TE Bvwg Erkenntnis 2019/3/18 W279 2199587-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 18.03.2019
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Entscheidungsdatum

18.03.2019

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art. 133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
FPG §55 Abs4

Spruch

W279 2199586-1/8E

W279 2199587-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX 1948, StA. Ukraine, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .05.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2, und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2. Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. KOREN als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX .1947, StA. Ukraine, vertreten durch die ARGE Rechtsberatung, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX .05.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 3 Abs. 1, § 8 Abs. 1, § 57, § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 9 BFA-VG sowie § 52 Abs. 2 Z 2, und Abs. 9, § 46 und § 55 FPG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:

I. Verfahrensgang:

1. Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige der Ukraine russischer Volksgruppenzugehörigkeit und ein Ehepaar. Am

XXXX .06.2014 stellten die beschwerdeführenden Parteien die diesem Verfahren zugrundeliegenden Anträge auf internationalen Schutz, nachdem sie zuvor gemeinsam mittels gültiger Visa in das Bundesgebiet gelangt waren.

Am selben Tag wurde die beschwerdeführende Parteien vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes niederschriftlich erstbefragt. Dabei gaben sie im Wesentlichen an, aus Luhansk zu stammen und in Österreich einen familiären Anknüpfungspunkt in Form einer Tochter zu haben, die sich bereits seit sechs Jahren im Bundesgebiet befinde und mit einem Österreicher verheiratet sei. Am XXXX . Mai 2014 hätten sich die beschwerdeführenden Parteien auf dem Luftweg legal mittels gültigen Reisepässen und Visa nach Österreich begeben. Die Visa seien ihnen von der österreichischen Botschaft in Kiew ausgestellt worden und seien vom XXXX .04.2014 bis zum XXXX 03.2017 gültig. Zum Fluchtgrund befragt, erklärten die beschwerdeführenden Parteien, dass im Gebiet Lugansk sowie Donezk Bürgerkrieg herrsche und russische Separatisten ins Land kommen würden, um gegen Ukrainer zu kämpfen. Da die Lage nunmehr sehr gefährlich sei, hätten die beschwerdeführenden Parteien das Land verlassen.

Am XXXX .08.2017 wurden die beschwerdeführenden Parteien im Beisein einer geeigneten Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu ihrem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Erstbeschwerdeführer gab dabei an, dass er und seine Frau nicht mehr bei der gemeinsamen Tochter wohnen würden, da seine Ehefrau krank geworden sei. Seine Tochter sei verheiratet, habe einen Sohn und suche derzeit um die österreichische Staatsbürgerschaft an. Im Herkunftsstaat wohne nach wie vor die Schwester des Erstbeschwerdeführers und er stehe in regelmäßigem Kontakt zu dieser.

Zu seinen Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, brachte der Erstbeschwerdeführer vor, dass er 11 Jahre die Grund- und Mittelschule besucht und anschließend nach fünf Jahren das Maschinenbau- Studium als Diplomingenieur abgeschlossen habe. In weiterer Folge habe er in zwei Betrieben in Luhansk gearbeitet und sei seit 2009 in Pension. Er und seine Frau hätten seit ihrer Ausreise wie die verbliebene Bevölkerung in Luhansk keine Pension mehr erhalten.

Zu seinen Lebensumständen in Österreich befragt, erklärte der Erstbeschwerdeführer, dass sie mit dem Zug nach Kiew und am XXXX .05.2014 legal mittels gültiger Visa nach Wien geflogen seien. Sie hätten aufgrund der Erkrankung seiner Ehefrau viele Arzttermine und würden so viel Zeit wie möglich mit dem Enkelsohn verbringen. Der Erstbeschwerdeführer habe selbstständig Deutsch gelernt und sich für einen Deutschkurs angemeldet. Zu Beginn seien die beschwerdeführenden Parteien von ihrer Tochter unterstützt worden, seit 2015 würden sie jedoch von der Grundversorgung leben und seien keine Mitglieder in einem Verein oder einer Organisation. Zu seinem Gesundheitszustand befragt, führte der Erstbeschwerdeführer aus, dass er unter Bluthochdruck leide und Wirbelsäulenprobleme habe. Zudem habe er Diabetes und müsse fünf verschiedene Medikamente einnehmen. Seiner Ehefrau gehe es gesundheitlich schlecht, da sie eine Vorstufe von Leberkrebs habe, viele Medikamente einnehme und oft ins Krankenhaus müsse.

Zum Fluchtgrund befragt, gab der Erstbeschwerdeführer zu Protokoll, dass sie aufgrund eines Bürgerkrieges nach Österreich gekommen seien und sich die Lage aufgrund zunehmender Kriegsgeschehnisse noch dramatisch verschlechtert habe. Es seien zahlreiche Menschen ums Leben gekommen und es habe für die beschwerdeführenden Parteien Lebensgefahr bestanden. Nach Kontaktierung seiner Schwester sei dem Erstbeschwerdeführer bewusst gewesen, dass kein Ende des Bürgerkrieges in Sicht sei. Die Frage, ob er in der Ukraine persönlich bedroht worden sei, wurde von ihm verneint. Befragt, wie die Situation in Lugansk nunmehr aussehe, entgegnete der Erstbeschwerdeführer, dass die Lage nach wie vor angespannt sei und für die beschwerdeführenden Parteien keine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe, da sie im übrigen Teil der Ukraine keine sozialen oder familiären Anknüpfungspunkte hätten und die Ablehnung gegenüber Russischstämmigen zugenommen habe. Ukrainisch und Russisch sei zwar ähnlich, der Erstbeschwerdeführer habe Ukrainisch jedoch nicht in der Schule gelernt. Bei einer Rückkehr in die Ukraine hätten die beschwerdeführenden Parteien Angst um ihr Leben, da das Leben in ihrer Heimatprovinz äußerst gefährlich sei.

Die Zweitbeschwerdeführerin gab im Zuge ihrer Einvernahme zu Protokoll, dass sie der ukrainischen Volksgruppe angehöre und christlich-orthodox sei. Sie habe im österreichischen Bundesgebiet familiäre Anknüpfungspunkte in Form ihrer Tochter und ihres Enkelsohnes. In ihrer Heimatprovinz Luhansk seien nach wie vor ihr Bruder und seine Ehefrau wohnhaft, sie hätten einmal in zwei Monaten Kontakt. Weitere Verwandte in der Ukraine habe sie nicht.

