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StVONorm
StVO 1960 §11 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Leibrecht und die Hofräte Dr. Pichler, Dr. Degischer, Dr. Domittner und Dr. Dorner als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Schwaighofer, über die Beschwerde des J P in W, vertreten durch Dr. Herbert Machatschek, Rechtsanwalt in Wien VII, Burggasse 28 - 32, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15. Juli 1983, Zl. MA 70- IX/P 46/82/Str., betreffend Übertretung der StVO 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 8.060,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien, Bezirkspolizeikommissariat Ottakring, vom 27. November 1981 wurde der Beschwerdeführer - nachdem die Strafverfügung derselben Behörde vom 24. Oktober 1980 insoweit infolge rechtzeitig erhobenen Einspruches des Beschwerdeführers außer Kraft getreten war - neuerlich schuldig erkannt, er habe am 6. September 1980 um
18.15 Uhr in Wien 16., Koppstraße 24, einen dem Kennzeichen nach bestimmten Pkw gelenkt "und den Fahrstreifenwechsel nicht angezeigt" und dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 11 Abs. 2 StVO 1960 begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a leg. cit. wurde deshalb über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von S 150,-
- (Ersatzarreststrafe in der Dauer von 12 Stunden) verhängt.
Auf Grund der dagegen rechtzeitig eingebrachten Berufung des Beschwerdeführers wurde mit Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15. Juli 1983 das angefochtene Straferkenntnis gemäß § 66 Abs. 4 AVG 1950 "hinsichtlich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung vollinhaltlich und in der Schuldfrage mit der Abänderung bestätigt, daß die Tatumschreibung nach den Worten 'den Fahrstreifenwechsel' wie folgt zu ergänzen ist: 'nicht so rechtzeitig angezeigt, daß sich ein anderer Straßenbenützer auf die Änderung des Fahrstreifens rechtzeitig einstellen konnte.'" In der Begründung ihres Bescheides führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer bestreite zwar nicht die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung, wende aber ein, daß er nicht verpflichtet gewesen sei, den Fahrstreifenwechsel anzuzeigen, da es sich um einen Wechsel nach einem Überholvorgang gehandelt habe und ein Anzeigen des Fahrstreifenwechsels nur dann erforderlich sei, wenn andere Verkehrsteilnehmer durch diesen Vorgang behindert oder gefährdet würden und wenn zwischen der Geschwindigkeit des überholenden Fahrzeuges und der Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges ein beträchtlicher Unterschied bestehe. Hiezu bemerkte die belangte Behörde nach Zitierung des § 11 Abs. 2 StVO 1950, daß sich "durch die Bestimmung des rechtzeitigen Anzeigens, damit sich andere Verkehrsteilnehmer auf den angezeigten Vorgang einstellen können", schlüssig ergebe, daß solche Vorgänge anzuzeigen seien, wenn andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet würden. Die belangte Behörde schließe sich insofern vollkommen der Rechtsmeinung des Beschwerdeführers an. Jedoch sei ihm entgegenzuhalten, daß im gegenständlichen Strafverfahren sehr wohl von Behinderung bzw. Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gesprochen werden müsse. Aus der Relation "der Meldungsleger" vom 20. November 1980 (Blatt 9) ergebe sich eindeutig, daß der Beschwerdeführer durch den Wechsel vom linken auf den rechten "Fahrbahnstreifen" - ohne diesen anzuzeigen - andere Verkehrsteilnehmer behindert bzw. gefährdet habe. Hiezu gebe der Meldungsleger folgendes an: "Ich möchte bemerken, daß wir mit dem Funkwagen hinter dem Angezeigten herfuhren und die Möglichkeit einer Gefährdung selbst feststellen konnten, da für uns der nicht angezeigte Fahrstreifenwechsel vollkommen überraschend kam". Diese Angaben habe der Meldungsleger auch bei seiner zeugenschaftlichen