TE Vwgh Beschluss 2020/5/5 Ra 2020/06/0048

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Veröffentlicht am 05.05.2020
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Index

L82007 Bauordnung Tirol
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof

Norm

BauO Tir 2018 §28 Abs1 lita
BauO Tir 2018 §34
B-VG Art133 Abs4
B-VG Art133 Abs6 Z1
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Beachte


Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):
Ra 2020/06/0049

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, Hofrätin Mag.a Merl und Hofrat Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, in der Revisionssache der revisionswerbenden Parteien 1. A L, und 2. P GmbH & Co KG Zweigniederlassung V, beide vertreten durch Dr. Ewald Jenewein, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Brixner Straße 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom 13. November 2019, LVwG-2019/48/1482-8, betreffend Beseitigungsauftrag (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Stadtmagistrat Innsbruck; weitere Partei: Tiroler Landesregierung), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die revisionswerbenden Parteien haben der Landeshauptstadt Innsbruck Aufwendungen in der Höhe von € 553,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

2        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

3        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

4        Der Stadtmagistrat Innsbruck (Behörde) trug mit Bescheid vom 14. Juni 2019 dem Erstrevisionswerber auf, die auf näher genannten, in seinem Eigentum stehenden Grundstücken errichtete bauliche Anlage (nach Entfernung der begrünten Humusschicht bis zu einer Tiefe von 50-60 cm wurde eine Schotterfläche im Ausmaß von 470 m2 als Lagerfläche und 1.113 m2 als Abstellfläche für nicht für den Verkehr zugelassene KFZ hergestellt, verdichtet und planiert) sowie einen konsenslos errichteten Maschendrahtzaun von 24 m Länge zu beseitigen und den ursprünglichen Zustand wiederherzustellen (Spruchpunkt I.). Die Behörde stellte fest, dass eine nachträgliche Erteilung einer Baubewilligung im Widerspruch zum Bebauungsplan stehe (Spruchpunkt II.). Der Zweitrevisionswerberin wurde mit gleichem Bescheid die Benützung eines Teiles dieser Fläche als Autoabstellplatz untersagt (Spruchpunkt III.).

5        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Landesverwaltungsgericht Tirol (LVwG) die Beschwerde der revisionswerbenden Parteien mit einer hier nicht relevanten Maßgabe ab und erklärte eine ordentliche Revision für nicht zulässig.

In seinen rechtlichen Ausführungen zu der Frage, ob das Entfernen einer 50-60 cm dicken Humusschicht und das Auffüllen mit Schotter, Verdichten und Einebnen der Fläche eine bauliche Anlage im Sinn des § 2 Abs. 1 Tiroler Bauordnung 2018 (TBO 2018) darstelle, verwies das LVwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - auf die Ausführungen des Amtssachverständigen, wonach für solche Tätigkeiten jedenfalls bautechnische Kenntnisse erforderlich seien. Eine bauliche Anlage liege - so das LVwG weiter - auch dann vor, wenn die Arbeiten laienhaft ausgeführt würden (Hinweis auf VwGH 21.10.1993, 91/06/0066; 2.7.1998, 98/06/0050); anderenfalls läge ein Wertungswiderspruch vor, wenn ordnungsgemäß ausgeführte Anlagen bewilligungspflichtig, nicht ordnungsgemäß ausgeführte Anlagen hingegen bewilligungsfrei wären. Mit der Herstellung einer Lager- und Abstellfläche im Ausmaß von 1.583 m2 würden allgemeine bautechnische Erfordernisse wie jene der mechanischen Festigkeit, Standsicherheit, Gebrauchstauglichkeit, Hygiene, Gesundheit und des Umweltschutzes berührt, was zu einer Bewilligungspflicht gemäß § 28 Abs. 1 lit. e TBO 2018 führe. Eine Bewilligung liege nicht vor und könne aufgrund der im Bebauungsplan festgelegten Mindestbaumassendichte auch nicht erteilt werden. Für die Qualifikation als KFZ-Abstellfläche sei nicht relevant, ob die KFZ zum öffentlichen Verkehr zugelassen seien und wie oft sie bewegt würden. Ein Abstellen von funktionstauglichen KFZ sei außerhalb von Gebäuden nur auf Abstellplätzen möglich, die Vorkehrungen gegen Kontaminationen durch die KFZ aufwiesen. Die von der Zweitrevisionswerberin zum Abstellen von funktionstauglichen, aber nicht zum Verkehr zugelassenen KFZ genutzte Fläche stelle somit keine Lagerfläche, sondern einen Stellplatz (§ 2 Abs. 15 TBO 2018) dar.

