TE Lvwg Erkenntnis 2020/5/15 LVwG-M-3/001-2020

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.05.2020
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Entscheidungsdatum

15.05.2020

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
SPG 1991 §88 Abs1
SPG 1991 §88 Abs2
FrPolG 2005 §41 Abs3
ARB1/80 Art 13

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich erkennt durch Mag.Dr. Wessely, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerden des Herrn B sowie der Frau C, beide vertreten durch Herrn A, Rechtsanwalt in ***, im Zusammenhang mit Amtshandlungen von Organen der Landespolizeidirektion NÖ am 28. Dezember 2019 am Flughafen ***, zu Recht:

1.   Die Beschwerden, die Beschwerdeführer seien durch die Zurückweisung an der Grenze (einschließlich der Aufforderung, sich danach im Bereich des Sondertransits aufzuhalten und das Bundesgebiet zu verlassen) in ihren Rechten verletzt worden, werden gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG abgewiesen.

2.   Die Beschwerden, die Beschwerdeführer seien durch die Eintragung eines Kreuzes bzw. des Kennbuchstabens „C“ bei den in ihren Reisepässen angebrachten Einreisestempeln vom 28. Dezember 2019 in ihren Rechten verletzt worden, werden gemäß §§ 53 i.V.m. 28 Abs. 6 VwGVG abgewiesen.

3.   Die Beschwerden, die Beschwerdeführer seien durch das Durchstreichen des Wiedereinreise-Sichtvermerks des Erstbeschwerdeführers sowie der Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck der Zweitbeschwerdeführerin und das Anbringen des Vermerks, dass diese Titel ungültig seien, in ihren Rechten verletzt worden, wird gemäß §§ 53 i.V.m. 28 Abs. 6 VwGVG Folge gegeben. Diese Akte werden für rechtswidrig erklärt.

4.   Jeder der Beschwerdeführer hat dem Bund (Bundesminister für Inneres) gemäß § 35 VwGVG (hinsichtlich des Spruchpunktes 2 i.V.m. § 53 VwGVG) i.V.m. der VwG-Aufwandsersatzverordnung, BGBl. II 2013/517,
€ 775,87 (Vorlage- und Schriftsatzaufwand) binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

5.   Der Bund (Bundesminister für Inneres) hat jedem der Beschwerdeführer gemäß §§ 53 i.V.m. 35 VwGVG i.V.m. der VwG-Aufwandsersatzverordnung, BGBl. II 2013/517, € 1.659,60 (Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

6.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (§ 25a VwGG).


Entscheidungsgründe:

Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2020 erhoben die Beschwerdeführer folgende auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde:

„[] Gegen die Amtshandlungen der Beamten der *** Flughafen Grenzpolizeiinspektion vom 28.12.2019, wonach diese

(i)      den Bf die Einreise nach Österreich verweigert haben;

(ii)     die Bf angehalten und gezwungen haben sich bis zur Ausreise im (Sonder)Transitbereich des Flughafens aufzuhalten;

(iii)   die Bf gezwungen haben wieder in die Türkei zurückzureisen;

(iv)     den Wiedereinreise-Sichtvermerk des Erstbeschwerdeführers sowie die Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck der Zweitbeschwerdeführerin handschriftlich durchgestrichen und als ungültig vermerkt haben;

(v)      in den Pässen der Bf, jeweils den Einreisestempel vom 28.12.2019 mit einem „Kreuz“ und dem Kennbuchstaben „C“ versehen haben.

erheben die Bf [] Maßnahmenbeschwerde an das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich.

[] Die Bf sind türkische Staatsbürger und sind erstmalig 1977 rechtmäßig in Österreich eingereist. Die erste Beschäftigungsbewilligung erhielt der Erstbeschwerdeführer noch im selben Jahr der Einreise. In den folgenden Jahren war der Erstbeschwerdeführer stets berufstätig. In *** erfolgte in weiterer Folge auch die Eheschließung der Bf im Jahre 1984 []. Bei den Bf handelt es sich um ein Ehepaar.

Im Jahre 1991 erhielt der Erstbeschwerdeführer einen unbefristeten Aufenthaltstitel für Österreich, nämlich einen sogenannten unbefristeten Wiedereinreise-Sichtvermerk []. Die Zweitbeschwerdeführerin erhielt im Jahre 2001 einen unbefristeten Aufenthaltstitel, nämlich eine Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck [].

Mit ihren unbefristeten Aufenthaltstiteln reisten die Bf regelmäßig von Österreich in die Türkei und umgekehrt. Eine Einreise nach Österreich stellte, bis zu den gegenständlichen Einreiseverweigerungen am 28.12.2019, zu keinem Zeitpunkt ein Problem dar und konnten die Bf somit stets ungehindert und rechtmäßig nach Österreich einreisen.

Am 28.12.2019 wollten die Bf, welche mit dem Flugzeug von *** nach *** gereist waren, mit ihren unbefristeten Aufenthaltstiteln nach Österreich einreisen, zumal die Bf beabsichtigten im Jänner 2020 ihre neue Beschäftigung bei D, ***, ***, zu beginnen []. Allerdings verweigerten die Grenzbeamten der belangten Behörde den Bf die Einreise in das österreichische Bundesgebiet, sodass sie sich im Transitbereich des Flughafens aufhalten mussten und schließlich gezwungen waren Österreich zu verlassen. Dies obwohl die Bf den Beamten die alten (samt Aufenthaltstiteldokumente) und aktuellen Reisepässe [] vorlegten. Im Zuge der Einreiseverweigerungen wurde auch der Wiedereinreise-Sichtvermerk des Erstbeschwerdeführers sowie die Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck der Zweitbeschwerdeführerin von den Grenzbeamten der belangten Behörde handschriftlich durchgestrichen und als ungültig vermerkt. Ferner haben die Grenzbeamten in den Pässen der Bf, den Einreisestempel vom 28.12.2019 mit einem ‚Kreuz‘ und dem Kennbuchstaben ‚C‘, der offenbar dem Grund für die Einreiseverweigerung entsprechen soll, versehen. Den Bf wurde das Formular zur Einreiseverweigerung [] ausgehändigt.

