Entscheidungsdatum
22.04.2020Norm
B-VG Art. 133 Abs4Spruch
G306 2154310-2/2E
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dietmar MAURER über die Beschwerde des XXXX, geb. am XXXX, StA.: Rumänien, vertreten durch RA Mag. Andreas STROBL, gegen den Bescheid des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl vom 06.09.2019, Zl. XXXX, beschlossen:
A) In Erledigung der Beschwerden wird der bekämpfte Bescheid zur Gänze
aufgehoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl
zurückverwiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
BEGRÜNDUNG:
I. Verfahrensgang und Sachverhalt
Der Beschwerdeführer (BF) wurde letztmalig mit Urteil des Landesgerichts XXXX vom XXXX.2018 rk XXXX.2019, Zl. XXXX, aufgrund des Verbrechens des schweren, gewerbsmäßig durch Einbruch und im Rahmen einer kriminellen Vereinigung verübten Diebstahls zu einer 30 - monatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt.
Mit Schreiben des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom 05.02.2018 wurde der BF aufgefordert, zur beabsichtigten Erlassung eines Aufenthaltsverbotes Stellung zu nehmen. Der BF gab fristgerecht, durch seine ausgewiesene Rechtsvertretung eine Stellungnahme ab. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der BF in Untersuchungshaft und gab es noch keine rechtskräftige Verurteilung.
Die belangte Behörde hat dem BF nach rechtskräftiger Verurteilung (18.06.2019) kein Parteiengehör eingeräumt bzw. diesen niederschriftliche befragt, sondern erließ mit dem im Spruch angeführten Bescheid gegen den BF gemäß § 67 Abs 1 und 2 FPG ein auf 8 Jahre befristetes Aufenthaltsverbot (Spruchpunkt I.), gemäß § 70 Abs 3 FPG wurde kein Durchsetzungsaufschub erteilt (Spruchpunkt II.) sowie wurde der Beschwerde gegen das Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt III.).
Gegen diesen Bescheid richtet sich die nunmehrige Beschwerde mit den Anträgen, das angerufene Gericht möge nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Beschwerde Folge geben und den angefochtenen Bescheid beheben, in evenu die Dauer des Aufenthaltsverbotes verkürzen, in eventu der Beschwerde Folge geben, den angefochtenen Bescheid beheben und zur neuerlichen Verfahrensdurchführung an die Erstbehörde verweisen.
Das BFA legte die Beschwerde und die Verwaltungsakte dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) vor, wo sie am 04.10.2019 einlangte.
1. Feststellungen
Der relevante Sachverhalt ergibt sich aus den unter Punkt I. getroffenen Ausführungen.
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte Sachverhalt steht aufgrund der außer Zweifel stehenden und von den Parteien nicht beanstandeten Aktenlage fest.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:
Gemäß § 9 Abs. 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 (FPG), BGBl. I Nr. 100/2005 idgF, und § 7 Abs. 1 Z 1 des BFA-Verfahrensgesetzes (BFAVG), BGBl. I Nr. 87/2012 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA.
Da sich die gegenständliche - zulässige und rechtzeitige - Beschwerde gegen einen Bescheid des BFA richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.
Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Da in den maßgeblichen gesetzlichen Bestimmungen eine Senatszuständigkeit nicht vorgesehen ist, obliegt in der gegenständlichen Rechtssache die Entscheidung dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Einzelrichter.
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG), BGBl. I Nr 33/2013 idgF, geregelt. Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem, dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß §§ 16 Abs. 6 und 18 Abs. 7 BFAVG sind die §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anwendbar.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.
Zu Spruchteil A):
Zur Zurückverweisung:
Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG (Anmerkung: sog. Bescheidbeschwerden) dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht (Z 1) oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist (Z 2).
Gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, wenn die Voraussetzungen des Abs. 2 leg cit. nicht vorliegen, im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1
B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.
Vor dem Hintergrund der soeben zitierten Bestimmung hatte die gegenständliche Entscheidung in Beschlussform zu ergehen.
Das Modell der Aufhebung des Bescheides und Zurückverweisung der Angelegenheit an die Behörde folgt konzeptionell jenem des § 66 Abs. 2 AVG, setzt im Unterschied dazu aber nicht auch die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung voraus. Insoweit erscheinen auch die von der höchstgerichtlichen Judikatur -soweit sie nicht die Notwendigkeit der Durchführung oder Wiederholung einer mündlichen Verhandlung betrifft- anwendbar, weshalb unter Bedachtnahme der genannten Einschränkungen die im Erk. des VwGH vom 16.12.2009, GZ. 2007/20/0482 dargelegten Grundsätze gelten. Mängel abseits jener der Sachverhaltsfeststellung legitimieren das Gericht nicht zur Behebung aufgrund § 28 Abs. 3, 2. Satz (Erk. d. VwGH vom 19.11.2009, 2008/07/0167; vgl. auch Fischer/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren (2013), Anm. 11 zu § 28 VwGVG). Der VwGH hat nun zusammengefasst in ständiger Rechtsprechung betont, dass eine umfangreiche und detaillierte Erhebung des für die Entscheidung jeweils maßgebenden Sachverhaltes durch das Bundesasylamt als Asylbehörde erster und nunmehr auch letzter administrativbehördlicher Instanz durchzuführen ist.