6        In ihrer Zulässigkeitsbegründung rügen die revisionswerbenden Parteien zunächst ein Fehlen von hg. Rechtsprechung zur Frage, ob der „Bodenaustausch“ eine bauliche Anlage iSd § 2 Abs. 1 TBO 2018 darstelle. Auch bei Neubauten oder bei bestehenden Gebäuden sei etwa das Entfernen von Humus zum Anbringen eines Frostkoffers oder von Wegschotter nicht bewilligungspflichtig. Die TBO 2018 sehe keine Differenzierung hinsichtlich der Genehmigungspflicht zwischen kleinen Flächen und solchen ab einer bestimmten Größe vor. Gemäß § 58 Abs. 1 TBO 2018 seien nur Geländeveränderungen von mehr als 1,5 m anzeigepflichtig; Veränderungen von weniger als 1,5 m seien weder anzeige- noch bewilligungspflichtig und demnach umso weniger als bauliche Anlage iSd § 2 Abs. 1 TBO 2018 zu qualifizieren. Auch dazu fehle hg. Rechtsprechung. Es würden auch keine Stellplätze geschaffen, sondern nur eine „Lagerflächenverbesserung“ durchgeführt; KFZ würden auch nur auf einem Teil der Gesamtfläche abgestellt, der andere Teil habe mit Stellplätzen nichts zu tun.

7        Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann einer Rechtsfrage nur dann grundsätzliche Bedeutung zukommen, wenn sie über den konkreten Einzelfall hinaus Bedeutung hat. Der Verwaltungsgerichtshof ist nach dem Revisionsmodell nicht dazu berufen, die Einzelfallgerechtigkeit in jedem Fall zu sichern - diese Aufgabe obliegt den Verwaltungsgerichten (vgl. etwa VwGH 17.1.2020, Ra 2019/06/0166, Rn. 12, mwN).

8        Im gegenständlichen Fall führte der Amtssachverständige, auf den sich das LVwG bezieht, in seinem Gutachten vom 24. September 2019 aus, für die Errichtung einer Lager- bzw. Stellfläche seien die Erfordernisse der OIB-Richtlinie 1 „Mechanische Festigkeit und Standsicherheit“ anzuwenden, um die Tragfähigkeit, Sicherheit und Standfähigkeit des Untergrundes gewährleisten zu können; ferner sei dafür Sorge zu tragen, dass die Niederschlagswässer auf eigenem Grund versickerten; bei den abgestellten KFZ sei wegen möglicher Ölaustritte auch die OIB-Richtlinie 3 „Hygiene, Gesundheit und Umweltschutz“ zu beachten. Aufgrund dieser Anforderungen würden bei der Errichtung des gegenständlichen Stellplatzes bautechnische Erfordernisse wesentlich berührt, weshalb aus bautechnischer Sicht von einer Bewilligungspflicht auszugehen sei. Das LVwG bezog sich in seiner Entscheidung auf diese Ausführungen des Amtssachverständigen.

Darauf geht die Revision überhaupt nicht ein.

Wenn das LVwG angesichts dieser Ausführungen des Amtssachverständigen die in Rede stehenden Maßnahmen als bauliche Anlage iSd § 2 Abs. 1 TBO 2018 beurteilte, ist nicht zu erkennen, dass es den ihm zustehenden Anwendungsspielraum überschritten oder gar eine krasse oder unvertretbare Fehlbeurteilung des vorliegenden Sachverhaltes im Hinblick auf das Vorliegen einer baulichen Anlage vorgenommen hätte (vgl. nochmals VwGH Ra 2019/06/0166, Rn. 14, mwN). Da bereits die Anforderungen an die Tragfähigkeit, Sicherheit und Standfähigkeit des Untergrundes sowie die Versickerung der Niederschlagswässer auf eigenem Grund die Annahme der Erforderlichkeit bautechnischer Kenntnisse rechtfertigen, macht es im vorliegenden Fall keinen Unterschied, dass nicht die gesamte Fläche als Stellplatz für KFZ verwendet wird.

