TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/11 96/01/1174

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Veröffentlicht am 11.03.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1968 §1;
AsylG 1968 §5 Abs1 Z3;
AsylG 1991 §1 Z1 impl;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Genc Pragamaj (auch Rragamaj) in Wien, geboren am 24. Juni 1974, vertreten durch Dr. Erich Heliczer, Rechtsanwalt in Bad Vöslau, Anton Bauer-Straße 2a, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 14. November 1996, Zl. 4.342.389/8-III/13/96, betreffend Feststellung der Flüchtlingseigenschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der "Jugosl. Föderation", der am 29. März 1992 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 2. April 1992 die Gewährung von Asyl.

Er wurde am 27. Jänner 1993 niederschriftlich einvernommen. Hiebei gab er an, er stamme aus Gjakova (Kosovo), gehöre der albanischen Volksgruppe an und sei Moslem. Seine Fluchtgründe führte er folgendermaßen aus:

"Ich fürchtete, daß ich zum Militär und in den Krieg eingezogen werde. Aus diesem Grunde zog ich zu meinem Onkel Bashkim Ahmedi nach Gjakova. Am 18.3.1992 kam dann tatsächlich ein Einberufungsbefehl, den mein Vater nicht übernommen hat. Der Brief wurde bei der Post in Gjakova hinterlegt, und ich sollte ihn am 20. oder 21.3.1992 dort abholen. Das tat ich aber nicht, sondern beschloß, meine Heimat zu verlassen. Ich hielt mich noch bis zum 26.3.1992 bei meinem Onkel auf. Ich will nicht in den Krieg gegen meine Landsleute ziehen und sie töten. Auf Grund meiner Flucht wurde mein Vater am 23.12.1992 verhaftet, und er ist seither in Gjakova wegen mir eingesperrt. Bei einer Rückkehr würde ich sofort zur Armee eingezogen werden, und an die Front geschickt."

Die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien wies mit dem Bescheid vom 15. Februar 1993 den Antrag "auf Gewährung von Asyl" ab, weil der Beschwerdeführer vor seiner Einreise nach Österreich in Slowenien vor Verfolgung sicher gewesen sei.

Die dagegen erhobene Berufung befaßte sich ausschließlich mit dem angewendeten Asylausschließungsgrund. Die belangte Behörde wies mit dem Bescheid vom 15. Dezember 1993 die Berufung mit der Begründung ab, daß der Beschwerdeführer in Slowenien Sicherheit vor Verfolgung erlangt habe. Aufgrund der dagegen erhobenen Beschwerde hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 14. Dezember 1994, Zl. 94/01/0738, diesen Bescheid wegen verfehlter Anwendung des Asylgesetzes 1991 auf. Auf dem Boden der von der belangten Behörde anzuwendenden Rechtslage nach dem Asylgesetz (1968) hätte sie vom Ausschließungsgrund des § 2 Abs. 2 Z. 3 Asylgesetz 1991 nicht Gebrauch machen dürfen.

Im fortgesetzten Verfahren räumte die belangte Behörde dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 22. Oktober 1996 zur Änderung der Verhältnisse in seinem Heimatland Parteiengehör ein. Sie hielt dem Beschwerdeführer vor:

"Nunmehr hat das Parlament der Jugoslawischen Föderation am 18.06.1996 ein Amnestiegesetz erlassen, das am 21.06.1996 im Amtsblatt der Jugoslawischen Föderation Nr. 28/96 verlautbart und somit am 22.06.1996 in Kraft getreten ist.

"Amnestiert werden Personen, die bis zum 14.12.1995 Straftaten begangen haben, indem sie ihre Einberufung in die Armee vermieden haben (Art. 214 des Strafgesetzes der Jugoslawischen Föderation) oder aus der jugoslawischen Armee desertiert sind (Art. 217 des Strafgesetzes der Jugoslawischen Föderation)."

Die Amnestie umfaßt die Befreiung von strafrechtlicher Verfolgung, die Befreiung von der Ableistung einer Strafe und die Streichung der Verurteilung.