Zum bekämpften Bescheid:
Die Vorgängerbestimmung des § 67 Abs. 1 FPG (§ 86 Abs. 1 FPG in der Fassung des FrÄG 2009) lautete:
"§ 86. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen gemeinschaftsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes ihren Aufenthalt ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."
An die Stelle des § 86 Abs. 1 FPG ist - wie erwähnt - mit dem FrÄG 2011 ab 1. Juli 2011 § 67 Abs. 1 FPG getreten. Darin wird nunmehr angeordnet:
"§ 67. (1) Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen unionsrechtlich aufenthaltsberechtigte EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige ist zulässig, wenn auf Grund ihres persönlichen Verhaltens die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährdet ist. Das persönliche Verhalten muss eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Strafrechtliche Verurteilungen allein können nicht ohne weiteres diese Maßnahmen begründen. Vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen sind nicht zulässig. Die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes gegen EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige, die ihren Aufenthalt seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatten, ist dann zulässig, wenn aufgrund des persönlichen Verhaltens des Fremden davon ausgegangen werden kann, dass die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet würde. Dasselbe gilt für Minderjährige, es sei denn, das Aufenthaltsverbot wäre zum Wohl des Kindes notwendig, wie es im Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 20. November 1989 über die Rechte des Kindes vorgesehen ist."
§ 86 Abs. 1 FPG sah zwei unterschiedliche Gefährdungsmaßstäbe - als Bezugspunkt für die für jedes Aufenthaltsverbot Voraussetzung bildende Gefahrenprognose - vor. Einerseits (nach dem ersten und zweiten Satz) die Gefährdung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, wobei eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche, ein Grundinteresse der Gesellschaft berührende Gefahr auf Grund eines persönlichen Verhaltens des betreffenden Fremden vorliegen musste, und andererseits (nach dem fünften Satz) - wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes seinen Aufenthalt ununterbrochen seit zehn Jahren im Bundesgebiet hatte - darüber hinausgehend eine nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich durch seinen Verbleib im Bundesgebiet.
Das FrÄG 2011 hat - abgesehen davon, dass der bisherige § 86 Abs. 1 FPG zu § 67 Abs. 1 FPG wurde - bezüglich des im fünften Satz normierten strengeren (bzw. für den Fremden günstigeren) Maßstabes insofern eine Änderung gebracht, als dieser nunmehr schon dann zur Anwendung gelangt, wenn der EWR-Bürger, Schweizer Bürger oder begünstigte Drittstaatsangehörige einen zehnjährigen Aufenthalt im Bundesgebiet hatte. Die in § 86 Abs. 1 fünfter Satz FPG noch enthaltene Wendung "vor Verwirklichung des maßgeblichen Sachverhaltes" findet sich in der nunmehrigen Bestimmung des § 67 Abs. 1 FPG nicht mehr, sodass eine solche Einschränkung seither nicht (mehr) Platz zu greifen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 9. November 2011, Zl. 2011/22/0264, Punkt 4. der Entscheidungsgründe).
Dies wurde von der belangten Behörde nicht beachtet, die demnach unrichtig die Anwendbarkeit des verschärften Maßstabes nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG nicht geprüft hat, sondern ausschließlich feststellte, dass das zugrundeliegende Verhalten des BF eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstelle, welches die Grundinteressen der Gesellschaft berühre und der weitere Aufenthalt im Bundesgebiet eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung darstelle. Somit hat die belangte Behörde den falschen Gefährdungsmaßstab für ihre Beurteilung herangezogen. Der 5 Satzes des § 67 Abs. 1 FPG verlangt nämlich, dass der weitere Aufenthalt des BF die öffentliche Sicherheit der Republik Österreich durch einen Verbleib im Bundesgebiet nachhaltig und maßgeblich gefährdet.
