TE Bvwg Erkenntnis 2020/2/24 W261 2190620-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 24.02.2020
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Entscheidungsdatum

24.02.2020

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §50
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch

W261 2190620-1/16E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Karin GASTINGER, MAS als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch den MigrantInnenverein St. Marx, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.03.2018, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer stellte am 27.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich. Die Erstbefragung fand am 28.09.2015 statt, die Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) fand am 05.03.2018 statt.

2. Der Beschwerdeführer beantragte am 02.03.2016 die freiwillige Ausreise, welche ihm vom Bundesamt am 03.03.2016 genehmigt wurde. Er widerrief die freiwillige Rückkehr am 09.03.2016.

3. Mit dem angefochtenen Bescheid wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkt I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.-V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 14 Tagen Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

Begründend führte das Bundesamt aus, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe, wonach er Probleme mit seinem Cousin, welcher die Frau des BF habe heiraten wollen, nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Erteilung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne nach Kabul zurückkehren. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, welches einer Rückkehrentscheidung entgegenstehen würde.

4. Der Beschwerdeführer erhob gegen den Bescheid fristgerecht Beschwerde. Er brachte im Wesentlichen vor, dass er Afghanistan aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung durch seinen Cousin und dessen Vater verlassen habe. Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei dem Cousin versprochen gewesen, nachdem der Beschwerdeführer diese geheiratet habe, habe sich der Cousin am Beschwerdeführer rächen wollen. Der Beschwerdeführer sei daher in Afghanistan Gefahr einer der Blutrache ausgesetzt, es sei ihm aus diesem Grunde Asyl zu gewähren. In eventu sei ihm subsidiärer Schutz zu gewähren, da er in Afghanistan keine familiären Anknüpfungspunkte habe. Seine Familie lebe im Iran, auch sein anderer Cousin, welcher freiwillig von Österreich wieder nach Afghanistan ausgereist sei, würde jetzt wieder im Iran leben. Die allgemeine Sicherheitslage in ganz Afghanistan sei schlecht, insbesondere die Stadt Kabul sei unsicher, wie dies die zitierten Länderinformationen belegen würden. Es liege eine prekäre Sicherheits- und Versorgungslage vor. Die Situation der Rückkehrenden sei sehr schlecht, wie dies auch die Afghanistanexpertin Friederike Stahlmann in deren Artikel im Asylmagazin 3/2017 geschildert habe. Der Beschwerdeführer werde keinen Zugang zu Unterkunft und Arbeit finden. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung wäre dem Beschwerdeführer internationaler Schutz, jedenfalls jedoch subsidiärer Schutz zu gewähren gewesen.

5. Das Bundesverwaltungsgericht erteilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 21.06.2018 einen Verbesserungsauftrag, weil der Beschwerde keine den Beschwerdepunkten III., IV. und V. zuordenbare Beschwerdegründe enthalten waren.

6. Der Beschwerdeführer kam dem Verbesserungsauftrag fristgerecht nach.

7. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.01.2020 eine mündliche Verhandlung durch. Im Zuge der Verhandlung legte das Bundesverwaltungsgericht nach Einvernahme des Beschwerdeführers aktuelle Länderinformationen vor und räumte den Parteien des Verfahrens die Möglichkeit ein, hierzu innerhalb einer Frist eine Stellungnahme abzugeben.

8. In der Stellungnahme vom 04.02.2020 brachte der Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, dass die aktualisierten Länderinformationen den Beschwerdeführer in seinen Befürchtungen bestätigen würden, dass in Afghanistan weiterhin eine katastrophale Wirtschafts- und Versorgungslage gegeben sei. Es bestehe akute Gefahr, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Abschiebung in eine existenzbedrohende Notlage geraten werde. Es sei zudem zu bedenken, dass der Beschwerdeführer große Anstrengungen unternommen habe, sich in Österreich zu integrieren.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer führt den Namen XXXX und das Geburtsdatum XXXX . Er ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an. Er ist sunnitischer Moslem. Seine Muttersprache ist Dari.

Der Beschwerdeführer wurde in der Provinz Kabul in der Stadt Kabul geboren und wuchs dort gemeinsam mit seinen Eltern und seiner Schwester auf. Der Beschwerdeführer besuchte 10 Jahre lang die Schule. Nach der Schule war der Beschwerdeführer selbstständig tätig. Er besaß seit seinem 18. Lebensjahr ein Geschäft für Damenbekleidung. Davor arbeitete er ein paar Monate in der Metallverarbeitung. Er reparierte in seiner Jungend ca. zwei bis drei Jahre lang Fahrräder.

Er ist verheiratet, seine Ehefrau heißt XXXX . Der Beschwerdeführer hat eine ca. sechs Jahre alte eheliche Tochter namens XXXX .

Der Beschwerdeführer ist nach den afghanischen Gepflogenheiten und der afghanischen Kultur sozialisiert, er ist mit den afghanischen Gepflogenheiten vertraut.

Der Beschwerdeführer ist gesund.

1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

1.2.1. Der Beschwerdeführer hat Afghanistan weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität noch wegen Lebensgefahr verlassen.

Zwischen der Familie des Beschwerdeführers und der Familie seines Cousins besteht keine Blutfehde. Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan nicht bedroht.

1.2.2. Bei einer Rückkehr nach Afghanistan droht dem Beschwerdeführer individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in seine körperliche Integrität durch seinen Cousin und dessen Vater oder durch andere Personen.

1.3. Zum (Privat)Leben der Beschwerdeführer in Österreich:

Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen nach Österreich ein und hält sich seit zumindest 27.09.2015 durchgehend in Österreich auf. Er ist in Österreich aufgrund einer vorübergehenden Aufenthaltsberechtigung nach dem AsylG durchgehend rechtmäßig aufhältig.

Der Beschwerdeführer verfügt über geringe Deutschkenntnisse. Der Beschwerdeführer besuchte Integrationskurse beim bfi XXXX .

Der Beschwerdeführer lebt von der Grundversorgung, er ist am österreichischen Arbeitsmarkt nicht integriert und geht keiner Erwerbstätigkeit nach.

Er arbeitete ehrenamtlich bei sozialen Projekten. Er war Mitglied des Volleyballteams "Limited Edition XXXX ." Er nahm an Aktivitäten der römisch-katholischen Pfarre XXXX teil.

Der Beschwerdeführer konnte in Österreich Bekanntschaften knüpfen. Der Beschwerdeführer verfügt jedoch weder über Verwandte noch über sonstige enge soziale Bindungen in Österreich.

Der Beschwerdeführer wird von Vertrauenspersonen als hilfsbereit, höflich, engagiert und interessiert beschrieben.

Der Beschwerdeführer ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.

1.4. Zu einer möglichen Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

Dem Beschwerdeführer ist eine Rückkehr in seine Heimatstadt Kabul grundsätzlich möglich.