Zu ihren Lebensumständen im Herkunftsstaat befragt, erklärte die Zweitbeschwerdeführerin, dass sie 11 Jahre die Grund-und Mittelschule besucht habe und anschließend fünf Jahre am Institut für leichte Industrie studiert und mit dem Titel Diplomingeneurin abgeschlossen habe. Anschließend habe sie acht Jahre lang als Vortragende für Textilerzeuger gearbeitet und acht weitere Jahre für die Kleinindustrie. Nach einer Tätigkeit als Lehrkraft für Schneiderei sei sie in Pension gegangen.

Zu ihren Lebensumständen in Österreich befragt, gab die Zweitbeschwerdeführerin an, dass sie am XXXX .05.2014 nach Kiew gereist und sich anschließend legal mittels Visum ins Bundesgebiet begeben habe. In Österreich unternehme die Zweitbeschwerdeführerin viel mit ihrem Enkelsohn und lerne selbstständig Deutsch. Sie sei kein Mitglied in einem Verein oder einer Organisation und ihre Fluchtgründe würden sich von jenen ihres Ehegatten ableiten. Bei einer Rückkehr in die Ukraine habe sie Angst um ihr Leben, da es keine Spezialisten für ihre Krankheit und insgesamt kaum medizinische Versorgung gebe. Der Weg in andere Regionen sehr beschwerlich und daher kaum zumutbar.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden vom Erstbeschwerdeführer folgende medizinischen Unterlagen in Vorlage gebracht:

-ein Befundbericht eines Facharztes für Orthopädie vom XXXX .2016 mit dem Ergebnis multisegmentale Discopathie (Bandscheibenschaden) bzw. Osteochondrose (Verschleiß) an der Lendenwirbelsäule mit Retrospondylose und Spondylarthrose (Arthrose an kleinen Gelenken), größeres Hämangiom links (Blutschwämmchen), kleine mediane Protrusion (Veränderung im Bereich der Wirbelsäule)

-ein Laborbefund vom XXXX .2017 sowie eine ärztliche Bestätigung vom XXXX .2017, wonach der Erstbeschwerdeführer wegen Diabetes mellitus, Lumbago (Hexenschuss), Depression, Cervikalsyndrom (Beschwerden der Halswirbelsäule aufgrund degenarativen Veränderungen), Hypertonie (Bluthochdruck) sowie Spinalkanalstenose (Verschleiß der Wirbelsäule) in Behandlung sei. Eine medikamentöse Therapie wurde angeordnet.

-ein Befund vom XXXX .2015 eines Diagnosezentrums mit dem Ergebnis "oberflächlicher Kalkplaques", ein Befund eines Diagnosezentrums vom XXXX .2015 mit dem Ergebnis geringfügige lumbale Spondylose (krankhafte Veränderung an den Wirbelkörpern und Bandscheiben), Zeichen der degenerativen Discopathie (Bandscheibenschaden) und begleitenden Spondylarthrose, diskrete degenerative Retrolisthese (Wirbelgleiten), beidseitige incipiente Coxarthrosen (Hüftgelenksarthrose).

-ein Kurzbrief vom XXXX .2015, wonach die Notwendigkeit für laufende und kontinuierliche medizinische Behandlung wegen gravierender chronischer Erkrankungen bestätigt werde.

-eine Zuweisung zu einer Fachärztin wegen orthopädischer Beschwerden erbeten werde.

Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme wurden von der Zweitbeschwerdeführerin neben einem ukrainischen Reisepass, einer ukrainischen Geburtsurkunde, einem ukrainischen inländischen Pass, einem Diplom der Universität Kiew folgende medizinische Unterlagen zur Vorlage gebracht:

-ein Schreiben vom XXXX .2016, wonach die Zweitbeschwerdeführerin unter arterieller Hypertonie, Adipositas, subklinische Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse), Hepatitis B, Vitiligo (Weißfleckenkrankheit), Vitamin D- Mangel leide. Eine medikamentöse Therapie wurde angeordnet.

-ein Kurzbrief vom XXXX .2015, wonach die Notwendigkeit für laufende und kontinuierliche medizinische Behandlung wegen chronischer Erkrankungen bestätigt werde.

-ein Arztbrief vom XXXX .2016 mit den Diagnosen Cerberovaskuläre Insuffizienz (Störungen der Blutversorgung des Gehirns) unklarer Genese, unsystematischer Schwindel, im C-MRT sowie früher in C-CT deutliche Zeichen einer vaskulären Encephalopathie (krankhafte Gehirnveränderungen). Eine medikamentöse Therapie wurde empfohlen.

-radiologischer Befund eines Ambulatoriums, dass die Leber der Zweitbeschwerdeführerin minimal vergrößert sei, Ergebnis: Bild einer Leberzirrhose.

-Anweisung zur Medikamenteneinnahme einer Gruppenpraxis für Innere Medizin vom XXXX .2017.

-Arztbrief der Gruppenpraxis für Innere Medizin vom XXXX .2017 über eine Therapie mit zahlreichen Medikamenten.

-Arztbrief vom XXXX .2016 mit den Diagnosen Vertigo (Schwindel), minimale Aortainsuffizienz, Relaxationsstörung.

-Schreiben einer Fachärztin für Innere Medizin an den weiterbehandelnden Arzt vom XXXX .2016 mit den Diagnosen PBC (Autoimmunerkrankung der Leber), Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse), Hypertonie (Bluthochdruck), Schwindel leide. Eine medikamentöse Therapie wurde angeordnet.

-Arztbrief vom XXXX .2016 mit den Diagnosen Arterielle Hypertonie (Bluthochdruck), Vertigo (Schwindel), Carotisplaques (Verkalkung), minimale Aortinsuffizienz, Relaxationsstörung, Rosacea, PBC (Autoimmunerkrankung der Leber), Hypothyreose, Hypertonie. Eine medikamentöse Therapie wurde angeordnet.

