TE Vwgh Beschluss 2020/5/19 Ra 2019/14/0599

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Veröffentlicht am 19.05.2020
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Index

E6J
41/02 Passrecht Fremdenrecht
49/01 Flüchtlinge

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
FlKonv Art1 AbschnA Z2
62017CJ0056 Fathi VORAB

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des A B in X, vertreten durch Dr.in Julia Ecker, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Opernring 7/18, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 5. November 2019, W138 2178857-1/15E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 20. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, den er mit einer Bedrohung durch seinen gewalttätigen Onkel, der mit den Taliban zusammenarbeite, begründete. Überdies gab er später an, er habe sich vom Islam abgewendet.

2        Mit Bescheid vom 24. Oktober 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte keine „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“, erließ gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Der Verfassungsgerichtshof lehnte die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom 24. Februar 2020, E 4528/2019-7, ab und trat sie dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. In der Folge wurde die gegenständliche Revision eingebracht.

5        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

6        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.

7        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

8        Die vorliegende Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit zusammengefasst vor, das BVwG habe die Beweiswürdigung in Bezug auf die vorgebrachte drohende Zwangsrekrutierung durch die Taliban, die „Verwestlichung“ des Revisionswerbers, die Abkehr vom Islam und die Frage der Gefährdung im Fall seiner Rückkehr nach Afghanistan in einer unvertretbaren Weise vorgenommen. Dem BVwG sei insofern ein Begründungsfehler unterlaufen, als es bei der Beurteilung, ob der Revisionswerber vom Islam abgefallen sei, unterlassen habe, die Angaben des einvernommenen Zeugen und die vorgelegten Beweismittel zu berücksichtigen und darzulegen, aus welchem Grund den Angaben des Zeugen keine Bedeutung beigemessen werde. Der Revisionswerber stehe dem Islam sehr kritisch gegenüber, was er durch die vorgelegten islamkritischen Facebook-Beiträge unter Beweis gestellt habe. Darüber hinaus habe das BVwG die „Country Guidance“ des EASO außer Acht gelassen. Daraus ergebe sich, dass es entgegen den Feststellungen des BVwG Berichte zur Verfolgung von Apostasie und Blasphemie gebe. Weiters wendet sich die Revision gegen die Annahme des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative in den Städten Kabul, Herat und Mazar-e Sharif. Das BVwG habe die UNHCR-Richtlinien vom 30. August 2018 und den Brief des Leiters von UNHCR Österreich sowie die „Country Guidance“ der EASO außer Acht gelassen. Aus dem Umstand, dass eine interne Fluchtalternative in Kabul grundsätzlich nicht verfügbar sei, dürfe nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Inanspruchnahme einer solchen in anderen afghanischen Städten zumutbar sei. Vielmehr sei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen, die das BVwG unterlassen habe. Das BVwG habe die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Iran nicht festgestellt. Personen, die sehr lange außerhalb Afghanistans gelebt hätten, würden über keine Niederlassungsmöglichkeit in ihrem Herkunftsstaat verfügen. Es stelle sich die Frage, wie lange ein Zeitraum sein müsse, um nach diesem Länderbericht als „sehr lange“ eingestuft zu werden. Zudem sei die vom BVwG im Rahmen der Rückkehrentscheidung vorgenommene Interessensabwägung unvertretbar. Das BVwG habe in Abweichung von der Rechtsprechung verkannt, dass es sich bei der Aufenthaltsdauer nur um einen von mehreren zu berücksichtigenden Umständen handle und die herausragende Integration des Revisionswerbers in der österreichischen Kampfsportszene, seine sozialen Bindungen, sein gesellschaftliches Engagement, die Beziehungen zu einer österreichischen Familie, seine Entfremdung vom Herkunftsstaat und den Umstand, dass der Revisionswerber zu Afghanistan „praktisch“ keine Bindungen und dort kein soziales Netz habe, unberücksichtigt gelassen.