Soferne bisher kein strafrechtliches Verfahren eingeleitet worden ist, wird ein derartiges auch nicht mehr eingeleitet. Bereits anhängige strafrechtliche Verfahren werden eingestellt. Bereits Verurteilten wird die Strafe erlassen bzw. werden sie unverzüglich aus dem Gefängnis entlassen.

Die Amnestie wird vom zuständigen Militärgerichtshof erster Instanz von Amts wegen ausgesprochen, kann aber auch auf Antrag einer interessierten Person gefaßt werden.

Die Streichung der Verurteilung für Straftaten aus Artikel 214 und 217 des Strafgesetzes der Jugoslawischen Föderation aus der Strafevidenz ist von Amts wegen innerhalb von drei Tagen nach Inkrafttreten durchzuführen, kann aber auch auf Antrag einer interessierten Person gefaßt werden."

In der Stellungnahme vom 6. November 1996 wendete der Beschwerdeführer hiegegen ein:

"Zum Gesetz selbst vermag der Einschreiter mangels Kenntnis des Gesetzestextes keine detaillierten Aussagen zu machen. Es ist keineswegs ersichtlich, ob der Einschreiter von der Amnestie erfaßt wird und inwieweit die Amnestie ipso iure erfolgt oder konstitutiv für den Einzelfall eines Beschlusses bedarf und inwieweit dieser auch effektiv vom Betroffenen durchgesetzt werden kann. Für den Einschreiter ergibt sich nicht eindeutig, daß für den betroffenen Personenkreis ein subjektiver Rechtsanspruch auf Amnestie besteht, da auf Grund des Antrages ein Beschluß über die Amnestie gefaßt werden "kann".

Um also tatsächlich beurteilen zu können, ob das zitierte Gesetz eine Änderung der Verhältnisse im Heimatstaat des Einschreiters bewirkt, bedarf es der Mitteilung des gesamten Gesetzestextes sowie der Beischaffung der Bestimmungen, welche die Durchsetzung der Amnestie garantieren und sichern."

Des weiteren führte er aus, daß das gegenständliche Gesetz allein keine Veränderung gewährleisten könne, zur Beurteilung, ob durch das Amnestiegesetz tatsächlich die Verfolgungsgefahr bzw. die begründete Furcht vor Verfolgung weggefallen sei, sei in Anbetracht der kurzen Zeit seit Inkrafttreten die gesamte bisherige politische Entwicklung der "Jugoslawischen Föderation" heranzuziehen. Daran schließen Ausführungen über die allgemeine Lage der albanisch-stämmigen Bevölkerungsgruppe im Kosovo und die Darlegung an, daß die Einberufung des Einschreiters und vieler anderer albanisch-stämmiger Jugoslawen primär dazu gedient habe, diese zum Einsatz in einem völkerrechtswidrigen Krieg zu mißbrauchen.

