Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AufG 1992 §1 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Schick als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der 1971 geborenen A M in W, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 24. Juli 1996, Zl. 119.268/2-III/11/96, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin richtete (durch ihren Rechtsvertreter) am 10. Jänner 1996 an die Bezirkshauptmannschaft Bregenz einen Antrag, dessen Gegenstand im Rubrum als "Feststellung der Aufenthaltsberechtigung, in eventu Erteilung der Aufenthaltsberechtigung" bezeichnet wurde. In diesem Antrag, der am 12. Jänner 1996 bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz einlangte, heißt es wörtlich:
"Die Antragstellerin ist mit einem gültigen Touristensichtvermerk nach Österreich eingereist. Dieser Sichtvermerk gilt bis 15. Jänner 1996, sodaß diese Eingabe vor Ablauf des Touristensichtvermerks eingebracht wird.
...
Es wird daher
b e a n t r a g t ,
festzustellen, daß die Antragstellerin als Ehegattin eines arbeitsmarktintegrierten türkischen Staatsbürgers nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 in Österreich aufenthaltsberechtigt ist.
Rein aus advokatorischer Vorsicht wird in eventu beantragt, der Antragstellerin eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen."
Am 19. März 1996 erließ die Bezirkshauptmannschaft Bregenz einen Bescheid, dessen Kopf und Spruch wie folgt lauten:
"Frau Maci Ayse, geboren am 10.10.1971, hat durch Ihren ausgewiesenen Rechtsvertreter, Herrn Dr. Weh am 10.1.1996 direkt bei der Bezirkshauptmannschaft Bregenz einen Antrag auf die Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz eingebracht. Über diesen Antrag ergeht aufgrund der Verordnung des Landeshauptmannes, LGBl. Nr. 32/1993 folgender
S p r u c h
gemäß §§ 1, 3, 5 Abs. 1 und 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes, BGBl. Nr. 466/1992, in der geltenden Fassung i.V.m. § 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992, in der geltenden Fassung, wird der Antrag abgewiesen."
Begründend führte die Behörde erster Instanz aus, die Beschwerdeführerin beabsichtige, bei ihrem Ehegatten den ständigen Aufenthalt zu nehmen, sie benötige daher eine Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz, sie sei mit einem bis zum 15. Jänner 1996 gültigen Touristensichtvermerk in das Bundesgebiet eingereist und habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich im Inland aufgehalten. Auch nach Ablauf des 15. Jänner 1996 sei die Beschwerdeführerin nicht aus dem Bundesgebiet ausgereist, sondern halte sich nach wie vor in diesem auf. Die Behörde erster Instanz sah darin sowohl einen Verstoß gegen § 6 Abs. 2 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) als auch eine Verwirklichung der Sichtvermerksversagungsgründe nach § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 des Fremdengesetzes 1992 (FrG).
Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie die Auffassung vertrat, sie sei als Ehegattin eines arbeitsmarktintegrierten Gastarbeiters familienzusammenführungsberechtigt, weshalb darüber allenfalls auch mit deklaratorischem Bescheid zu entscheiden wäre. Ausdrücklich beantragte sie daher,
"der Berufungswerberin eine Aufenthaltsbewilligung zu erteilen bzw. festzustellen, daß sie aus dem Titel der Familienzusammenführung nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 aufenthaltsberechtigt ist".
Diese Berufung wurde vom Bundesminister für Inneres mit Bescheid vom 24. Juli 1996 gemäß § 5 Abs. 1 AufG und § 10 Abs. 1 Z. 4 und Z. 6 FrG abgewiesen. In der Begründung führte der Bundesminister für Inneres aus, die Beschwerdeführerin sei nach der auf ihren eigenen Angaben beruhenden Aktenlage mit einem Touristensichtvermerk, ausgestellt von der österreichischen Botschaft in Ankara, gültig bis zum 15. Jänner 1996, eingereist und wolle ihren damit begonnenen Aufenthalt mit dem vorliegenden Antrag auf Aufenthaltsbewilligung verlängern. Sie halte sich "bis dato" entgegen § 15 FrG, sohin unerlaubt und ohne jegliche Aufenthaltsberechtigung - im österreichischen Bundesgebiet auf. Damit seien die Sichtvermerksversagungsgründe nach § 10 Abs. 1 Z. 4 und 6 FrG verwirklicht.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich in ihren Rechten auf Anerkennung ihrer europarechtlichen Aufenthaltsberechtigung, auf Feststellung der Aufenthaltsberechtigung, auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung, auf ordnungsgemäße Tatsachenfeststellung sowie auf ordnungsgemäße Bescheidbegründung verletzt. Die belangte Behörde mißachte die "Europarechte der Beschwerdeführerin". Vorrangig sei im Falle des Antrages der Beschwerdeführerin über ihr Feststellungsbegehren zu entscheiden gewesen und erst danach bzw. nur für den Fall der Erlassung eines negativen Feststellungsbescheides über ihren Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Der angefochtene Bescheid verletze sie auch dann ihren Rechten, wenn man davon ausgehe, daß sie nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 in Österreich aufenthaltsberechtigt sei, weil der angefochtene Bescheid "mit voller Härte" ausspreche, daß sie sich unerlaubt und ohne jegliche Aufenthaltsberechtigung in Österreich befinde. Sie habe ihren Antrag nie auf das Aufenthaltsgesetz beschränkt. Die belangte Behörde sei als oberste Behörde in fremdenpolizeilichen Angelegenheiten aller Art in der Lage gewesen, als zuständige Behörde über den Antrag zu entscheiden.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in dem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Die Behörde erster Instanz hat mit ihrem Bescheid vom 19. März 1996 (ausschließlich) über den von der Beschwerdeführerin eventualiter gestellten Antrag auf "Erteilung der Aufenthaltsberechtigung" entschieden. Sie wurde dabei, wie sich aus der Zitierung der entsprechenden Bestimmungen des Aufenthaltsgesetzes und der Verordnung des Landeshauptmannes von Vorarlberg über die Ermächtigung der Bezirkshauptmannschaften zur Entscheidung nach dem Aufenthaltsgesetz, LGBl. Nr. 32/1993, ergibt, als Aufenthaltsbehörde im Namen des Landeshauptmannes tätig.