Als Begründung für die Einreiseverweigerungen wurde den Bf lediglich mitgeteilt, dass die unbefristeten Aufenthaltstitel der Bf erloschen seien, weil sie länger als zwölf Monate nicht in Österreich gewesen seien und somit weder über einen gültigen Aufenthaltstitel noch über ein gültiges Visum verfügen. Im Formular zur Einreiseverweigerung ist lediglich der Grund ‚ohne gültiges Visum‘ angeführt. []

Die gegenständlichen Amtshandlungen verletzten die Bf in ihren subjektiven Rechten. Diese Rechtsverletzungen ergeben sich im Einzelnen aus folgenden Überlegungen:

Die Bf verfügen über gültige unbefristete Aufenthaltstitel, sodass die Einreiseverweigerungen am 28.12.2019 jedenfalls rechtswidrig waren.

Dem Erstbeschwerdeführer, der bereits viele Jahre in Österreich gearbeitet hat, ist 1991 ein unbefristeter Aufenthaltstitel, nämlich ein unbefristeter Wiedereinreise-Sichtvermerk nach dem damals geltenden Paßgesetz (PaßG) erteilt worden. Die Zweitbeschwerdeführerin ist 2001 ein unbefristeter Aufenthaltstitel, nämlich eine unbefristete Niederlassungsbewilligung ‚jeglicher Aufenthaltszweck‘ nach dem Fremdengesetz 1997 (FrG) erteilt worden. Weder das PaßG noch das FrG sahen eine Bestimmung vor, wonach ein unbefristet ausgestellter Aufenthaltstitel ex lege erlischt, wenn man sich länger als zwölf Monate außerhalb Österreichs bzw. eines EWR Landes aufhält. Ein längerer Aufenthalt außerhalb Österreichs bzw. des EWR-Raumes führte also nach damaliger Rechtslage jedenfalls nicht zum Erlöschen des unbefristeten Aufenthaltstitels.

Die Beamten der belangten Behörde legten den Einreiseverweigerungen offenbar zugrunde, dass die unbefristeten Aufenthaltstitel der Bf gemäß § 20 Abs. 4 NAG ex lege erloschen seien, weil sich die Bf länger als zwölf aufeinanderfolgende Monate außerhalb des Gebietes des EWR aufgehalten haben. Eine diesbezügliche Anmerkung findet sich in den Einreiseverweigerungen allerdings nicht.

Dabei hätte die belangte Behörde aber darauf Bedacht nehmen müssen, dass die Bf türkische Staatsangehörige sind und in Österreich offenkundig die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit beabsichtigen; Einstellungszusagen lagen bereits vor. Es ist daher die Stillhalteklausel nach Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (ARB 1/80) zu beachten, derzufolge die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen dürfen.

Nach der Rechtsprechung des EuGH ist diese Klausel nicht nur auf die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen anzuwenden (VwGH vom 26.01.2012, 2008/21/0304; EuGH vom 21.10.2003, C 317/01 – Abatay und C-369/01 - Sahin, Rn 83). Der Anwendung des Artikels 13 ARB 1/80 steht jedenfalls nicht entgegen, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht bereits in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates integriert ist, also die Voraussetzungen gemäß Artikel 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht erfüllt. Denn die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 dient nämlich nicht dazu, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern soll gerade für diejenigen türkischen Staatsangehörigen gelten, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 genießen (EuGH vom 09.12.2010, C-300/09, Toprak). Die Absicht sich in den Arbeitsmarkt des betreffenden Mitgliedstaates zu integrieren, ist somit ausreichend.

Die Stillhalteklausel entfaltet unmittelbare Wirkung und schließt bezüglich der in ihren Geltungsbereich fallenden türkischen Staatsangehörigen die Anwendbarkeit aller neu eingeführten Beschränkungen aus (vgl. etwa das VwGH Erkenntnis vom 26.01.2012, 2008/21/0304, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH).

Um eine solche neue Beschränkung für den Zugang zum Arbeitsmarkt im Sinne des Art. 13 ARB 1/80 handelt es sich bei dem in § 20 Abs. 4 NAG normierten Erlöschen eines unbefristet erteilten Aufenthaltstitels von Gesetzes wegen im Fall eines mehr als zwölfmonatigen Aufenthalts außerhalb des EWR-Gebietes, war doch eine derartige Rechtsfolge nach dem bis zum Inkrafttreten des NAG am 1. Jänner 2006 geltenden FrG nicht vorgesehen. Dies ist zudem Rechtsprechung des VwGH (VwGH vom 26.01.2012, 2008/21/0304).

§ 20 Abs. 4 NAG war daher auf die Bf – die sich nicht in einer nicht ordnungsgemäßen Situation befanden, zumal die Bf zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Bestimmung über gültige (unbefristete) Aufenthaltstitel verfügten, die nur infolge der neuen Beschränkung verloren gegangen wären – nicht anzuwenden. Es wäre somit jedenfalls von der Weitergeltung des von den Bf innegehabten Aufenthaltstitel auch nach Inkrafttreten des NAG auszugehen gewesen. Die Einreise hätte daher den Bf nicht verweigert werden dürfen! []

Aus den oben dargestellten Gründen stellen die Beschwerdeführer den

Antrag, das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich möge []

2. gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG die angefochtenen Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls– und Zwangsgewalt für rechtswidrig erkennen;

