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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AsylG 1991 §1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler und Dr. Rigler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des Chinedu Emmanuel in Graz, geboren am 27. Mai 1980, vertreten durch den gesetzlichen Vertreter Magistrat Graz, Amt für Jugend und Familie, dieser vertreten durch Dr. Klaus Kocher, Rechtsanwalt in Graz, Sackstraße 36, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. Juni 1997, Zl. 4.349.748/1-III/13/96, betreffend Asylgewährung, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von S 565,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger von Nigeria, der am 21. Juni 1996 in das Bundesgebiet eingereist ist, beantragte am 24. Juni 1996 die Gewährung von Asyl. Er wurde am 28. Juni 1996 niederschriftlich einvernommen.
Hiebei gab er an, "nur einer Gruppe in der Schule" angehört zu haben, jedoch keiner politischen Partei. Er habe mit militanten Organisationen nur in der Form Kontakt gehabt, daß er manchmal aufgefordert worden sei, "an Aufruhren teilzunehmen". Er sei bei der Polizei oder bei Gericht angezeigt worden und sehr oft in Haft gewesen.
Sterbe der Häuptling, gebe es sakrale Handlungen. Der erstgeborene Sohn eines Bewohners werde geopfert und dessen Kopf werde als Grabbeigabe mit dem Häuptling beerdigt. Er sei Zeuge eines solchen Vorfalles geworden. Am 5. Juni 1996 sei der Häuptling gestorben. Diesmal sei der Vater des Beschwerdeführers an der Reihe gewesen, das Opfer zu vollziehen, und der Beschwerdeführer sollte geopfert werden. Der Vater habe zu einer Gruppe von Männern gehört, die für den Häuptling arbeiteten, und diesmal sei sein Vater eben an der Reihe gewesen. Dies habe sich einen Tag vor seiner Flucht ereignet. Zuvor habe er Probleme mit dem Militär gehabt. Soldaten seien in die Schule gekommen und hätten die Schüler aufgefordert zu schreiben, daß sie einverstanden seien, daß Abiola Präsident werde. Es seien Regierungssoldaten gewesen. Auf die Frage "Welches Problem entstand daraus für Sie persönlich?" antwortete der Beschwerdeführer, das Hauptproblem sei, man wolle ihn töten, deshalb sei er weggelaufen. Er habe dies bei der Polizei anzeigen wollen, und die Polizei habe gesagt, dies habe mit der Religion zu tun und sie könne nichts machen. Zu den Festnahmen befragt, gab er an, dreimal in Haft gewesen zu sein, einmal davon für drei Monate, die anderen beiden Male sei er freigelassen worden. Zum ersten Mal sei er im September 1995, zum zweiten Mal im Februar 1996 und zum dritten Mal im März 1996 festgenommen worden. Grund sei gewesen, daß er sich in der Schule auf die Aufforderung des Lehrers, "daß wir das über Abiola schreiben sollten", geweigert habe. Deshalb sei er von der Polizei verhaftet worden. Auf Vorhalt, daß Abiola ein "Gegner der herrschenden Regierung" sei, gab der Beschwerdeführer an, einige Polizisten seien für, einige gegen Abiola. Beim zweiten Mal sei er von der Armee verhaftet worden, als er auf eine Frage geantwortet habe, daß sie eine Zivilregierung wollten. Beim dritten Mal sei wieder die Armee gekommen und er habe "Kill Abiola" schreiben sollen, was er verweigert habe. Beim ersten Mal sei er einfach freigelassen worden. Beim zweiten Mal habe man ihn ebenfalls wieder weggeschickt und beim dritten Mal sei er "einfach" weggelaufen, man habe vergessen, die Türe des Militärgefängnisses zu versperren. Auf Vorhalt, daß in einem Militärgefängnis mehr als nur eine Türe wäre, gab er an, er sei draußen über den Zaun gesprungen. Viele seien auf diese Art geflüchtet.