Die belangte Behörde erließ daraufhin den Bescheid vom 14. November 1996, mit welchem sie die Berufung des Beschwerdeführers erneut abwies und feststellte, daß der Beschwerdeführer nicht Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes (1968) sei. Aus dem Vorhalt der belangten Behörde vom 22. Oktober 1996 ergebe sich, daß der Beschwerdeführer vom Amnestiegesetz in vollem Umfang erfaßt werde bzw. würde. Die Ausführungen des Beschwerdeführers in der Stellungnahme vom 6. November 1996 seien nicht geeignet, seinen Standpunkt zu stützen, zumal sich die Stellungnahme nahezu ausschließlich auf die allgemeine Lage im Kosovo beziehe, ohne daß hiebei ein konkreter Zusammenhang mit den früheren Ausreisegründen bestehe. Es sei dem Beschwerdeführer nicht möglich gewesen, den von der belangten Behörde bezüglich der effektiven Geltung des Amnestiegesetzes angenommenen und ihm zur Kenntnis gebrachten Sachverhalt in Zweifel zu ziehen, weshalb davon auszugehen sei, daß den Beschwerdeführer aufgrund seiner Wehrdienstverweigerung in seiner Heimat keine Nachteile drohten. Zu einer eventuellen neuerlichen Einberufung zum Militärdienst sei auszuführen, daß sich die "Jugoslawische Föderation" nicht im Kriegszustand befinde, sodaß die ursprüngliche Befürchtung, gegen Landsleute kämpfen zu müssen, weggefallen sei. Überdies stelle die Einberufung zur Militärdienstleistung keine Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention dar, da die erforderliche Verfolgungsmotivation nicht gegeben sei, wenn die staatlichen Maßnahmen der Durchsetzung staatsbürgerlicher Pflichten dienten. Dem ursprünglichen Vorbringen des Beschwerdeführers seien auch keine Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, daß mit seiner Einberufung eine asylrelevante Verfolgung beabsichtigt gewesen wäre.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer argumentiert in rechtlicher Sicht zur Änderung der Verhältnisse aufgrund der Erlassung des Amnestiegesetzes der "Jugoslawischen Föderation" vom 18. Juni 1996, PR Nr. 186, damit, bei Auslegung der Bestimmungen sei davon auszugehen, daß die Person mit rechtlichem Interesse, also der Betroffene, kein subjektives Recht auf Durchsetzung der Freiheit vor Strafverfolgung, auf Freiheit vor Bestrafung und Tilgung einer allfälligen Strafe aus dem Strafregister habe, da der Militärgerichtshof diese Maßnahmen aufgrund des Gesetzestextes treffen "kann", aber "offensichtlich nicht muß". Der Beschwerdeführer bestreitet nicht die inhaltliche Richtigkeit des wiedergegebenen Gesetzestextes. Demnach ist die Amnestie von Amts wegen auszusprechen; sie kann aber auch über Antrag ausgesprochen werden. Zudem zeigt der Beschwerdeführer konkret keinen Fall auf, in welchem gegen einen Militärdienstverweigerer, der - wie der Beschwerdeführer - die Verweigerung bis zum 14. Dezember 1995 begangen hat, nach Inkrafttreten des Amnestiegesetzes (22. Juni 1996) eine strafrechtliche Verfolgung wegen der Verweigerung des Militärdienstes eingeleitet worden wäre. Angesichts der von der belangten Behörde im Vorhalt vom 22. Oktober 1996 getroffenen Auslegung ist aber die auf eine "Kann"-Bestimmung gestützte Vermutung des Beschwerdeführers, das Amnestiegesetz werde in der Praxis nicht umgesetzt, auch in Verbindung mit dem relativ kurzen Zeitraum zwischen Inkrafttreten des Amnestiegesetzes und Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht geeignet, eine im Sinne der Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge relevante Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit darzutun. Daran ändert auch der Hinweis auf die allgemeine Situation und einen Bericht von Amnesty International 1996, die UN-Sonderberichte vom 31. Oktober 1994 und vom 14. März 1996, den Bericht der UN-Menschenrechtskonvention vom 12. Jänner 1995 und vom 16. Jänner 1995, eine Äußerung des UNHCR in Wien, und Dokumentationen des Ludwig Boltzmann-Institutes in Wien nichts, da der Beschwerdeführer nicht behauptet, daß in diesen Dokumentationen konkret aufgezeigt wird, daß das Amnestiegesetz in der Praxis nicht angewendet werde. Die Ansicht der belangten Behörde, aufgrund des Amnestiegesetzes seien die Voraussetzungen für die Feststellung der Flüchtlingseigenschaft nicht gegeben, kann daher nicht als rechtswidrig erkannt werden. Daher gehen auch die Ausführungen des Beschwerdeführers, welche auf die Einberufung in einen völkerrechtswidrigen Krieg hinweisen, ins Leere.

Die vom Beschwerdeführer aufgezeigten allgemeinen Übergriffe gegenüber albanisch-stämmigen Jugoslawen stehen mit seinem im Verwaltungsverfahren konkret genannten Ausreisegrund nicht in einem solchen Zusammenhang, daß entgegen der Ansicht der belangten Behörde daraus eine individuell dem Beschwerdeführer drohende Furcht vor Verfolgung abgeleitet werden könnte.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Von der dem Beschwerdeführer beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996011174.X00

Im RIS seit

20.11.2000
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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