3. gemäß Artikel 14 (3) der EU Verordnung 399/2016 den handschriftlich durchgestrichenen und als ungültig vermerkten (i) unbefristeten Wiedereinreise-Sichtvermerk des Erstbeschwerdeführers, und (ii) die unbefristete Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck der Zweitbeschwerdeführerin, sowie den ungültig gemachten Einreisestempel vom 28.12.2019 berichtigen oder in eventu deren Berichtigung binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution der Behörde auferlegen;

4. gemäß § 35 VwGVG dem zuständigen Rechtsträger der belangten Behörde, die den Beschwerdeführern durch das Verwaltungsverfahren entstandenen Kosten im gesetzlichen Ausmaß zu Handen des ausgewiesenen Vertreters binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution auferlegen.“

Dem trat die belangte Behörde in ihrer Gegenschrift vom 26. Februar 2020 (samt Anlagen) mit dem Hinweis darauf entgegen, dass die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 nur auf Personen zutreffe, die entweder in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates integriert seien oder sich in diesen integrieren wollen. Diese treffe jedoch auf die Beschwerdeführer nicht zu, zumal beide den einschreitenden Organen gegenüber angegeben hätten, in Österreich nicht die Aufnahme einer unselbständigen Erwerbstätigkeit anzustreben. Insbesondere sei die im Zuge der Maßnahmenbeschwerde vorgelegte Einstellungszusage von „D“ während der Amtshandlung weder vorgelegt noch erwähnt worden. Vielmehr hätten die Beschwerdeführer angegeben, in der Türkei zu leben und nur hin und wieder nach Österreich zu kommen, „um mit Österreich Geschäfte zu tätigen“. Auch seien sie reich, hätten in der Türkei ein Haus und ein Unternehmen, wollten derzeit noch nicht in Österreich bleiben sondern erst wieder in der Pension kommen, um hier zu leben.

Nach Verhandlungsausschreibung und Übermittlung der Gegenschrift samt den von der belangten Behörde vorgelegten Akten und einem weiteren Schriftverkehr beantragten die Beschwerdeführer mit E-Mail vom 22. April 2020 zum einen ihre Vernehmung mittels Videokonferenz und zum anderen, der Vernehmung einen Dolmetscher für die türkische Sprache beizuziehen. Schließlich führten sie in der Stellungnahme vom 4. Mai 2020 aus, dass man ihnen im Zuge der Amtshandlung bloß das Erlöschen der Aufenthaltstitel mitgeteilt, dieses aber nicht begründet hätte. Sie seien auch nicht „großartig“ befragt worden und sei ihnen keine Möglichkeit zur Äußerung eingeräumt worden. Aufgrund sprachlicher Schwierigkeiten (sie hätten zum einen nicht hinreichend verstanden, was ihnen mitgeteilt worden sei, bzw. sich nicht richtig verständlich machen können) hätten sie mehrfach die Beiziehung eines Dolmetschers für die türkische Sprache gefordert, was jedoch seitens der Beamten unter Hinweis darauf, dass dies nicht erforderlich sei, zurückgewiesen worden sei. Auch sei in der Meldung der belangten Behörde vom 28. Dezember 2019 keine Rede von „Erwerbsabsicht“, geschweige denn davon, dass die Beschwerdeführer dahingehend befragt worden wären oder dies verneint hätten. Schließlich sei nicht zu erwarten, dass die Beamten eine einschlägige Entscheidung des VwGH (26.1.2012, 2008/21/0304) gekannt und daher explizit nach einer Erwerbsabsicht gefragt hätten. Nicht zuletzt sei offenkundig auch der juristische Dauerdienst insoweit einem Rechtsirrtum unterlegen, als er davon ausgegangen sei, dass die Stillhalteklausel nur dann Platz greife, wenn bereits einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen werde. Entgegen der Behauptung in der Gegenschrift hätten die Beschwerdeführer im Zuge der Einreisekontrolle auch nicht angegeben, in Österreich als Selbständige tätig werden zu wollen. Die Beamten hätten die Beschwerdeführer nicht zu Wort kommen lassen und hätten sie die Beschwerdeführer, die mit ihren „bescheidenen“ Deutschkenntnissen versucht hätten, sich zu erklären, offenbar nicht ernst genommen, ihnen nicht zugehört oder sie schlichtweg nicht verstanden.

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung gab der Erstbeschwerdeführer an, sich seit 1977 rund 10 Jahre durchgehend in Österreich aufgehalten und hier in einem metallverarbeitenden Betrieb gearbeitet zu haben. Danach sei er geschäftlich zwischen der Türkei und Österreich gependelt, wobei er in der Textilherstellung und im Importgeschäft tätig gewesen sei. In der Türkei habe er zwar ein Unternehmen im Textilbereich, habe aufgrund der aktuellen wirtschaftlichen Situation aber nach Österreich zurückkehren wollen um hier als „Leiter“ in einem ***-Geschäft tätig werden zu können. Die Frage, um welche Art der Geschäftsführung (unternehmens- oder gewerberechtlich) es sich handeln sollte, wurde nicht beantwortet. Am 28. Dezember 2019 habe man die Beschwerdeführer auf dem Flughafen in einen Raum gebracht, wo man ihnen erklärt hätte, dass die Visa ungültig seien. Die Polizei hätte den Beschwerdeführern keine Frage gestellt. Sie hätten daher der Polizei gegenüber auch keine Angaben gemacht. Vielmehr hätten sie nur einen Dolmetscher bzw. einen Anwalt verlangt. Beiden Wünschen hätten die Beamten jedoch nicht entsprochen. Über Vorhalt der im Bericht der Polizei aufgezeichneten Angaben (zum Aufenthaltszweck, zu einem Unternehmen und einem Haus in der Türkei) hielt der Erstbeschwerdeführer fest, die Beschwerdeführer hätten versucht, sich verständlich zu machen, was ihnen aber mangels Dolmetschers nicht gelungen sei. Dabei hätten sie versucht, den Beamten mitzuteilen, dass sie zwischen der Türkei und Österreich unterwegs seien und Handel bzw. Geschäfte machen wollten. Dass er in Österreich eine (unselbständige) Erwerbstätigkeit angestrebt habe, habe der Erstbeschwerdeführer nicht gesagt, zumal er danach nicht gefragt worden sei. Auch habe er die Einstellungszusagen von „D“ nicht bei sich, sondern im Gepäck gehabt. Gleichermaßen bestätigte die Zweitbeschwerdeführerin, dass eine ausdrückliche Frage danach, ob sie in Österreich eine (unselbständige) Erwerbstätigkeit aufnehmen wollten, nicht gestellt worden sei. Die Beschwerdeführer hielten fest, dass während der Amtshandlung Telefonate geführt worden seien. So zum einen in türkischer Sprache mit Bekannten, die bereits auf die Beschwerdeführer gewartet hätten, darüberhinaus aber auch mit einem Anwalt. Dieses Gespräch sei von der Zweitbeschwerdeführerin in deutscher Sprache geführt worden, wobei der Anwalt angegeben habe, sich im Fremdenrecht nicht auszukennen. Er habe bloß angeboten, dass man sich am kommenden Montag wieder melden könne. Die Zweitbeschwerdeführerin gehe davon aus, dass die Beamten die Antworten des Anwalts aufgrund der damaligen Entfernung der Beamten zu ihr nicht hätten wahrnehmen können.

