TE Vwgh Beschluss 2020/6/2 Ra 2017/04/0066

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 02.06.2020
beobachten
merken

Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
97 Öffentliches Auftragswesen

Norm

BVergG 2006 §19 Abs1
BVergG 2006 §69
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger sowie Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Pürgy als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der G. Ges.m.b.H. in M, vertreten durch Dr. Martin Leitner und Dr. Ralph Trischler, Rechtsanwälte in 1070 Wien, Lindengasse 38/3, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom 30. März 2017, Zl. VGW-123/074/2845/2017-28, betreffend vergaberechtliche Nachprüfung (mitbeteiligte Parteien: 1. Stadt Wien, Magistratsabteilung 54 - Zentraler Einkauf, 1220 Wien, Simone-de-Beauvoir-Platz 6; 2. Dipl.-Ing. R P e.U. in H, vertreten durch Mag. Armin Zauner, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Riemergasse 9/Tür 8-9), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die Revisionswerberin hat der zweitmitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        1. Die erstmitbeteiligte Partei (Auftraggeberin) führte ein offenes Verfahren im Oberschwellenbereich zur Vergabe eines Lieferauftrages betreffend Hygienepapier für das Jahr 2017. Die Ausschreibung umfasste sechs Positionen (Lose). Der Zuschlag sollte nach dem Bestbieterprinzip erteilt werden. In der Ausschreibung wurde zur gegenständlichen Position 4 als Auftragsgegenstand „Papierhandtücher, C-Falz, Lagenfaltung, 2-lagig“ angeführt. Die Revisionswerberin beteiligte sich neben anderen Bietern und der zweitmitbeteiligten Partei am Verfahren und legte Angebote.

2        Am 2. Dezember 2016 fand die Angebotsöffnung statt. Mit Schreiben der Auftraggeberin vom 14. Februar 2017 wurden die Zuschlagsentscheidungen für die einzelnen Positionen bekanntgegeben. Hinsichtlich der Position 4 erging die Zuschlagsentscheidung zugunsten der zweitmitbeteiligten Partei, die Revisionswerberin wurde an zweiter Stelle gereiht.

3        1.2. Mit Schriftsatz vom 16. Februar 2017 beantragte die Revisionswerberin die Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung für die Position 4. Sie begründete den Antrag im Wesentlichen damit, dass die zweitmitbeteiligte Partei den in der Ausschreibung geforderten Mindestumsatz nicht erfülle, weil der Umsatz aus einer unzulässigen Direktvergabe nicht als Referenz verwendet werden dürfe.

4        2.1. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 30. März 2017 wies das Verwaltungsgericht Wien (Verwaltungsgericht) - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - den Nachprüfungsantrag der Revisionswerberin ab und sprach aus, dass die Revisionswerberin die von ihr entrichteten Pauschalgebühren selbst zu tragen habe. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für nicht zulässig erklärt.

5        2.2. In seiner Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, dass nach der Ausschreibung als Nachweise der technischen Leistungsfähigkeit für die Positionen 1, 3, 4 und 6 Referenzen aus dem Bereich Toilettenpapier- und Papierhandtuchlieferungen erbracht werden müssten. Für die Position 4 sei ein Mindestumsatz für die Jahre 2013 bis 2016 mit mindestens € 70.000,00 (inklusive Umsatzsteuer) nachzuweisen. Mit dem Angebot der zweitmitbeteiligten Partei seien zwei Referenzen vorgelegt worden. Der von der AUVA-Hauptstelle stammende Referenznachweis nenne als Wert der Leistung über € 20.000,00 (inklusive Umsatzsteuer). Der zweite Referenznachweis sei vom Wiener Krankenanstaltenverbund ausgestellt worden und führe als Wert der Leistung einen Betrag von über € 50.000,00 an. Damit habe die zweitmitbeteiligte Partei den in der Ausschreibung geforderten Betrag von € 70.000,00 für die Position 4 unstrittig erreicht.

6        Auf Antrag der Revisionswerberin vom 16. Februar 2017 habe das Verwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 22. März 2017 festgestellt, dass die Beschaffung von Papierhandtüchern in näher bezeichneter Form zwischen 1. Oktober 2016 und 15. Februar 2017 vom Wiener Krankenanstaltenverbund ohne Durchführung eines Vergabeverfahrens mit vorheriger Bekanntmachung bzw. vorherigem Aufruf zum Wettbewerb rechtswidrig geführt worden sei, und der diesbezügliche Vertrag mit der zweitmitbeteiligten Partei sei für nichtig erklärt worden.

7        Es werde daher festgestellt, dass im gegenständlichen Vergabeverfahren in Position 4 als Leistungsgegenstand „Papierhandtücher, C-Falz, Lagenfaltung, 2-lagig“ festgelegt worden sei und im genannten Feststellungsverfahren ein solcher Leistungsgegenstand jedenfalls auch Teil des Beschaffungsvorganges des Wiener Krankenanstaltenverbundes gewesen sei, der mit dem genannten Erkenntnis des Verwaltungsgerichts vom 22. März 2017 als rechtswidrig festgestellt und der abgeschlossene Vertrag für nichtig erklärt worden sei.