Einvernahme aufrecht erhalten und sehe die belangte Behörde daher keine Veranlassung, die schlüssigen und widerspruchsfreien Angaben des Meldungslegers in Zweifel zu ziehen. Daß der Meldungsleger keine weiteren Angaben mehr machen könne und sohin nach Ablauf von zwei Jahren keine neue Sachverhaltsdarstellung vorbringe, erhöhe nur die Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen. Auch die Tatsache, daß sich der Zeuge Insp. F K nicht mehr an den Sachverhalt erinnern könne, ändere nichts an der Glaubwürdigkeit der Angaben des Meldungslegers. Demnach sei auch die Frage nach der Geschwindigkeitsdifferenz "hinsichtlich überholendes und überholtes Fahrzeug" unerheblich, da das Tatbestandsmerkmal der Gefährdung erfüllt und die Verwaltungsübertretung als vom Beschwerdeführer verwirklicht anzusehen sei. Die belangte Behörde schenke daher der zeugenschaftlichen Aussage des Meldungslegers mehr Glauben als den Angaben des Beschwerdeführers. Jener unterliege auf Grund seines Diensteides und seiner verfahrensrechtlichen Stellung der Wahrheitspflicht und müsse bei deren Verletzung mit straf- und dienstrechtlichen Sanktionen rechnen; hingegen träfen den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Beschuldigten keine derartigen Pflichten bzw. Sanktionen. Der Beschwerdeführer habe überdies ein persönliches Interesse, straflos zu bleiben, und werde daher eher geneigt sein, zu seinen Gunsten sprechende Angaben zu machen. Außerdem habe keine Veranlassung gesehen werden können, daß der Meldungsleger eine ihm unbekannte Person wahrheitswidrig habe belasten wollen. Die dem Beschwerdeführer angelastete Tat sei daher als erwiesen anzunehmen gewesen, weshalb der Berufung keine Folge zu geben und der erstinstanzliche Schuldspruch zu bestätigen gewesen sei. Die Abänderung im Spruche habe der genaueren Tatumschreibung und Anpassung an den Straftatbestand gedient. Es folgen Ausführungen zur Strafbemessung.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Die belangte Behörde hat die Verwaltungsstrafakten vorgelegt und in ihrer Gegenschrift die Abweisung der Beschwerde beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat hierüber erwogen:
Gemäß § 11 Abs. 2 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges die bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder den bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens so rechtzeitig anzuzeigen, daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können. Er hat die Anzeige zu beenden, wenn er sein Vorhaben ausgeführt hat oder von ihm Abstand nimmt.
Daraus ergibt sich mit Rücksicht auf den in dieser Gesetzesstelle zum Ausdruck gebrachten Zweck dieser Bestimmung, nämlich, "daß sich andere Straßenbenützer auf den angezeigten Vorgang einstellen können", daß der Lenker eines Fahrzeuges nicht generell jede bevorstehende Änderung der Fahrtrichtung oder jeden bevorstehenden Wechsel des Fahrstreifens, sondern solche Vorgänge nur dann anzuzeigen hat, wenn andere Straßenbenützer in Betracht kommen, die durch den Vorgang behindert oder gefährdet werden könnten; dies gilt unter anderem auch dann, wenn im Zuge eines Überholmanövers der Fahrstreifen gewechselt wird. (Vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 8. April 1964, Slg. Nr. 6294/A.) Kann daher ein anderer Verkehrsteilnehmer durch das Verhalten des die Fahrtrichtung ändernden oder den Fahrstreifen wechselnden Verkehrsteilnehmers bei Bedachtnahme auf alle gegebenen Möglichkeiten nicht berührt werden, dann kann er nicht zu den anderen Straßenbenützern gerechnet werden, denen die Absicht des Verlassens der bisher verfolgten Fahrtrichtung oder des Fahrstreifens anzuzeigen ist. (Vgl. das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. April 1970, Zl. 751/69, auf welches unter Erinnerung an Art. 14 Abs. 4 seiner Geschäftsordnung, BGBl. Nr. 45/1965, hingewiesen wird.)
