TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/13 97/19/0584

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Veröffentlicht am 13.03.1998
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §6 Abs1 idF 1995/351;
AufG 1992 §6 Abs2 idF 1995/351;
AufG 1992 §6 Abs4 idF 1995/351;
AVG §6 Abs1;
AVG §73 Abs1;
FrG 1993 §65 Abs2 Z1;
FrG 1993 §7 Abs7;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des 1972 geborenen NA in Wien, vertreten durch Dr. HP, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 23. Oktober 1996, Zl. 114.464/2-III/11/96, betreffend Abweisung eines Devolutionsantrages i.A. Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit seiner am 30. März 1995 bei der belangten Behörde eingelangten Eingabe machte der Beschwerdeführer den Übergang der Entscheidungspflicht vom Landeshauptmann von Wien auf die belangte Behörde gemäß § 73 AVG geltend. Er brachte vor, er habe am 14. April 1992 bei der österreichischen Botschaft in Ankara einen Antrag auf Ausstellung eines Sichtvermerkes gestellt. Nach der letzten, seinem Vertreter zuteil gewordenen Auskunft der österreichischen Botschaft in Ankara vom 10. Februar 1994 seien die Anträge der belangten Behörde übermittelt worden. Zweck der Aufenthaltsbewilligung sei die Familienzusammenführung mit seinem Vater und sein Studium in Österreich gewesen. Dem Antrag des Beschwerdeführers war ein Schreiben der österreichischen Botschaft in Ankara vom 10. Februar 1994 an den Vertreter des Antragstellers beigeschlossen, welches auszugsweise wie folgt lautet:

"Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt

Wie wir Ihnen mit Schreiben vom 09. Aug. 1993 und 06. Sept. 1993 mitgeteilt haben, sind die Anträge Ihrer Mandanten gem. § 7 Abs. 7 FrG an die zuständige Bewilligungsbehörde (Magistrat 62) übermittelt worden. Bis heute ist jedoch seitens des Magistrats, MA 62, weder eine Antwort noch eine Vignette eingelangt.

Wie wir Ihnen bereits gesagt haben, hat die Botschaft auf die Bewilligung bei der innerösterreichischen Behörde keinen Einfluß."

Über Aufforderung der belangten Behörde, den Akt vorzulegen, teilte der Landeshauptmann von Wien am 20. April 1995 mit, daß der Antrag vom 14. April 1992 im Protokoll nicht aufscheine und somit bei dieser Behörde nicht eingelangt sei.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 23. Oktober 1996 wies die belangte Behörde den Devolutionsantrag des Beschwerdeführers gemäß § 73 Abs. 1 und 2 AVG zurück. Begründend führte die belangte Behörde nach Wiedergabe des Gesetzeswortlautes aus, der vom Beschwerdeführer behauptetermaßen gestellte Antrag vom 14. April 1992 sei "nach der vorliegenden Aktenlage bei der MA 62" nie eingelangt und scheine nicht im Protokoll auf. Ein später gestellter Antrag sei abgewiesen worden. Da die Frist des § 73 AVG jedenfalls erst mit dem Tag des Einlangens bei der Einlaufstelle der Behörde, die zur Entscheidung über den Parteienantrag zuständig sei, beginne, liege eine Säumnis des Landeshauptmannes von Wien nicht vor. Der Devolutionsantrag sei daher zurückzuweisen gewesen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 6 Abs. 2 und § 15 Abs. 1 AufG lauteten:

"§ 6. ...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Begründet eine Einbringung auf dem Postweg oder durch Vertreter die Vermutung, daß diese Regelung umgangen werden soll, kann die persönliche Einbringung verlangt werden. ...

§ 15. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Juli 1993 in Kraft. ..."

§ 7 Abs. 7, § 65 Abs. 2 und § 86 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992 (im folgenden: FrG), lauteten (auszugsweise):

"Zweiter Teil: Ein- und Ausreise von Fremden

...

2. Abschnitt: Sichtvermerkspflicht

...

Erteilung des Sichtvermerkes

§ 7. ...

