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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AlVG 1977 §33;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des O, vertreten durch Dr. Manfred Leimer, Rechtsanwalt in Linz, Landstraße 38, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 8. Juli 1997, Zl. Gem(Stb)-401268/5-1997/Pr/Ha, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.800,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 8. Juli 1997 wurden der Antrag des Beschwerdeführers - eines türkischen Staatsangehörigen - vom 28. November 1994 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft und die Anträge auf Erstreckung der Verleihung der Staatsbürgerschaft auf die Gattin und die Kinder des Beschwerdeführers gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 und 7 iVm §§ 16, 17 und 18 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), abgewiesen.
Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, daß der am 15. Mai 1968 geborene Beschwerdeführer seit Oktober 1977 seinen Hauptwohnsitz in Österreich habe. Er sei am 25. Oktober 1994 wegen des Vergehens der Sprengung einer Versammlung gemäß § 284 StGB vom Landesgericht Linz zu einer bedingten Geldstrafe in der Höhe von 150 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Am 22. Mai 1996 sei er vom Bezirksgericht Linz wegen des Vergehens der (vorsätzlichen) Körperverletzung gemäß § 83 Abs. 1 StGB zu einer (unbedingten) Geldstrafe von
50 Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden. Als weiterer "negativer Verfahrenspunkt" sei die Arbeitslosigkeit des Beschwerdeführers seit 17. Februar 1997 und der Bezug von Arbeitslosengeld und Notstandshilfe in der Höhe von derzeit S 381,50 täglich festzustellen.
Angesichts der beiden Verurteilungen sei davon auszugehen, daß dem Beschwerdeführer die "erwartbare Beachtung der zum Schutz der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit erlassenen gesetzlichen Vorschriften noch kein besonderes Anliegen" sei. Durch "den Wiederholungsfall" sei der Schluß zulässig, daß der Beschwerdeführer nicht in der Lage sei, zum Schutz des Gemeinwesens erlassene Vorschriften zu beachten. Es könne daher nicht ausgeschlossen werden, daß sein künftiges Verhalten keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle.
Zur Frage der Erfüllung der Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 7 StbG enthält der Bescheid folgende Ausführungen:
"Schließlich ist als weitere entscheidungsrelevante Verleihungsvoraussetzung im Sinne von § 10 Abs. 1 Z. 7 Staatsbürgerschaftsgesetz 1985 zu beachten, daß der Lebensunterhalt des Antragstellers hinreichend gesichert ist. Eine Ausnahme bildet nur die unverschuldete finanzielle Notlage. An der Nichterfüllung dieser Verleihungsvoraussetzungen vermag auch das geregelte Einkommen der Gattin des Erstantragstellers als kaufmännische Hilfskraft nichts zu ändern, da durch die wiederholt gegebene Arbeitslosigkeit und Inanspruchnahme von staatlichen Unterstützungsgeldern eine erwartbare Arbeitswilligkeit des Erstantragstellers im Sinne der zitierten Gesetzesstelle nicht anzunehmen ist. Die engagierte Einbindung in den Arbeitsprozeß ist aber wesentliche Voraussetzung für den Erwerb der Staatsbürgerschaft."
Über die gegen diesen Bescheid gerichtete Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG darf die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet.
Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dabei vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern ist es lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Lebens, die Gesundheit, die Sicherheit oder die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Rechtsvorschriften mißachten. Aus der Art, der Schwere und der Häufigkeit solcher Verstöße kommt die - allenfalls - negative Einstellung des Betreffenden gegenüber den zur Hintanhaltung solcher Gefahren erlassenen Gesetzen deutlich zum Ausdruck (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 11. November 1997, Zl. 96/01/1047).
Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers darf auch das einer Verurteilung, die der Beschränkung der Auskunft gemäß § 6 Tilgungsgesetz unterliegt, zugrundeliegende Fehlverhalten bei der Beurteilung des Vorliegens der Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG berücksichtigt werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1997, Zl. 96/01/0967).
Der vorliegende Bescheid enthält zur Beurteilung der nach den obigen Ausführungen gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG maßgeblichen Kriterien jedoch keine ausreichenden Feststellungen. Die belangte Behörde hat lediglich die Tatsache der gerichtlichen Verurteilungen festgestellt und dazu ohne nähere, auf das konkrete Verhalten des Beschwerdeführers eingehende Begründung die Ansicht vertreten, der Beschwerdeführer biete keine Gewähr, keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit zu bilden. Für die Beurteilung des Gesamtverhaltens und die auf dieser Grundlage zu erstellende Prognose über das künftige Verhalten des Beschwerdeführers, der sich seit 20 Jahren in Österreich aufhält, erforderliche Feststellungen über die Art und Schwere der den gerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten fehlen zur Gänze.