-Arztbrief vom XXXX .2017 mit den Diagnosen Vertigo (Schwindel), Carotisplaques, minimale Aorteninsuffizienz. Eine medikamentöse Therapie wurde angeordnet.

-Arztbrief vom XXXX .2017 mit den Diagnosen PBC (Autoimmunerkrankung der Leber), Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse), Hypertonie (Bluthochdruck). Eine medikamentöse Therapie wurde angeordnet.

In einer Stellungnahme des bevollmächtigten Vertreters der beschwerdeführenden Parteien vom XXXX 09.2017, beim BFA am XXXX 09.2017 eingelangt, wurde ausgeführt, dass der Erstbeschwerdeführer ukrainische Staatsbürger mit russischer Abstammung sei und der ukrainischen Sprache nur eingeschränkt mächtig sei. Russischsprachige Personen seien im restlichen Gebiet der Ukraine seit Ausbruch des Konflikts extremen Anfeindungen ausgesetzt. Ein Verbleiben in der Ukraine sei den beschwerdeführenden Parteien daher nicht ohne der Gefahr von Diskriminierungen und kriminellen Verfolgungen möglich, eine innerstaatliche Fluchtalternative entfalle. Die beschwerdeführenden Parteien hätten mittlerweile ein hohes Alter erreicht. Die Zweitbeschwerdeführerin kämpfe schon lange gegen eine Lebererkrankung, deren sichere Behandlung in Luhansk aufgrund der schlechten medizinischen Betreuung aufgrund der Kriegssituation nicht gewährleistet werden könne. Um die notwendigen ärztlichen und medikamentösen Behandlungen zu erlangen, müsste die Zweitbeschwerdeführerin beschwerliche Grenzübertritte ins ukrainische Staatsgebiet auf sich nehmen. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes siehe sie sich jedoch nicht in der Lage, sich Wartezeiten und Schikanen auszusetzen. Zusammengefasst könne gesagt werden, dass das hohe Alter und der Gesundheitszustand der beschwerdeführenden Parteien zweifellos einen dauerhaften Verbleib in Luhansk nicht zulassen, da die Kämpfe andauern würden und die Führung eines sicheren Lebens nicht möglich sei. Eine innerstaatliche Fluchtalternative komme aufgrund der russischen Muttersprache nicht infrage, da sie kriegsbedingten Anfeindungen schutzlos ausgeliefert wären.

Das BFA veranlasste eine Recherche und aus einer eingeholten Anfragebeantwortung zur Verfügbarkeit medizinischer Behandlungen und Medikamente in der Ukraine vom 26.02.2018 geht hervor, dass in Kiew sämtliche Medikamente mit gleichem oder ähnlichem Wirkstoff grundsätzlich erhältlich seien und nur einzelne Abweichungen bestehen würden. Es sei in diesem Zusammenhang auch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sich aus der allgemeinen Verfügbarkeit von Medikation/medizinischen Behandlungen keinerlei Garantien zu deren tatsächlicher Zugänglichkeit im Einzelfall ableiten lassen würden. Der Antwort von MedCOI sei zu entnehmen, dass stationäre und ambulante (Folge-)behandlungen durch einen Internisten verfügbar seien. Ebenso seien stationäre und ambulante Behandlungen durch einen praktischen Arzt in öffentlichen und privaten Einrichtungen in Kiew verfügbar. Ebenso sei die stationäre und ambulante (Folge-)behandlung durch einen Neurologen in Kiew verfügbar. Ebenso seien Computertomographie, Magnetresonanztomographie und hochauflösende Röntgenuntersuchungen in privaten medizinischen Einrichtungen in Kiew verfügbar.

2. Mit den im Spruch angeführten Bescheiden vom XXXX .05.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Anträge der beschwerdeführenden Parteien auf internationalen Schutz vom XXXX .2014 bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I.) und die Anträge gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Ukraine abgewiesen (Spruchpunkte II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß §§ 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkte III.). Gemäß § 10 Absatz 1 Ziffer 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz, BGBl. I Nr. 87/2012 (BFA-VG) idgF, wurde gegen die beschwerdeführenden Parteien jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 Fremdenpolizeigesetz 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 (FPG) idgF, erlassen (Spruchpunkte IV.) und wurde gemäß § 52 Absatz 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Ukraine gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkte V.). Gemäß § 55 Absatz 1 a FPG bestehe keine Frist für die freiwillige Ausreise (Spruchpunkte VI.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über die Anträge auf internationalen Schutz werde gemäß § 18 Absatz 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt.