(7) Ergibt sich aus den Umständen des Falles, daß der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 des Bundesgesetzes, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird (Aufenthaltsgesetz), BGBl. Nr. 466/1992, benötigt, so darf dem Fremden kein Sichtvermerk nach diesem Bundesgesetz erteilt werden. Das Anbringen ist als Antrag gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten, der Antragsteller ist davon in Kenntnis zu setzen.

§ 65. ...

(2) Im Ausland obliegt die Vornahme von Amtshandlungen nach dem zweiten Teil ...

1. den diplomatischen und den von Berufskonsuln geleiteten österreichischen Vertretungsbehörden oder

2. ...

§ 86. (1) Dieses Bundesgesetz tritt mit 1. Jänner 1993, die §§ 75 und 76 treten mit 1. Jänner 1994 in Kraft."

§ 29 Abs. 1 des Paßgesetzes 1969, BGBl. Nr. 422/1969, lautete:

"§ 29. (1) Die Erteilung und Ungültigerklärung von Sichtvermerken obliegt

im Inland

...

im Ausland bei gewöhnlichen Sichtvermerken, Dienstsichtvermerken und Diplomatensichtvermerken den österreichischen Vertretungsbehörden."

Unter dem Gesichtspunkt einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit vertritt der Beschwerdeführer die Auffassung, bei der österreichischen Vertretungsbehörde in Ankara habe es sich um "eine Form der Einbringungsstelle, gewissermaßen um einen Briefkasten", der erstinstanzlichen Behörde gehandelt. Dem trage auch § 6 Abs. 2 AufG in der Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 Rechnung, welcher die persönliche Einbringung des Antrages auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung im Ausland vorsehe.

Dabei verkennt der Beschwerdeführer allerdings, daß er im vorliegenden Fall nicht etwa einen Antrag auf Aufenthaltsbewilligung stellte und sich dabei, wie es in den Gesetzesmaterialien zu § 6 AufG (RV 525 BlgNR 18. GP) ausgedrückt wird, der Vermittlung einer österreichischen Vertretungsbehörde bediente. Der Beschwerdeführer hat nach seinen Behauptungen im Devolutionsantrag vielmehr am 14. April 1992 an die gemäß § 29 Abs. 1 des Paßgesetzes 1969 zur Entscheidung hierüber zuständige österreichische Vertretungsbehörde in Ankara einen Antrag auf Ausstellung eines gewöhnlichen Sichtvermerkes gestellt. Hiedurch wurde zunächst die Entscheidungspflicht dieser Vertretungsbehörde über den genannten Antrag ausgelöst. Auch mit Inkrafttreten des FrG am 1. Jänner 1993 änderte sich an der Zuständigkeit der österreichischen Botschaft in Ankara zur Entscheidung über den Sichtvermerksantrag nichts (vgl. § 65 Abs. 2 Z. 1 FrG).

Erst mit Inkrafttreten des Aufenthaltsgesetzes am 1. Juli 1993 war der in Rede stehende Antrag bei Vorliegen der in § 7 Abs. 7 FrG umschriebenen Voraussetzungen in einen Antrag gemäß § 6 AufG umzudeuten. Die österreichische Botschaft in Ankara hätte diesfalls ihre Zuständigkeit zur Erlassung einer Sachentscheidung verloren. Sie wäre gehalten gewesen, das Anbringen als Antrag gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten und den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen.

Bei der Bestimmung des § 7 Abs. 7 zweiter Satz FrG handelt es sich um eine dem § 6 Abs. 1 AVG ähnliche Bestimmung, welche die Vorgangsweise bei der Behandlung eines bei der unzuständigen (im hier vorliegenden Fall des § 7 Abs. 7 FrG unzuständig gewordenen) Behörde anhängigen Anbringens regelt. Im Gegensatz zu § 6 Abs. 1 AVG bestimmt § 7 Abs. 7 FrG jedoch nicht, daß die Weiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters zu erfolgen habe.

Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 6 Abs. 1 AVG ausgesprochen, daß das Weiterleiten eines Anbringens nach dieser Gesetzesbestimmung das Erlöschen der Entscheidungspflicht der abtretenden Behörde bewirkt, hat sie doch durch diesen Verwaltungsakt - wenn auch nicht bindend - eine im Gesetz vorgesehene Verfügung über den Antrag getroffen, die ihrem Wesen nach notwendig die Annahme des Weiterbestehens ihrer Entscheidungspflicht ausschließt und weiters zur Folge hat, daß mit dem Einlangen des abgetretenen Antrages bei der "zuständigen" Behörde diese die Entscheidungspflicht nach § 73 Abs. 1 AVG trifft (vgl. den hg. Beschluß vom 3. April 1989, Zl. 89/10/0085).