Die Zeugin E hielt fest, dass die Beschwerdeführer im Zuge der Amtshandlung nach ihrer Herkunft und dem beabsichtigten Aufenthaltszweck gefragt worden seien. Eine konkrete Frage dahingehend, ob sie in Österreich eine (unselbständige) Erwerbstätigkeit aufnehmen wollten, sei nicht gestellt worden. Auf die Frage nach dem Aufenthaltszweck hätten sie geantwortet, dass sie Geschäfte machen wollten, was sie auch schon längere Zeit täten. Die Konversation zwischen den Beschwerdeführern und den Beamten, zwischen der Zweitbeschwerdeführerin und einem mutmaßlichen Anwalt am Telefon sowie zum Teil zwischen den Beschwerdeführern sei in deutscher Sprache erfolgt. Konkret habe die Zweitbeschwerdeführerin einen mutmaßlichen Anwalt kontaktiert, wobei das Mobiltelefon so laut eingestellt gewesen sei, dass man auch die Antworten des Gegenübers hätte hören können. Der Erstbeschwerdeführer habe im Übrigen in deutscher Sprache zur Zweitbeschwerdeführerin gesagt, dass sie den Beamten nichts sagen solle, sondern man das alles über einen Anwalt regeln werde. Der Wunsch nach einem Dolmetscher sei nie geäußert worden.

Der Zeuge F hielt fest, im Zuge der Amtshandlung gehört zu haben, dass die Beschwerdeführer geschäftlich nach Österreich hätten einreisen wollen. Die Konversation sei in deutscher Sprache erfolgt, wobei er den Eindruck gehabt habe, dass die Beschwerdeführer die Beamten verstanden hätten, was er daraus erschließe, dass er diesen anhand der Stempeln in den Reisepässen erklärt habe, aus welchem Grund es bei den früheren Einreisen zu keinen Problemen gekommen sei, jetzt aber schon.

Der Zeuge H gab an, die Beschwerdeführer nach dem Aufenthaltszweck gefragt zu haben, wobei beide, zunächst der Erstbeschwerdeführer, angegeben hätten, geschäftlich nach Österreich zu kommen. Eine explizite Frage danach, ob die Beschwerdeführer unselbständig tätig werden wollten, habe er nicht gestellt. Welcher der beiden Beschwerdeführer besser Deutsch gesprochen habe, könne er nicht sagen, zumal sich der Erstbeschwerdeführer im Zuge der Amtshandlung zunehmend zurückgehalten und in weiterer Folge hauptsächlich die Zweitbeschwerdeführerin gesprochen habe. Der Erstbeschwerdeführer habe jedoch in einem Gemisch aus Deutsch und Türkisch zur Zweitbeschwerdeführerin gemeint, dass sie nicht mit den Beamten sprechen solle. Es sei weder angesprochen noch angedeutet worden, dass die Beschwerdeführer hier eine Erwerbstätigkeit anstrebten noch sei auf allfällige Unterlagen im Gepäck hingewiesen worden. Erinnerlich hätten die Beschwerdeführer auch nach einem Rechtsanwalt verlangt, wobei man ihnen gesagt habe, dass sie einen kontaktieren können und die Zweitbeschwerdeführerin dies auch getan habe. Diesem Anwalt habe sie den Sachverhalt geschildert, wobei das Mobiltelefon so laut gewesen sei, dass man das Gespräch habe mithören können. Dieser Anwalt hätte den Beamten dann Recht gegeben. Ein weiteres Telefonat sei mit den „Grünen“ geführt worden. Der Zeuge könne sich nicht mehr daran erinnern, wer das Formular zur Einreiseverweigerung den Beschwerdeführern vorgelegt habe. Er könne sich nur an eine verweigerte Unterschrift erinnern, was er sich dahingehend erkläre, dass die Beschwerdeführer nach einiger Zeit „blockiert“ und gesagt hätten, alles über einen Anwalt regeln zu wollen.