8        In rechtlicher Hinsicht folgerte das Verwaltungsgericht, dass der Referenznachweis für die Position 4 im Angebot der zweitmitbeteiligten Partei von der Auftraggeberin zu Recht akzeptiert worden sei. In dem für das Vorliegen der Eignung relevanten Zeitpunkt, dem Tag der Angebotsöffnung am 2. Dezember 2016, habe eine der Ausschreibung und den Voraussetzungen des § 75 Abs. 2 BVergG 2006 entsprechende Referenz vorgelegen. Aus dem vorgelegten Referenznachweis ergebe sich weder ein Hinweis auf eine Vergaberechtswidrigkeit, der die Auftraggeberin zur Prüfung der Referenz auf Grund der Grundsätze des Vergaberechts allenfalls verpflichtet hätte, noch sei die der Referenzbestätigung zugrunde liegende Beschaffung oder deren vertragliche Grundlage erkennbar gewesen und habe diese der Auftraggeberin daher auch nicht bekannt sein müssen. Weiters liege der Wert der Referenz deutlich unter der Direktvergabegrenze von € 100.000,00 und habe die Auftraggeberin auf die Fragen einer zivilrechtlichen Gültigkeit des Vertrages und der Vergaberechtskonformität des zugrundeliegenden Beschaffungsvorganges nicht abzustellen.

9        Entgegen dem Vorbringen der Revisionswerberin habe die Auftraggeberin auch nicht Kenntnis von der unzulässigen Direktvergabe haben müssen. Die verschiedenen Auftraggeber der Stadt Wien seien der gegenständlichen Auftraggeberin nicht berichtspflichtig und diese habe auch keine gesetzliche Kompetenz zur Überprüfung von Vergabevorgängen.

10       Im Zeitpunkt der Angebotsöffnung am 2. Dezember 2016 sowie im Zeitpunkt der Übermittlung der Zuschlagsentscheidung an die Bieter am 14. Februar 2017 sei die Referenz der zweitmitbeteiligten Partei als tauglicher Nachweis für das Vorliegen des geforderten Mindestumsatzes geeignet gewesen. Der mit Erkenntnis vom 22. März 2017 entschiedene Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit sei am 16. Februar 2017 eingelangt, weshalb die Auftraggeberin im Zeitraum der Angebotsprüfung bis zur Zuschlagsentscheidung am 14. Februar 2017 keine gesicherte Kenntnis von einer Vergaberechtswidrigkeit gehabt haben konnte.

11       Die der Referenz des Wiener Krankenanstaltenverbundes für die Position 4 zugrundeliegende Leistung sei von der zweitmitbeteiligten Partei erbracht und sach- und ordnungsgemäß ausgeführt worden, was mit der Referenz durch den Wiener Krankenanstaltenverbund bestätigt worden sei. Eine Rückabwicklung fände nicht statt.

12       Die dem Angebot der zweitmitbeteiligten Partei vorgelegten Referenzen zur Position 4 hätten daher den formalen und inhaltlichen Anforderungen der gegenständlichen Ausschreibung entsprochen. Von einer Pflicht der Auftraggeberin zur Prüfung vorgelegter Referenzen auf deren zugrundeliegenden vergaberechtskonformen Beschaffungsvorgang und gültigen zivilrechtlichen Vertrag sei auf Grund der Bestimmungen des Vergaberechts nicht auszugehen. Die vorgebrachte Verletzung von Grundsätzen des Vergaberechts liege somit nicht vor, weshalb dem Antrag auf Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung nicht Folge zu geben gewesen sei.

13       4. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.

14       Die Auftraggeberin und zweitmitbeteiligte Partei erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung, in der sie - im Fall der zweitmitbeteiligten Partei verbunden mit einem Antrag auf Kostenzuspruch - die Zurück-, in eventu Abweisung der Revision beantragen.

15       5. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

16       Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

17       Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

18       6. In der vorliegenden außerordentlichen Revision wird zur Begründung ihrer Zulässigkeit vorgebracht, dass das angefochtene Erkenntnis von näher bezeichneter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweiche. Dieser habe ausgesprochen, dass ein Angebot vom Auftraggeber auszuscheiden sei, wenn ein Ausscheidensgrund vorliege. Die Ausscheidenspflicht treffe den Auftraggeber zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens, also auch zwischen Zuschlagsentscheidung und Zuschlagserteilung. Ein formal nicht ausgeschiedenes, aber zwingend auszuscheidendes Angebot komme für eine Zuschlagserteilung nicht in Betracht. Die Leistungsfähigkeit dürfe nach dem in § 69 BVergG 2006 genannten Zeitpunkt nicht mehr verloren gehen.

