Milizen). Die Taliban betreiben Trainingslager in Afghanistan (LIB 13.11.2019, S. 27).

Die Mehrheit der Taliban sind immer noch Paschtunen, obwohl es eine wachsende Minderheit an Tadschiken, Usbeken, Belutschen und sogar mehreren hundert Hazara (einschließlich Schiiten) gibt. In einigen nördlichen Gebieten sollen die Taliban bereits überwiegend Nicht-Paschtunen sein, da sie innerhalb der lokalen Bevölkerung rekrutieren (LIB 13.11.2019, S. 27).

Das seit 2012 bestehende Haqqani-Netzwerk ist eine teilautonome Organisation, Bestandteil der afghanischen Taliban und Verbündeter von al-Qaida (LIB 13.11.2019, S. 27). Schätzungen zur Stärke des ISKP variieren zwischen 1.500 und 3.000, bzw. 2.500 und 4.000 Kämpfern. Nach US-Angaben vom Frühjahr 2019 ist ihre Zahl auf 5.000 gestiegen (LIB 13.11.2019, S. 28).

Neben komplexen Angriffen auf Regierungsziele, verübte der ISKP zahlreiche groß angelegte Anschläge gegen Zivilisten, insbesondere auf die schiitische-Minderheit. Die Zahl der zivilen Opfer durch ISKP-Handlungen hat sich dabei 2018 gegenüber 2017 mehr als verdoppelt, nahm im ersten Halbjahr 2019 allerdings wieder ab (LIB 13.11.2019, S. 29).

Al-Qaida will die Präsenz in der Provinz Badakhshan stärken, insbesondere im Distrikt Shighnan, der an der Grenze zu Tadschikistan liegt, aber auch in der Provinz Paktika, Distrikt Barmal, wird versucht die Präsenz auszubauen (LIB 13.11.2019, S. 29).

Rekrutierung durch regierungsfeindliche Gruppierungen

UNAMA dokumentierte glaubwürdige Vorwürfe über die Rekrutierung von 23 Buben durch regierungsfeindliche Gruppen (darunter pakistanische Taliban, afghanische Taliban und IS) im ersten Halbjahr 2018. In einzelnen Fällen wurden Kinder insbesondere in den südlichen Provinzen als Selbstmordattentäter, menschliche Schutzschilde oder Bombenleger eingesetzt (USDOS 13.3.2019) Obwohl die Taliban eine interne Richtlinie haben, keine Kinder zu rekrutieren, gibt es Hinweise auf Kinderrekrutierungen, insbesondere postpubertärer Buben (EASO 6.2018). Die Taliban wenden, laut Berichten von NGOs und UN, Täuschung, Geldzusagen, falsche religiöse Zusammenhänge oder Zwang an, um Kinder zu Selbstmordattentaten zu bewegen (USDOS 13.3.2019; vgl. EASO 6.2018, DAI/CNRR 10.2016), teilweise werden die Kinder zum Training nach Pakistan gebracht (EASO 6.2018).

Taliban

Es besteht relativer Konsens darüber, wie die Rekrutierung für die Streitkräfte der Taliban erfolgt: sie läuft hauptsächlich über bestehende traditionelle Netzwerke und organisierte Aktivitäten im Zusammenhang mit religiösen Institutionen. Layha, der Verhaltenskodex der Taliban enthält einige Bestimmungen über verschiedene Formen der Einladung sowie Bestimmungen, wie sich die Kader verhalten sollen, um Menschen zu gewinnen und Sympathien aufzubauen. Eines der Sonderkomitees der Quetta Schura ist für die Rekrutierung verantwortlich (LI 29.6.2017).