Ihm wurde darauf vorgehalten, "daß weder den Berichten des Ludwig Boltzmann Institutes noch dem UNHCR-Bericht vom Oktober 1995 derartige Vorkommnisse zu entnehmen seien, sondern daß vielmehr davon auszugehen sei, daß die Polizei rigoros gegen religiös motivierte Verbrechen vorginge," worauf der Beschwerdeführer antwortete, in seinem Dorf passiere "so etwas einfach". Auf weiteren Vorhalt, daß die Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur anglikanischen Kirche solche Riten ausschließe, antwortete er, die Kirche mache nichts dagegen. Seine Gründe für die Flucht seien der religiöse Grund und die von ihm erwähnte Haft im Militärgefängnis. Wäre er nicht geflüchtet, hätte ihn das Militär getötet.
Die Behörde erster Instanz versagte dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit mit folgender Begründung:
"Ihrem Vorbringen zum Fluchtgrund konnte kein Glauben geschenkt werden. Aus dem erwähnten UNHCR Bericht (Anm:
Background Paper on Refugees and Asylum Seekers from Nigeria vom Oktober 1995) sind keinerlei "Verfolgungen" aufgrund irgendwelcher religiöser Riten zu entnehmen. Vielmehr ist davon auszugehen, daß die Polizei rigoros derartige Verbrechen bekämpfen würde. Wenn Ihnen also tatsächlich die Gefahr gedroht hätte, Opfer eines religiös motivierten Verbrechens zu werden, hätten Sie sich sicherlich unter den Schutz der Exekutive Ihres Heimatlandes stellen können. Demzufolge wären Sie - wenn schon vielleicht nicht in unmittelbarer Nähe des Ortes des beabsichtigten Verbrechens - dann doch zumindest in anderen Teilen Ihres Heimatlandes vor dieser "Verfolgung" sicher gewesen. Die Verfolgung muß entweder von staatlichen Stellen des Heimatlandes des Asylwerbers ausgehen oder der betreffende Staat muß nicht in der Lage oder nicht gewillt sein, die von anderen Stellen ausgehenden Verfolgungen hintanzuhalten (VwGH 8.3.1989, 88/01/0160). Die Verfolgung (bzw. die Furcht davor) muß an sich im gesamten Gebiet des Heimatstaates des Asylwerbers bestanden haben (VwGH 8.10.1980, 3275/79SlgNF10.255A).
Ihren weiteren Fluchtgrund, der aber gar nicht fluchtauslösend gewesen sein soll, obwohl Ihnen auch seitens der Militärs dann angeblich die Ermordung gedroht haben soll, stellten Sie völlig unlogisch dar. Es widerspricht jeglicher Glaubwürdigkeit, daß Sie von der Polizei - einer Einheit, die in Nigeria als regierungstreu gilt, zumal die Polizei nur aus Freiwilligen besteht - verhaftet worden sein sollen, da Sie sich geweigert hätten, zu schreiben, daß Abiola Präsident werden solle. Unglaubwürdig wird dieser Teil Ihrer Schilderung auch durch Ihre wenig fundierte Aussage über die Verhaftungen selbst und vor allem durch Ihr angebliches "Weglaufen aus einem Militärgefängnis". Es widerspricht jeglichen Erkenntnissen, daß die gefürchteten Militärgefängnisse in Nigeria einfach die Möglichkeit zum Weglaufen bieten könnten.
Gänzlich unglaubwürdig wird Ihre Aussage zum Fluchtgrund dann durch den Widerspruch, daß Sie einerseits im März 1996 aus dem Gefängnis geflüchtet sein wollen und daß Sie andererseits im Juni 1996 Anzeige bei der Polizei erstattet hätten, da man Sie zu ermorden beabsichtigte."