Beweiswürdigend wurde im Wesentlichen erwogen, dass die Identität der beschwerdeführenden Parteien feststehe, da sie einen Reisepass vorgelegt hätten. Die beschwerdeführenden Parteien seien am XXXX .2014 legal mit einem Visum in das österreichische Bundesgebiet eingereist. Der Zweck der Einreise sei der Besuch der Tochter und deren Familie gewesen, daher hätten sie erst drei Wochen später, am XXXX .2014 den Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Die beschwerdeführenden Parteien hätten nach Beginn des Bürgerkrieges die Möglichkeit gehabt, Luhansk zu verlassen und in eine andere Stadt in der Ukraine umzusiedeln. Die beschwerdeführenden Parteien hätten jedoch sofort den Weg in Richtung Europa eingeschlagen, obwohl sie keine Verfolgung oder Bedrohung in der Ukraine angegeben hätten, da der bewaffnete Konflikt in der Ukraine keine Asylrelevanz im Sinne der GFK entfalte. Bei einer Rückkehr in die Ukraine würden sie in einem anderen Teil der Ukraine leben können. Die Ukraine gelte seit dem 14.02.2018 als sicherer Herkunftsstaat. Bezüglich ihrer Stellungnahme vom XXXX .09.2017 in Hinblick auf ihre Fluchtgründe werde auch auf die prekäre Situation in der Ostukraine eingegangen. Dass der Erstbeschwerdeführer nur schlecht Ukrainisch spreche, stehe einer Rückkehr in die Ukraine nicht entgegen, da die Zweitbeschwerdeführerin ohne Probleme Ukrainisch spreche. Es spreche daher nichts gegen eine innerstaatliche Fluchtalternative, wie zum Beispiel in Kiew. Wie eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ergeben habe, könne die Zweitbeschwerdeführerin in Kiew behandelt werden und die notwendigen Medikamente würden zur Verfügung stehen. Der von den beschwerdeführenden Parteien angegebene Bürgerkrieg in der Ukraine betreffe nicht das ganze Staatsgebiet. Eine Rückkehr in einen Teil der Ukraine außerhalb von Luhansk und Donezk komme nicht in einen Nahebereich eines Verstoßes gegen Art. 2 und 3 EMRK. In Verbindung mit den aktuellen Länderfeststellungen sei davon auszugehen gewesen, dass die beschwerdeführenden Parteien selbst ohne familiäre oder soziale Anknüpfungspunkte in der Lage sein würden, selbstständig ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und nicht in eine aussichtslose Lage zu geraten. Es werde ihnen auch Rückkehrhilfe gewährt. Betreffend die Erkrankungen der beschwerdeführenden Parteien habe eine Anfragebeantwortung der Staatendokumentation ergeben, dass eine medizinische Behandlung durch Fachärzte in Kiew grundsätzlich möglich sei. Ebenso seien Medikamente, die die beschwerdeführenden Parteien benötigen würden, grundsätzlich verfügbar. Die beschwerdeführenden Parteien hätten in Österreich familiäre Anknüpfungspunkte in Form ihrer Tochter, ihres Schwiegersohnes und ihres Enkelsohnes. Sie würden nicht im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Tochter leben und diese sei bereits volljährig. Auch bei einer Rückkehr in die Ukraine könnten die beschwerdeführenden Parteien weiterhin die Familie ihrer Tochter besuchen. Es bestehe kein schützenswertes Familienleben im Sinne des Art. 8 EMRK. In Abwägung sei dem Interesse der Öffentlichkeit an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens und der öffentlichen Ordnung und Sicherheit mehr Gewicht einzuräumen als den bloß höchst oberflächlichen privaten Interessen der beschwerdeführenden Parteien. Daher sei die Rückkehrentscheidung nach § 9 Abs. 1-3 BFA-VG zulässig. Da ihnen ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde und die Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 1-3 BFA-VG zulässig sei, sei gemäß § 10 Abs. 1 AsylG und § 52 Abs. 2 Z 2 FPG eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

3. Mit für die beschwerdeführenden Parteien gleichlautendem Schriftsatz vom XXXX 06 .2018 wurde gegen oben angeführte Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde im Rahmen des Familienverfahrens eingebracht und ausgeführt, dass die Behörde gemäß § 18 Abs. 1 AsylG in allen Stadien des Verfahrens darauf hinzuwirken habe, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben vervollständigt oder ergänzt werden würden. Diesen Anforderungen habe die belangte Behörde nicht genügt und das Verfahren dadurch mit Mangelhaftigkeit belastet. Aus einem Bericht des USAID gehe hervor, dass die Bewegungsfreiheit in Donetsk und Lugansk erheblich eingeschränkt sei und die Ein-und Ausreise nur über "Exit-Points" möglich sei. Die Brücke im Gebiet Luhansk sei die einzige Überquerungsroute im gesamten Gebiet von Luhansk. Für Leute mit Behinderungen, ältere Menschen und Familien mit kleinen Kindern bleibe es aufgrund der steilen Rampe schwierig, diese zu passieren. Daraus ergebe sich, dass der Konflikt im Osten der Ukraine weiterhin aktuell sei, es zu zivilen Opfern komme und die Bewegungsfreiheit maßgeblich eingeschränkt sei. Der VwGH verlange in diesem Zusammenhang die ganzheitliche Würdigung des individuellen Vorbringens des BF unter den Gesichtspunkten der Konsistenz der Angaben, der persönlichen Glaubwürdigkeit der beschwerdeführenden Parteien und der objektiven Wahrscheinlichkeit des Behaupteten. Eine solche Würdigung sei in den gegenständlichen Bescheiden unterblieben. Den beschwerdeführenden Parteien wäre jedenfalls aufgrund ihres hohen Alters und des schlechten Gesundheitszustandes in keinster Weise möglich, ihren Lebensunterhalt aus eigenem zu sichern und einer Arbeit nachzugehen. Selbst wenn die beschwerdeführenden Parteien faktischen Zugang auf Pension hätten, würde diese nicht ausreichen, um die notwendigen Medikamente und Therapien zu erhalten. Die Behörde hätte demnach erkennen müssen, dass auch die beschwerdeführenden Parteien gezwungen wären, einer Arbeit nachzugehen. Dies sei ihnen jedenfalls aufgrund der beschriebenen und von der Behörde festgestellten Krankheitsbilder und des hohen Alters in keinster Weise zumutbar. Die beschwerdeführenden Parteien würden somit in kürzester Zeit in eine ausweglose Situation geraten. Im Falle der beschwerdeführenden Parteien hätte die Behörde daher erkennen müssen, dass die beschwerdeführenden Parteien faktisch keinen Zugang auf eine adäquate medizinische Versorgung mit Medikamenten und Behandlungen erhalten würden. Die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation halte auch fest, dass der Zugang zu entsprechenden Fachärzten verfügbar sei, in manchen Fällen nur in privaten medizinischen Einrichtungen. Ältere Menschen seien jedoch laut eigener Berichte der Behörde in der Regel ausgeschlossen. Auch hier habe es die Behörde verabsäumt, sich mit ihren selbst in das Verfahren eingebrachten Berichten entsprechend auseinanderzusetzen. Die notwendigen Medikamente würden nicht zur Verfügung stehen und es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die genannten Abweichungen in der Medikation sich nicht auf die Gesundheit der Zweitbeschwerdeführerin auswirken würden und sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtere. Die Behörde habe diesbezüglich kein fachspezifisches medizinisches Wissen und habe das Verfahren daher mit einem weiteren Mangel belastet. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die von den beschwerdeführenden Parteien benötigten Medikamente in der Ukraine grundsätzlich verfügbar seien, so sei dieser Umstand nicht ausschlaggebend für die Beurteilung, ob den beschwerdeführenden Parteien im Falle der Abschiebung ein "real risk" einer Verletzung ihrer Rechte nach Art. 3 EMRK drohe. In diesem Zusammenhang werde sowohl von den österreichischen Höchstgerichten als auch vom EGMR eine individuelle Prüfung der konkreten, insbesondere auch der finanziellen Zugangsmöglichkeiten gefordert. Im Fall der beschwerdeführenden Parteien sei eine medikamentöse Dauerbehandlung unter Einnahme von verschiedenen Präparaten und Folgebehandlungen notwendig. Die Behörde habe es verabsäumt, festzustellen, ob die beschwerdeführenden Parteien tatsächlich Zugang zu Medikamenten und Behandlung hätten. Die von der Behörde gelieferte Anfragebeantwortung zur Staatendokumentation sei jedenfalls für die Begründung der Nichtanerkennung internationalen Schutzes unzureichend. Im Übrigen sei es der Behörde vorzuwerfen, sich nicht konkret mit dem Einzelfall auseinandergesetzt zu haben. Den beschwerdeführenden Parteien stehe auch keine innerstaatliche Fluchtalternative offen, da die Gesundheitsversorgung in der ganzen Ukraine nicht ausreichend wäre, um eine Verletzung des Artikels 3 EMRK mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ausschließen zu können. Die beschwerdeführenden Parteien würden in Österreich über ein schützenswertes Familienleben verfügen. Die beschwerdeführenden Parteien hätten in Österreich ein besonders intensives Familienleben zu ihrer Tochter, dem Schwiegersohn und dem Enkelkind. Es bestehe regelmäßiger Kontakt und eine intensive emotionale Bindung zu diesen. Die beschwerdeführenden Parteien seien sehr bemüht, Deutsch zu lernen und hätten auch Deutschkurse belegt. Es wurde beantragt, der Beschwerde aufschiebende Wirkung zuzuerkennen sowie eine mündlichen Verhandlung durchzuführen.

