Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofräte und Hofrätinnen Dr. Fichtenau, Dr. Hargassner, Mag. Korn und Dr. Stefula als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*****, vertreten durch Hübel & Payer, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagte Partei L***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Christoph Brandweiner, Dr. Gabriela Brandweiner-Reiter, Rechtsanwälte in Salzburg, und der Nebenintervenientin auf Seiten der beklagten Partei R*****, vertreten durch Dr. Florence Burkhart, Rechtsanwältin in Salzburg, wegen Unterlassung (Streitwert 3.000 EUR), Beseitigung/Wiederherstellung (Streitwert 3.000 EUR), Feststellung (Streitwert 3.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Berufungsgericht vom 12. Dezember 2019, GZ 53 R 229/19m-26, mit dem der Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Oberndorf vom 6. August 2019, GZ 3 C 169/19p-21, nicht Folge gegeben wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 833,88 EUR (darin enthalten 138,98 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Der Kläger ist Eigentümer der Liegenschaft EZ *****, mit den Grundstücken Nr 100/2 und 100/5. Die Beklagte ist Eigentümerin der angrenzenden Liegenschaft EZ *****, unter anderem mit den Grundstücken Nr 95/1 und 95/3. Das Grundstück Nr 95/3 ist grundbücherlich mit der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts zugunsten der Grundstücke Nr 100/5 und 100/2 belastet.
Die Rechtsvorgänger der Beklagten hatten den Rechtsvorgängern des Klägers 1978 bei Verkauf des Grundstücks Nr 100/2 auch eine Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts auf dem Grundstück Nr 95/1 eingeräumt. Diese wurde auch im Grundbuch eingetragen. Als die Rechtsvorgänger des Klägers zur Erweiterung ihres Grundstücks Nr 100/2 Teilstücke des Grundstücks Nr 95/1 von den Rechtsvorgängern der Beklagten erwarben, wurde in den Kaufvertrag eine Löschungserklärung hinsichtlich der auf dieser Liegenschaft eingetragenen Servitut aufgenommen, „da jener Teil des Grundstücks 95/1, der vom vorgenannten Geh- und Fahrtrecht betroffen ist, von den Käufern erworben wird“. Beide Vertragsteile hatten bei Abschluss des Kaufvertrags den Willen, die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts auf dem Grundstück Nr 95/1 nur im Ausmaß des Teilstücks, das die Rechtsvorgänger des Klägers erworben hatten, zu löschen. Im Übrigen sollte sich faktisch und rechtlich nichts ändern. Tatsächlich wurde aber die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts auf Grundstück Nr 95/1 zur Gänze gelöscht. An der Benützung der Zufahrtsstraße, die auf beiden Grundstücken Nr 95/1 und 95/3 verlief, änderte sich nichts.
Mit Kaufvertrag vom 28. 8. 2017 erwarb die Beklagte von der Nebenintervenientin unter anderem die Grundstücke Nr 95/1 und 95/3. Der Geschäftsführer der Beklagten nahm im Vorfeld Einsicht in den Grenzkataster und besichtigte die Liegenschaft vor Ort. Es wäre für den Geschäftsführer der Beklagten ersichtlich gewesen, dass die bestehende Schotterstraße nicht nur auf dem Grundstück Nr 95/3, sondern teilweise – im Ausmaß von 2 m Breite – auch auf dem Grundstück Nr 95/1 verläuft. Er schenkte der tatsächlichen Breite der Schotterstraße jedoch keine Beachtung und stellte keine weiteren Nachforschungen an, sondern ging aufgrund des Grundbuchstands von einem Bestehen des Geh- und Fahrtrechts lediglich auf dem Grundstück Nr 95/3 aus. Die Beklagte ließ in der Folge Arbeiten ausführen, die zu einer Verschmälerung des Servitutswegs führten.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass zugunsten der Grundstücke Nr 100/5 und 100/2, EZ *****, die Dienstbarkeit eines Geh- und Fahrtrechts auf Teilen des Grundstücks Nr 95/1, EZ *****, und zwar auf einem Streifen mit der Breite von 2 m, welcher entlang der nördlichen Grundgrenze des Grundstücks Nr 95/1 und parallel zum Grundstück Nr 95/3 verläuft, besteht, sowie die Beseitigung der vorgenommenen Geländeveränderungen an der dienstbaren Fläche und die Unterlassung der Beeinträchtigung seines Dienstbarkeitsrechts.