Die dagegen erhobene Berufung hat folgenden Wortlaut:
"Entgegen der Ansicht der bescheiderlassenden Behörde erfülle ich die Voraussetzungen für die Asylgewährung, da mir in meinem Heimatland Verfolgung gemäß der Genfer Flüchtlingskonvention droht.
Ich habe aus wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung mein Heimatland verlassen und halte meine anläßlich der Ersteinvernahme gemachten Aussagen vollinhaltlich aufrecht."
Mit dem Bescheid vom 19. Juni 1997 wies die belangte Behörde die Berufung ab. Sie erhob die vom Bundesasylamt in dessen Bescheid wiedergegebenen Angaben des Beschwerdeführers anläßlich seiner niederschriftlichen Vernehmung zum Inhalt des angefochtenen Bescheides. Nach Wiedergabe des Inhaltes der Berufung und allgemeinen rechtlichen Ausführungen führte die belangte Behörde aus, es liege keiner der Gründe des § 20 Abs. 2 Asylgesetz 1991 für die Anordnung der Ergänzung oder Wiederholung des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz vor. Sie legte daher gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 ihrem Bescheid das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz zugrunde.
Die belangte Behörde schließe sich vollinhaltlich den Ausführungen in der Begründung des Bescheides der Behörde erster Instanz betreffend die Frage der Flüchtlingseigenschaft des Beschwerdeführers an und erhebe sie zum Inhalt des angefochtenen Bescheides.
Dem Beschwerdeführer komme die Flüchtlingseigenschaft nicht zu, er habe nicht Verfolgung aus den in § 1 Z. 1 Asylgesetz 1991 genannten Gründen zu gewärtigen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die belangte Behörde war dazu berechtigt, die oben bezeichneten Teile des erstinstanzlichen Bescheides zum Inhalt des angefochtenen Bescheides zu erheben, ohne sie wiederholen zu müssen (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 4. Oktober 1995, Zl. 95/01/0045).
Der Beschwerdeführer rügt, es sei weder im erstinstanzlichen noch im angefochtenen Bescheid zu ersehen, was der rechtlichen Beurteilung zugrundegelegt worden sei. Er verkennt, daß die belangte Behörde dem Beschwerdeführer die Glaubwürdigkeit versagt hat. Dies ist - entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers - im Bescheid erster Instanz ausdrücklich und völlig klar erfolgt. Ist aber das Vorbringen unglaubwürdig, so ist jedweder Sachverhaltsfeststellung, die einer rechtlichen Beurteilung zugrundezulegen wäre, der Boden entzogen.
Der Beschwerdeführer bringt des weiteren vor, er habe in seiner Berufung Beweisanträge gestellt, so die ergänzende Einvernahme, weil die Einvernahme in erster Instanz offenbar unzureichend gewesen sei. Dieses Vorbringen ist aktenwidrig. Der Beschwerdeführer hat in der Berufung weder einen Verfahrensmangel anläßlich der Aufnahme der erstinstanzlichen Niederschrift behauptet noch den genannten Beweisantrag gestellt.
Soweit der Beschwerdeführer der belangten Behörde vorwirft, sie sei der ihr aufgegebenen Ermittlungspflicht nicht nachgekommen, ist festzuhalten, daß der für den Umfang der Ermittlungspflicht maßgebliche § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 wohl bestimmt, daß die Asylbehörden in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen durch Fragestellung oder in anderer geeigneter Weise darauf hinzuwirken haben, daß die für die Entscheidung erheblichen Angaben über die zur Begründung des Asylantrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Bescheinigungsmittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Bescheinigungsmittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Asylantrages notwendig erscheinen. Erforderlichenfalls sind Bescheinigungsmittel auch von Amts wegen beizuschaffen. Diese Gesetzesstelle, die eine Konkretisierung der aus § 37 AVG in Verbindung mit § 39 Abs. 2 AVG hervorgehenden Verpflichtung der Verwaltungsbehörden, den für die Erledigung der Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt von Amts wegen vollständig zu ermitteln und festzustellen, darstellt, begründet aber keine über den Rahmen der angeführten Vorschriften hinausgehende Ermittlungspflicht. Nur im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohlbegründeter Furcht vor Verfolgung im Sinne der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde gemäß § 16 Abs. 1 Asylgesetz 1991 in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann aber keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. November 1992, Zlen. 92/01/0800-0803).