Den Beschwerden wurden eine Reisepasskopie der Tochter der beschwerdeführenden Parteien, eine Reisepasskopie des Schwiegersohnes der beschwerdeführenden Parteien, eine Reisepasskopie des Enkelsohnes der beschwerdeführenden Parteien, ein ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A1 des Erstbeschwerdeführers, ein ÖSD Zertifikat auf dem Niveau A2 der Zweitbeschwerdeführerin, Teilnahmebestätigungen für Deutschkurse, Behandlungsbestätigungen der beschwerdeführenden Parteien sowie Unterstützungsschreiben angeschlossen.

4. Die Beschwerdevorlagen des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langten am 29.06.2018 mitsamt den bezughabenden Verwaltungsakten beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Mit Erkenntnis vom 02.07.2018, W236 2199586-1/3E W236 2199587-1/3E, wurde den Beschwerden gegen die Spruchpunkte VII der angefochtenen Bescheide stattgegeben und diese ersatzlos behoben. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wurde den Beschwerden die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Die beschwerdeführenden Parteien sind ein Ehepaar und Staatsangehörige der Ukraine und gehören der russischen Volksgruppe sowie dem orthodoxen Glauben an. Ihre Identität steht fest. Die beschwerdeführenden Parteien reisten im Mai 2014 legal mittels Visum in das österreichische Bundesgebiet ein und halten sich seit diesem Zeitpunkt ununterbrochen im Bundesgebiet auf.

Die beschwerdeführenden Parteien stammen beide aus der Region Luhansk, wo sie die Grund-und Mittelschule besuchten. Der Erstbeschwerdeführer besuchte anschließend die Universität in Luhansk und war als Ingenieur tätig. Er ist seit mehr als fünf Jahren in Pension. Die Zweitbeschwerdeführerin absolvierte eine Universität in Kiew und war anschließend als Technikerin für Schneiderei tätig. Sie ist seit 2005 pensioniert.

1.2. Nicht festgestellt werden kann, dass die beschwerdeführenden Parteien in der Ukraine aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Ansichten bedroht wären. Im Entscheidungszeitpunkt konnte keine aktuelle Gefährdung der Beschwerdeführer in der Ukraine festgestellt werden.

Ebenfalls nicht festgestellt werden kann, dass die Beschwerdeführer im Fall ihrer Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung in die Ukraine in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht wären.

Die Beschwerdeführer leiden an keinen schwerwiegenden oder lebensbedrohlichen Krankheiten, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden. Der Erstbeschwerdeführer leidet an Diabetes mellitus, Lumbago, Depression, CVS, Hypertonie, Spinalkanalstenose, geringfügige lumbale Spondylose (degenerative Erkrankung der Wirbelsäule), degenerative Discopathie (Bandscheibenschaden) und begleitende Spondylarthrose sowie diskrete degenerative Retrolisthese (Gleitwirbel) und beidseitige Coxarthrosen (degenerative Erkrankung des Hüftgelenkes). Der Erstbeschwerdeführer erhält eine medikamentöse Behandlung und nimmt ärztliche Kontrolltermine wahr.

Bei der Zweitbeschwerdeführerin wurden Vertigo (Schwindel), Carotisplaques (Ablagerungen in der Halsschlagader), minimale Aorteninsuffizienz, Relaxationsstörung, Leberzirrhose, primäre Chlorangitis (Entzündung der Gallengänge), cerberovaskuläre Insuffizienz unklarer Genese (Störungen der Blutversorgung des Gehirns), vaskuläre Enzephalopathie (krankhafte Gehirnveränderungen), Hypothyreose (Unterfunktion der Schilddrüse), Pankreasfibrose, Vitiligo, Hypertonie (Bluthochdruck), obstruktive Bronchitis sowie Adipositas (Fettsucht) und ein Vitamin D- Mangel diagnostiziert. Die Zweitbeschwerdeführerin erhält eine medikamentöse Behandlung und nimmt ärztliche Kontrolltermine wahr.

In der Ukraine besteht eine ausreichende medizinische Grundversorgung, weswegen die beschwerdeführenden Parteien hinsichtlich der diagnostizierten psychischen und physischen Leiden ausreichend behandelt werden könnten.

In der Ukraine leben nach wie vor Geschwister der beschwerdeführenden Parteien, mit welchen sie auch von Österreich aus Kontakt halten.