In Gebieten, in denen regierungsfeindliche Gruppen Kontrolle ausüben, gibt es eine Vielzahl an Methoden, um Kämpfer zu rekrutieren, darunter auch solche, die auf Zwang basieren (DAI/CNRR 10.2016), wobei der Begriff Zwangsrekrutierung von Quellen unterschiedlich interpretiert und Informationen zur Rekrutierung unterschiedlich kategorisiert werden (LI 29.6.2017). Landinfo versteht Zwang im Zusammenhang mit Rekrutierung dahingehend, dass jemand, der sich einer Mobilisierung widersetzt, speziellen Zwangsmaßnahmen und Übergriffen (zumeist körperlicher Bestrafung) durch den Rekrutierer ausgesetzt ist. Die Zwangsmaßnahmen können auch andere schwerwiegende Maßnahmen beinhalten und gegen Dritte, beispielsweise Familienmitglieder, gerichtet sein. Auch wenn jemand keinen Drohungen oder körperlichen Übergriffen ausgesetzt ist, können Faktoren wie Armut, kulturelle Gegebenheiten und Ausgrenzung die Unterscheidung zwischen freiwilliger und zwangsweiser Beteiligung zum Verschwimmen bringen (LI 29.6.2017). Die Taliban haben keinen Mangel an freiwilligen Rekruten und machen nur in Ausnahmefällen von Zwangsrekrutierung Gebrauch. Druck und Zwang, den Taliban beizutreten, sind jedoch nicht immer gewalttätig (EASO 6.2018).

Sympathisanten der Taliban sind Einzelpersonen und Gruppen, vielfach junge, desillusionierte Männer, deren Motive der Wunsch nach Rache und Heldentum gepaart mit religiösen und wirtschaftlichen Gründen sind. Sie fühlen sich nicht zwingend den zentralen Werten der Taliban verpflichtet. Die meisten haben das Vertrauen in das Staatsbildungsprojekt verloren und glauben nicht länger, dass es möglich ist, ein sicheres und stabiles Afghanistan zu schaffen. Viele schließen sich den Aufständischen aus Angst oder Frustration über die Übergriffe auf die Zivilbevölkerung an. Armut, Hoffnungslosigkeit und fehlende Zukunftsperspektiven sind die wesentlichen Erklärungsgründe (LI 29.6.2017).

Vor einigen Jahren waren Mittel wie Pamphlete, DVDs und Zeitschriften bis hin zu Radio, Telefon und web-basierter Verbreitung wichtige Instrumente des Propagandaapparats. Internet und soziale Medien wie Twitter, Blogs und Facebook haben sich in den letzten Jahren zu sehr wichtigen Foren und Kanälen für die Verbreitung der Botschaft dieser Bewegung entwickelt, sie dienen auch als Instrument für die Anwerbung. Über die sozialen Medien können die Taliban mit Sympathisanten und potentiellen Rekruten Kontakt aufnehmen. Die Taliban haben verstanden, dass ohne soziale Medien kein Krieg gewonnen werden kann. Sie haben ein umfangreiches Kommunikations-und Mediennetzwerk für Propaganda und Rekrutierung aufgebaut. Zusätzlich unternehmen die Taliban persönlich und direkt Versuche, die Menschen von ihrer Ideologie und Weltanschauung zu überzeugen, damit sie die Bewegung unterstützen. Ein Gutteil dieser Aktivitäten läuft über religiöse Netzwerke (LI 29.6.2017).

Die Entscheidung, Rekruten zu mobilisieren, wird von den Familienoberhäuptern, Stammesältesten und Gemeindevorstehern getroffen. Dadurch wird dies nicht als Zwangsrekrutierung wahrgenommen, da die Entscheidungen der Anführer als legitim und akzeptabel gesehen werden. Personen, die sich dem widersetzen, gehen ein Risiko ein, dass sie oder ihre Familien bestraft oder getötet werden (DAI/CNRR 10.2016; vgl. EASO 6.2018), wenngleich die Taliban nachsichtiger als der ISKP seien und lokale Entscheidungen eher akzeptieren würden (TST 22.8.2019).