Die Zeugin G gab an, dass die Beschwerdeführer im Büro nach Verwandten in Österreich, nach dem Grund der längeren Aufenthaltsunterbrechung bzw. nach dem Aufenthaltszweck gefragt worden seien. Der Erstbeschwerdeführer habe weniger gesprochen als die Zweitbeschwerdeführerin, jedoch angegeben „mit Österreich Geschäfte machen“ zu wollen. Von einer Erwerbstätigkeit, die angetreten hätte werden sollen, sei keine Rede gewesen. Die Konversation sei in deutscher Sprache erfolgt, sei kein Dolmetscher verlangt und das Telefonat mit einem Anwalt in deutscher Sprache geführt worden. Dabei sei das Mobiltelefon so laut aufgedreht gewesen, dass man auch die Antworten hätte hören können. Darüberhinaus habe die Zweitbeschwerdeführerin gesagt, mit den „Grünen“ telefoniert zu haben. Im Hinblick auf die Deutschkenntnisse habe man auch nicht proaktiv einen Dolmetscher angeboten, was man dann täte, wenn eine Person eine andere Muttersprache habe, weil sich die Beamten dann leichter täten. Die Beschwerdeführer hätten jedoch perfekt Deutsch gesprochen, sodass die Zeugin davon ausgehe, dass es Missverständnisse zwischen den Beschwerdeführern und den Beamten gegeben habe.

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich sieht folgenden Sachverhalt als erwiesen an:

Die Beschwerdeführer, beide türkische Staatsangehörige, stellten sich am 28. Dezember 2019 mit Flug *** aus *** kommend der Grenzkontrolle. Der Erstbeschwerdeführer wies sich mit seinem gültigen türkischen Reisepass sowie einem abgelaufenen türkischen Reisepass, in welchem ein (aufgrund des PassG 1992 erteilter) unbefristeter Wiedereinreise-Sichtvermerk der BPD Wien vom 17. Mai 1991 angebracht war, aus. Aus dem Reisepass war ersichtlich, dass die letztmalige Ausreise am 13. Juli 2018 (Flughafen ***) erfolgte. Die Zweitbeschwerdeführerin wies sich mit ihrem gültigen türkischen Reisepass sowie einem abgelaufenen türkischen Reisepass aus, in welchem eine unbefristete Niederlassungsbewilligung des Amtes der Wiener Landesregierung vom 25.Juli 2001 angebracht war. Die letzte Ausreise aus dem EWR erfolgte (aus dem Reisepass ersichtlich) am 8. Februar 2018 (Flughafen ***). Im Zuge der gegenständlichen Amtshandlung wurden die Beschwerdeführer nach ihrer Herkunft sowie (vom Zeugen H) nach dem Aufenthaltszweck befragt. Dabei gaben sie an, „mit Österreich Geschäfte machen“ zu wollen, was sie auch schon wiederholt gemacht hätten. Im Übrigen verfügten sie über ein Unternehmen in der Türkei. Eine ausdrückliche Frage nach einer allfälligen angestrebten Erwerbstätigkeit in Österreich wurde nicht gestellt. Gleichermaßen verwiesen die Beschwerdeführer auch von sich aus nicht auf einen solchen Aufenthaltszweck und wurde auch die mit 21. November 2019 datierte Einstellungszusage von „D“ weder vorgelegt noch erwähnt. Im Zuge der Amtshandlung kontaktierte die Zweitbeschwerdeführerin einen Rechtsanwalt, dem sie in deutscher Sprache den Sachverhalt schilderte. Nach Information des Juristischen Dauerdienstes der Landespolizeidirektion Niederösterreich vom Vorfall verfügte dieser im Hinblick darauf, dass eine Verständigung der Niederlassungsbehörde, dass kein Grund dafür vorliege, die Erlöschungsfrist auf 24 Monate zu erstrecken, die in weiterer Folge gesetzten und nunmehr bekämpften Maßnahmen.

Die Konversation zwischen den Beschwerdeführern und den Beamten erfolgte ebenso in deutscher Sprache wie zum Teil jene zwischen den Beschwerdeführern sowie das Telefonat der Zweitbeschwerdeführerin mit einem Rechtsanwalt. Ein Dolmetscher für die türkische Sprache wurde während der Amtshandlung nicht verlangt.

Eine Verständigung der Niederlassungsbehörde, dass ein Grund vorliege, die Erlöschensfrist auf 24 Monate zu erstrecken, erfolgte nicht.

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich überwiegend aus den vorliegenden Urkunden bzw. aus den weitgehend übereinstimmenden Angaben der Beschwerdeführer und der vernommenen Zeugen. Bezugnehmend auf die Deutschkenntnisse und das Vorbringen, dass diese nicht ausreichend gewesen seien, eine entsprechende Konversation mit den Beamten zu führen, kommt diesem Vorbringen keine Glaubwürdigkeit zu. Dagegen spricht zunächst, dass dieser – für die Beschwerdeführer offenbar zentrale – Umstand erstmals in der Stellungnahme vom 4. Mai 2020 releviert wurde, obgleich es der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, dass auf Derartiges in Anbetracht der Wichtigkeit dieses Umstandes bei der ersten sich bietenden Gelegenheit (von sich aus) hingewiesen wird (z.B. VwGH 19.12.2005, 2002/03/0287). Gleichermaßen wäre im Falle derart mangelhafter Deutschkenntnis nicht nachvollziehbar, wie die Zweitbeschwerdeführerin imstande gewesen sein sollte, einem Anwalt in deutscher Sprache den Sachverhalt so zu schildern, dass er eine auch nur erste Beurteilung der Sache durchführen konnte. Weiters spricht für die ausreichenden Deutschkenntnisse der Umstand, dass die Beschwerdeführer über mehrfache explizite Nachfrage im Zuge der öffentlichen mündlichen Verhandlung angaben, nach einer allfälligen unselbständigen Erwerbstätigkeit nicht gefragt worden zu sein. Derartiges kann aber füglich nur dann behauptet werden, wenn die Fragestellungen seitens der Beamten auch nur ansatzweise verstanden wurde. Hätten die Beschwerdeführer tatsächlich nicht verstanden, was die Beamten zu ihnen gesagt hätten, könnte diese Frage auch nicht verneint werden. Darüberhinaus kann nicht übersehen werden, dass der Erstbeschwerdeführer in der öffentlichen mündlichen Verhandlung zunächst angab, den Beamten gegenüber überhaupt keine Angaben zum Aufenthaltszweck bzw. zu sonstigen Umständen (Unternehmen in der Türkei etc.) gemacht zu haben, über Vorhalt dann angab, man habe dies zwar versucht, sei aber offenkundig mangels entsprechender Sprachkenntnisse nicht verstanden worden. Nicht nachvollziehbar ist weiters, aus welchem Grund der Erstbeschwerdeführer zwar versucht habe, sich hier verständlich zu machen, weder er noch seine Gattin jedoch den Versuch unternommen haben, auf die beabsichtigte Aufnahme der Tätigkeit bei „D“ hinzuweisen, ist schlichtweg nicht nachvollziehbar. Gegen die behaupteten mangelnden Deutschkenntnisse spricht aber nicht zuletzt auch der Umstand, dass der Erstbeschwerdeführer mehr als ein Jahrzehnt durchgehend in Österreich gelebt und gearbeitet hat, seither mit Österreich in geschäftlichem Kontakt steht und er (wie auch die Zweitbeschwerdeführerin) mutmaßlich die Absicht hatten, hier ab Jänner 2020 eine unselbständige Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Wie dies dem Erstbeschwerdeführer bei (fast) fehlenden Deutschkenntnissen in der Position eines „Geschäftsführers“ möglich gewesen wäre, ist schwer erklärlich. Gegen die allgemeine Lebenserfahrung spricht es aber auch, dass wichtige Papiere, wie die Einstellungszusage von „D“ bei der Flugreise nicht an der Person, sondern im Gepäck mitgenommen wurden, kann doch der Zweck einer solchen Zusage nur darin bestehen, sie auch bei der Einreise erforderlichenfalls vorweisen zu können.

