TE Vwgh Erkenntnis 2020/6/4 Ro 2019/08/0002

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Veröffentlicht am 04.06.2020
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Index

20/01 Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch (ABGB)
62 Arbeitsmarktverwaltung
66/02 Andere Sozialversicherungsgesetze

Norm

ABGB §16
AlVG 1977 §49 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Stickler und Mag. Tolar als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des Arbeitsmarktservice Grieskirchen in 4710 Grieskirchen, Manglburg 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Oktober 2018, L503 2205950-1/4E, betreffend Verlust des Anspruchs auf Notstandshilfe (mitbeteiligte Partei: M R in B), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 29. Mai 2018 sprach das Arbeitsmarktservice Grieskirchen (in der Folge: AMS) aus, dass der Mitbeteiligte in der Zeit von 2. Mai 2018 bis 27. Mai 2018 gemäß § 49 AlVG keine Notstandshilfe erhalte. Die gegen diesen Bescheid vom Mitbeteiligten erhobene Beschwerde wies das AMS mit Beschwerdevorentscheidung vom 4. September 2018 ab.

2        Begründend führte das AMS aus, dem Mitbeteiligten sei für den 2. Mai 2018 eine Kontrollmeldung vorgeschrieben worden. Über die Rechtsfolgen der Nichteinhaltung sei er belehrt worden. Bereits anlässlich eines Beratungsgespräches am 5. April 2018 sei er aus gegebenem Anlass auch darauf hingewiesen worden, dass es unzulässig sei, während des Beratungsgespräches mit Dritten zu telefonieren bzw. das Gespräch mit dem Mobiltelefon aufzuzeichnen. Zu der Kontrollmeldung am 2. Mai 2018 sei der Mitbeteiligte erschienen, habe jedoch gegenüber dem mit seiner Beratung betrauten Mitarbeiter des AMS angegeben, das Beratungsgespräch mit dem Mobiltelefon aufzuzeichnen, und dazu das Mobiltelefon auf den Tisch gelegt. Der Berater habe den Mitbeteiligten ermahnt, dies zu unterlassen, und darauf hingewiesen, dass unter diesen Bedingungen kein Beratungsgespräch stattfinden könne. Da der Mitbeteiligte von seinem Verhalten aber auch nach Ermahnung nicht abgelassen habe, habe der Berater seinen Aufgaben nicht nachkommen können, weshalb das Gespräch abgebrochen worden sei. Das Verhalten des Mitbeteiligten entspreche einer Nichteinhaltung der Kontrollmeldung. Im Zeitraum bis zur Geltendmachung des Fortbezuges durch den Mitbeteiligten am 28. Mai 2018 stehe daher kein Bezug der Notstandshilfe zu.

3        Der Mitbeteiligte stellte einen Vorlageantrag. Er brachte vor, er sei zum vorgegebenen Termin der Kontrollmeldung beim AMS erschienen, sodass der Tatbestand des § 49 Abs. 2 AlVG nicht erfüllt sei. Der vom AMS seiner Entscheidung zugrunde gelegte Sachverhalt entspreche auch nicht den Tatsachen.

4        Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht - ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung - der Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und sprach aus, dass der Bescheid des AMS ersatzlos behoben werde.

5        Das Bundesverwaltungsgericht führte begründend aus, der Mitbeteiligte sei am 2. Mai 2018 zu dem ihm vorgeschriebenen Termin einer Kontrollmeldung erschienen. Zwischen ihm und dem Berater des AMS sei es zu einer Auseinandersetzung gekommen, weil der Mitbeteiligte sein Mobiltelefon „provokant“ auf den Tisch gelegt und geäußert habe, dass er das Gespräch aufzeichne bzw. eine Telefonverbindung mit einem Freund bestehe. Der Berater, der dies entschieden abgelehnt habe, habe in der Folge das Beratungsgespräch beendet. Dieser Sachverhalt ergebe sich aus dem Akteninhalt.

6        Der Verlust des Anspruches auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe setze nach dem Wortlaut des § 49 Abs. 2 AlVG die Unterlassung bzw. die Versäumung einer Kontrollmeldung voraus. Im Hinblick darauf, dass der Mitbeteiligte zu dem ihm vorgeschriebenen Termin zur Kontrollmeldung erschienen sei und das Gespräch mit seinem Berater auch begonnen worden sei, sei dieser Tatbestand nicht erfüllt.

7        Das Bundesverwaltungsgericht sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob durch „Unstimmigkeiten“ bei einem Beratungsgespräch, das im Zuge einer Kontrollmeldung geführt werde, nach § 49 Abs. 2 AlVG ein Verlust der Leistung aus der Arbeitslosenversicherung bewirkt werden könne.

8        Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Vorverfahren durchgeführt, in dem keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.

9        Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

10       Unter dem Gesichtspunkt einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung macht das AMS ergänzend zu den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes geltend, durch die Weigerung des Mitbeteiligten trotz Aufforderung des Beraters, eine Tonaufnahme des Beratungsgespräches zu unterlassen, habe der Mitbeteiligte in die Persönlichkeitsrechte des Beraters eingegriffen. Dadurch sei ein Beratungsgespräch vereitelt worden. Dies sei als eine Unterlassung der Kontrollmeldung anzusehen.

11       Die Revision ist zulässig und berechtigt.

12       § 49 AlVG lautet samt Überschrift:

„Kontrollmeldungen

(1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, daß das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.