Quellen haben bestätigt, dass es in Gebieten, die von den Taliban kontrolliert werden oder in denen die Taliban stark präsent sind, de facto unmöglich ist, offenen Widerstand gegen die Bewegung zu leisten. Die örtlichen Gemeinschaften haben sich der Lokalverwaltung durch die Taliban zu fügen. Oppositionelle sehen sich gezwungen, sich äußerst bedeckt zu halten oder das Gebiet zu verlassen. Die Gruppe der Stammesältesten ist gezielten Tötungen ausgesetzt. Landinfo vermutet, dass dies vor allem regierungsfreundliche Stammesälteste betrifft, die gegen die Taliban oder andere aufständische Gruppen sind (LI 27.6.2017). Eine Quelle verweist hier auf Berichte von Übergriffen auf Stämme oder Gemeinschaften, die den Taliban Unterstützung und die Versorgung mit Kämpfern verweigert haben. Gleichzeitig sind die militärischen Einheiten der Taliban in den Gebieten, in welchen sie operieren, von der Unterstützung durch die Bevölkerung abhängig. Mehrere Gesprächspartner von Landinfo, einschließlich einer NGO, die in Taliban-kontrollierten Gebieten arbeitet, meinen, dass die Taliban im Gegensatz zu früher heute vermehrt auf die Wünsche und Bedürfnisse der Gemeinschaften Rücksicht nehmen. Bei einem Angriff oder drohenden Angriff auf eine örtliche Gemeinschaft müssen Kämpfer vor Ort mobilisiert werden. In einem solchen Fall mag es schwierig sein, sich zu entziehen. Die erweiterte Familie kann einer Quelle zufolge allerdings auch eine Zahlung leisten, anstatt Rekruten zu stellen. Diese Praktiken implizieren, dass es die ärmsten Familien sind, die Kämpfer stellen, da sie keine Mittel haben, um sich freizukaufen. Es ist bekannt, dass - wenn Familienmitglieder in den Sicherheitskräften dienen - die Familie möglicherweise unter Druck steht, die betreffende Person zu einem Seitenwechsel zu bewegen. Der Grund dafür liegt in der Strategie der Taliban, Personen mit militärischem Hintergrund anzuwerben, die Waffen, Uniformen und Wissen über den Feind einbringen. Es kann aber auch Personen treffen, die über Knowhow und Qualifikationen verfügen, die die Taliban im Gefechtsfeld benötigen, etwa für die Reparatur von Waffen (LI 29.6.2017).

Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.).

Kabul-Stadt - Geographie und Demographie

Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).

Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).

Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).

Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen:

Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).

Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen;

Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana;

Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).

Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).

Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).

In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).

Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).

Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).

Herat

Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden. Herat ist in 16 Distrikte unterteilt. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte. Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt. Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (LIB 13.11.2019, S. 105).

Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt. Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden. Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (LIB 13.11.2019, S. 107).

Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden. Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (LIB 13.11.2019, S. 106).

Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (LIB 13.11.2019, S. 106).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (LIB 13.11.2019, S. 106).

Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:

Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (LIB 13.11.2019, S. 106).

Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen. Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (LIB 13.11.2019, S. 106-107). 2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (LIB 13.11.2019, S. 107).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 108).

In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen. Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (LIB 13.11.2019, S. 108). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften. Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (LIB 13.11.2019, S. 109). Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (LIB 13.11.2019, S. 109).

Balkh

Balkh liegt im Norden Afghanistans und grenzt im Norden an Usbekistan, im Nordosten an Tadschikistan, im Osten an Kunduz und Baghlan, im Südosten an Samangan, im Südwesten an Sar-e Pul, im Westen an Jawzjan und im Nordwesten an Turkmenistan. Die Provinzhauptstadt ist Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 61).

Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif. Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum. Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen. Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (LIB 13.11.2019, S. 61).

Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den

7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (LIB 13.11.2019, S. 61).

Balkh zählt zu den relativ stabilen und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten. Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen. In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete. Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert. Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet. Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (LIB 13.11.2019, S. 62).

Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmordattentate) und gezielten Tötungen. Hinsichtlich der nördlichen Region, zu denen UNAMA auch die Provinz Balkh zählt, konnte in den ersten 6 Monaten ein allgemeiner Anstieg ziviler Opfer verzeichnet werden (LIB 13.11.2019, S. 63).

Berichten zufolge, errichten die Taliban auf wichtigen Verbindungsstraßen, die unterschiedliche Provinzen miteinander verbinden, immer wieder Kontrollpunkte. Dadurch wird das Pendeln für Regierungsangestellte erschwert. Insbesondere der Abschnitt zwischen den Provinzen Balkh und Jawjzan ist von dieser Unsicherheit betroffen (LIB 13.11.2019, S. 63).

Erreichbarkeit von Städten in Afghanistan:

Beachtenswert ist die Vollendung der "Ring Road", welche Zentrum und Peripherie des Landes sowie die Peripherie mit den Nachbarländern verbindet (LIB 13.11.2019, S. 229). Die Ring Road, auch bekannt als Highway One, ist eine Straße, die das Landesinnere ringförmig umgibt. Die afghanische Ring Road ist Teil eines Autobahnprojekts. Sie verbindet außerdem Kabul mit den vier bedeutendsten Provinzhauptstädten Herat, Kandahar City, Jalalabad und Mazar-e Sharif (LIB 13.11.2019, S. 230-231).