Die beschwerdeführenden Parteien verfügen in Österreich über eine volljährige Tochter, die als Aufenthaltsberechtigte mit ihrem Sohn und ihrem österreichischen Ehegatten in Österreich wohnhaft ist. Es bestehen jedoch weder wechselseitige finanzielle Abhängigkeiten noch ein gemeinsamer Haushalt, da die beschwerdeführenden Parteien ihren Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung bestreiten. Eine die beschwerdeführenden Parteien betreffende aufenthaltsbeendende Maßnahme würde keinen ungerechtfertigten Eingriff in deren gemäß Art. 8 EMRK geschützte Rechte auf Privat- und Familienleben darstellen.

1.3. Insbesondere zur allgemeinen Situation und Sicherheitslage, zur allgemeinen Menschenrechtslage, zur medizinischen Versorgungssituation und zur Lage von Rückkehrern und Binnenflüchtlingen wird unter Heranziehung der erstinstanzlichen Länderfeststellungen Folgendes festgestellt:

Neueste Ereignisse - Integrierte Kurzinformationen

KI vom 19.12.2017, Antikorruption (relevant für Abschnitt 2/Politische Lage, Abschnitt 4/Rechtsschutz/Justizwesen und Abschnitt 7/Korruption)

Die Ukraine hat seit 2014 durchaus Maßnahmen gesetzt, um die Korruption zu bekämpfen, wie die Offenlegung der Beamtenvermögen und die Gründung des Nationalen Antikorruptionsbüros (NABU). Gemeinsam mit dem ebenfalls neu geschaffenen Antikorruptionsstaatsanwalt kann das NABU viele Fälle untersuchen und hat einige aufsehenerregende Anklagen vorbereitet, u.a. wurde der Sohn des ukrainischen Innenministers festgenommen. Doch ohne ein spezialisiertes Antikorruptionsgericht läuft die Arbeit der Ermittler ins Leere, so die Annahme der Kritiker, da an normalen Gerichten die Prozesse erfahrungsgemäß eher verschleppt werden können. Das Antikorruptionsgericht sollte eigentlich bis Ende 2017 seine Arbeit aufnehmen, wurde aber noch immer nicht formell geschaffen. Präsident Poroschenko äußerte unlängst die Idee, eine auf Korruption spezialisierte Kammer am Obersten Gerichtshof sei ausreichend und schneller einzurichten. Diesen Vorschlag lehnte jedoch der Internationale Währungsfonds (IWF) ab. Daher bot Poroschenko eine Doppellösung an: Zuerst solle die Kammer eingerichtet werden, später das unabhängige Gericht. Der Zeitplan dafür ist jedoch offen (NZZ 9.11.2017).

Kritiker sehen darin ein Indiz für eine Einflussnahme auf die Justiz durch den ukrainischen Präsident Poroschenko. Mit Juri Luzenko ist außerdem Poroschenkos Trauzeuge Chef der Generalstaatsanwaltschaft, welche von Transparency International als Behörde für politische Einflussnahme bezeichnet wird. Tatsächlich berichtet die ukrainische Korruptionsstaatsanwaltschaft von Druck und Einflussnahme auf ihre Ermittler (DS 30.10.2017).

Ende November 2017 brachten Abgeordnete der Regierungskoalition zudem einen Gesetzentwurf ein, der eine "parlamentarische Kontrolle" über das NABU vorsah und heftige Kritik der westlichen Partner und der ukrainischen Zivilgesellschaft auslöste (UA 13.12.2017). Daraufhin wurde der Gesetzesentwurf wieder von der Tagesordnung genommen (DS 7.12.2017), dafür aber der Vorsitzende des Komitees der Werchowna Rada zur Korruptionsbekämpfung entlassen, welcher die Ernennung des von der Regierung bevorzugten Kandidaten für das Amt des Auditors im NABU blockiert hatte (UA 13.12.2017).

Im Zentrum der ukrainischen Hauptstadt Kiew haben zuletzt mehrere Tausend Menschen für eine Amtsenthebung von Präsident Petro Poroschenko demonstriert. Die Kundgebung wurde von Micheil Saakaschwili angeführt - Ex-Staatschef Georgiens und Ex-Gouverneur des ukrainischen Odessa, der ursprünglich von Präsident Poroschenko geholt worden war, um gegen die Korruption vorzugehen. Saakaschwili wirft Poroschenko mangelndes Engagement im Kampf gegen die Korruption vor und steht seit einigen Wochen an der Spitze einer Protestbewegung gegen den ukrainischen Präsidenten. Mit seinen Protesten will er vorgezogene Neuwahlen erzwingen. Saakaschwili war Anfang Dezember, nach einer vorläufigen Festnahme, von einem Gericht freigelassen worden. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen ihn wegen Organisation eines Staatsstreiches (DS 17.12.2017).

Die EU hat jüngst die Auszahlung eines Hilfskredits über 600 Mio. €

an die Ukraine gestoppt, und der Internationale Währungsfonds (IWF) ist ebenfalls nicht zur Gewährung von weiteren Hilfskrediten bereit, solange der Kampf gegen die grassierende Korruption nicht vorankommt (NZZ 18.12.2017). Der IWF hat die Ukraine aufgefordert, die Unabhängigkeit von NABU und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu gewährleisten und rasch einen gesetzeskonformen Antikorruptionsgerichtshof im Einklang mit den Empfehlungen der Venediger Kommission des Europarats zu schaffen (UA 13.12.2017).