In rechtlicher Hinsicht ergibt sich aus dem Gesagten:

Gegenstand der Beschwerden nach Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG (§ 88 Abs. 1 SPG) sowie nach § 88 Abs. 2 SPG sind einzelne Verwaltungsakte, mithin Lebenssachverhalte. Im konkreten Fall bezeichnende Beschwerden insgesamt fünf Handlungen, die angefochten würden, nämlich die Verweigerung der Einreise, die Anordnung, sich bis zur Ausreise im (Sonder-)Transitbereich des Flughafens aufzuhalten, jene, in die Türkei zurückzureisen, die Ungültigerklärung des Wiedereinreise-Sichtvermerks des Erstbeschwerdeführers bzw. der Niederlassungsbewilligung für jeglichen Aufenthaltszweck der Zweitbeschwerdeführerin sowie die Kennzeichnung des Einreisestempels vom 28. Dezember 2019 mit einem „Kreuz“ und dem Kennbuchstaben „C“. Zutreffenderweise liegen (je Beschwerdeführer [vgl. VwGH 15.12.2011, 2009/18/0156]) demgegenüber jedoch bloß drei Amtshandlungen, nämlich die Eintragungen bei den in den Reisepässen angebrachte Kennzeichnungen, die Ungültigerklärung des Sichtvermerks bzw. der Niederlassungsbewilligung (vgl VwGH 16.6.1999, 98/01/0172) und die Zurückweisung (§ 41 FPG) vor. Aufgrund der örtlichen Gegebenheiten am Flughafen ergibt sich im Fall einer Zurückweisung dort nämlich zwingend, dass der Fremde den Grenzkontrollbereich aus tatsächlichen Gründen nicht sofort verlassen kann, sodass der Auftrag, sich im Transitbereich aufzuhalten, notwendige Folge einer Zurückweisung ist. Gleiches gilt für den Auftrag, das Bundesgebiet zu verlassen, zumal es sich wesensmäßig um einen Teil der Zurückweisung handelt.

Die einzelnen Akte sind vom Verwaltungsgericht auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen, wobei diese Prüfung – trotz der Gegenteiliges intendierenden Formulierung des § 27 VwGVG – unabhängig von den in der Beschwerde geltend gemachten Rechten in jede Richtung zu erfolgen hat (VfSlg 14.436/1996; VwGH 25.9.1996, 96/01/0286; 9.9.1997, 96/06/0096; 15.9.1997, 94/10/0027; 23.9.1998, 97/01/0407; vgl. insb. VwGH 30.3.2016, Ra 2015/09/0139, wonach eine Bindung an die Beschwerdegründe des § 27 VwGVG nicht besteht). Nicht erforderlich ist bei Amtshandlungen im Rahmen der Sicherheitsverwaltung (§ 2 Abs. 2 SPG) ferner eine Festlegung, ob die Überprüfung des Aktes nach § 88 Abs. 1 oder 2 SPG erfolgen soll. Vielmehr ist der Verwaltungsakt grundsätzlich im Lichte beider Bestimmungen zu prüfen (VwGH 16.6.1999, 98/01/0172), auch wenn in der Beschwerde überhaupt nicht auf § 88 Bezug genommen wird (VwSlg 15.345 A/2000]). Die Verfahrenstypen sind daher in beiden Richtungen durchlässig (Wessely, in Thanner/Vogl [Hrsg.], SPG2 [2013] § 88 Anm 9), sodass es grundsätzlich weder in der Beschwerde noch im Erkenntnis einer entsprechenden Festlegung bedarf (i.d.S. VwGH 16.6.1999, 98/01/0172), sondern die Frage der Zuordnung da wie dort grundsätzlich offengelassen werden kann (VwSlg 14.948 A/1998).