Die Eltern, die Ehefrau und die Tochter des Beschwerdeführers wohnen derzeit im Iran. Der Beschwerdeführer hat regelmäßig Kontakt zu seiner Familie. Derzeit versorgt der Vater des Beschwerdeführers, der als Bauarbeiter arbeitet, seine Familie. Der Beschwerdeführer hat eine Tante väterlicherseits, welche in Afghanistan lebt. Diese hat eine Tochter und einen Sohn, wobei der Sohn teilweise im Iran und in Dubai arbeitet und Teppiche verkauft. Die Schwester des Beschwerdeführers lebt in Amerika. Die Großeltern mütterlicherseits und die drei Onkel mütterlicherseits des Beschwerdeführers leben in Dubai und betreiben kleine Hotels, in welchen sie Zimmer vermieten. Der Beschwerdeführer hat auch einen Onkel väterlicherseits, welcher in Kabul lebt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers ist dessen Tochter. Dessen Sohn, der Cousin des Beschwerdeführers, lebt im Iran und betreibt dort eine Autospenglerei. Die Familie des Beschwerdeführers kann ihn bei einer Rückkehr nach Afghanistan zumindest vorübergehend finanziell unterstützen.

Der Beschwerdeführer kann auch Rückkehrhilfe in Anspruch nehmen.

Der Beschwerdeführer hat Ortskenntnisse in Kabul, er hat bereits dort gelebt, ihm sind städtische Strukturen bekannt.

Der Beschwerdeführer ist anpassungsfähig und kann einer regelmäßigen Arbeit nachgehen.

Sollte der Beschwerdeführer aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage nicht nach Kabul zurückkehren wollen, so besteht die Möglichkeit der Neuansiedlung in einer der Städte Herat oder Mazar-e Sharif. Dort kann der Beschwerdeführer grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse, wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft, befriedigen, ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten. Er kann selbst für sein Auskommen und Fortkommen sorgen und in Herat oder Mazar-e Sharif einer Arbeit nachgehen und sich selbst und in weiterer Folge auch seine Ehefrau und Tochter erhalten.

Es ist dem Beschwerdeführer möglich, nach anfänglichen Schwierigkeiten nach einer Ansiedlung in einer der Städte Herat oder Mazar-e Sharif Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können.

1.5. Feststellungen zur Lage im Herkunftsstaat

Die Länderfeststellungen zur Lage in Afghanistan basieren auf nachstehenden Quellen:

-

Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Afghanistan in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 13.11.2019 (LIB),

-

UNHCR Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30.08.2018 (UNHCR)

-

EASO Country Guidance: Afghanistan vom Juni 2019 (EASO).

1.5.1. Allgemeine Sicherheitslage

Afghanistan ist ein Zentralstaat mit 34 Provinzen, die in Distrikte gegliedert sind. Auf einer Fläche von ca. 632.000 Quadratkilometern leben ca. 32 Millionen Menschen (LIB, Kapitel 2).

Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibt insgesamt volatil und weist starke regionale Unterschiede auf. Provinzen und Distrikten mit aktiven Kampfhandlungen stehen andere gegenüber, in denen die Lage trotz punktueller Sicherheitsvorfälle vergleichsweise stabil ist. Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul, größere Bevölkerungszentren, Transitrouten, Provinzhauptstädte und den Großteil der Distriktzentren (LIB, Kapitel 3). Die Hauptlast einer unsicheren Sicherheitslage in der jeweiligen Region trägt die Zivilbevölkerung (UNHCR, Kapitel II. B)

Für die Sicherheit in Afghanistan sind verschiedene Organisationseinheiten der afghanischen Regierungsbehörden verantwortlich. Die Afghan National Defense and Security Forces (ANDSF) umfassen militärische, polizeiliche und andere Sicherheitskräfte. Das Innenministerium ist primär für die interne Ordnung zuständig, dazu zählt auch die Afghan National Police (ANP) und die Afghan Local Police (ALP). Die Afghan National Army (ANA) ist für die externe Sicherheit verantwortlich, dennoch besteht ihre Hauptaufgabe darin, den Aufstand im Land zu bekämpfen. Die ANP gewährleistet die zivile Ordnung und bekämpft Korruption sowie die Produktion und den Schmuggel von Drogen. Der Fokus der ANP liegt derzeit in der Bekämpfung von Aufständischen gemeinsam mit der ANA. Die ALP wird durch die USA finanziert und schützt die Bevölkerung in Dörfern und ländlichen Gebieten vor Angriffen durch Aufständische (LIB, Kapitel 5).

In Afghanistan sind unterschiedliche regierungsfeindliche Gruppierungen aktiv, welche eine Bedrohung für die gesamte regionale Sicherheit und Stabilität in Afghanistan darstellen. Eine Bedrohung für Zivilisten geht insbesondere von Kampfhandlungen zwischen den Konfliktparteien sowie improvisierten Sprengkörpern, Selbstmordanschlägen und Angriffen auf staatliche Einrichtungen und gegen Gläubige und Kultstätten bzw. religiöse Minderheiten aus. (LIB, Kapitel 3)

1.5.2. Allgemeine Wirtschaftslage

Afghanistan ist nach wie vor eines der ärmsten Länder der Welt und stark von internationalen Hilfsgeldern abhängig. Dabei bleibt das Gefälle zwischen urbanen Zentren und ländlichen Gebieten Afghanistans eklatant. Lebensgrundlage für rund 80% der Bevölkerung ist die Landwirtschaft (LIB, Kapitel 21).

Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist angespannt und die Arbeitslosigkeit ist hoch. Persönliche Kontakte, Empfehlungen sowie ein Netzwerk sind wichtig um einen Job zu finden. Arbeitgeber bewerten persönliche Beziehungen und Netzwerke höher als formelle Qualifikationen, wobei Fähigkeiten, die sich Rückkehrer im Ausland angeeignet haben, eine wichtige Rolle bei der Arbeitsplatzsuche spielen können. Der afghanische Arbeitsmarkt ist durch eine starke Dominanz des Agrarsektors, eine Unterrepräsentation von Frauen und relativ wenigen Möglichkeiten für junge Menschen gekennzeichnet. Ebenso korreliert ein Mangel an Bildung mit Armut, wobei ein niedriges Bildungsniveau und Analphabetismus immer noch weit verbreitet sind. In Afghanistan existiert keine finanzielle oder sonstige Unterstützung bei Arbeitslosigkeit (LIB Kapitel 21).

In den Jahren 2016-2017 lebten 54,5% der Bevölkerung unterhalb der nationalen Armutsgrenze. Immer mehr Menschen greifen auf negative Bewältigungsmechanismen wie Kleinkriminalität, Kinderehen, Kinderarbeit und Betteln zurück, von denen insbesondere Binnenvertriebene betroffen sind. Der Zugang zu einer produktiven oder entgeltlichen Beschäftigung ist begrenzt, 80% der Beschäftigung gelten als anfällig und unsicher in Form von Selbst- oder Eigenbeschäftigung, Tagarbeit oder unbezahlter Arbeit. Der saisonale Effekt ist erheblich. Die Arbeitslosenquote ist in den Frühlings- und Sommermonaten relativ niedrig (rund 20%), während sie im Winter 32,5% erreichen kann (EASO, Common Analysis Afghanistan, Kapitel V).

