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StVONorm
VStG §32 Abs2Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Karlik und die Hofräte Dr. Pichler und Dr. Stoll als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kowalski, über die Beschwerde des A G in O, vertreten durch Dr. Anton Klein, Rechtsanwalt in Wien I, Seilerstätte 1, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 15. Juli 1985, Zl. MA 70- IX/G 144/84/Str, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.570,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Wien vom 27. November 1984 wurde der Beschwerdeführer für schuldig erkannt, er habe am 1. Juni 1984 um 12.30 Uhr in Wien 17, Hernalser Gürtel (Stadtbahn) ein dem Kennzeichen nach bestimmtes Kraftfahrzeug mit allen vier Rädern auf dem Gehsteig abgestellt und diesen somit vorschriftswidrig benützt; er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 8 Abs. 4 der Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen. Über Berufung des Beschwerdeführers bestätigte die Wiener Landesregierung dieses Straferkenntnis hinsichtlich der Strafzumessung und der Kostenentscheidung vollinhaltlich und in der Schuldfrage mit der Abänderung, daß die Tatumschreibung wie folgt zu lauten habe:
"Der Beschuldigte, Herr A G, hat am 1.6.1984 um 12.30 Uhr in Wien 17, Hernalser Gürtel (Außengürtel) das Fahrzeug W ... vor dem Autohaus 'X' mit allen vier Rädern auf dem Gehsteig abgestellt und diesen somit vorschriftswidrig benützt."
Die rechtliche Qualifikation blieb unverändert.
Der Beschwerdeführer hatte sich im gesamten Verwaltungsstrafverfahren damit verantwortet, daß dort, wo er zum Abstellplatz zugefahren sei, weder ein Randstein noch eine Sperrlinie dies verbiete, somit kein Gehsteig im Sinne des Gesetzes vorliege.
Die Berufungsbehörde nahm dazu wie folgt Stellung:
Laut Anzeige, Bericht und Zeugenvernehmung des Meldungslegers habe der Beschwerdeführer mit seinem Kraftfahrzeug die Abstellstelle nur durch ein Überfahren der Sperrlinie oder des Randsteines oder durch Befahren eines Schutzweges erreichen können. Die bauliche Abgrenzung (Randstein) des Gehsteiges zur Fahrbahn weise im Durchschnitt eine Höhe von 8 bis 10 cm auf und gleiche sich dem Fahrbahnniveau nur im Bereich des selbständigen Gleiskörpers der Straßenbahn und des Schutzweges an, wobei die Abgrenzung jedoch an diesen Stellen durch eine Sperrlinie erfolge. Nach einer Auskunft der Magistratsabteilung 28 sei das Erreichen des Tatortes nur durch Befahren des selbständigen Gleiskörpers oder Überfahren der Bodenmarkierungen oder des Randsteines möglich. Der Meldungsleger sei als geschultes Organ der Straßenaufsicht imstande gewesen, den Sachverhalt exakt und fehlerfrei festzuhalten. Die gegenständliche Fläche sei zur Fahrbahn durch Randsteine oder Bodenmarkierungen deutlich abgegrenzt gewesen. Dem Einwand des Beschwerdeführers, nach Ende der Sperrlinie sei die Fahrbahn mit dem angeblichen Gehsteigniveau gleich, sei zu erwidern, daß ein Niveauunterschied vom Gesetz (§ 2 Abs. 1 Z. 10 StVO) nicht zwingend gefordert werde, sondern nur eine Abgrenzung in Form der dort aufgezählten Einrichtungen. Der Beweisantrag auf Durchführung eines Ortsaugenscheines sei abzuweisen gewesen, weil "die Angaben des Berufungswerbers bezüglich der Niveaugleichheit der gegenständlichen Fläche zur Fahrbahn nach Ende der Sperrfläche (sic!) von der erkennenden Behörde auch nicht in Zweifel gezogen werden", zumal dies vom Meldungsleger in seinem Bericht bestätigt worden sei. Trotzdem sei eine deutlich erkennbare Abgrenzung in Form eines Randsteines gegeben gewesen.
Die Abänderung im Spruch durch die Berufungsbehörde habe der genaueren Tatumschreibung gedient; eine entsprechende Verfolgungshandlung liege durch die Angaben des Meldungslegers in seinem Bericht vom 25. September 1984, dem Beschwerdeführer zur Kenntnis gebracht am 31. Oktober 1984, vor.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften erhobene Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Die Rechtsrüge ist nicht begründet. Die von der Berufungsbehörde außerhalb der Frist zur Strafverfolgung in den Spruch ihres Bescheides aufgenommenen Tatbestandsmerkmale "Außengürtl, vor dem Autohaus 'X'" finden sich bereits im Bericht des Meldungslegers vom 25. September 1984. Dieser Bericht wurde mit dem übrigen Akteninhalt am 31. Oktober 1984 dem Rechtsanwalt des Beschwerdeführers zur Kenntnis gebracht, mit der Aufforderung, dazu schriftlich Stellung zu nehmen. Dieser Rechtsanwalt war schon vorher für den Beschwerdeführer in seiner Eigenschaft als Beschuldigter eingeschritten. Dieser Vorhalt stellt nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 19. September 1984, Slg. N. F. Nr. 11.525/A) eine Verfolgungshandlung im Sinne des § 32 Abs. 2 VStG 1950 dar.
