TE Vwgh Erkenntnis 2020/5/27 Ra 2019/14/0566

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.05.2020
beobachten
merken

Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

AsylG 2005 §11
VwGG §42 Abs2 Z3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. November 2019, W193 2189530-1/12E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (mitbeteiligte Partei: X Y in Z), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

1        Der Mitbeteiligte, ein afghanischer Staatsangehöriger, stellte am 24. Jänner 2017 einen Antrag auf internationalen Schutz. Diesen begründete er damit, dass er von den Taliban mit dem Tode bedroht worden sei, weil er sich geweigert habe, sich ihnen anzuschließen.

2        Mit Bescheid vom 7. Februar 2018 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) den Antrag des Mitbeteiligten sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab und erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen. Es erließ weiters eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten nach Afghanistan zulässig sei und setzte eine zweiwöchige Frist ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) der Beschwerde des Mitbeteiligten statt, erkannte ihm den Status eines Asylberechtigten zu und stellte fest, dass dem Mitbeteiligten kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukomme. Weiters sprach es aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4        Das BVwG ging - zusammengefasst - davon aus, der Mitbeteiligte sei in seiner Heimat Rekrutierungsversuchen durch die Taliban ausgesetzt gewesen. Im Falle seiner Rückkehr drohe ihm Gefahr, auf Grund seiner durch die Flucht gewerteten Weigerung, für die Taliban tätig zu werden, und seiner dadurch zum Ausdruck kommenden (unterstellten) politischen Gesinnung von den Taliban getötet zu werden. Diese Bedrohung beziehe sich auf das gesamte afghanische Staatsgebiet. Eine zumutbare innerstaatliche Fluchtalternative stehe nicht zur Verfügung.

5        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, die ihre Zulässigkeit mit einer Abweichung von näher genannter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes betreffend die erforderlichen Feststellungen zur Beurteilung einer innerstaatlichen Fluchtalternative begründet.

6        Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurückweisung, in eventu Abweisung der Amtsrevision.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

7        Die Amtsrevision ist aufgrund der im Zulässigkeitsvorbringen aufgezeigten Abweichung von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zulässig; sie ist auch begründet.

8        Der vorliegende Revisionsfall gleicht in den für seine Erledigung wesentlichen Punkten jenen, die der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 21. Mai 2019, Ra 2019/19/0069, (betreffend Rekrutierungsversuche durch den Islamischen Staat) und mit Erkenntnis vom 6. April 2020, Ra 2019/01/0443, (betreffend - wie hier - Rekrutierungsversuche durch die Taliban) entschieden hat. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieser Erkenntnisse verwiesen.

9        Die Amtsrevision zeigt zu Recht betreffend die Annahme einer asylrelevanten Verfolgungsgefahr des Mitbeteiligten im gesamten Staatsgebiet Afghanistans und die daraus folgende Verneinung einer innerstaatlichen Fluchtalternative ausgehend von den Länderberichten eine fehlende Auseinandersetzung des BVwG dazu auf, ob die Taliban Personen wie den Mitbeteiligten, der nach der im Bescheid des BFA getroffenen Annahme kein „high value target“ darstellt, im gesamten Staatsgebiet Afghanistans, insbesondere in Gebieten, die nicht unter ihrer Kontrolle stehen, über Jahre hinweg wegen der Weigerung, sich ihnen anzuschließen, suchen und finden. Der bloße Hinweis auf ein „landesweites Netz der Taliban“ überzeugt nicht. Vielmehr ist das Verwaltungsgericht nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wenn es von einer Entscheidung des BFA abweichen will, gehalten, auf die beweiswürdigenden Argumente des BFA einzugehen und nachvollziehbar zu begründen, aus welchen Gründen es zu einer anderen Entscheidung kommt (vgl. zuletzt VwGH 12.3.2020, Ra 2019/01/0472, Rn 30, mwN).

10       Weiters verkennt das Verwaltungsgericht die bisherige Rechtsprechung zur Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative, wonach allein die Tatsache, dass der Mitbeteiligte in seinem Herkunftsstaat über keine familiären Kontakte verfüge, die Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative nicht hindere (vgl. grundlegend VwGH 23.1.2018, Ra 2018/18/0001).

11       Auch bei Berücksichtigung der vom Mitbeteiligten in der Revisionsbeantwortung zitierten Richtlinien des UNHCR zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender vom 30. August 2018 ist eine nachvollziehbare Auseinandersetzung mit der Frage erforderlich, ob der Mitbeteiligte ein derart erhöhtes Risikoprofil aufweist, dass es als wahrscheinlich anzusehen wäre, in konkreten, für eine innerstaatliche Fluchtalternative geeigneten Landesteilen einer Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt zu sein (vgl. VwGH 28.1.2020, Ra 2020/14/0004).

12       Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben.

Wien, am 27. Mai 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140566.L00

Im RIS seit

15.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

15.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten