TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/11 B50/96

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Veröffentlicht am 11.06.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5 Abs1

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Versagung einer Aufenthaltsbewilligung wegen nicht gesicherten Lebensunterhaltes infolge Unterlassung der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Der Bescheid wird aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines bevollmächtigten Vertreters die mit 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Der Beschwerdeführer, ein seit seinem vierten Lebensjahr (1972) mit seiner Familie in Österreich lebender jugoslawischer Staatsangehöriger, beantragte am 11. August 1995 die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Dieser Antrag wurde mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 15. November 1995 unter Berufung auf §5 Abs1 AufG mit der Begründung abgewiesen, der Lebensunterhalt des Antragstellers sei, da er derzeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehe und auch kein Arbeitslosengeld beziehe, nicht gesichert; auch mache es gerade die Notwendigkeit, in einem ohnedies sensiblen Bereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, erforderlich, strengere Maßstäbe an die Beurteilung der gesicherten Unterhaltsmittel von Zuwanderern anzulegen; bei einer Interessenabwägung im Sinne des Art8 Abs2 EMRK überwögen im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen die öffentlichen Interessen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die auf Art144 Abs1 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens (Art8 EMRK) geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.

Der belangte Bundesminister für Inneres hat die Verwaltungsakten vorgelegt und die Abweisung der Beschwerde begehrt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der angefochtene Bescheid greift in das dem Beschwerdeführer gemäß Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens ein.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes ist ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich garantierte - und unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht oder wenn die Behörde bei Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete; ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis VfGH 16.3.1995, B2259/94, mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei Anwendung der in §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung (weil etwa eine Familienzusammenführung verhindert wird), in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

2. Im vorliegenden Fall eines seit seinem vierten Lebensjahr mit Eltern und Geschwistern in Österreich lebenden Fremden, der über einen bis 4. Feber 1998 gültigen Befreiungsschein verfügt, hat die belangte Behörde das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG - ohne auf die private Interessenlage des Beschwerdeführers näher einzugehen - ausschließlich mit der aktuellen beruflichen und finanziellen Situation des Antragstellers, nämlich seiner derzeitigen Beschäftigungslosigkeit bei gleichzeitigem Fehlen von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung, sowie der Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung einer weiteren Zuwanderung von Fremden begründet. Damit hat sie die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung in Wahrheit nicht vorgenommen.

Der angefochtene Bescheid war aus diesem Grund aufzuheben.

III.        Die Kostenentscheidung

gründet sich auf §88 VerfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer von 3.000 S enthalten.

IV.                                 Diese Entscheidung konnte

gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B50.1996

Dokumentnummer

JFT_10039389_96B00050_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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