Dieser im Bereich des § 6 AVG entwickelte Rechtssatz ist auf die hier erfolgte Übermittlung im Sinne des § 7 Abs. 7 FrG jedenfalls insoweit zu übertragen, als die Entscheidungspflicht der "zuständigen" Behörde erst einsetzt, sobald der übermittelte Antrag in ihre Verfügungsgewalt tritt. Selbst wenn man aus dem Fehlen einer Regelung des Inhaltes, daß die Übermittlung auf Gefahr des Antragstellers zu erfolgen habe, in § 7 Abs. 7 FrG Rückschlüsse auf die Entscheidungspflicht der Behörden ziehen wollte, spräche eine solche Überlegung aus folgenden Gründen für die Risikotragung und damit das Fortbestehen einer Entscheidungspflicht der übermittelnden Behörde. "Herrin" des Weiterleitungsvorganges ist nämlich die weiterleitende Behörde. Ihr obliegt es, die Weiterleitung zu veranlassen und die Beförderungsart zu wählen. Sie - und nicht die Aufenthaltsbehörde - hat es in der Hand, durch die Wahl geeigneter Beförderungsmittel das Risiko eines Fehlschlages der Weiterleitung so minimal als möglich zu halten. Es erscheint daher sachgemäß, die weiterleitende (und nicht die "zuständige") Behörde mit dem Risiko des Mißlingens der Weiterleitung zu belasten. Die Auffassung der belangten Behörde, das "Einlangen" im Sinne des Eintretens in die Verfügungsmacht der erstinstanzlichen Aufenthaltsbehörde sei für das Entstehen der Entscheidungspflicht dieser Behörde maßgeblich, kann daher jedenfalls nicht als rechtswidrig erkannt werden.

Der auf Übergang der Entscheidungspflicht vom Landeshauptmann von Wien auf den Bundesminister für Inneres, also auf Ausübung der dem Landeshauptmann von Wien zustehenden Befugnisse durch den Bundesminister für Inneres, gerichtete Devolutionsantrag könnte daher nur erfolgreich sein, wenn der am 14. April 1992 gestellte Antrag mindestens sechs Monate vor Antragstellung auf Übergang der Entscheidungspflicht in die Verfügungsgewalt des Landeshauptmannes von Wien gelangt wäre.

Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Zutreffend rügt der Beschwerdeführer nämlich, daß es die belangte Behörde unterlassen hat, sich in ihrer Bescheidbegründung mit dem Schreiben der österreichischen Botschaft in Ankara vom 10. Februar 1994 auseinanderzusetzen. Aufgrund dieses Schreibens hätte die belangte Behörde nämlich geeignete Schritte zur amtswegigen Sachverhaltsermittlung einzuleiten gehabt. Hiezu reichte es nicht aus, eine Stellungnahme des Landeshauptmannes von Wien einzuholen, es wäre insbesondere geboten gewesen, durch Rückfrage bei der österreichischen Botschaft in Ankara zu klären, wann und auf welche Weise die Übermittlung der Anträge an den Landeshauptmann von Wien erfolgt sein soll, insbesondere aber auch, ob der Übermittlungsvorgang durch entsprechende Übernahmsbestätigungen des Landeshauptmannes von Wien dokumentiert wurde.

Durch diese Unterlassung wurden Verfahrensvorschriften mißachtet, bei deren Einhaltung die belangte Behörde zu einem anderen Bescheid hätte kommen können. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. c VwGG aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

Von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung konnte aus dem Grunde des § 39 Abs. 2 Z. 3 VwGG Abstand genommen werden.

Schlagworte

Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche ZuständigkeitWeiterleitung an die zuständige Behörde auf Gefahr des Einschreiters

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997190584.X00

Im RIS seit

18.02.2002

Zuletzt aktualisiert am

26.06.2017
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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