Nach einer Zeit mit begrenzten Bankdienstleistungen, entstehen im Finanzsektor in Afghanistan schnell mehr und mehr kommerzielle Banken und Leistungen. Die kommerziellen Angebote der Zentralbank gehen mit steigender Kapazität des Finanzsektors zurück. Es ist mittlerweile auch relativ einfach, in Afghanistan ein Bankkonto zu eröffnen (LIB, Kapitel 21).

Über Jahrhunderte hat sich eine Form des Geldaustausches entwickelt, welche Hawala genannt wird. Dieses System, welches auf gegenseitigem Vertrauen basiert, funktioniert schnell, zuverlässig und günstig. Spezielle Dokumente sind nicht notwendig und der Geldtransfer ist weltweit möglich. Hawala wird von den unterschiedlichsten Kundengruppen in Anspruch genommen: Gastarbeiter, die ihren Lohn in die Heimat transferieren wollen, große Unternehmen und Hilfsorganisationen bzw. NGOs, aber auch Terrororganisationen (LIB, Kapitel 21).

Im Zeitraum von 2016 bis 2017 waren 44,6% der afghanischen Bevölkerung sehr stark bis mäßig von Lebensmittelunsicherheit betroffen. In allen Wohnbevölkerungsgruppen war seit 2011 ein Anstieg festzustellen, wobei der höchste Anstieg in den ländlichen Gebieten zu verzeichnen war (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Afghanistans jährliche Wachstumsrate der städtischen Bevölkerung gehört zu den höchsten der Welt. Kabul war das Zentrum des Wachstums, und der Rest der städtischen Bevölkerung konzentriert sich hauptsächlich auf vier andere Stadtregionen: Herat, Mazar-e Sharif, Kandahar und Jalalabad. Die große Mehrheit (72%, basierend auf ALCS-Zahlen für 2016-2017) der afghanischen Stadtbevölkerung lebt in Slums oder in ungenügenden Wohnungen. 86% der städtischen Häuser in Afghanistan können gemäß der Definition von UN-Habitat als Slums eingestuft werden. Der Bericht über den Zustand afghanischer Städte stellte fest, dass der Zugang zu angemessenem Wohnraum für die Mehrheit der Afghanen in den Städten eine große Herausforderung darstellt. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

In den Städten besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum zu mieten. Darüber hinaus bietet die Städte die Möglichkeit von "Teehäusern", die mit 30 Afghani (das sind ca. € 0,35) bis 100 Afghani (das sind ca. € 1,20) pro Nacht relativ günstig sind. "Teehäuser" werden von Reisenden, Tagesarbeitern, Straßenhändlern, jungen Menschen, alleinstehenden Männern und anderen Personen, die in der Gegend keine ständige Unterkunft haben, als vorübergehende Unterkunft genutzt (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Der Zugang zu sauberem Trinkwasser sowie angemessenen sanitären Einrichtungen hat sich in den letzten Jahren erheblich verbessert. Der Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen, wie Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, war in den Städten im Allgemeinen besser als auf dem Land. Der Zugang zu Trinkwasser ist für viele Afghanen jedoch nach wie vor ein Problem, und die sanitären Einrichtungen sind weiterhin schlecht (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

1.5.3. Medizinische Versorgung

Das afghanische Gesundheitsministerium gab an, dass 60 % der Menschen im April 2018 Zugang zu Gesundheitsdiensten hatten, wobei der Zugang als eine Stunde Fußweg zur nächsten Klinik definiert wurde. Trotz der Tatsache, dass die Gesundheitsversorgung laut afghanischer Verfassung kostenlos sein sollte, müssen die Menschen in vielen öffentlichen Einrichtungen für Medikamente, Arzthonorare, Labortests und stationäre Versorgung bezahlen. Hohe Behandlungskosten sind der Hauptgrund, weswegen die Behandlung vermieden wird (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

90% der medizinischen Versorgung in Afghanistan werden nicht direkt vom Staat zur Verfügung gestellt, sondern von nationalen und internationalen NGOs, die über ein Vertragssystem beauftragt werden. Über dieses Vertragssystem wird sowohl primäre, als auch sekundäre und tertiäre medizinische Versorgung zur Verfügung gestellt. Allerdings mangelt es an Investitionen in medizinische Infrastruktur. Der Bauzustand vieler Kliniken ist schlecht. Während in den Städten ein ausreichendes Netz von Krankenhäusern und Kliniken besteht, ist es in den ländlichen Gebieten für viele Afghanen schwierig, eine Klinik oder ein Krankenhaus zu erreichen (LIB, Kapitel 22).

Psychische Krankheiten wie posttraumatische Belastungsstörung, Depression und Angstzustände - die oft durch den Krieg hervorgerufen wurden - sind in Afghanistan weit verbreitet, es gibt aber nur geringe Kapazitäten zur Behandlung dieser Erkrankungen. Spezifische Medikamente sind grundsätzlich verfügbar. (LIB, Kapitel 22.1)

1.5.4. Ethnische Minderheiten

In Afghanistan sind ca. 40 - 42% Paschtunen, rund 27 - 30% Tadschiken, ca. 9 - 10% Hazara und 9% Usbeken. Die afghanische Verfassung schützt sämtliche ethnische Minderheiten. Neben den offiziellen Landessprachen Dari und Paschtu wird in der Verfassung sechs weiteren Sprachen ein offizieller Status in jenen Gebieten eingeräumt. Soziale Gruppen werden in Afghanistan nicht ausgeschlossen und kein Gesetz verhindert die Teilnahme von Minderheiten am politischen Leben. Es kommt jedoch im Alltag zu Diskriminierungen und Ausgrenzungen ethnischer Gruppen und Religionen sowie zu Spannungen, Konflikten und Tötungen zwischen unterschiedlichen Gruppen (LIB, Kapitel 17).

Die Volksgruppe der Tadschiken ist die zweitgrößte Volksgruppe in Afghanistan, sie machen etwa 27-30% der afghanischen Gesellschaft aus und hat deutlichen politischen Einfluss im Land. In der Hauptstadt Kabul sind sie knapp in der Mehrheit. Tadschiken sind in zahlreichen politischen Organisationen und Parteien vertreten, sie sind im nationalen Durchschnitt mit etwa 25% in der Afghan National Army (ANA) und der Afghan National Police (ANP) repräsentiert (LIB, Kapitel 17.2). Tadschiken sind allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit in Afghanistan weder psychischen noch physischen Bedrohungen ausgesetzt.

1.5.5. Religionen

Etwa 99% der afghanischen Bevölkerung sind Muslime, davon 80 - 89,7% Sunniten. Laut Verfassung ist der Islam die Staatsreligion Afghanistans. Anhänger anderer Religionen sind frei, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften auszuüben (LIB Kapitel 16).