Bei der Frage nach dem auf den BF anzuwendenden Gefährdungsmaßstab wird allerdings das zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der Richtlinie 2004/38/EG (Freizügigkeitsrichtlinie) ergangene Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom 16. Jänner 2014, Rs C-400/12, zu berücksichtigen sein, weil § 67 Abs. 1 FPG insgesamt der Umsetzung von Art. 27 und 28 dieser Richtlinie - § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG im Speziellen der Umsetzung ihres Art. 28 Abs. 3 lit. a - dient. Der zum erhöhten Gefährdungsmaßstab nach Art. 28 Abs. 3 lit. a der genannten Richtlinie bzw. dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG führende zehnjährige Aufenthalt im Bundesgebiet muss demnach grundsätzlich ununterbrochen sein. Es können einzelne Abwesenheiten des Fremden unter Berücksichtigung von Gesamtdauer, Häufigkeit und der Gründe, die ihn dazu veranlasst haben, Österreich zu verlassen, auf eine Verlagerung seiner persönlichen, familiären oder beruflichen Interessen schließen lassen. Auch der Zeitraum der Verbüßung einer Freiheitsstrafe durch den Betroffenen ist grundsätzlich geeignet, die Kontinuität des Aufenthaltes iSd Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie zu unterbrechen und sich damit auf die Gewährung des dort vorgesehenen verstärkten Schutzes auch in dem Fall auszuwirken, dass sich der Fremde vor dem Freiheitsentzug mehrere Jahre lang (kontinuierlich) im Aufnahmemitgliedstaat aufgehalten hat. Dies ist - bei einer umfassenden Beurteilung - im Rahmen der Prüfung zu berücksichtigen, ob die zuvor mit dem Aufnahmemitgliedstaat geknüpften Integrationsverbindungen abgerissen sind (vgl. insbesondere Rn. 25 sowie 31 bis 36 des zitierten Urteils des EuGH vom 16. Jänner 2004 und - daran anknüpfend - das Erkenntnis des VwGH vom 19. Februar 2014, Zl. 2013/22/0309).
Hinzuweisen ist schließlich darauf, dass - wenn dem BF - das Recht auf Daueraufenthalt (nach einem fünfjährigen rechtmäßigen und ununterbrochenen Aufenthalt im Bundesgebiet) zukommen sollte - jedenfalls der in § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG vorgesehene Maßstab, der im abgestuften System der Gefährdungsprognosen zwischen jenen nach dem ersten und dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG angesiedelt ist, heranzuziehen wäre (Erkenntnis vom 13. Dezember 2012, Zl. 2012/21/0181, Punkt 3. der Entscheidungsgründe).
Der BF gab an, sich seit 2008 dauerhaft in Österreich aufzuhalten (ZMR Meldung seit 18.12.2008), daher mehr als 10 Jahre rechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet. Die belangte Behörde hat auch diesbezüglich kaum bzw. keine Feststellungen getroffen. Die belangte Behörde führt im bekämpften Bescheid auf Seite 13 "Zu Ihrem Aufenthalt in Österreich" an, dass der BF sich seit dem 29.10.2009 durchgehend im Bundesgebiet aufhalten würde, er im Besitz einer Daueraufenthaltsberechtigung wäre und als gewerblicher selbständiger Erwerbstätiger eingetragen sei. Faktum ist, dass der BF seit dem 18.12.2008 durchgehend mittels Hauptwohnsitzes im Bundesgebiet gemeldet ist. Der BF gab bei der Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 06.07.2017 zur Frage, seit wann er sich im Bundesgebiet aufhalten würde, wörtlich an: "Seit 2008 bin ich dauerhaft in Österreich, .... ." Die belangte Behörde räumte dem BF bereits am 05.02.2018 (3 Wochen nach Inhaftierung) ein Parteiengerhör ein und erließ 1 1/2 Jahre später den bekämpften Bescheid, ohne dass sie den BF neuerlich befragt bzw. wenigstens ein Parteiengehör eingeräumt hätte. Die belangte Behörde hätte aufgrund des langjährigen Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet auf alle Fälle diesbezügliche genauere Erhebungen zu führen gehabt.
All das blieb in Verkennung der Rechtslage im angefochtenen Bescheid ungeprüft und wäre das erkennende Gericht dazu veranlasst, die Ermittlungen vom neuen zu beginnen, sodass der bekämpfte Bescheid aufzuheben war.
Die belangte Behörde wird nunmehr Erhebungen dahingehend zu führen haben, seit wann der BF tatsächlich im Bundesgebiet aufhältig war bzw. ist (noch immer aufrecht in Österreich mittels Hauptwohnsitz gemeldet). Ergeben diese Erhebungen, dass der BF bereits bei Bescheiderlassung 10 Jahre im Bundesgebiet aufhältig war, ist der Gefährdungsmaßstab des 5 Satzes des § 67 FPG in Anwendung zu bringen. Die belangte Behörde wird auch zu prüfen haben, ob der Aufenthalt in Haft dazu geeignet war, den Aufenthalt des BF im Bundesgebiet zu unterbrechen.
Entfall der mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Im gegenständlichen Verfahren konnte eine mündliche Verhandlung unterbleiben, da das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 24 Abs. 2 Z 1 Halbsatz VwGVG als gegeben erachtet, zumal bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.
Zu Spruchteil B): Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985 (VwGG), BGBl. Nr. 10/1985 idgF, hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.
Die oben in der rechtlichen Beurteilung angeführte Judikatur des VwGH ist zwar zu früheren Rechtslagen ergangen, sie ist jedoch nach Ansicht des erkennenden Gerichts auf die inhaltlich meist völlig gleichlautenden Bestimmungen der nunmehr geltenden Rechtslage unverändert übertragbar.
Schlagworte
Behebung der Entscheidung, Ermittlungspflicht, individuelleEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2020:G306.2154310.2.00Zuletzt aktualisiert am
29.06.2020