Das Verwaltungsgericht habe trotz dieser gesicherten höchstgerichtlichen Rechtsprechung entschieden, dass der Auftraggeber den Zuschlag trotz positiver Kenntnis der fehlenden technischen Leistungsfähigkeit des Bieters im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung wirksam erteilen könne, wenn (und nur weil) ihm die fehlende technische Leistungsfähigkeit des betreffenden Bieters im Zeitpunkt der Angebotsöffnung nicht bekannt gewesen sei.

19       Es fehle zudem Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob die Berücksichtigung von rechtswidrig erzielten Umsätzen zur Beurteilung einer finanziellen, wirtschaftlichen oder technischen Leistungsfähigkeit eines Bieters zulässig sei oder nicht.

20       Den aufgezeigten Rechtsfragen komme auch deshalb grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie über den Einzelfall hinaus Auswirkungen hätten. In Vergabeverfahren würden regelmäßig Umsatznachweise als Eignungskriterium verlangt. Ebenso sei unstrittig, dass es oft zu unzulässigen Direktvergaben komme. In Hinblick darauf seien die genannten Rechtsfragen von zentraler Bedeutung.

21       7. Wie von der Revisionswerberin zutreffend ausgeführt, hat der Verwaltungsgerichtshof - unter Verweis auf die Erläuterungen zu § 69 BVergG 2006 (RV 1171 BlgNR 22. GP 61) - ausgesprochen, dass die Leistungsfähigkeit nach dem in dieser Bestimmung genannten Zeitpunkt nicht mehr verloren gehen darf und jedenfalls bis zur Zuschlagserteilung gegeben sein muss (vgl. VwGH 17.6.2014, 2013/04/0033; 9.9.2015, Ro 2014/04/0062, jeweils mwN).

22       Die Revisionswerberin übersieht mit ihrem Vorbringen jedoch zum einen, dass es im gegenständlichen Nachprüfungsverfahren allein um die Rechtmäßigkeit der bekämpften Zuschlagsentscheidung geht und nicht etwa um die Frage, ob die Auftraggeberin den Zuschlag erteilen darf. Zum anderen lässt die Revisionswerberin unerwähnt, dass der Verwaltungsgerichtshof in den genannten Erkenntnissen auch klargestellt hat, dass § 69 BVergG 2006 keine Verpflichtung des Auftraggebers zu einer ständigen Überprüfung enthält, ob nach den dort genannten Zeitpunkten die Eignung seitens des Unternehmers noch vorliegt oder nicht.

23       Dem Erkenntnis VwGH 2013/04/0033 lag zugrunde, dass als Nachweis für die Leistungsfähigkeit eine Bonitätsauskunft des Kreditschutzverbandes (KSV) über ein näher bezeichnetes Rating (Wert präsumtive Zuschlagsempfängerin hatte zum Zeitpunkt der Angebotsöffnung und zum Zeitpunkt der Zuschlagsentscheidung über ein entsprechendes Rating verfügt. Der Verwaltungsgerichtshof ging auf Grund der dort gegebenen - speziellen - Sachverhaltskonstellation davon aus, dass die Auftraggeberin zu einer genaueren Überprüfung der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit verpflichtet gewesen wäre. Im Zuge dieser Überprüfung hätte die Auftraggeberin vom (nunmehr erst im Nachprüfungsverfahren hervorgekommenen) Umstand erfahren, dass das KSV-Rating der Zuschlagsempfängerin für einem gewissen Zeitraum zwischen Angebotsöffnung und Zuschlagsentscheidung den festgelegten Wert überschritten hatte und das entsprechende Eignungskriterium somit nicht erfüllt gewesen sei. Da die Nachprüfungsbehörde dies unberücksichtigt gelassen habe, wurde der dort angefochtene Bescheid aufgehoben. Die spezielle Sachverhaltskonstellation bestand darin, dass die Auftraggeberin bereits vor der Zuschlagsentscheidung auf Grund einschlägiger Medienberichte auf die heikle wirtschaftliche und finanzielle Situation der Zuschlagsempfängerin aufmerksam wurde.

24       Eine solche spezielle Sachverhaltskonstellation, in der die Auftraggeberin zur weiteren Überprüfung der vorliegenden Referenzen verpflichtet wäre, liegt gegenständlich jedoch nicht vor. Das Verwaltungsgericht weicht daher mit seiner Auffassung, dass im vorliegenden Fall keine Anhaltspunkte für eine solche Verpflichtung der Auftraggeberin vorgelegen seien, nicht von der oben dargelegten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.

25       Damit kommt es auch auf die weitere, von der Revisionswerberin als grundsätzlich erachtete Rechtsfrage, ob rechtswidrig erzielte Umsätze bei der Beurteilung der finanziellen, wirtschaftlichen oder technischen Leistungsfähigkeit eines Bieters berücksichtigt werden dürfen, nicht an. Zur Beantwortung abstrakter Rechtsfragen auf Grund von Revisionen ist der Verwaltungsgerichtshof aber nicht berufen (vgl. VwGH 8.8.2019, Ro 2017/04/0014, mwN).

26       8. In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.

27       Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 2. Juni 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2017040066.L00

Im RIS seit

10.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

10.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten