TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/11 97/01/0433

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Veröffentlicht am 11.03.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
41/02 Staatsbürgerschaft;

Norm

AufG 1992 §5 Abs1;
AVG §60;
AVG §68 Abs1;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;
StbG 1985 §10 Abs1 Z6;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Dorner und die Hofräte Dr. Bachler, Dr. Rigler, Dr. Schick und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Ferchenbauer, über die Beschwerde des N, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in Linz, Mozartstraße 11, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 25. Februar 1997, Zl. Gem(Stb) - 35614/10 - 1997-Pr/Ha, betreffend Verleihung der Staatsbürgerschaft, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Oberösterreich hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von 12.770,-- S binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Bescheid vom 25. Februar 1997 hat die Oberösterreichische Landesregierung den Antrag des Beschwerdeführers - eines jugoslawischen Staatsangehörigen - vom 9. Mai 1994 auf Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 des Staatsbürgerschaftsgesetzes 1985, BGBl. Nr. 311 (StbG), abgewiesen.

Begründend führte sie aus, daß der Beschwerdeführer seit 5. Jänner 1990 seinen Hauptwohnsitz in Österreich habe und daß er seit 7. August 1993 mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet sei. Am 14. August 1992 sei er vom Landesgericht Steyr wegen § 83 Abs. 2 StGB (Körperverletzung) zu einer Geldstrafe im Ausmaß von 100 Tagessätzen verurteilt worden. Am 9. Februar 1993 sei es zu einer neuerlichen Verurteilung (wiederum durch das Landesgericht Steyr) gekommen, und zwar wegen § 84 Abs. 1 StGB (schwere Körperverletzung), wobei eine viermonatige Freiheitsstrafe, bedingt nachgesehen für eine Probezeit von drei Jahren, sowie eine Geldstrafe im Ausmaß von 200 Tagessätzen zu je S 30,-- verhängt worden seien. Beide Verurteilungen seien noch nicht getilgt. Angesichts dieser beiden rechtskräftigen Vorstrafen sei davon auszugehen, daß die "erwartbare Beachtung der zum Schutze der bürgerlichen Integrität erlassenen gesetzlichen Vorschriften dem Antragsteller noch kein besonderes Anliegen" sei und daß daher nicht ausgeschlossen werden könne, daß sein Verhalten keine (gemeint: eine) Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle bzw. darstellen werde.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde als unbegründet beantragt.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 11a StbG ist einem Fremden unter den Voraussetzungen des § 10 Abs. 1 Z. 2 bis 8 und Abs. 2 leg. cit. die Staatsbürgerschaft zu verleihen, wenn

1.

sein Ehegatte Staatsbürger ist,

2.

die Ehe weder von Tisch und Bett noch sonst ohne Auflösung des Ehebandes gerichtlich geschieden ist,

3.

er nicht infolge der Entziehung der Staatsbürgerschaft nach § 33 Fremder ist und

4. a)

die Ehe seit mindestens einem Jahr aufrecht ist und er seinen Hauptwohnsitz seit mindestens vier Jahren ununterbrochen im Gebiet der Republik hat oder bei einer Ehedauer von mindestens zwei Jahren ein solcher Wohnsitz seit mindestens drei Jahren besteht oder

b)

die Ehe seit mindestens fünf Jahren aufrecht und sein Ehegatte seit mindestens zehn Jahren ununterbrochen Staatsbürger ist.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG darf die österreichische Staatsbürgerschaft einem Fremden nur verliehen werden, wenn er nach seinem bisherigen Verhalten Gewähr dafür bietet, daß er zur Republik Österreich bejahend eingestellt ist und keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit bildet.

Die belangte Behörde ging erkennbar davon aus, daß der Beschwerdeführer die Voraussetzungen der Z. 1 bis 4 des § 11a StbG erfülle, vertrat jedoch die Ansicht, daß das Einbürgerungshindernis nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG gegeben sei.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der nach der letztgenannten Bestimmung vorzunehmenden Beurteilung der Voraussetzungen für die Verleihung der Staatsbürgerschaft vom Gesamtverhalten des Einbürgerungswerbers, welches wesentlich durch das sich aus der Art, Schwere und Häufigkeit der von ihm begangenen Straftaten ergebende Charakterbild bestimmt wird, auszugehen. Hiebei stellt der Gesetzgeber nicht auf formelle Gesichtspunkte ab, sondern ist es lediglich maßgebend, ob es sich um Rechtsbrüche handelt, die den Schluß rechtfertigen, der Betreffende werde auch in Zukunft wesentliche, zum Schutz vor Gefahren für das Leben, die Gesundheit, die Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung erlassene Vorschriften mißachten (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 28. Jänner 1998, Zl. 96/01/0985).

Der Beschwerdeführer vermeint, die belangte Behörde habe diesen Grundsätzen zuwider rein formal nur auf seine zwei noch nicht getilgten Vorstrafen abgestellt. Damit ist er im Ergebnis im Recht. Wohl hat die belangte Behörde diese Vorstrafen gemäß der Begründung des angefochtenen Bescheides nicht schon alleine kraft ihrer Existenz als Verleihungshindernis gewertet; indem sie formulierte, angesichts der beiden rechtskräftigen Vorstrafen sei davon auszugehen, daß die "erwartbare Beachtung der zum Schutze der bürgerlichen Integrität erlassenen gesetzlichen Vorschriften dem Antragsteller noch kein besonderes Anliegen" sei und daß daher nicht ausgeschlossen werden könne, daß sein Verhalten keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle bzw. darstellen werde, wird der bekämpften Entscheidung jedoch nur scheinbar eine tragfähige Prognose des künftigen Verhaltens des Beschwerdeführers - wie nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG erforderlich - zugrunde gelegt. Die behördliche "Prognose" fußt nämlich ausschließlich auf dem Faktum, daß der Beschwerdeführer zweimal vorbestraft ist, was letztlich einer rein formalen Betrachtungsweise gleichkommt. Wie sich aus der obigen Darstellung ergibt, bedarf es unter dem Blickwinkel des § 10 Abs. 1 Z. 6 StGB jedoch einer materiellen Prüfung der Persönlichkeit des Einbürgerungswerbers (vgl. hg. Erkenntnis vom 18. September 1991, Zl. 91/01/0048). Eine solche Prüfung gebietet einen Rückgriff auf die den rechtskräftigen Verurteilungen zugrunde liegenden Taten, weil nur so ein Rückschluß auf das Charakterbild des Staatsbürgerschaftswerbers möglich ist. Im einzelnen heißt das, daß die Behörde die maßgeblichen Tathandlungen (das können bei einer Verurteilung durchaus mehrere sein), die näheren Umstände und den Zeitpunkt der Tatbegehung zu ermitteln hat.

Es sei zugestanden, daß im vorliegenden Fall - nach den im Verwaltungsakt erliegenden Strafregisterauszügen wurde der Beschwerdeführer in beiden Fällen wegen schwerer vorsätzlicher Körperverletzung verurteilt - der Schluß nahe liegt, Art und Schwere der (von der Behörde nicht näher festgestellten) Tathandlungen werden eine im Sinne des Beschwerdeführers negative Prognose nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG erbringen. Mit Gewißheit läßt sich das freilich nicht vorhersagen, weil auch bei schwerer Körperverletzung Umstände denkbar sind, die ausnahmsweise zu einem für den Einbürgerungswerber günstigen Ergebnis führen könnten. In Frage kämen etwa Rechtfertigungs- oder Schuldausschließungsgründen nahe kommende Sachverhaltsvarianten oder - allgemein formuliert - Fallkonstellationen, die das zur Bestrafung führende Fehlverhalten nicht als Ausfluß einer spezifischen Persönlichkeitsstruktur erscheinen lassen. Auch die zeitliche Komponente ist in die Überlegungen miteinzubeziehen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 3. September 1997, Zl. 97/01/0123).

Wie schon erwähnt, hat sich die belangte Behörde im vorliegenden Fall bei ihrem Kalkül nur auf die beiden rechtskräftigen Verurteilungen gestützt; die erforderlichen Feststellungen zu den zugrundeliegenden Taten fehlen dagegen zur Gänze. Damit ist dem Verwaltungsgerichtshof die Möglichkeit genommen, die von der belangten Behörde vertretene Ansicht, es sei nicht ausreichend Gewähr dafür geboten, daß der Beschwerdeführer keine Gefahr für die öffentliche Ruhe, Ordnung und Sicherheit darstelle, einer Überprüfung zu unterziehen. Dem bekämpften Bescheid haftet mithin ein wesentlicher Verfahrensmangel an (vgl. das hg. Erkenntnis vom 11. November 1997, Zl. 96/01/1047).

Im Hinblick auf den ergänzenden Hinweis des Beschwerdeführers, er sei im Besitze eines Fremdenpasses, sei noch hinzugefügt, daß die Staatsbürgerschaftsbehörde das Vorliegen der Verleihungsvoraussetzung nach § 10 Abs. 1 Z. 6 StbG eigenständig nach staatsbürgerschaftsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen hat, ohne hiebei an Entscheidungen der Fremdenbehörden gebunden zu sein.

Aufgrund des aufgezeigten Verfahrensmangels war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Schlagworte

Individuelle Normen und Parteienrechte Bindung der Verwaltungsbehörden an gerichtliche Entscheidungen VwRallg9/4 Rechtskraft Umfang der Rechtskraftwirkung Allgemein Bindung der Behörde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997010433.X00

Im RIS seit

11.07.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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