TE Vwgh Erkenntnis 2020/6/8 Ra 2020/17/0029

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Veröffentlicht am 08.06.2020
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein
10/07 Verwaltungsgerichtshof
34 Monopole
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

AVG §68 Abs1
GSpG 1989 §52 Abs1 Z1
GSpG 1989 §52 Abs2
VwGG §42 Abs2 Z3 litb
VwGG §42 Abs2 Z3 litc
VwGVG 2014 §38
VwRallg

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer, den Hofrat Mag. Berger sowie die Hofrätin Dr. Koprivnikar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kovacs, über die Revision des A M in B, vertreten durch Dr. Patrick Ruth und MMag. Daniel Pinzger, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Niederösterreich vom 17. Februar 2020, LVwG-S-1349/001-2019, betreffend Übertretungen des Glücksspielgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich),

Spruch

I. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Ausspruchs über die Strafe sowie die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

II. den Beschluss gefasst:

Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.

Begründung

1        Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom 3. Mai 2019 wurde über den Revisionswerber als handelsrechtlichen Geschäftsführer der E GmbH wegen des näher umschriebenen Veranstaltens verbotener Ausspielungen im Zeitraum 1. Jänner 2016 bis 24. Jänner 2019 gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 erstes Tatbild Glücksspielgesetz - GSpG eine Geldstrafe von € 4.000,-- (sowie eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt. Zur Strafbemessung führte die belangte Behörde u.a. aus, es sei kein Umstand mildernd und keiner erschwerend.

2        Der gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde gab das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angefochtenen Erkenntnis dahin statt, dass es den Tatzeitraum mit „06.01.2017 bis 24.01.2019“ neu festsetzte, die Geldstrafe auf € 3.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe auf 32 Stunden) herabsetzte und die Strafsanktionsnorm mit § 52 Abs. 2 zweiter Fall GSpG hinzufügte (Spruchpunkt 1.). Mit Spruchpunkt 2. des Erkenntnisses wurden die Kosten des verwaltungsbehördlichen Verfahrens neu festgesetzt und ausgesprochen, dass der Revisionswerber keine Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu tragen habe. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das LVwG nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für nicht zulässig.

3        Das LVwG traf nähere Feststellungen u.a. auch zur Beurteilung der vom Revisionswerber behaupteten Unionsrechtswidrigkeit des GSpG. Zur Strafbemessung führte das LVwG u.a. aus, es sei eine rechtskräftige einschlägige Vorstrafe wegen Übertretung des GSpG aktenkundig. Aus diesem Grund gelange § 52 Abs. 2 zweiter Fall GSpG zur Anwendung. Aufgrund der Einschränkung des Tatzeitraumes sei eine Herabsetzung des Strafausmaßes vorzunehmen gewesen.

4        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision. Die belangte Behörde erstattete eine Revisionsbeantwortung und beantragte die Zuerkennung von Schriftsatzaufwand.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5        Liegen - wie hier in Schuld- und Strafausspruch - trennbare Absprüche vor, so ist die Zulässigkeit einer dagegen erhobenen Revision auch getrennt zu überprüfen (vgl. z.B. VwGH 7.12.2018, Ra 2018/17/0103).

6        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

7        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

8        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

9        Zum Zulässigkeitsvorbringen der Revision hinsichtlich des Schuldspruchs ist zur behaupteten Unionsrechtswidrigkeit von Bestimmungen des Glücksspielgesetzes zunächst darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzungen für eine Vorlagepflicht an den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV klar bzw. geklärt sind. Ebenso sind die Anforderungen an eine Prüfung der Unionsrechtskonformität im Zusammenhang mit einer Monopolregelung im Glücksspielsektor durch die nationalen Gerichte geklärt (vgl. EuGH 15.9.2011, Dickinger und Ömer, C-347/09, Rn. 83 f; 30.4.2014, Pfleger, C-390/12, Rn. 47 ff; 30.6.2016, Admiral Casinos & Entertainment AG, C-464/15, Rn. 31, 35 ff; 28.2.2018, Sporting Odds Ltd., C-3/17, Rn. 28, 62 ff; sowie 6.9.2018, Gmalieva s.r.o. u.a., C-79/17, Rn. 22 ff). Diesen Anforderungen ist der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 16. März 2016, Ro 2015/17/0022, durch die Durchführung der nach der Rechtsprechung des EuGH erforderlichen Gesamtwürdigung nachgekommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat an dieser Gesamtwürdigung mit Erkenntnis vom 11. Juli 2018, Ra 2018/17/0048, 0049, mit näherer Begründung festgehalten. Von dieser Rechtsprechung ist das Verwaltungsgericht im Revisionsfall nicht abgewichen. Entgegen dem weiteren Vorbringen steht die angefochtene Entscheidung daher nicht im Widerspruch zum Urteil des EuGH vom 30. April 2014, Pfleger, C-390/12.

10       Ebenso stehen nach den Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom 14. Juni 2017, Online Games Handels GmbH u.a., C-685/15, die Art. 49 AEUV (Niederlassungsfreiheit) und Art. 56 AEUV (Dienstleistungsfreiheit) im Lichte des Art. 47 GRC einem Verfahrensregime wie dem vor dem Verwaltungsgericht geltenden betreffend die amtswegige Ermittlung der Umstände der vom Gericht entschiedenen Rechtssachen nicht entgegen (vgl. zuletzt auch EuGH 28.2.2018, Sporting Odds Ltd., C-3/17, Rn. 55; sowie VwGH 11.7.2018, Ra 2018/17/0048, 0049, Rn. 24 ff).