1.5.6. Allgemeine Menschenrechtslage

Im Bereich der Menschenrechte hat Afghanistan unter schwierigen Umständen Fortschritte gemacht. Inzwischen ist eine selbstbewusste neue Generation von Afghaninnen und Afghanen herangewachsen, die sich politisch, kulturell und sozial engagiert und der Zivilgesellschaft eine stärkere Stimme verleiht. Diese Fortschritte erreichen aber nach wie vor nicht alle Landesteile und sind außerhalb der Städte auch gegen willkürliche Entscheidungen von Amtsträgern und Richtern sowie Einflussnahme örtlicher Machteliten nur schwer durchzusetzen. Die afghanische Regierung ist nicht in der Lage, die durch die afghanische Verfassung und einschlägige völkerrechtliche Verträge garantierten Menschenrechte vollumfänglich umzusetzen und zu gewährleisten (LIB, Kapitel 11).

Menschenrechtsverletzungen an der Zivilbevölkerung finden nach wie vor in allen Teilen des Landes und unabhängig davon statt, wer die betroffenen Gebiete tatsächlich kontrolliert (UNHCR, Kapitel II. C. 1).

Die Fähigkeit der Regierung, Menschenrechte zu schützen, wird durch die Unsicherheit und zahlreiche Angriffe durch regierungsfeindliche Kräfte untergraben. Insbesondere ländliche und instabile Gebiete leiden unter einem allgemein schwachen förmlichen Justizsystem, das unfähig ist, Zivil- und Strafverfahren effektiv und zuverlässig zu entscheiden (UNHCR, Kapitel II. C. 2).

1.5.7. Bewegungsfreiheit und Meldewesen

Das Gesetz garantiert interne Bewegungsfreiheit, Auslandsreisen, Emigration und Rückkehr. Afghanen dürfen sich formell im Land frei bewegen und niederlassen (LIB, Kapitel 19).

Afghanistan hat kein zentrales Bevölkerungsregister, keine Datenbanken mit Adress- oder Telefonnummerneinträgen und auch keine Melde- oder Registrierungspflicht. Die Gemeinschafts- bzw. Bezirksältesten führen kein Personenstandsregister, die Regierung registriert jedoch Rückkehrer. Durch die hohe soziale Kontrolle ist gerade im ländlichen Raum keine, aber auch in den Städten kaum Anonymität zu erwarten (LIB, Kapitel 19.1).

1.5.8. Provinzen und Städte

1.5.8.1. Herkunftsprovinz Kabul

Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans. Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Die Stadt Kabul ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, sie hat 5.029.850 Einwohner. Kabul ist Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt (LIB, Kapitel 3.1). Die Stadt Kabul ist über Hauptstraßen mit den anderen Provinzen des Landes verbunden und verfügt über einen internationalen Flughafen (LIB Kapitel 3.1 und Kapitel 3.35).

Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele durch, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen. Die Hauptursache für zivile Opfer in der Provinz Kabul (596 Tote und 1.270 Verletzte im Jahr 2018) waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul zählt zu jenen Provinzen, in denen es zu willkürlicher Gewalt kommt, jedoch nicht auf hohem Niveau, und dementsprechend ist ein höheres Maß an Einzelelementen erforderlich ist, um wesentliche Gründe für die Annahme aufzuzeigen, dass ein in dieses Gebiet zurückgekehrter Zivilist einem realen ernsthaften Risiko ausgesetzt wäre, Schaden im Sinne von Artikel 15(c) der Qualifizierungsrichtlinie zu nehmen (EASO, Kapitel Guidance note: Afghanistan, III.3).

In Kabul leben 70.000 bis 80.000 Binnenvertriebene (LIB, Kapitel 3.1).

Kabul ist das wichtigste Handels- und Beschäftigungszentrum Afghanistans und hat ein größeres Einzugsgebiet in den Provinzen Parwan, Logar und Wardak. Es gibt eine dynamischere Wirtschaft mit einem geringeren Anteil an Arbeitssuchenden, Selbständigen und Familienarbeitern. Menschen aus kleinen Dörfern pendeln täglich oder wöchentlich nach Kabul, um landwirtschaftliche Produkte zu handeln oder als Wachen, Hausangestellte oder Lohnarbeiter zu arbeiten. Die besten (Arbeits-)Möglichkeiten für Junge existieren in Kabul. Trotz der niedrigeren Erwerbsquoten ist der Frauenanteil in hoch qualifizierten Berufen in Kabul (49,6 %) am größten (LIB, Kapitel 21).

1.5.8.2. Herat Stadt

Herat-Stadt ist die Provinzhauptstadt der Provinz Herat. Sie hat

556.205 Einwohner. Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert, der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 durch Iran-Rückkehrer und Binnenvertriebene besonders gestiegen (LIB, Kapitel 3.13).

Herat ist durch die Ring-Road sowie durch einen Flughafen mit nationalen und internationalen Anbindungen sicher und legal erreichbar (LIB, Kapitel 3.13). Der Flughafen Herat (HEA) liegt 13 km südlich der Stadt im Distrikt Gozara. Die Straße, welche die Stadt mit dem Flughafen verbindet wird laufend von Sicherheitskräften kontrolliert. Unabhängig davon gab es in den letzten Jahren Berichte von Aktivitäten von kriminellen Netzwerken, welche oft auch mit Aufständischen in Verbindung stehen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten. Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban. Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Herat so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Im Vergleich mit anderen Teilen des Landes weist Herat wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf. Es gibt Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran, wie auch im Bergbau und Produktion. Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt und beschäftigt Tagelöhner sowie kleine Unternehmer (LIB, Kapitel 21).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Herat, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Herat besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Herat haben Zugang zu Elektrizität (80 %), zu erschlossener Wasserversorgung (70%) und zu Abwasseranlagen (30%). 92,1 % der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen und 81,22 % zu besseren Wasserversorgungsanlagen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Herat ist im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 als IPC Stufe 2 klassifiziert (IPC - Integrated Phase Classification). In Phase 2, auch "stressed" genannt, weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentlich, nicht nahrungsbezogenen Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1.).

1.5.8.3. Mazar-e Sharif

Mazar-e Sharif ist die Provinzhauptstadt von Balkh, einer ethnisch vielfältigen Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird. Sie hat 469.247 Einwohner und steht unter Kontrolle der afghanischen Regierung (LIB, Kapitel 3.5).

Das Niveau an willkürlicher Gewalt ist in der Stadt Mazar-e Sharif so gering, dass für Zivilisten an sich nicht die Gefahr besteht, von erheblichen Eingriffen in die psychische oder physische Unversehrtheit betroffen zu sein (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, III).

Mazar-e Sharif ist über die Autobahn sowie über einen Flughafen (mit nationalen und internationalen Anbindungen) legal zu erreichen (LIB, Kapitel 21). Der Flughafen von Mazar-e Sharif (MRZ) liegt 9 km östlich der Stadt im Bezirk Marmul. Die Befahrung der Straßen von diesem Flughafen bis zur Stadt Mazar-e Sharif ist zur Tageszeit im Allgemeinen sicher (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz, ein regionales Handelszentrum sowie ein Industriezentrum mit großen Fertigungsbetrieben und einer Vielzahl von kleinen und mittleren Unternehmen (LIB, Kapitel 21). Mazar-e Sharif gilt im Vergleich zu Herat oder Kabul als wirtschaftlich relativ stabiler. Die größte Gruppe von Arbeitern in der Stadt Mazar-e Sharif sind im Dienstleistungsbereich und als Verkäufer tätig (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die Unterkunftssituation stellt sich in Mazar-e Sharif, wie in den anderen Städten Afghanistans auch, für Rückkehrer und Binnenflüchtlinge als schwierig dar. Viele Menschen der städtischen Population lebt in Slums oder nichtadäquaten Unterkünften. In Mazar-e Sharif besteht grundsätzlich die Möglichkeit, sicheren Wohnraum, wie beispielsweise in Teehäusern, zu mieten. (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Die meisten Menschen in Mazar-e Sharif haben Zugang zu erschlossener Wasserversorgung (76%), welche in der Regel in Rohrleitungen oder aus Brunnen erfolgt. 92% der Haushalte haben Zugang zu besseren Sanitäreinrichtungen (EASO, Kapitel Common analysis: Afghanistan, V).

Während Mazar-e Sharif im Zeitraum Juni 2019 bis September 2019 noch als IPC Stufe 1 "minimal" (IPC - Integrated Phase Classification) klassifiziert wurde, ist Mazar-e Sharif im Zeitraum Oktober 2019 bis Januar 2020 in Phase 2 "stressed" eingestuft. In Phase 1 sind die Haushalte in der Lage, den Bedarf an lebensnotwenigen Nahrungsmitteln und Nicht-Nahrungsmitteln zu decken, ohne atypische und unhaltbare Strategien für den Zugang zu Nahrung und Einkommen zu verfolgen. In Phase 2 weisen Haushalte nur einen gerade noch angemessenen Lebensmittelverbrauch auf und sind nicht in der Lage, sich wesentliche, nicht nahrungsbezogene Güter zu leisten, ohne dabei irreversible Bewältigungsstrategien anzuwenden (ECOI, Kapitel 3.1)

In der Stadt Mazar-e Sharif gibt es 10 - 15 - teils öffentliche, teils private - Krankenhäuser. In Mazar-e Sharif existieren mehr private als öffentliche Krankenhäuser. Private Krankenhäuser sind sehr teuer, jede Nacht ist kostenpflichtig. Zusätzlich existieren etwa 30-50 medizinische Gesundheitskliniken die zu 80% öffentlich finanziert sind (LIB, Kapitel 22).

1.5.9. Situation für Rückkehrer/innen

In den ersten vier Monaten des Jahres 2019 kehrten insgesamt 63.449 Menschen nach Afghanistan zurück. Im Jahr 2018 kamen 775.000 aus dem Iran und 46.000 aus Pakistan zurück (LIB, Kapitel 23).

Soziale, ethnische und familiäre Netzwerke sind für einen Rückkehrer unentbehrlich. Der Großteil der nach Afghanistan zurückkehrenden Personen verfügt über ein familiäres Netzwerk, auf das in der Regel zurückgegriffen wird. Wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage, den ohnehin großen Familienverbänden und individuellen Faktoren ist diese Unterstützung jedoch meistens nur temporär und nicht immer gesichert. Neben der Familie als zentrale Stütze der afghanischen Gesellschaft, kommen noch weitere wichtige Netzwerke zum Tragen, wie z. B. der Stamm, der Clan und die lokale Gemeinschaft. Diese basieren auf Zugehörigkeit zu einer Ethnie, Religion oder anderen beruflichen Netzwerken sowie politische Netzwerke usw. Ein Netzwerk ist für das Überleben in Afghanistan wichtig. Ein Mangel an Netzwerken stellt eine der größten Herausforderungen für Rückkehrer dar. Die Rolle sozialer Netzwerke - der Familie, der Freunde und der Bekannten - ist für junge Rückkehrer besonders ausschlaggebend, um sich an das Leben in Afghanistan anzupassen. Sollten diese Netzwerke im Einzelfall schwach ausgeprägt sein, kann die Unterstützung verschiedener Organisationen und Institutionen in Afghanistan in Anspruch genommen werden (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus dem Iran und aus Pakistan, die oft über Jahrzehnte in den Nachbarländern gelebt haben und zum Teil dort geboren wurden, sind in der Regel als solche erkennbar. Offensichtlich sind sprachliche Barrieren, von denen vor allem Rückkehrer aus dem Iran betroffen sind, weil sie Farsi (die iranische Landessprache) oder Dari (die afghanische Landessprache) mit iranischem Akzent sprechen. Es gibt jedoch nicht viele Fälle von Diskriminierung afghanischer Rückkehrer aus dem Iran und Pakistan aufgrund ihres Status als Rückkehrer. Fast ein Viertel der afghanischen Bevölkerung besteht aus Rückkehrern. Diskriminierung beruht in Afghanistan großteils auf ethnischen und religiösen Faktoren sowie auf dem Konflikt (LIB, Kapitel 23).

Rückkehrer aus Europa oder dem westlichen Ausland werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen. Es sind jedoch keine Fälle bekannt, in denen Rückkehrer nachweislich aufgrund ihres Aufenthalts in Europa Opfer von Gewalttaten wurden. Wenn ein Rückkehrer mit im Ausland erlangten Fähigkeiten und Kenntnissen zurückkommt, stehen ihm mehr Arbeitsmöglichkeiten zur Verfügung als den übrigen Afghanen, was bei der hohen Arbeitslosigkeit zu Spannungen innerhalb der Gemeinschaft führen kann (LIB, Kapitel 23).

Der Mangel an Arbeitsplätzen stellt für den Großteil der Rückkehrer die größte Schwierigkeit dar. Der Zugang zum Arbeitsmarkt hängt maßgeblich von lokalen Netzwerken ab. Die afghanische Regierung kooperiert mit UNHCR, IOM und anderen humanitären Organisationen, um IDPs, Flüchtlingen, rückkehrenden Flüchtlingen und anderen betroffenen Personen Schutz und Unterstützung zu bieten. Für Afghanen, die im Iran geboren oder aufgewachsen sind und keine Familie in Afghanistan haben, ist die Situation problematisch (LIB, Kapitel 23).

Viele Rückkehrer leben in informellen Siedlungen, selbstgebauten Unterkünften oder gemieteten Wohnungen. Die meisten Rückkehrer im Osten des Landes leben in überbelegten Unterkünften und sind von fehlenden Möglichkeiten zum Bestreiten des Lebensunterhaltes betroffen (LIB, Kapitel 23).