(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterläßt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. Der Zeitraum des Anspruchsverlustes verkürzt sich um die Tage einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung, die er in diesem Zeitraum ausgeübt hat. Ist die Frage strittig, ob ein triftiger Grund für die Unterlassung der Kontrollmeldung vorliegt, so ist der Regionalbeirat anzuhören.“

13       Kontrollmeldungen nach § 49 Abs. 1 AlVG sind zunächst Instrumente der Arbeitsvermittlung (vgl. VwGH 19.9.2007, 2006/08/0277, 0278, mwN). Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dient ein Kontrolltermin iSd. § 49 Abs. 1 AlVG daher der Betreuung des Arbeitslosen, weshalb grundsätzlich dessen persönliches Erscheinen erforderlich ist (vgl. VwGH 22.2.2012, 2011/08/0078, mwN). Darüber hinaus wird mit der Kontrollmeldung auch die Kontrolle des Vorliegens der Voraussetzungen für den Leistungsbezug - insbesondere der Arbeitsfähigkeit, der Arbeitswilligkeit und der Arbeitslosigkeit - bezweckt (vgl. nochmals VwGH 19.9.2007, 2006/08/0277, 0278; sowie VwGH 4.9.2013, 2012/08/0183; 6.7.2011, 2008/08/0093).

14       Der Verwaltungsgerichtshof hat vor diesem Hintergrund bereits festgehalten, dass für die Einhaltung der Kontrollmeldung im Sinn des § 49 Abs. 1 AlVG eine bloße Anwesenheit des Arbeitslosen beim Arbeitsmarktservice zum vorgeschriebenen Zeitpunkt des Kontrolltermins nicht ausreichend ist. Der Zweck der Kontrollmeldung kann nämlich nur durch den Kontakt des Arbeitslosen mit dem ihm zugewiesenen Berater, der über die erforderlichen Informationen im Einzelfall verfügt, erfüllt werden. Unterlässt es der Arbeitslose bei seinem Berater vorzusprechen, liegt daher eine wirksame Kontrollmeldung nicht vor (vgl. VwGH 19.12.2007, 2006/08/0332). Dem gleichzuhalten ist es auch, dass ein Arbeitsloser wohl Kontakt zu seinem Berater herstellt, in der Folge jedoch die Führung eines Gespräches verweigert bzw. trotz Ermahnung ein Verhalten setzt, das die Führung eines dem Zweck der Kontrolltermins entsprechenden Gespräches unmöglich macht. Auch in einem solchen Fall ist daher eine Kontrollmeldung im Sinn des § 49 Abs. 1 AlVG nicht als erfolgt anzusehen.

15       Anerkannt ist, dass aus § 16 ABGB auch ein „Recht am eigenen Wort“ abzuleiten ist (vgl. OGH 20.1.2020, 1 Ob 1/20h; RIS-Justiz RS0031784 [T2]; Aicher in Rummel/Lukas, ABGB4 § 16 Rz 34). Daraus ergibt sich, dass eine Tonaufnahme einer Besprechung ohne Zustimmung des Gesprächspartners rechtswidrig ist (vgl. OGH 24.5.2018, 6 Ob 82/18d [zur Aufnahme einer Gerichtsverhandlung], mwN; RIS-Justiz RS0031784 [T1]). Für ein im Zuge einer Kontrollmeldung geführtes Gespräch zwischen einem Arbeitslosen und dem ihm vom Arbeitsmarktservice zugewiesenen Berater kann nichts anderes gelten. Erklärt ein Arbeitsloser - wie es nach den Ausführungen des AMS dem vorliegenden Fall entspricht -, trotz des Widerspruches des Beraters, das Gespräch aufzuzeichnen, muss der Berater von einer Verletzung seiner Persönlichkeitsrechte ausgehen. Bricht der Berater deshalb - nach einer Androhung - das Gespräch ab, ist es dem Arbeitslosen zuzurechnen, dass ein dem Zweck des Kontrolltermins entsprechendes Gespräch unmöglich wird. Damit ist aber eine Kontrollmeldung im Sinn des § 49 Abs. 1 AlVG nicht als erfolgt anzusehen.

16       Zum vorliegenden Fall ist allerdings ergänzend festzuhalten, dass der Mitbeteiligte den vom AMS seiner Entscheidung zu Grunde gelegten Sachverhalt bestritten und seine Einvernahme als Partei beantragt hat. Es wäre daher auch eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen.

17       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes gehört es nämlich im Fall widersprechender prozessrelevanter Behauptungen - wie sie im vorliegenden Fall erstattet wurden - zu den grundlegenden Pflichten des Verwaltungsgerichts, dem auch in § 24 VwGVG verankerten Unmittelbarkeitsprinzip Rechnung zu tragen und sich als Gericht im Rahmen einer - bei der Geltendmachung von „civil rights“ (zu denen auch Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung zählen) in der Regel auch von Amts wegen durchzuführenden - mündlichen Verhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit von Zeugen bzw. Parteien zu verschaffen und insbesondere darauf seine Beweiswürdigung zu gründen (vgl. etwa VwGH 20.2.2020, Ra 2019/08/0109, mwN). Vom Bundesverwaltungsgericht wären daher Feststellungen zum Verhalten des Mitbeteiligten aufgrund der Ergebnisse einer mündlichen Verhandlung zu treffen gewesen, um auf dieser Grundlage beurteilen zu können, ob eine wirksame Kontrollmeldung erfolgt ist.

18       Das angefochtene Erkenntnis war somit gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen vorrangig wahrzunehmender Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am 4. Juni 2020

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019080002.J00

Im RIS seit

22.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

22.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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