Im Hinblick darauf, dass alle gegenständlich zu überprüfenden Akte (einschließlich der Eintragungen in den Reisedokumenten) durch Grenzkontrollorgane gesetzt wurden und daher dem Aufgabenkreis der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm zuzuordnen sind, liegt ein Handeln in einer Angelegenheit der Sicherheitsverwaltung iSd § 2 Abs 2 SPG 1991 vor (VwGH 16.6.1999, 98/01/0172). Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob es sich bei den Eintragungen in den Reisepässen um Maßnahmen oder um schlichtes Polizeihandeln handelt (vgl. (VfSlg 14.887/1997; 15.372/1998; VwGH 25.6.1997, 95/01/0600; 29.7.1998, 97/01/0448). Zumal für die Überprüfung derartiger Eintragungen in Reisedokumente kein spezielles Rechtsschutzverfahren vorgesehen ist, hinter das jenes der Maßnahmenbeschwerde oder jenes nach § 88 Abs. 2 SPG als subsidiär zurücktreten würde, sind auch diese im Zuge des gegenständlichen Verfahrens auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen.

Den Beurteilungsmaßstab in den hier gegenständlichen Verfahren bildet die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der gesetzten Amtshandlung (VwGH 24.11.2015, Ra 2015/05/0063), näherhin jene Sachlage, wie sie dem eingeschrittenen Organ im Handlungszeitpunkt bekannt war bzw. (insbesondere im Hinblick auf den Zeitfaktor) bei zumutbarer Sorgfalt bekannt sein musste (VwSlg 14.706 A/1997; VwGH 6.8.1998, 96/07/0053; vgl. N.Raschauer/Wessely, Die abgestufte Gefährdungsprognose nach § 38a SPG, SIAK 2006, 22 ff). Im Ergebnis ist daher zu prüfen, ob das Organ vertretbarer Weise das Vorliegen der Voraussetzungen für sein Einschreiten annehmen durfte (ex ante-Beurteilung; VwSlg 14.142 A/1994; 14.706 A/1997; VwGH 25.1.1990, 89/16/0163; 21.3.2006, 2006/11/0019).

Im konkreten Fall verfügten die Beschwerdeführer ursprünglich über einen unbefristeten Wiedereinreise-Sichtvermerk nach dem PassG 1992 sowie eine unbefristete Niederlassungsbewilligung nach dem FrG 1997. Beide Titel gingen im Ergebnis im Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU“ nach dem NAG auf. Nach dem neuen Regime, nämlich nach § 20 Abs. 4 NAG erlöschen derartige Titel, wenn sich der Betroffene länger als zwölf Monate (bzw. in bestimmten Fällen länger als 24 Monate) außerhalb des EWR aufhält. Keine Anwendung findet dieser Erlöschenstatbestand jedoch im Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln des Art. 13 ARB 1/80 bzw. des (wirkungsgleichen [VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0289]) Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen, zumal ein Erlöschen des Aufenthaltstitels durch Abwesenheit aus dem Gebiet des EWR erst mit dem NAG eingeführt wurde und gegenüber der bis dahin geltenden Rechtslage eine Verschärfung darstellt (VwGH 26.6.2012, 2009/22/0307). Allerdings fällt eine nationale Regelung nur insoweit in den Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln, als sie geeignet ist, eine selbstständige oder unselbstständige Erwerbstätigkeit i.S.d. Niederlassungsfreiheit, Arbeitnehmerfreizügigkeit oder Dienstleistungsfreiheit im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates zu beeinträchtigen (VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0043). Auf Sachverhalte, die diesen Bereichen nicht zuzuordnen sind, finden die Stillhalterklauseln daher keine Anwendung. Dies betrifft insbesondere Fälle, in denen türkische Staatsangehörige nicht die Absicht haben, sich in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates zu integrieren (EuGH 21.10.2003, Abatay und Sahin, C-317/01 und C-369/01; VwGH 18.4.2018, Ra 2018/22/0004; 9.8.2018, Ra 2017/22/0111) bzw. mit Blick auf den gleichartigen Schutzbereich des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (VwGH 25.4.2019, Ra 2018/22/0289) sich dort i.S.d. Niederlassungsfreiheit niederzulassen oder sich dort i.S.d. Dienstleistungsfreitheit zu entfalten. Der hier interessierende Erlöschenstatbestand des § 20 Abs. 4 NAG wird daher durch das Unionsrecht nur partiell, nämlich im Anwendungsbereich der Stillhalterklauseln überlagert.

Von Relevanz für die Anwendbarkeit der Stillhalteklauseln und damit spiegelbildlich die Anwendbarkeit des Erlöschenstatbestandes des § 20 Abs. 4 NAG ist daher der vom Fremden verfolgte Aufenthaltszweck, wobei es am Fremden liegt, diesen Zweck der Behörde bzw. dem einschreitenden Organ gegenüber zu offenbaren (VwGH 27.2.2020, Ra 2017/22/0040) und glaubhaft zu machen (§ 41 Abs. 3 FPG; i.d.S. ausdrücklich die stRsp., etwa VwGH 30.6.2000, 2000/02/0107; 18.5.2001, 98/02/0319). Den Fremden trifft daher insoweit eine entsprechende Mitwirkungspflicht (vgl. schon VwGH 18.1.1996, 95/18/0874). Fällt der Aufenthaltszweck nicht in den Schutzbereich der Stillhalteklauseln, kommen diese nicht zur Anwendung und stehen daher der Anwendung (auch restriktiveren) nationalen Rechts nicht entgegen und können sich türkische Staatsangehörige daher nicht mit Erfolg auf diese Klauseln berufen.

Im konkreten Fall führten die Beschwerdeführer aus, zu dem Zweck nach Österreich einreisen zu wollen, hier „mit Österreich Geschäfte“ machen zu wollen. Dieser Aufenthaltszweck kann weder der Arbeitnehmerfreizügigkeit noch der Niederlassungs- bzw. Dienstleistungsfreiheit zugerechnet werden, sodass der Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln nicht eröffnet ist. Anderes wäre der Fall gewesen, hätten sich die Beschwerdeführer im Zuge der Einreise darauf berufen, hier eine unselbständige Erwerbstätigkeit antreten zu wollen. Dies war jedoch unstrittig nicht der Fall. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer kann aber eine Verpflichtung der Grenzkontrollorgane, einreisende Personen explizit nach einer solchen Absicht (also gleichsam checklistartig nach allen möglichen, den Stillhalteklauseln zu unterstellenden möglichen Aufenthaltszwecken) zu befragen, nicht erkannt werden. Vielmehr reicht es mit Blick auf § 41 Abs. 3 FPG hin, den Fremden (generell und offen) nach dem beabsichtigten Aufenthaltszweck zu fragen. Dies erfolgte aber, sodass es Sache der Beschwerdeführer gewesen wäre, sich diesbezüglich zu erklären (vgl. abermals VwGH 30.6.2000, 2000/02/0107; 18.5.2001, 98/02/0319).