9        Werden im Rahmen von Neubauten Frostkoffer oder andere bauliche Maßnahmen beantragt und errichtet, sind diese von einer erteilten Baugenehmigung mitumfasst. Welche Änderungen bestehender baulicher Anlagen bewilligungs- oder anzeigepflichtig sind, ist § 28 TBO 2018 zu entnehmen. Der Revision gelingt es nicht, etwa mit dem Hinweis auf die Errichtung von Frostkoffern einen Wertungswiderspruch hinsichtlich der Beurteilung des LVwG im vorliegenden Fall mit der Systematik der TBO 2018 aufzuzeigen.

10       Der Hinweis auf § 58 Abs. 1 TBO 2018 ist ebenfalls nicht zielführend, weil diese Bestimmung bloße Geländeveränderungen regelt und im Revisionsfall nicht allein eine Geländeveränderung vorgenommen wurde. Der Rückschluss, dass eine nicht anzeigepflichtige Geländeveränderung „umso weniger als bauliche Anlage iSd § 2 Abs. 1 TBO 2018 zu qualifizieren“ sei, ist nicht nachvollziehbar.

11       Zur Beantwortung rechtspolitischer Fragen - etwa in Zusammenhang mit Flächenwidmungs- und Bebauungsplänen - ist der Verwaltungsgerichtshof nicht zuständig (vgl. etwa VwGH 4.10.2018, Ra 2018/22/0196, Rn. 8, mwN).

12       Letztlich bringen die revisionswerbenden Parteien vor, ihnen sei die Ausfolgung der Niederschrift über die Verhandlung vor dem LVwG verweigert worden, weshalb sie keine näheren Ausführungen zur Befangenheit des Amtssachverständigen machen könnten. Es liege keine höchstgerichtliche Judikatur zu der Frage vor, „ob Revisionswerber Anspruch auf eine Niederschrift einer mündlichen Verhandlung haben.“

Den vorgelegten Verfahrensunterlagen zufolge beantragte der Rechtsvertreter in der Verhandlung vor dem LVwG nicht die Zustellung der Niederschrift. Erst mit Mail vom 23. Dezember 2019 stellte er einen solchen Antrag. Laut Mailantwort vom selben Tag war die zuständige Richterin bis 7. Jänner 2020 auf Urlaub; die Niederschrift wurde dem Rechtsvertreter am 7. Jänner 2020 per Mail übermittelt. Der Vorwurf, den revisionswerbenden Parteien sei die Ausfolgung der Niederschrift über die Verhandlung vor dem LVwG verweigert worden, trifft somit nicht zu. Auch wenn die Revisionsfrist zum Zeitpunkt der Übermittlung der Niederschrift bereits abgelaufen war, hätte der Rechtsvertreter die Revision in diesem Punkt nachträglich ergänzen beziehungsweise präzisieren können, was jedoch nicht erfolgte.

Rechtsfragen des Verfahrensrechtes (insbesondere auch solcher der Befangenheit) sind nur dann von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG, wenn tragende Grundsätze des Verfahrensrechtes auf dem Spiel stehen bzw. wenn die in der angefochtenen Entscheidung getroffene Beurteilung grob fehlerhaft erfolgte und zu einem die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Ergebnis führte (vgl. VwGH 29.5.2018, Ra 2018/03/0018, mwN). Dies wurde in der Revision nicht aufgezeigt. Dass der Amtssachverständige ein (wie die Revision offenbar annimmt) für die revisionswerbenden Parteien ungünstiges Gutachten erstattete, vermag eine Befangenheit nicht zu begründen (vgl. VwGH 15.11.2019, Ra 2019/02/0170, Rn. 21, mwN).

13       In der Revision wird somit keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme; sie war daher zurückzuweisen.

14       Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere § 51 VwGG, in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 5. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020060048.L00

Im RIS seit

08.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

14.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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