Auf dem Boden dieser Rechtslage besteht eine Anzeigepflicht - entgegen der von der belangten Behörde in der Begründung des angefochtenen Bescheides vertretenen Auffassung, daß "solche Vorgange anzuzeigen sind, wenn andere Verkehrsteilnehmer behindert oder gefährdet werden" - zwar bereits dann, wenn konkret die Möglichkeit einer derartigen Behinderung oder Gefährdung gegeben ist. Da die belangte Behörde aber nicht davon ausgegangen ist, daß der gegenständliche Wechsel des Fahrstreifens durch den Beschwerdeführer, unabhängig von der Möglichkeit einer Behinderung oder Gefährdung anderer Straßenbenützer, jedenfalls hätte angezeigt werden müssen, sondern sie vielmehr dem Beschwerdeführer entgegengehalten hat, "daß im gegenständlichen Strafverfahren sehr wohl von Behinderung bzw. Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer gesprochen werden muß", erweist sich die in der Beschwerde erhobene, auf die dargestellte Rechtslage Bezug nehmende Rüge als verfehlt. Der belangten Behörde sind aber bei Beurteilung der vorliegenden Verwaltungsstrafsache wesentliche Verfahrensmängel unterlaufen.
Die belangte Behörde hat sich - zumal der Anzeige selbst die Möglichkeit einer Behinderung oder Gefährdung anderer Straßenbenützer durch den Beschwerdeführer nicht zu entnehmen ist -
diesbezüglich auf den vom Meldungsleger anläßlich seiner Zeugenvernehmung am 12. Oktober 1982 als richtig bestätigten schriftlichen Bericht vom 20. November 1980 gestützt. Dabei wurde nicht auf das vom Meldungsleger in diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnte, jedoch offenbar nur rückblickend in bezug auf die Tatzeit vermutete und nicht näher präzisierte "enorme Verkehrsaufkommen" abgestellt, sondern lediglich der Teil des Berichtes wiedergegeben, in dem es heißt, "daß wir mit dem Funkwagen hinter dem Angezeigten herfuhren und die Möglichkeit einer Gefährdung selbst feststellen konnten, da für uns der nicht angezeigte Fahrstreifenwechsel vollkommen überraschend kam". Die belangte Behörde hat aber - obwohl der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Gefährdung von vornherein in Abrede gestellt hat - jegliche Feststellung aber die konkrete Verkehrssituation in dem Zeitpunkt, zu dem die Voraussetzungen hinsichtlich des Bestehens einer Anzeigepflicht für den Beschwerdeführer zu prüfen waren, insofern unterlassen, als weder feststeht, in welchem Abstand sich der Funkstreifenwagen hinter dem Fahrzeug des Beschwerdeführers befunden hat, noch erwiesen ist, welche Geschwindigkeit der Funkstreifenwagen (im Verhältnis zu der des Beschwerdeführers nach der Aktenlage von ca. 70 km/h im Ortsgebiet) eingehalten hat. Es kann nicht ausgeschlossen werden, daß in dem maßgeblichen Zeitpunkt der Funkstreifenwagen soweit hinter dem Fahrzeug des Beschwerdeführers fuhr, daß der Meldungsleger zwar das Fahrverhalten des Beschwerdeführers noch genau beobachten konnte, jedoch mit Rücksicht auf die Entfernung beider Fahrzeuge zueinander in Verbindung mit den dabei gewählten Fahrgeschwindigkeiten nicht nur eine Behinderung, sondern auch eine Gefährdung der Besatzung des Funkstreifenwagens nicht möglich war. In diesem Falle hätte aber die Anzeige des Fahrstreifenwechsels durch den Beschwerdeführer mit Recht unterbleiben dürfen. Dafür spricht auch der Inhalt der Anzeige, wonach sich der Beschwerdeführer "zu diesem Zeitpunkt einer Geschwindigkeit von ca. 70 km/h bediente, welche von uns während der Nachfahrt mit dem Funkwagen gemessen wurde, da sich der Angezeigte zusehends vom Funkwagen entfernte." Daß ein anderer Straßenbenützer als die Besatzung des Funkstreifenwagens, insbesondere ein vom Beschwerdeführer entsprechend seiner Behauptung links überholtes Fahrzeug, vorhanden und diesem gegenüber der Fahrstreifenwechsel anzuzeigen gewesen wäre, wurde von der belangten Behörde nicht angenommen.
Da somit der Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 lit. c Z. 2 VwGG 1965 aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 und 48 Abs. 1 lit. b VwGG 1965 in Verbindung mit Art. I Z. 1 der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 221/1981.
Wien, am 23. März 1984
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1984:1983020269.X00Im RIS seit
29.06.2020Zuletzt aktualisiert am
29.06.2020