In Afghanistan gibt es insgesamt vier internationale Flughäfen; alle vier werden für militärische und zivile Flugdienste genutzt. Trotz jahrelanger Konflikte verzeichnet die afghanische Luftfahrtindustrie einen Anstieg in der Zahl ihrer wettbewerbsfähigen Flugrouten. Daraus folgt ein erleichterter Zugang zu Flügen für die afghanische Bevölkerung. Die heimischen Flugdienste sehen sich mit einer wachsenden Konkurrenz durch verschiedene Flugunternehmen konfrontiert. Flugrouten wie Kabul - Herat und Kabul - Kandahar, die früher ausschließlich von Ariana Afghan Airlines angeboten wurden, werden nun auch von internationalen Fluggesellschaften abgedeckt (LIB 13.11.2019, S. 236).

Der Flughafen der afghanischen Hauptstadt Kabul ist ein internationaler Flughafen. Er liegt 16 km außerhalb des Stadtzentrums von Kabul. Mehrere internationale Airlines fliegen nach Kabu- (LIB 13.11.2019, S. 237).

Im Jahr 2013 wurde der internationale Maulana Jalaluddin Balkhi Flughafen in Mazar-e Sharif, der Hauptstadt der Provinz Balkh, eröffnet. Folgende internationale Airline fliegt nach Maza-e Sharif:

Turkish Airlines aus Istanbul. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Mazar-e Sharif (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen von Kabul und Maimana (LIB 13.11.2019, S. 237).

Der internationale Flughafen Herat befindet sich 10 km von der Provinzhauptstadt Herat entfernt. Der Flughafen wird u.a. von den Sicherheitskräften der ISAF benutzt, die einen Stützpunkt neben dem Flughafen haben. 2011 wurde ein neues Terminal mit Finanzierung der italienischen Regierung errichtet. Innerstaatlich gehen Flüge von und nach Herat (durch Kam Air bzw. Ariana Afghan Airlines) zu den Flughäfen nach Kabul, Farah und Chighcheran (LIB 13.11.2019, S. 238).

Religionsfreiheit:

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime. Die Sunniten werden auf 80 bis 89,7% und die Schiiten auf 10 bis 19% der Gesamtbevölkerung geschätzt. Andere Glaubensgemeinschaften wie die der Sikhs, Hindus, Baha¿i und Christen machen weniger als ein Prozent der Bevölkerung aus; in Kabul lebt auch weiterhin der einzige jüdische Mann in Afghanistan. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben. Die Abkehr vom Islam gilt als Apostasie, die nach der Scharia strafbewehrt ist. Im Laufe des Untersuchungsjahres 2018 gab es keine Berichte über staatliche Verfolgungen aufgrund von Blasphemie oder Apostasie. Auch im Berichtszeitraum davor gab es keine Berichte zur staatlichen Strafverfolgung von Apostasie und Blasphemie (LIB 13.11.2019, S. 277).

Konvertiten vom Islam zu anderen Religionen berichteten, dass sie weiterhin vor Bestrafung durch Regierung sowie Repressalien durch Familie und Gesellschaft fürchteten. Das Gesetz verbietet die Produktion und Veröffentlichung von Werken, die gegen die Prinzipien des Islam oder gegen andere Religionen verstoßen. Das neue Strafgesetzbuch 2017, welches im Februar 2018 in Kraft getreten ist, sieht Strafen für verbale und körperliche Angriffe auf Anhänger jedweder Religion und Strafen für Beleidigungen oder Verzerrungen gegen den Islam vor (LIB 13.11.2019, S. 277).

Wegen konservativer sozialer Einstellungen und Intoleranz sowie der Unfähigkeit oder Unwilligkeit der Sicherheitskräfte, individuelle Freiheiten zu verteidigen, sind Personen, die mutmaßlich gegen religiöse und soziale Normen verstoßen, vulnerabel für Misshandlung. Mitglieder der Taliban und des Islamischen Staates (IS) töten und verfolgen weiterhin Mitglieder religiöser Minderheiten aufgrund ihres Glaubens oder ihrer Beziehungen zur Regierung. Da Religion und Ethnie oft eng miteinander verbunden sind, ist es schwierig, einen Vorfall ausschließlich durch die religiöse Zugehörigkeit zu begründen. Ein Muslim darf eine nicht-muslimische Frau heiraten, aber die Frau muss konvertieren, sofern sie nicht Anhängerin einer anderen abrahamitischen Religion (Christentum oder Judentum) ist. Einer Muslima ist es nicht erlaubt, einen nicht-muslimischen Mann zu heiraten. Konvertiten vom Islam riskieren die Annullierung ihrer Ehe (LIB 13.11.2019, S. 278).