11       Entgegen dem Vorbringen des Revisionswerbers steht auch das in § 14 Abs. 3 GSpG enthaltene Erfordernis eines inländischen Sitzes für den Erhalt einer Konzession nicht mit Unionsrecht im Widerspruch. Da § 14 Abs. 3 dritter Satz GSpG von diesem Erfordernis eine Ausnahme enthält, werden mit dieser Bestimmung keine der unionsrechtlichen Vorgaben verletzt: Zwar stellt auch die Erfüllung der Voraussetzungen für eine Nachsicht von der Sitzverpflichtung - nämlich eine vergleichbare Lotterienkonzession und eine vergleichbare staatliche Glücksspielaufsicht in dem Mitgliedstaat (der EU bzw. des EWR), in dem der Konzessionswerber seinen Sitz hat - eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit dar. Diese Beschränkung in § 14 Abs. 3 GSpG ist jedoch durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt und genügt den Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit, die sich aus der Rechtsprechung des EuGH ergeben (vgl. näher VwGH 11.7.2018, Ra 2018/17/0048 bis 0049, Rn. 34 ff). In diesem Zusammenhang stellt sich daher vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung.

12       Auch sonst wirft das Zulässigkeitsvorbringen der Revision keine Rechtsfrage auf, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme.

13       Die Revision war daher insoweit nach § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.

14       Demgegenüber erweist sich die Revision in ihrem Zulässigkeitsvorbringen zur Strafbemessung im Hinblick auf das Abweichen von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH 17.1.2020, Ra 2019/09/0019, 0020) als zulässig und begründet:

15       Wie der Verwaltungsgerichtshof bereits in Anlehnung an seine Judikatur zur Staffelung der Strafsätze im AuslBG zu den Strafsätzen des § 52 Abs. 2 GSpG ausgesprochen hat, kann von einer „Wiederholung“ im Sinn dieser Gesetzesbestimmungen nur dann gesprochen werden, wenn zumindest eine einschlägige Vorstrafe vorliegt. Nach dem systematischen Aufbau des Gesetzestextes bestimmt die Einordnung der Vortat, ob ein „Wiederholungsfall“ im Sinn des zweiten Strafsatzes (bei einer Vorstrafe wegen höchstens drei Übertretungen) bzw. des vierten Strafsatzes (bei einer Vorstrafe wegen mehr als drei Übertretungen) vorliegt. Der im Fall „der erstmaligen und weiteren Wiederholung“ vorgesehene zweite Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG setzt nach dem systematischen Aufbau des Gesetzestextes die Bestrafung wegen einer Vortat nach dem ersten Strafsatz des § 52 Abs. 2 GSpG voraus, bezieht sich das strafsatzbestimmende Kriterium der Wiederholung in diesem Fall doch auf die Übertretung des Abs. 1 Z 1 leg. cit. mit bis zu drei Glücksspielautomaten oder anderen Eingriffsgegenständen (vgl. VwGH 17.2.2020, Ra 2018/17/0182, mwN). Maßgeblich sind dabei „Vorstrafen“, die im Tatzeitraum bereits formell rechtskräftig waren (vgl. VwGH 25.9.2019, Ra 2019/09/0005, 0006).

16       Im behördlichen Straferkenntnis begründete die Behörde ihre Strafbemessung damit, dass keine Milderungs- und Erschwerungsgründe vorlägen. Welcher Strafsatz herangezogen wurde, ist weder im Spruch des Straferkenntnisses noch in der Begründung ausgeführt. Das LVwG zieht nunmehr § 52 Abs. 2 zweiter Strafsatz GSpG (erstmalige Wiederholung mit bis zu drei Glücksspielgeräten) heran. Welche Vortat das LVwG hiebei als strafsatzbestimmend gewertet hat, ist dem angefochtenen Erkenntnis jedoch nicht zu entnehmen:

17       Das LVwG führt dazu nur aus, der Revisionswerber sei den von der Behörde angenommenen persönlichen Verhältnissen nicht entgegengetreten, aktenkundig sei eine „rechtskräftige einschlägige Vorstrafe“ und die Strafe sei aufgrund der Einschränkung des Tatzeitraumes herabzusetzen. Damit wird jedoch gerade nicht offengelegt, ob die „einschlägige Vorstrafe“ überhaupt einschlägig war und ob sie bereits im Tatzeitraum formell rechtskräftig war.

18       Da im angefochtenen Erkenntnis mangels Darstellung der „einschlägigen Vorstrafe“ keine ausreichende Begründung für die Heranziehung des zweiten Strafsatzes des § 52 Abs. 2 GSpG enthalten ist, liegt ein Feststellungs- und Begründungsmangel vor, welcher einen revisiblen Verfahrensmangel darstellt (vgl. zu den sich aus § 29 Abs. 1 VwGVG ergebenden Anforderungen an die Begründung einer Entscheidung: VwGH 21.2.2019, Ra 2018/09/0031, mwN).

19       Das angefochtene Erkenntnis entzieht sich damit insoweit einer Überprüfbarkeit durch den Verwaltungsgerichtshof auf dessen inhaltliche Rechtmäßigkeit und war daher im Umfang des Ausspruchs über die verhängte Strafe sowie des damit in untrennbarem Zusammenhang stehenden Ausspruchs über die Kosten des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens und des Beschwerdeverfahrens gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben (vgl. erneut VwGH 17.1.2020, Ra 2019/09/0019, 0020, mwN).

20       Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG, insbesondere § 50 VwGG, iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 8. Juni 2020

Schlagworte

Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Begründung Begründungsmangel Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2020170029.L00

Im RIS seit

09.08.2020

Zuletzt aktualisiert am

09.08.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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