Personen, die freiwillig oder zwangsweise nach Afghanistan zurückgekehrt sind, können verschiedene Unterstützungsformen in Anspruch nehmen. Rückkehrer erhalten Unterstützung von der afghanischen Regierung, den Ländern, aus denen sie zurückkehren, und internationalen Organisationen (z.B. IOM) sowie lokalen Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Für Rückkehrer leisten UNHCR und IOM in der ersten Zeit Unterstützung. Bei der Anschlussunterstützung ist die Transition von humanitärer Hilfe hin zu Entwicklungszusammenarbeit nicht immer lückenlos. Es gibt keine dezidiert staatlichen Unterbringungen für Rückkehrer. Der Großteil der (freiwilligen bzw. zwangsweisen) Rückkehrer aus Europa kehrt direkt zu ihren Familien oder in ihre Gemeinschaften zurück. Es befinden sich viele Rückkehrer in Gebieten, die für Hilfsorganisationen aufgrund der Sicherheitslage nicht erreichbar sind (LIB, Kapitel 23).

Die "Reception Assistance" umfasst sofortige Unterstützung oder Hilfe bei der Ankunft am Flughafen: IOM trifft die freiwilligen Rückkehrer vor der Einwanderungslinie bzw. im internationalen Bereich des Flughafens, begleitet sie zum Einwanderungsschalter und unterstützt bei den Formalitäten, der Gepäckabholung, der Zollabfertigung, usw. Darüber hinaus arrangiert IOM den Weitertransport zum Endziel der Rückkehrer innerhalb des Herkunftslandes und bietet auch grundlegende medizinische Unterstützung am Flughafen an. 1.279 Rückkehrer erhielten Unterstützung bei der Weiterreise in ihre Heimatprovinz. Für die Provinzen, die über einen Flughafen und Flugverbindungen verfügen, werden Flüge zur Verfügung gestellt. Der Rückkehrer erhält ein Flugticket und Unterstützung bezüglich des Flughafen-Transfers. Der Transport nach Herat findet in der Regel auf dem Luftweg statt (LIB, Kapitel 23).

Familien in Afghanistan halten in der Regel Kontakt zu ihrem nach Europa ausgewanderten Familienmitglied und wissen genau Bescheid, wo sich dieses aufhält und wie es ihm in Europa ergeht. Dieser Faktor wird in Asylinterviews meist heruntergespielt und viele Migranten, vor allem Minderjährige, sind instruiert zu behaupten, sie hätten keine lebenden Verwandten mehr oder jeglichen Kontakt zu diesen verloren (LIB, Kapitel 23).

1.5.10. Blutfehde

Gemäß althergebrachter Verhaltens- und Ehrvorstellungen töten bei einer Blutfehde die Mitglieder einer Familie als Vergeltungsakte die Mitglieder einer anderen Familie. In Afghanistan sind Blutfehden in erster Linie eine Tradition der Paschtunen und im paschtunischen Gewohnheitsrechtssystem Paschtunwali verwurzelt, kommen jedoch Berichten zufolge auch unter anderen ethnischen Gruppen vor. Blutfehden können durch Morde ausgelöst werden, aber auch durch andere Taten wie die Zufügung dauerhafter, ernsthafter Verletzungen, Entführung oder Vergewaltigung verheirateter Frauen oder ungelöster Streitigkeiten um Land, Zugang zu Wasser oder Eigentum. Blutfehden können zu langanhaltenden Kreisläufen aus Gewalt und Vergeltung führen. Nach dem Paschtunwali muss die Rache sich grundsätzlich gegen den Täter selbst richten, unter bestimmten Umständen kann aber auch der Bruder des Täters oder ein anderer Verwandter, der aus der väterlichen Linie stammt, zum Ziel der Rache werden. Im Allgemeinen werden Berichten zufolge Racheakte nicht an Frauen und Kindern verübt, doch soll der Brauch baad, eine stammesübliche Form der Streitbeilegung, in der die Familie des Täters der Familie, der Unrecht geschah, ein Mädchen zur Heirat anbietet, vor allem im ländlichen Raum praktiziert werden, um eine Blutfehde beizulegen. Wenn die Familie, der Unrecht geschah, nicht in der Lage ist, sich zu rächen, dann kann, wie aus Berichten hervorgeht, die Blutfehde erliegen, bis die Familie des Opfers sich für fähig hält, Racheakte auszuüben. Daher kann sich die Rache Jahre oder sogar Generationen nach dem eigentlichen Vergehen ereignen. Die Bestrafung des Täters im Rahmen des formalen Rechtssystems schließt gewaltsame Racheakte durch die Familie des Opfers nicht notwendigerweise aus. Sofern die Blutfehde nicht durch eine Einigung mit Hilfe traditioneller Streitbeilegungsmechanismen beendet wurde, kann Berichten zufolge davon ausgegangen werden, dass die Familie des Opfers auch dann noch Rache gegen den Täter verüben wird, wenn dieser seine offizielle Strafe bereits verbüßt hat. (UNHCR)

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie in den Gerichtsakt und durch Einvernahme des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung.

2.1. Zu den Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Die Feststellungen zur Identität des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen dahingehend übereinstimmenden Angaben vor den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes, vor dem Bundesamt, in der Beschwerde und vor dem Bundesverwaltungsgericht. Die getroffenen Feststellungen zum Namen und zum Geburtsdatum des Beschwerdeführers gelten ausschließlich zur Identifizierung der Person des Beschwerdeführers im Asylverfahren.

Die Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des Beschwerdeführers, seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, seiner Muttersprache, seinem Lebenslauf, sein Aufwachsen sowie seine familiäre Situation, seine Schul- und Berufsausbildung und seine Berufserfahrung gründen sich auf seinen diesbezüglich schlüssigen und stringenten Angaben. Das Bundesverwaltungsgericht hat keine Veranlassung, an diesen im gesamten Verfahren gleich gebliebenen Aussagen des Beschwerdeführers zu zweifeln.

Die Feststellung zur Sozialisierung des Beschwerdeführers nach den afghanischen Gepflogenheiten, ergibt sich daraus, dass er in Afghanistan mit seiner afghanischen Familie aufgewachsen ist, er ist dort zur Schule gegangen und hat dort als zuletzt als Eigentümer eines Damenkleidungsgeschäftes gearbeitet.

Die Feststellungen zum Gesundheitszustand gründen auf den diesbezüglich glaubhaften Aussagen des Beschwerdeführers beim Bundesamt und in der mündlichen Verhandlung und auf dem Umstand, dass im Verfahren nichts Gegenteiliges hervorgekommen ist.

2.2. Zu den Feststellungen zum Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer gibt als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er von seinem Cousin und dessen Vater verfolgt werde, da seine Ehefrau - ebenfalls eine Cousine des Beschwerdeführers - eigentlich zuerst dem Cousin versprochen gewesen sei.

Dieses Vorbringen des Beschwerdeführers ist aus folgenden Gründen nicht glaubhaft:

In der Erstbefragung führte der Beschwerdeführer aus, sein Cousin sei zwei Mal mit einem Messer auf ihn losgegangen, außerdem habe er Säure auf seine Hand gespritzt (vgl. S 6 der Erstbefragung am 28.09.2015). In der Einvernahme vor dem BFA erwähnte er von sich aus keinen Angriff mit Säure mehr. Erst auf Vorhalt seitens der belangten Behörde gab er an, die Säure sei mit einer Spritze auf seinen Unterarm getröpfelt worden (vgl. S 9 der Niederschrift der Einvernahme vor dem BFA am 05.03.2018). In der mündlichen Beschwerdeverhandlung machte der Beschwerdeführer abermals keine Angaben, wonach er mit Säure angegriffen worden sei.

Das Gericht verkennt bei der Würdigung der Aussagen des Beschwerdeführers in der Erstbefragung nicht, dass gemäß § 19 Abs. 1 AsylG 2005 die Erstbefragung zwar "insbesondere" der Ermittlung der Identität und der Reiseroute eines Fremden dient und sich nicht auf die "näheren" Fluchtgründe zu beziehen hat. Die Beweisergebnisse der Erstbefragung dürfen nicht unreflektiert übernommen werden (vgl. VwGH 13.11.2014, Ra 2014/18/0061). Aus der näheren Darstellung eines bereits bei der Erstbefragung erhobenen Vorbringens, dessen Detaillierung von der Behörde erster Instanz nicht gefordert wurde, darf die zweite Instanz noch nicht auf die Unglaubwürdigkeit des Gesamtvorbringens schließen (VwGH 20.06.1995, 94/19/0625). Die höchstgerichtliche Judikatur verbietet - angesichts des eingeschränkten Zwecks der Erstbefragung - die unreflektierte Verwendung der darin gewonnenen Beweisergebnisse; zudem darf ein späteres, detaillierteres Vorbringen, dessen Grundlage bereits in der Erstbefragung gelegt wurde, nicht (wegen des höheren Detaillierungsgrads) als unglaubwürdig betrachtet werden. Ein vollständiges Beweisverwertungsverbot normiert § 19 Abs. 1 AsylG 2005 jedoch nicht. Weder der Behörde noch dem BVwG ist es aber entsprechend der Rechtsprechung des VwGH und auf Basis des § 19 Abs. 1 AsylG 2005 verwehrt, im Rahmen beweiswürdigender Überlegungen Widersprüche und sonstige Ungereimtheiten in den Angaben in der Erstbefragung zu späteren Angaben - unter Abklärung und in der Begründung vorzunehmender Offenlegung, worauf diese fallbezogen zurückzuführen sind - einzubeziehen; vgl. VwGH 26.03.2019, Ra 2018/19/0607 bis 0608-12, VwGH 28.6.2018, Ra 2018/19/0271, mwN). Es ist davon auszugehen, dass jemand, der ein derartig einschneidendes Erlebnis wie einen Säureangriff tatsächlich erlebt hat, dies auch in sämtlichen Einvernahmen schildern würde.

Der Beschwerdeführer muss sich weiters eine Steigerung seines Vorbringens vorhalten lassen, was nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht als glaubhaft anzusehen ist. Vielmehr müsse grundsätzlich den ersten Angaben des Asylwerbers ein erhöhter Wahrheitsgehalt zuerkannt werden (so schon VwGH 08.04.1987, 85/01/0299), weil es der Lebenserfahrung entspricht, dass Angaben, die in zeitlich geringerem Abstand zu den darin enthaltenen Ereignissen gemacht werden, der Wahrheit in der Regel am nächsten kommen (VwGH 11.11.1998, 98/01/0261, mwH). Vor diesem Hintergrund bestehen bereits im Hinblick auf die Steigerung des Vorbringens massive Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen des Beschwerdeführers betreffend eine Blutfehde seitens der Familie seines Cousins.

Während er nämlich in der Erstbefragung von einer persönlichen Verfolgung durch seinen Cousin erzählte und in der niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA sowie zu Beginn der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG außerdem erwähnte, auch von den Freunden des Cousins bedroht und geschlagen worden zu sein, gab er am Ende der Beschwerdeverhandlung erstmals an, die Leibwächter des mächtigen Vaters seines Cousins, XXXX , und nicht die Freunde seines Cousins, hätten ihn bedroht und geschlagen (vgl. S 18 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung am 22.01.2020). Er konnte auch auf Nachfrage nicht plausibel darlegen, warum er einige Minuten zuvor noch geschildert habe, dass ihn die Freunde seines Cousins mit einem Messer verletzt hätten, und er anschließend angab, die beschriebenen Angreifer seien die Leibwächter von XXXX gewesen. Diese hätten ihn zudem geschlagen, von einem Messerangriff berichtete der Beschwerdeführer in diesem Zusammenhang nicht mehr.

Das Vorbringen zeigte sich auch in weiteren Punkten widersprüchlich, etwa als der Beschwerdeführer auf Befragen seitens der belangten Behörde angab, sich nach den Bedrohungen und Angriffen nicht an die Polizei gewandt zu haben, da der Vater seines Cousins Polizeibeamter gewesen sei und dies somit unmöglich gewesen sei (vgl. S 9 der Einvernahme vor dem BFA). In der Beschwerde wurde abermals ausgeführt, der Beschwerdeführer habe keine Anzeige erstatten können, da der Vater des Cousins einen hohen Rang bei der Polizei bekleidet habe. Demgegenüber schilderte er in der Beschwerdeverhandlung, sogar zwei Mal zur Polizei gegangen zu sein. Dort habe man ihm allerdings gesagt, er sei persönlich schuldig. Der Mann seiner Tante habe außerdem eine weitere Bearbeitung seiner Anzeige nicht zugelassen (vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung).