Die Beklagte bestritt und brachte vor, im Jahr 1996 hätten die Rechtsvorgänger des Klägers der Löschung der Dienstbarkeit zugestimmt. Eine allfällige Ersitzung könne daher erst ab 1. 4. 1996 zu laufen beginnen, sodass die 30-jährige Frist jedenfalls nicht abgelaufen sei. Eine Offenkundigkeit einer allfälligen Servitut sei nicht vorgelegen. Die Liegenschaft sei daher lastenfrei erworben worden. Die Rechtsausübung während der Ersitzungszeit sei für den Eigentümer des belasteten Guts auch nicht erkennbar gewesen.
R***** trat dem Verfahren auf Seiten der Beklagten als Nebenintervenientin bei und brachte vor, sie habe das Grundstück Nr 95/1 lastenfrei an die Beklagte weitergegeben.
Das Erstgericht gab der Klage statt. Auf die ursprünglich vereinbarte Dienstbarkeit sei auch im Zuge der 1996 erfolgten Löschung nicht verzichtet worden. Da die Dienstbarkeit offenkundig gewesen sei, hätten weder die Nebenintervenientin noch die Beklagte nach § 1500 ABGB lastenfrei erworben. Zugunsten des Grundstücks Nr 100/5 sei die Dienstbarkeit eines Geh- und Fahrtrechts auf Teilen des Grundstücks Nr 95/1 ersessen worden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten keine Folge. Die Revision ließ es nachträglich über Antrag der Beklagten zur Frage zu, ob die Dienstbarkeit trotz Löschung im Grundbuch aufrecht bleibe.
In ihrer Revision beantragt die Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinn einer Klagsabweisung. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu ihr keine Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist entgegen dem
– den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a ZPO) – Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Zurückweisung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 ZPO).
1. Ein aus der Ersitzung oder Verjährung erworbenes Recht kann demjenigen, der im Vertrauen auf die öffentlichen Bücher noch vor der Einverleibung desselben eine Sache oder ein Recht an sich gebracht hat, nicht zum Nachteil gereichen (§ 1500 ABGB). Der Grundsatz des Vertrauens auf das öffentliche Buch gilt aber nicht uneingeschränkt. Die Berufung auf die Gutgläubigkeit ist nur möglich, wenn keine Umstände vorliegen, die bei gehöriger Aufmerksamkeit den wahren, vom Grundbuchstand abweichenden Sachverhalt erkennen lassen (RS0011676). Daher ist Gutgläubigkeit bei Offenkundigkeit der Dienstbarkeit zu verneinen.
2. Dies gilt nicht nur für – regelmäßig durch Ersitzung – bereits endgültig erworbene dingliche Rechte, sondern auch für vertraglich eingeräumte Dienstbarkeiten, sofern diese nach dem Vertragswillen der Partner des Bestellungsvertrags dinglich wirken sollen. Die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit durchbricht den Eintragungsgrundsatz, wenn der Berechtigte über einen Erwerbstitel verfügt oder das Recht ersessen hat (RS0011631 [T5]).
3. Für den Begriff der offenkundigen Dienstbarkeit ist es wesentlich, ob man vom dienenden Grundstück aus bei einiger Aufmerksamkeit Einrichtungen oder Vorgänge wahrnehmen kann, die das Bestehen einer Dienstbarkeit vermuten lassen (RS0011633).
Soweit sich danach aus den besonderen Umständen Bedenken gegen die Vollständigkeit des Grundbuchstands ergeben, müssen auch Nachforschungen vorgenommen werden. Solche sind vom Ersteher nur bei Vorliegen besonderer, nach den Umständen des Einzelfalls bezüglich ihrer Eignung, Zweifel in dieser Hinsicht zu hegen, zu beurteilender Umstände zu verlangen (RS0034870).
Der Umfang der Sorgfaltspflicht bestimmt sich nach der Verkehrsübung. Es genügt leichte Fahrlässigkeit (RS0011676 [T9, T17]). In Übereinstimmung mit der Redlichkeitsvermutung des § 328 ABGB liegt die Beweislast für die Schlechtgläubigkeit des Erwerbers bei demjenigen, der außerbücherlich erworben hat, insbesondere daher für Wissen oder Wissenmüssen von der vom Grundbuchstand abweichenden Rechtslage oder für die Offenkundigkeit einer Dienstbarkeit. Ist dem außerbücherlich Berechtigten allerdings der Nachweis einer unklaren Situation, die einen Anlass für Nachforschungen darstellt, gelungen, so trifft die Beweislast für die Durchführung der Recherchen und ihr Ergebnis den, der im Vertrauen auf den Grundbuchstand erworben haben will.