Quellen:

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DS - Der Standard (17.12.2017): Tausende fordern in Kiew Amtsenthebung von Poroschenko,

http://derstandard.at/2000070553927/Tausende-fordern-in-Kiew-Amtsenthebung-von-Poroschenko?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

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DS - Der Standard (7.12.2017): Interventionen verhindern Gesetz gegen ukrainisches Antikorruptionsbüro, http://derstandard.at/2000069775196/Ukrainischer-Antikorruptionsbehoerde-droht-Verlust-an-Unabhaengigkeit, Zugriff 19.12.2017

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DS - Der Standard (30.10.2017): Die ukrainische Justizfassade bröckelt noch immer,

http://derstandard.at/2000066853489/Die-ukrainische-Justizfassade-broeckelt-noch-immer?ref=rec, Zugriff 19.12.2017

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (18.12.2017): Das politische Risiko in der Ukraine ist zurück,

https://www.nzz.ch/finanzen/das-politische-risiko-in-der-ukraine-ist-zurueck-ld.1340458, Zugriff 19.12.2017

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NZZ - Neue Zürcher Zeitung (9.11.2017): Der ukrainische Präsident verschleppt längst überfällige Reformen, https://www.nzz.ch/meinung/ukraine-revolution-im-rueckwaertsgang-ld.1327374, Zugriff 19.12.2017

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UA - Ukraine Analysen (13.12.2017): Ukraine Analysen Nr. 193, http://www.laender-analysen.de/ukraine/pdf/UkraineAnalysen193.pdf?utm_source=newsletter&utm_medium=email&utm_campaign=Ukraine-Analysen+193&newsletter=Ukraine-Analysen+193, Zugriff 19.12.2017

Politische Lage

Die Ukraine ist eine parlamentarisch-präsidiale Republik. Ihr Staatsoberhaupt ist seit 7.6.2014 Präsident Petro Poroschenko. Regierungschef ist seit 14.4.2016 Ministerpräsident Wolodymyr Hroisman. Das Parlament (Verkhovna Rada) der Ukraine besteht aus einer Kammer; 225 Sitze werden über ein Verhältniswahlsystem mit Listen vergeben, 225 weitere Sitze werden in Mehrheitswahl an Direktkandidaten in den Wahlkreisen vergeben. 27 Mandate bleiben aufgrund der Krim-Besetzung und des Konflikts in der Ost-Ukraine derzeit unbesetzt. Im Parlament sind folgende Fraktionen und Gruppen vertreten (mit Angabe der Zahl der Sitze):

Block von Petro Poroschenko (Blok Petra Poroschenka)

142

Volksfront (Narodny Front)

81

Oppositionsblock (Oposyzijny Blok)

43

Selbsthilfe (Samopomitsch)

26

Radikale Partei von Oleh Ljaschko (Radykalna Partija Oleha Ljaschka)

20

Vaterlandspartei (Batkiwschtschyna)

20

Gruppe Wolja Narodu

19

Gruppe Widrodshennja

24

Fraktionslose Abgeordnete

48

(AA 2.2017a)

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahldurchgang zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt seither mit unterschiedlichen Koalitionen eine europafreundliche Reformpolitik. Zu den Schwerpunkten des Regierungsprogramms gehören die Bekämpfung der Korruption sowie eine Verfassung- und Justizreform. Die Parteienlandschaft ist pluralistisch und reflektiert alle denkbaren Strömungen von national-konservativ bis links-sozialistisch. Die kommunistische Partei ist verboten. Die Regierung Hrojsman, die seit April 2016 im Amt ist, setzt den euroatlantischen Integrationskurs der Vorgängerregierung unter Arseni Jazenjuk fort und hat trotz zahlreicher koalitionsinterner Querelen und zum Teil großer Widerstände wichtige Reformen erfolgreich durchführen können. Gleichwohl sind die Erwartungen der Öffentlichkeit zu Umfang und Tempo der Reformen bei weitem nicht befriedigt (AA 7.2.2017).

Die Präsidentenwahlen des Jahres 2014 werden von internationalen und nationalen Beobachtern als frei und fair eingestuft (USDOS 3.3.2017a).

Ukrainische Bürger können seit 11. Juni 2017 ohne Visum bis zu 90 Tage in die Europäische Union reisen, wenn sie einen biometrischen Pass mit gespeichertem Fingerabdruck besitzen. Eine Arbeitserlaubnis ist damit nicht verbunden. Die Visabefreiung gilt für alle EU-Staaten mit Ausnahme Großbritanniens und Irlands (DS 11.6.2017).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

-

AA - Auswärtiges Amt (2.2017a): Ukraine, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/01-Nodes_Uebersichtsseiten/Ukraine_node.html, Zugriff 31.5.2017

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DS - Der Standard (11.6.2017): Ukrainer feierten Aufhebung der Visapflicht für die EU,

http://derstandard.at/2000059097595/Ukrainer-feierten-Aufhebung-der-Visapflicht-fuer-die-EU, Zugriff 19.6.2017

-

USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 31.5.2017

1. Sicherheitslage

Der nach der "Revolution der Würde" auf dem Kiewer Maidan im Winter 2013/2014 und der Flucht von Wiktor Janukowytsch vom mit großer Mehrheit bereits im ersten Wahlgang am 07.06.2014 direkt zum Präsidenten gewählte Petro Poroschenko verfolgt eine europafreundliche Reformpolitik, die von der internationalen Gemeinschaft maßgeblich unterstützt wird. Diese Politik hat zu einer Stabilisierung der Verhältnisse im Inneren geführt, obwohl Russland im März 2014 die Krim annektierte und seit Frühjahr 2014 separatistische "Volksrepubliken" im Osten der Ukraine unterstützt (AA 7.2.2017).

Die ukrainische Regierung steht für einen klaren Europa-Kurs der Ukraine und ein enges Verhältnis zu den USA. Das 2014 von der Ukraine unterzeichnete und ratifizierte Assoziierungsabkommen mit der EU ist zum Jahresbeginn 2016 in Kraft getreten und bildet die Grundlage der Beziehungen der Ukraine zur EU. Es sieht neben der gegenseitigen Marktöffnung die Übernahme rechtlicher und wirtschaftlicher EU-Standards durch die Ukraine vor. Das Verhältnis zu Russland ist für die Ukraine von zentraler Bedeutung. Im Vorfeld der ursprünglich für November 2013 geplanten Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens übte Russland erheblichen Druck auf die damalige ukrainische Regierung aus, um sie von der EU-Assoziierung abzubringen und stattdessen einen Beitritt der Ukraine zur Zollunion/Eurasischen Wirtschaftsgemeinschaft herbeizuführen. Nach dem Scheitern dieses Versuchs und dem Sturz von Präsident Janukowytsch verschlechterte sich das russisch-ukrainische Verhältnis dramatisch. In Verletzung völkerrechtlicher Verpflichtungen und bilateraler Verträge annektierte Russland im März 2014 die Krim und unterstützt bis heute die bewaffneten Separatisten im Osten der Ukraine (AA 2.2017c).