Ein sogenannter Eventualantrag ist im Verwaltungsverfahren zulässig. Das Entscheidende eines solchen Antrages liegt darin, daß er unter der aufschiebenden Bedingung gestellt wird, daß der Primärantrag erfolglos bleibt. Wird bereits dem Primärantrag stattgegeben, so wird der Eventualantrag gegenstandslos. Wird ein Eventualantrag vor dem Eintritt des Eventualfalles erledigt, belastet dies die Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit (vgl. z.B. die hg. Erkenntnisse vom 20. Februar 1990, Zl. 89/01/0114, sowie vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468).
Die Bezirkshauptmannschaft Bregenz hätte daher im vorliegenden Fall zunächst über den Primärantrag der Beschwerdeführerin auf "Feststellung, daß die Antragstellerin als Ehegattin eines arbeitsmarktintegrierten türkischen Staatsbürgers nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80 in Österreich aufenthaltsberechtigt ist" - allenfalls nach Klärung des Inhaltes eines solchen Antrages - abzusprechen und erst im Falle seiner rechtskräftigen Nichtstattgebung über den von ihr als Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung gedeuteten Eventualantrag zu erkennen gehabt. Indem sie diese Rechtslage verkannte, belastete die Behörde erster Instanz ihre Erledigung mit Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit.
"Sache" des Berufungsverfahrens war bei dem hier klar auf den Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung begrenzten Abspruch der Behörde erster Instanz nur dieser Anspruch (vgl. das hg. Erkenntnis vom 25. Oktober 1978, Zl. 1032/77, in dem in Slg. Nr. 9672/A, nicht veröffentlichten Teil). Die belangte Behörde war daher nicht zuständig, über einen vom erstinstanzlichen Abspruch nicht umfaßten Anspruch, im vorliegenden Fall den Eventualberufungsantrag auf Feststellung der Aufenthaltsberechtigung aus dem Titel der Familienzusammenführung nach dem Assoziationsratsbeschluß Nr. 1/80, zu entscheiden. Der Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, über den die erstinstanzliche Behörde entschieden hat, stellt nämlich gegenüber einer (im Berufungsverfahren erfolgten) Geltendmachung (in eventu) eines Feststellungsanspruches kein Mehrbegehren, sondern ein "aliud" dar (vgl. dazu das bereits erwähnte hg. Erkenntnis vom 12. September 1997). Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, von Amts wegen die oben aufgezeigte Unzuständigkeit der Behörde erster Instanz zur Erledigung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung aufzugreifen und den erstinstanzlichen Bescheid ersatzlos aufzuheben. Indem sie dies als hiefür zuständige Berufungsbehörde unterließ, belastete sie ihren eigenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Hiedurch verletzte sie das einfach-gesetzlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführerin auf Einhaltung der Zuständigkeitsordnung. Diese Verletzung der Behördenzuständigkeit war vom Verwaltungsgerichtshof ungeachtet einer Möglichkeit der Verletzung sonstiger subjektiv-öffentlicher Rechte von Amts wegen wahrzunehmen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 12. September 1997, Zl. 96/19/1468).
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.
Schlagworte
Beschränkungen der Abänderungsbefugnis Beschränkung durch die Sache Bindung an den Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens Allgemein Besondere verfahrensrechtliche Aufgaben der Berufungsbehörde Spruch des Berufungsbescheides Instanzenzug Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche ZuständigkeitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996192716.X00Im RIS seit
02.05.2001