Zu der von der belangten Behörde in der Gegenschrift vertretenen Ansicht, die Heranziehung der den gerichtlichen Verurteilungen zugrundeliegenden Straftaten stelle einen Eingriff in die Zuständigkeit der Gerichte dar, sei ausgeführt, daß die Staatsbürgerschaftsbehörde das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG eigenständig nach staatsbürgerschaftsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen hat, ohne hiebei an die gerichtlichen Verurteilungen gebunden zu sein.
Soweit die belangte Behörde das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG verneinte, belastete sie daher ihren Bescheid mit einem Verfahrensmangel.
Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 7 StbG darf die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn sein Lebensunterhalt hinreichend gesichert ist oder er sich ohne sein Verschulden in einer finanziellen Notlage befindet.
Dazu vertrat die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid erkennbar die Ansicht, daß der Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe den Tatbestand der Sicherung des Lebensunterhaltes nicht erfüllen könne. In der Gegenschrift berief sie sich dazu auf das hg. Erkenntnis vom 25. April 1972, Zl. 312/71. In diesem Erkenntnis vertrat der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, daß eine Fürsorgerente, welche gemäß § 5 der Reichsgrundsätze über Voraussetzung, Art und Maß der öffentlichen Fürsorge vom 1. August 1931, DRGBl. I S 439, nur Personen gewährt werden konnte, die sich selbst den notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln beschaffen können und ihn auch nicht von anderer Seite, insbesondere von Angehörigen, erhalten, keine Sicherung des Lebensunterhaltes im Sinne des § 10 Abs. 1 Z. 7 Staatsbürgerschaftsgesetz 1965 (gleichlautend mit der nunmehr in Geltung stehenden Bestimmung) darstelle.
Voraussetzung für den Anspruch auf Arbeitslosengeld ist gemäß § 7 Abs. 1 Z. 2 iVm § 14 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) u.a. die Ausübung einer arbeitslosenversicherungspflichtigen Beschäftigung während einer bestimmten Anwartschaftszeit. Gemäß § 33 AlVG besteht ein Anspruch auf Notstandshilfe u.a. nur dann, wenn zuvor ein Anspruch auf Arbeitslosengeld (oder Karenzurlaubsgeld) bestanden hat. Sowohl beim Arbeitslosengeld als auch bei der Notstandshilfe handelt es sich somit um Leistungen, die die Zahlung von Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung voraussetzen. Anders als bei der Gewährung einer Fürsorgerente (Sozialhilfe) knüpft die Gewährung der genannten Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung somit nicht (ausschließlich) an die Bedürftigkeit der anspruchsberechtigten Person, sondern an deren eigene Leistungen an. Nach der Judikatur des EGMR ist das Recht auf Notstandshilfe ein vermögenswertes Recht im Sinne des Art. 1 erstes Zusatzprotokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention (Urteil vom 16. September 1996, Nr. 39/1995/545/631 im Fall Gaygusuz gegen Österreich, ÖJZ 1996, S. 955 f).
Da es sich somit beim Arbeitslosengeld und bei der Notstandshilfe um Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung handelt, auf welche aufgrund eigener Leistungen ein Rechtsanspruch besteht, vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Ansicht, daß die Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 10 Abs. 1 Z. 7 StbG auch durch den Bezug dieser Leistungen gewährleistet sein kann. Insofern hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt.
Überdies hat die belangte Behörde, soweit sie das geregelte Einkommen der Gattin des Beschwerdeführers als kaufmännische Hilfskraft für die Sicherung des Unterhaltes als nicht ausreichend angesehen hat, weder die Einkommenshöhe (sowie die Höhe der allenfalls zustehenden Familienbeihilfe) festgestellt, noch dargelegt, welchen Maßstab sie der Beurteilung der Frage des Vorliegens eines gesicherten Lebensunterhaltes zugrundegelegt hat.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß jener Fremde, dessen Lebensunterhalt nicht hinreichend gesichert ist, sich in einer finanziellen Notlage befindet, hinsichtlich der die belangte Behörde von sich aus zu prüfen hat, ob sie der Fremde selbst verschuldet hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom 29. Jänner 1997, Zl. 95/01/0493).
Aufgrund der prävalierenden Rechtswidrigkeit seines Inhaltes war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich im Rahmen des gestellten Begehrens auf die §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1997010898.X00Im RIS seit
18.10.2001