Die sogenannten "Freiwilligen-Bataillone" nehmen offiziell an der "Anti-Terror-Operation" der ukrainischen Streitkräfte teil. Sie sind nunmehr alle in die Nationalgarde eingegliedert und damit dem ukrainischen Innenministerium unterstellt. Offiziell werden sie nicht mehr an der Kontaktlinie eingesetzt, sondern ausschließlich zur Sicherung rückwärtiger Gebiete. Die nicht immer klare hierarchische Einbindung dieser Einheiten hatte zur Folge, dass es auch in den von ihnen kontrollierten Gebieten zu Menschenrechtsverletzungen gekommen ist, namentlich zu Freiheitsberaubung, Erpressung, Diebstahl und Raub, eventuell auch zu extralegalen Tötungen. Diese Menschenrechtsverletzungen sind Gegenstand von allerdings teilweise schleppend verlaufenden Strafverfahren. Der ukrainische Sicherheitsdienst SBU bestreitet, trotz anderslautender Erkenntnisse von UNHCHR, Personen in der Konfliktregion unbekannten Orts festzuhalten und verweist auf seine gesetzlichen Ermittlungszuständigkeiten. In mindestens einem Fall haben die Strafverfolgungsbehörden bisher Ermittlung wegen illegaler Haft gegen Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden aufgenommen (AA 7.2.2017).

Seit Ausbruch des Konflikts im Osten der Ukraine in den Regionen Lugansk und Donezk im April 2014 zählte das Büro des Hochkommissars für Menschenrechte der UN (OHCHR) 33.146 Opfer des Konflikts, davon

9.900 getötete und 23.246 verwundete Personen (inkl. Militär, Zivilbevölkerung und bewaffnete Gruppen). Der Konflikt wird von ausländischen Kämpfern und Waffen, die nach verschiedenen Angaben aus der Russischen Föderation in die nicht von der ukrainischen Regierung kontrollierten Gebiete (NGCA) gebracht werden, angeheizt. Zudem gibt es eine massive Zerstörung von zivilem Eigentum und Infrastruktur in den Konfliktgebieten. Auch Schulen und medizinische Einrichtungen sind betroffen. Zuweilen ist vielerorts die Strom- und Wasserversorgung unterbrochen, ohne die im Winter auch nicht geheizt werden kann. Der bewaffnete Konflikt stellt einen Bruch des Internationalen Humanitären Rechts und der Menschenrechte dar. Der Konflikt wirkt sich auf die ganze Ukraine aus, da es viele Kriegsrückkehrern (vor allem Männer) gibt und die Zahl der Binnenflüchtlinge (IDPs) hoch ist. Viele Menschen haben Angehörige, die getötet oder entführt wurden oder weiterhin verschwunden sind. Laut der Special Monitoring Mission der OSZE sind täglich eine hohe Anzahl an Brüchen der Waffenruhe, die in den Minsker Abkommen vereinbart wurde, zu verzeichnen (ÖB 4.2017).

Russland kontrolliert das Gewaltniveau in der Ostukraine und intensiviert den Konflikt, wenn es russischen Interessen dient (USDOS 3.3.2017a).

Quellen:

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AA - Auswärtiges Amt (7.2.2017): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine, https://www.ecoi.net/file_upload/4598_1488455088_deutschland-auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-ukraine-stand-januar-2017-07-02-2017.pdf, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017b): Innenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Innenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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AA - Auswärtiges Amt (2.2017c): Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/Ukraine/Aussenpolitik_node.html, Zugriff 31.5.2017

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ÖB - Österreichische Botschaft Kiew (4.2017): Asylländerbericht Ukraine

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USDOS - US Department of State (3.3.2017a): Country Report on Human Rights Practices 2016 - Ukraine, https://www.ecoi.net/local_link/337222/480033_de.html, Zugriff 12.7.2017

1.1. Ostukraine

Nach der völkerrechtswidrigen Annexion der Halbinsel Krim durch Russland im März 2014 rissen pro-russische Separatisten in einigen Gebieten der Ost-Ukraine die Macht an sich und riefen, unterstützt von russischen Staatsangehörigen, die "Volksrepublik Donezk" und die "Volksrepublik Lugansk" aus. Der ukrainische Staat begann daraufhin eine sogenannte Antiterroroperation (ATO), um die staatliche Kontrolle wiederherzustellen. Bis August 2014 erzielten die ukrainischen Kräfte stetige Fortschritte, danach erlitten sie jedoch - bedingt durch militärische Unterstützung der Separatisten aus Russland - zum Teil schwerwiegende Verluste. Die trilaterale Kontaktgruppe mit Vertretern der Ukraine, Russlands und der OSZE bemüht sich darum, den militärischen Konflikt zu beenden. Das Minsker Protokoll vom 5. September 2014, das Minsker Memorandum vom 19. September 2014 und das Minsker Maßnahmenpaket vom 12. Februar 2015 sehen unter anderem eine Feuerpause, den Abzug schwerer Waffen, die Gewährung eines "Sonderstatus" für einige Teile der Ost-Ukraine, die Durchführung von Lokalwahlen und die vollständige Wiederherstellung der Kontrolle über die ukrainisch-russische Grenze vor. Die von der OSZE-Beobachtermission SMM überwachte Umsetzung, etwa des Truppenabzugs, erfolgt jedoch schleppend. Die Sicherheitslage im Osten des Landes bleibt volatil (AA 2.2017b).

In den von Separatisten kontrollierten Gebieten der Oblaste Donezk und Lugansk haben ukrainische Behörden und Amtsträger zurzeit keine Möglichkeit, ihre Befugnisse wahrzunehmen und staatliche Kontrolle auszuüben. Berichte der OSZE-Beobachtermission, von Amnesty International sowie weiteren NGOs lassen den Schluss zu, dass es nach Ausbruch des Konflikts im März 2014 in den von Separatisten kontrollierten Gebieten zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Dazu zählen extralegale Tötungen auf Befehl örtlicher Kommandeure ebenso wie Freiheitsberaubung, Erpressung, Raub, Entführung, Scheinhinrichtungen und Vergewaltigungen. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte spricht von einem "vollständigen Zusammenbruch von Recht und Ordnung

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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