Darüber hinaus ist das Vorbringen des Beschwerdeführers auch hinsichtlich der zeitlichen Angaben in sich nicht schlüssig. Der Beschwerdeführer gab zunächst an, die ersten acht Monate nach seiner Hochzeit seien ruhig verlaufen, da sein Cousin im Ausland gewesen und zunächst nichts von der Eheschließung gewusst habe. Als seine Tochter etwa ein Jahr gewesen sei, habe er Afghanistan verlassen (vgl. S 12 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). An weiterer Stelle führte der Beschwerdeführer aus, die erste persönliche Bedrohung durch seinen Cousin habe etwa ein Jahr nach der Hochzeit stattgefunden, zwei Monate später sei es zur zweiten Attacke gekommen (vgl. S 14 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Befragt, in welchem Jahr der Beschwerdeführer geheiratet habe, gab er an, es nicht genau zu wissen, es sei 2013 oder 2014 gewesen. Auf weitere Befragung führte der Beschwerdeführer aus, er sei etwa fünf bis sechs Monate nach der ersten Bedrohung ausgereist, seine Tochter sei bei der Ausreise ca. drei bis vier Monate alt gewesen (vgl. S 14, 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Auf Vorhalt, dass er zuvor noch angegeben habe, die Tochter sei zu dem Zeitpunkt ein Jahr alt gewesen, versuchte der Beschwerdeführer den Widerspruch damit zu erklären, das Datum nicht genau einordnen zu können, es sei lange her, und er habe viel erlebt. Auf weiteren Vorhalt, dass der Beschwerdeführer bei der Erstbefragung im September 2015 das Alter seiner Tochter mit zwei Jahren angegeben habe, versuchte er dies mit einem Fehler der Übersetzung durch den Dolmetscher zu erklären. Abermals befragt, wie alt seine Tochter nun sei, antwortete der Beschwerdeführer, sie sei sechs oder sieben Jahre alt. Auf weitere Nachfrage, wie das mit der zeitlichen Abfolge der Bedrohungen zusammenpasse, relativierte er die Aussagen erneut und gab an, seine Tochter sei ca. vier Jahre alt (vgl. S 15 der Niederschrift der Beschwerdeverhandlung). Der Beschwerdeführer verfügt über eine zehnjährige Schulbildung und besaß seit seinem 18. Lebensjahr ein eigenes Geschäft, weshalb davon ausgegangen werden kann, dass er grundsätzlich durchaus in der Lage ist, wichtige Lebensereignisse wie seine eigene Hochzeit, die Geburt seiner Tochter und die Ausreise aus seiner Heimat zeitlich korrekt einzuordnen. Dass er sich hingegen bei sämtlichen dieser Angaben laufend widersprach, verstärkt den Eindruck, dass sein Vorbringen nicht erlebnisbasiert ist und er tatsächlich keine Verfolgung durch seinen Cousin und Onkel väterlicherseits zu befürchten hat.

Schließlich zeigt sich das Fluchtvorbringen auch nicht plausibel. Der Beschwerdeführer gab an, da sein Cousin beruflich im Ausland gewesen sei, die Tante eine Eskalation befürchtet habe und ihrem Sohn deshalb nichts davon erzählt habe, hätten die Bedrohungen des Cousins nicht unmittelbar nach der Eheschließung begonnen. Dass der Vater des Cousins, der sich jedoch während des gesamten Zeitraums in Afghanistan aufgehalten habe, den Beschwerdeführer zunächst ebenfalls in Frieden gelassen und nicht von Beginn an bedroht habe, ist vor dem Hintergrund der Länderfeststellungen zur Blutfehde jedoch nicht nachvollziehbar. Auch wenn der Beschwerdeführer angibt, seine Tante habe nicht gewollt, dass der Streit eskaliere und deshalb nichts von der Hochzeit verraten, ist es unrealistisch, wie die Heirat so lange geheim bleiben sollte, zumal es sich sowohl bei Braut und Bräutigam als auch bei dem übergangenen Verlobten der Braut um Cousins und Cousinen handelt, bzw. deren Eltern Geschwister sind. Darüber hinaus betonte der Beschwerdeführer mehrmals die Gefährlichkeit und Macht des Mannes seiner Tante. Dass ein so gut vernetzter, mächtiger Mann so lange nichts davon erfährt, dass die Verlobte seines Sohnes einen anderen Mann geheiratet hat, zumal es sich dabei um einen Verwandten handelte, erscheint nicht plausibel.

Hätte der mächtige Vater des Cousins, XXXX , tatsächlich ein Problem mit der Eheschließung des Beschwerdeführers, hätte er ihn sofort töten können, bzw. dies durch seine Leibwächter erledigen können. Dass im Falle einer konkret bestehenden Blutfehde Monate vergingen, ohne dass dies geschah, ist mit den Länderfeststellungen zur Blutfehde und den Verhältnissen in Afghanistan nicht zu vereinbaren.

Wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid bereits richtig anführte, gibt es beim Beschwerdeführer abseits dieser oben genannten Fluchtgründe keine besonderen Vulnerabilitäten des Beschwerdeführers, weswegen die entsprechenden Feststellungen zu treffen sind.

2.3. Zu den Feststellungen zum (Privat)Leben des Beschwerdeführers in Österreich:

Die Feststellungen zum Leben des Beschwerdeführers in Österreich, insbesondere zur Aufenthaltsdauer, seinen geringen Deutschkenntnissen, seinen fehlenden familiären oder engen sozialen Anknüpfungspunkten in Österreich und seiner Integration in Österreich, stützen sich auf die Aktenlage, auf die Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie auf die von ihm im Verfahren vorgelegten Unterlagen.

Die Feststellung zur strafgerichtlichen Unbescholtenheit des Beschwerdeführers ergibt sich aus der Einsichtnahme in das Strafregister.

2.4. Zu den Feststellungen zur Rückkehr des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat:

2.4.1. Die Feststellungen zu den Folgen einer Rückkehr des Beschwerdeführers in seine Herkunftsstadt Kabul ergeben sich aus den oben angeführten Länderberichten.

Die Feststellungen zum Aufenthaltsort und zur finanzielle Situation der Familie des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben bei der mündlichen Beschwerdeverhandlung. Die Feststellung zum regelmäßigen Kontakt zu seinen Verwandten sich ebenfalls aus seinen Angaben bei der Beschwerdeverhandlung. Die Feststellungen zur finanziellen Unterstützungsfähigkeit seiner Familie in Afghanistan, ergeben sich aus den Angaben des Beschwerdeführers in der mündlichen Verhandlung, wonach sowohl seine Eltern, als auch seine Schwiegereltern arbeiten und der Beschwerdeführer zudem noch Verwandte in Dubai hat, welchen es ebenfalls möglich wäre, den Beschwerdeführer zu unterstützen.

Die Feststellungen zur Rückkehrhilfe ergeben sich aus den Länderberichten.

Die Feststellung zu den grundlegenden Ortskenntnissen in der Stadt Kabul, ergibt sich aus der Aussage des Beschwerdeführers, dass er dort bis zu seiner Ausreise lebte. Daraus ergibt sich, dass er städtisches Umfeld kennt. Er kennt zwar die Städte Herat und Mazar-e Sharif nicht so gut, er kann auch dort innerhalb kurzer Zeit Ortskenntnisse erwerben.

Die Feststellung zur Anpassungsfähigkeit und Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers ergibt sich daraus, dass er in Österreich einer ehrenamtlichen Tätigkeit nachgeht, er sich in Österreich an sich zurechtfindet, und er angab, einer Arbeit nachgehen zu können. Es sind im Verfahren keine Umstände hervorgekommen, die gegen eine grundsätzliche Anpassungsfähigkeit oder gegen eine Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers sprechen.

2.4.2. Die Feststellungen zu den Folgen einer Ansiedlung des Beschwerdeführers in einer der Städte Herat oder Mazar-e Sharif, ergeben sich - unter Berücksichtigung der von UNHCR aufgestellten Kriterien für das Bestehen einer internen Schutzalternative für Afghanistan - aus den oben angeführt

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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