4. Grundstück Nr 100/2: Zwischen den Rechtsvorgängern der Parteien war eine Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts auf dem Grundstück Nr 95/1 zugunsten des Grundstücks Nr 100/2 vertraglich vereinbart und im Grundbuch eingetragen worden. Die Löschungsvereinbarung 1996 bezog sich nach dem übereinstimmenden Parteiwillen nur auf das verkaufte Teilstück der Liegenschaft Nr 95/1. Insoweit liegt kein einseitiger Irrtum der Rechtsvorgänger des Klägers vor. Ein gemeinsamer Irrtum der Vertragsparteien über den Inhalt der abgegebenen Erklärungen berührt aber die Gültigkeit des Vertrags nicht, wenn beide Vertragsparteien dasselbe wollten, die abweichende Erklärung daher nur eine falsa demonstratio darstellt (RS0016236). Selbst wenn man daher die Vertragserklärung nicht ohnehin bereits objektiv im vorgenannten Sinn verstehen wollte, war eine Vertragsanfechtung nicht erforderlich. Der natürliche Konsens der Parteien geht dem objektiven Erklärungswert vor (RS0014005 [T5]). Dass in weiterer Folge eine Löschung der Dienstbarkeit hinsichtlich des gesamten Grundstücks erfolgte, ändert daran nichts.
5. Grundsätzlich ist der Revision darin zu folgen, dass die Beklagte bei Erwerb der Liegenschaft nach dem Grundbuchstand, da die Dienstbarkeit gelöscht worden war, von einer Lastenfreiheit ausgehen konnte. Wie dargestellt, gilt aber der Grundsatz des Vertrauens auf das öffentliche Buch nicht uneingeschränkt, sondern wird bei Offenkundigkeit der außerbüchlichen Dienstbarkeit durchbrochen.
Ob von einer solchen Offenkundigkeit auszugehen ist, richtet sich immer nach den Umständen des Einzelfalls (RS0034803 [T12]).
Soweit die Revision damit argumentiert, dass der Verlauf des Wegs auf dem Grundstück Nr 95/1 nicht erkennbar war, entfernt sie sich vom festgestellten Sachverhalt, wonach dies für den Geschäftsführer der Beklagten bei der Besichtigung der Liegenschaft ersichtlich gewesen war. Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass der Verlauf der kompakt geschotterten, 5 m breiten Straße auch über das Grundstück Nr 95/1 damit offenkundig war, hält sich im Rahmen des gesetzlich eingeräumten Ermessensspielraums.
Wenn die Revision weiters ausführt, dass sich selbst bei entsprechenden Nachforschungen nur die Löschung der Dienstbarkeit ergeben hätte, so sind bei außerbücherlichen offenkundigen Dienstbarkeiten Nachforschungen im Grundbuch naturgemäß nicht ausreichend, um eine Klarstellung der Rechtslage zu erreichen. Dass aber bei entsprechenden Erkundigungen über die tatsächliche Nutzung eine Klärung nicht möglich gewesen wäre, behauptet auch die Beklagte nicht.
6. Grundstück Nr 100/5: Für die Begründung einer Servitut durch Ersitzung ist eine für den Eigentümer des belasteten Guts erkennbar, während der Ersitzungszeit von 30 Jahren im Wesentlichen gleichbleibende Rechtsausübung zu bestimmten Zwecken und im bestimmten Umfang notwendig (RS0105766; RS0033018).
Richtig ist, dass die Nutzung des Wegs auf den Grundstücken Nr 95/1 und 95/3 zur Erreichung des Grundstücks Nr 100/2 auf Grundlage der getroffenen Vereinbarung erfolgte. Der als Einheit anzusehende gesamte Weg, nicht nur der auf der Liegenschaft Nr 95/3 befindliche Teil, diente dem Kläger und seinen Rechtsvorgängern aber auch – erkennbar – zur Erreichung der Liegenschaft Nr 100/5. Die Auffassung der Vorinstanzen, dass damit die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrtrechts auf dem Grundstück Nr 95/1 zugunsten der Grundstücke 100/5 ersessen wurde, ist daher nicht zu beanstanden.
7. Die Revision ist mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Zurückweisungsbeschluss nicht (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).
8. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.
Der Kläger hat in seiner Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels der Beklagten hingewiesen. Für den Schriftsatz gebührt aber kein Streitgenossenzuschlag, weil sich die Nebenintervenientin am Revisionsverfahren nicht beteiligt hat (RS0036223).
Textnummer
E128398European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:2020:0090OB00011.20P.0416.000Im RIS seit
29.06.2020Zuletzt aktualisiert am
29.06.2020