Aus der Niederschrift über die Einvernahme des Beschwerdeführers ist zu ersehen, daß die Behörde erster Instanz dem Beschwerdeführer neben der eingeräumten Möglichkeit, seine Fluchtgründe frei zu schildern, noch Zusatzfragen gestellt hat und bemüht war, Ungereimtheiten in den Angaben des Beschwerdeführers durch Vorhalte zu klären. Der behauptete Verfahrensmangel liegt somit nicht vor.
Da den Verwaltungsakten auch sonst eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht entnommen werden kann, war die belangte Behörde gemäß § 20 Abs. 1 Asylgesetz 1991 verpflichtet, ihrer Entscheidung das Ergebnis des Ermittlungsverfahrens erster Instanz zugrundezulegen.
Der Beschwerdeführer nahm in seiner Berufung nicht gegen die Wertung seiner Angaben als unglaubwürdig Stellung. Erst in der Beschwerde erstattet er ein hiegegen gerichtetes Vorbringen.
Daher unterliegt die diesbezügliche neue Sachverhaltsdarstellung in der Beschwerde dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof gemäß § 41 Abs. 1 VwGG geltenden Neuerungsverbot.
Insoweit sich der Beschwerdeführer mit zulässigen Argumenten gegen die von der belangten Behörde vorgenommene Beweiswürdigung wendet, ist ihm entgegenzuhalten, daß die Beweiswürdigung ein Denkprozeß ist, der nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich ist, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges handelt bzw. darum, ob der Sachverhalt, der in diesem Denkvorgang gewürdigt wurde, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden ist. Die Schlüssigkeit der Erwägungen innerhalb der Beweiswürdigung unterliegt der Kontrollbefugnis des Verwaltungsgerichtshofes, nicht aber deren konkrete Richtigkeit (vgl. dazu die in Dolp, Die Verwaltungsgerichtsbarkeit3, S. 549 ff, abgedruckte hg. Judikatur). Die - dem Neuerungsverbot nicht unterliegenden - Beschwerdeausführungen, welche sich überdies nur gegen die Annahme der Unglaubwürdigkeit der Angaben des Beschwerdeführers über den Stammesritus richten, lassen aber Zweifel an der Schlüssigkeit der von der belangten Behörde detailliert dargelegten Erwägungen zur Beweiswürdigung nicht aufkommen.
Darüber hinaus hat die belangte Behörde aber auch für den Fall, daß den Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich des Stammesritus Glauben zu schenken wäre, in rechtlicher Hinsicht ausgeführt, daß sich der Beschwerdeführer unter den Schutz der Exekutive seines Heimatlandes stellen hätte können bzw., daß er in anderen Landesteilen vor der religiös motivierten Tötung sicher gewesen wäre. Diesen Annahmen der Behörde erster Instanz, welche ebenfalls von der belangten Behörde übernommen wurde, ist der Beschwerdeführer weder im Verwaltungsverfahren noch in der Beschwerde entgegengetreten. Es ist daher der belangten Behörde zu folgen, daß nicht hervorgekommen ist, daß die behauptete "Verfolgung" aufgrund des Stammesritus vom Heimatstaat des Beschwerdeführers geduldet würde oder dieser im gesamten Staatsgebiet nicht in der Lage oder nicht gewillt sei, die von anderen als staatlichen Stellen ausgehenden Verfolgungen hintanzuhalten.
Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Sachverhalt BeweiswürdigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997010751.X00Im RIS seit
20.11.2000