Hingegen erweist sich die Verfahrensrüge als gerechtfertigt:
In der Skizze des Meldungslegers Aktenseite 11 sind mit "3" zwei Stellen angegeben, an denen der Höhenunterschied zwischen der Fahrbahn und einerseits dem Gleiskörper, und anderseits dem "Gehsteig" gleich Null ist. An anderen Stellen des Gleiskörpers und des "Gehsteiges" betrage jedoch dieser Höhenunterschied 10 und 8 cm. Ob dieser Höhenunterschied sich von den Stellen "1" und "2" zu den Stellen "3" gleichmäßig vermindere oder ungleichmäßig, geht aus der Skizze nicht hervor, ebenso nicht, wie lange jene Strecken sind, auf denen der Höhenunterschied gleich Null ist. Auch aus dem mit der Skizze vorgelegten Bericht des Meldungslegers läßt sich diese Frage nicht klären. Der Beschwerdeführer erklärte zu diesen Depositionen des Meldungslegers mit Schriftsatz vom 12. November 1984, an jener Stelle, wo der "Gehsteig" auf Null-Niveau abgesenkt sei (d. h. offenbar die von ihm nach seinem Vorbringen östlich des Straßenbahngleises überquerte Stelle), sei keine sichtbare Begrenzung der Fahrbahn vorhanden. Für den unbefangenen Verkehrsteilnehmer habe dies und die Beendigung der Sperrlinie den Sinn, Kraftfahrern das Zufahren zur Tatortfläche zu ermöglichen.
Auch die Auskunft der Magistratsabteilung 28 und die beigeschafften Lagepläne klärten diese Frage nicht. Die Auskunft der genannten Magistratsabteilung, eine Zufahrt zur Abstellfläche sei nur über den fahrbahnebenen selbständigen Gleiskörper der Verkehrsbetriebe oder durch Überfahren der Bodenmarkierung "bzw."
der Randsteine möglich, wurde vom Beschwerdeführer in seinem Schriftsatz vom 20. Februar 1985 mit der Bemerkung bestritten, der Randstein beginne erst "nach einigen Metern bei Null-Niveau und steigt dann in Richtung innerer Gürtel allmählich an".
Die belangte Behörde hat somit die entscheidungswesentliche Frage nicht geklärt, auf einer wie langen Strecke weder ein Niveauunterschied noch eine Sperrlinie vorhanden ist (siehe das obige Zitat aus S. 4 des Berufungsbescheides) und in weiterer Folge auch nicht erwogen, ob bei genügender Länge einer solchen Strecke ein Kraftfahrzeug dort passieren kann. Sollte nämlich eine zum Passieren eines Kraftfahrzeuges genügend lange Strecke vorhanden sein, auf der der Niveauunterschied gleich Null oder nahezu gleich Null war, so ermangelte der angefochtene Bescheid jeder Ausführung, wodurch der von der belangten Behörde angenommene Gehsteig im Sinne des § 2 Abs. 1 Z. 10 StVO an dieser Stelle mangels eines Randsteines und mangels einer Bodenmarkierung sonst erkennbar abgegrenzt sein soll (die gesetzliche Erwähnung von Randsteinen und Bodenmarkierungen ist, wie sich aus dem Wort "dergleichen" ergibt, nur eine demonstrative Aufzählung).
Die belangte Behörde hat durch die Unterlassung von Feststellungen in dieser Richtung den Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt ergänzungsbedürftig gelassen, so daß ihr Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG 1965 wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben war.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere 59 Abs. 3, letzter Satz VwGG im Zusammenhang mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243. Neben dem Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand waren dem Beschwerdeführer die tatsächlich entrichteten Stempelgebühren im gebührenden Ausmaß zuzusprechen, das waren zweimal S 120,-- für die Beschwerde und S 60,-- für den beigelegten angefochtenen Bescheid. Die Vollmacht war bereits in einem gerichtlichen Verfahren vergebührt worden; der Vorlage weiterer Beilagen, wie des erstinstanzlichen Straferkenntnisses, bedurfte es nicht.
Wien, am 20. Februar 1986
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1986:1985020244.X00Im RIS seit
19.06.2020Zuletzt aktualisiert am
19.06.2020