Zumal für das gegenständliche Verfahren ausschließlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Amtshandlung maßgeblich und zu prüfen ist, ob die einschreitenden Organe aufgrund des damaligen tatsächlichen oder zu fordernden Wissensstandes zutreffend vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Ausübung der ihnen zustehenden Befugnisse ausgehen durften, ist den Beschwerden im Hinblick auf die Zurückweisung i.S.d § 41 FPG kein Erfolg beschieden. Näherhin durften die einschreitenden Organe davon ausgehen, dass die Beschwerdeführer für den von ihnen erklärten Aufenthaltszweck die Einreisevoraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex (SGK) nicht erfüllten, sodass ihnen nach Art. 14 SGK die Einreise rechtens verweigert und sie gemäß § 41 Abs. 2 Z 1 FPG zurückgewiesen wurden.

Gleiches gilt aber auch für die von der Zurückweisung zu unterscheidende Kenntlichmachung dieses Umstandes im Reisepass, zumal dort lediglich (gemäß § 45 Abs. 3 FPG) zu vermerken war, dass die zunächst mit dem Einreisestempel dokumentierte Einreise schlussendlich nicht stattfand bzw. verweigert wurde.

Anderes gilt hingegen für die Kennzeichnung des ex-lege-Eintritts der Ungültigkeit der in den früheren Reisedokumenten enthaltenen Aufenthaltstiteln durch die Anbringung des Schriftzuges „Ungültig“ (zur Verneinung der Bescheidqualität einer solchen Kennzeichnung VwGH 17.3.2009, 2007/21/0536; 15.12.2011, 2009/09/0236). Ausschlaggebend ist der oben dargelegte Umstand, dass der Erlöschungstatbestand des § 20 Abs. 4 NAG im Hinblick auf die oben dargelegten Stillhalteklauseln durch das Unionsrecht partiell verdrängt wird. Spiegelbildlich dazu sind die genannten Aufenthaltstitel daher jedenfalls nicht zur Gänze erloschen, sondern bloß zu solchen Aufenthaltszwecken, die nicht dem Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln zuzurechnen sind. Der undifferenzierte Eintrag einer Ungültigkeit bringt dies aber nicht zum Ausdruck, sondern beurkundet die Rechtsposition der Beschwerdeführer unrichtig. Zumal von einer gänzlichen ex-lege-Ungültigkeit der Aufenthaltstitel nicht ausgegangen werden kann, weil dies gegen die obgenannten Stillhalteklauseln verstieße, erweist sich auch eine undifferenzierte Kenntlichmachung im Reisedokument als unzulässig. Den Beschwerden war daher insoweit Erfolg beschieden (zum Vorrang des Maßnahmenbeschwerdeverfahrens zu einem nicht ausdrücklich statuierten Feststellungsverfahren [im Zusammenhang mit § 20 Abs. 4 NAG darauf verweisend EBRV 952 BlgNR 22.GP 129] vgl. VwGH 26.9.2019, Ra 2019/09/0097).

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren nach Art. 130 Abs. 1 Z 2
B-VG obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer die obsiegende und die belangte Behörde die unterlegene Partei (Abs. 2). Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist die belangte Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei (Abs. 3).

Gemäß § 35 Abs. 6 VwGVG gelten die §§ 52 bis 54 VwGG auch für den Aufwandersatz nach Abs. 1.

Nach § 53 VwGVG gelten die genannten Regelungen, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nichts Anderes bestimmt ist, auch für Verfahren über Beschwerden wegen Rechtswidrigkeit eines Verhaltens einer Behörde in Vollziehung der Gesetze gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG sinngemäß.

Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass jeder Beschwerdeführer in zwei Fällen als unterlegene Partei zu betrachten und zur Kostentragung zu verpflichten ist. Neben dem Vorlageaufwand (aufgrund des teilweisen Obsiegens der Beschwerdeführer zwei Drittel von € 57,40 [VwGH 22.10.1999, 98/02/0142]) war daher der Schriftsatzaufwand (zweifach € 368,80) zuzuerkennen (zur Berechnung der Kosten vgl. VwGH 31.8.2017, Ro 2016/21/0014). Demgegenüber war hinsichtlich je eines Falles die Beschwerdeführer obsiegende Parteien. Neben dem Schriftsatz- (€ 737,60) war insoweit jeweils der Verhandlungsaufwand (€ 922,--) zuzuerkennen.

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil die durchgeführte rechtliche Beurteilung aufgrund der obzitierten höchstgerichtlichen Rechtsprechung erfolgte. Zum einen ist der Anwendungsbereich der Stillhalteklauseln durch die oben wiedergegebene Rechtsprechung des VwGH und des EuGH ebenso wie das Verhältnis zum Erlöschenstatbestand des § 20 Abs. 4 NAG hinreichend abgeklärt. Zum anderen folgt die Beweiswürdigung zur Feststellung des Sachverhalts den Regeln, wie sie in Lehre und Rechtsprechung anerkannt sind.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Zurückweisung an der Grenze; Stillhalteklauseln ARB; Reisepass; Eintragung; Wiedereinreise-Sichtvermerk; Durchstreichen;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2020:LVwG.M.3.001.2020

Zuletzt aktualisiert am

25.06.2020
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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