Relevante ethnische Minderheiten

In Afghanistan leben laut Schätzungen zwischen 32 und 35 Millionen Menschen. Zuverlässige statistische Angaben zu den Ethnien Afghanistans und zu den verschiedenen Sprachen existieren nicht.

Schätzungen zufolge, sind: 40 bis 42% Pashtunen, 27 bis 30% Tadschiken, 9 bis 10% Hazara, 9% Usbeken, ca. 4% Aimaken, 3% Turkmenen und 2% Belutschen (LIB 13.11.2019, S. 287).

Der Gleichheitsgrundsatz ist in der afghanischen Verfassung rechtlich verankert, wird allerdings in der gesellschaftlichen Praxis immer wieder konterkariert. Soziale Diskriminierung und Ausgrenzung anderer ethnischer Gruppen und Religionen im Alltag besteht fort und wird nicht zuverlässig durch staatliche Gegenmaßnahmen verhindert. Ethnische Spannungen zwischen unterschiedlichen Gruppen resultierten weiterhin in Konflikten und Tötungen (LIB 13.11.2019, S. 287-288).

Paschtunen

Ethnische Paschtunen sind mit ca. 40% der Gesamtbevölkerung die größte Ethnie Afghanistans. Sie sprechen Paschtu/Pashto; als Verkehrssprache sprechen viele auch Dari. Sind sind sunnitische Muslime (MRG o.D.a). Die Paschtunen haben viele Sitze in beiden Häusern des Parlaments - jedoch nicht mehr als 50% der Gesamtsitze (USDOS 13.3.2019). Die Paschtunen sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 44% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (BI 29.9.2017).

Paschtunen siedeln in einem halbmondförmigen Gebiet, das sich von Nordwestafghanistan über den gesamten Süden und die Gebiete östlich von Kabul bis in den Nordwesten Pakistans erstreckt. Kleinere Gruppen sind über das gesamte Land verstreut, auch im Norden des Landes, wo Paschtunen Ende des 19. Jahrhunderts speziell angesiedelt wurden und sich seitdem auch selbst angesiedelt haben (BFA 7.2016).

Grundlage des paschtunischen Selbstverständnisses sind ihre genealogischen Überlieferungen und die darauf beruhende Stammesstruktur. Eng mit der Stammesstruktur verbunden ist ein komplexes System von Wertvorstellungen und Verhaltensrichtlinien, die häufig unter dem Namen Pashtunwali zusammengefasst werden (BFA 7.2016; vgl. NYT 10.6.2019) und die besagen, dass es für einen Paschtunen nicht ausreicht, Paschtu zu sprechen, sondern dass man auch die Regeln dieses Ehren- und Verhaltenskodex befolgen muss. Die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Stammlinienverband bedeutet viele Verpflichtungen, aber auch Rechte, weshalb sich solche Verbände als Solidaritätsgruppen verstehen lassen (BFA 7.2016).

Die Taliban sind eine vorwiegend paschtunische Bewegung (BBC 26.5.2016; vgl. RFE/RL 13.11.2018, EASO 9.2016, AAN 4.2011), werden aber nicht als nationalistische Bewegung gesehen (EASO 9.2016). Die Taliban rekrutieren auch aus anderen ethnischen Gruppen (RFE/RL 13.11.2018; vgl. AAN 4.2011, EASO 9.2016). Die Unterstützung der Taliban durch paschtunische Stämme ist oftmals in der Marginalisierung einzelner Stämme durch die Regierung und im Konkurrenzverhalten oder der Rivalität zwischen unterschiedlichen Stämmen begründet (EASO 9.2016).

Grundversorgung und Wirtschaft:

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt (AA 2.9.2019; AF 2018). Trotz Unterstützung der internationalen Gemeinschaft, erheblicher Anstrengungen der afghanischen Regierung und kontinuierlicher Fortschritte belegte Afghanistan 2018 lediglich Platz 168 von 189 des Human Development Index. Die Armutsrate hat sich laut Weltbank von 38% (2011) auf 55% (2016) verschlechtert. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant: Außerhalb der Hauptstadt Kabul und der Provinzhauptstädte gibt es vielerorts nur unzur

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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