9        Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 26.11.2019, Ra 2019/14/0276, mwN). Die Beweiswürdigung ist damit nur insofern einer Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof zugänglich, als es sich um die Schlüssigkeit dieses Denkvorganges (nicht aber die konkrete Richtigkeit) handelt bzw. darum, ob die Beweisergebnisse, die in diesem Denkvorgang gewürdigt wurden, in einem ordnungsgemäßen Verfahren ermittelt worden sind. Der Verwaltungsgerichtshof ist nicht berechtigt, die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichtes mit der Begründung zu verwerfen, dass auch ein anderer Sachverhalt schlüssig begründbar wäre (vgl. etwa VwGH 30.3.2020, Ra 2020/14/0020, mwN).

10       Eine krasse Fehlbeurteilung im Rahmen der Beweiswürdigung wird in der Revision nicht aufgezeigt. Das BVwG hat sich nach Durchführung einer Verhandlung, in der es sich einen persönlichen Eindruck vom Revisionswerber verschaffen konnte, mit dem Vorbringen zu den Gründen seiner Flucht befasst. Es ist in einer nicht unschlüssigen Beweiswürdigung zum Ergebnis gekommen, dass das Vorbringen des Revisionswerbers im Zusammenhang mit der behaupteten Zwangsrekrutierung durch seinen Onkel unglaubwürdig sei. Zur vorgebrachten westlichen Orientierung führte das BVwG aus, dass diese nicht so ausgeprägt sei, dass der Revisionswerber bei einer Rückkehr einer konkreten Bedrohung oder Verfolgung ausgesetzt wäre. Der Revision gelingt es nicht darzulegen, dass beim Revisionswerber als Mann Umstände vorliegen, welche ein besonderes Verfolgungsrisiko aufgrund einer „Verwestlichung“ begründen könnten (vgl. dazu VwGH 26.2.2020, Ra 2020/18/0059).

11       Soweit die Revision eine islamkritische Haltung des Revisionswerbers und eine Verfolgungsgefahr wegen eines Abfalls vom Islam anspricht, ist darauf hinzuweisen, dass für die Annahme einer Verfolgung wegen Apostasie Voraussetzung ist, dass der Revisionswerber seine Konfessionslosigkeit als innere Überzeugung und identitätsstiftendes Merkmal versteht, die er auch in seinem Heimatstaat leben wird (vgl. VwGH 14.1.2020, Ra 2019/01/0495; 13.12.2018, Ra 2018/18/0395). Das BVwG setzte sich ausführlich mit dem diesbezüglichen Vorbringen auseinander und begründete umfassend, wie es zum Ergebnis gelangte, der Revisionswerber habe einen Abfall vom Islam nicht glaubhaft machen können. Dabei berücksichtigte es die von der Revision angesprochenen Postings und legte dar, warum auch unter Berücksichtigung der Aussage des einvernommenen Zeugen ein verinnerlichter Abfall des Revisionswerbers vom Islam und das vom Revisionswerber behauptete Bekanntwerden seines Abfalls vom islamischen Glauben in seinem Herkunftsstaat unglaubwürdig seien und warum es ausgehend von den persönlichen Umständen des Revisionswerbers die Gefahr einer Verfolgung für unwahrscheinlich erachtete. Die Revision zeigt nicht auf, dass die Beweiswürdigung und die Einschätzung des BVwG zur Verfolgungsgefahr fallbezogen unvertretbar wären.

12       Wenn die Revision in diesem Zusammenhang zudem Ermittlungsfehler und Feststellungsmängel hinsichtlich der Situation im Herkunftsland geltend macht und auf den Umstand hinweist, dass die Taliban das Internet rege für ihre Zwecke nutzen würden, wird die Relevanz des behaupteten Verfahrensmangels (vgl. dazu VwGH 4.2.2020, Ra 2020/14/0024, mwN), nicht ausreichend dargetan. Dem Revisionswerber muss, um den Status des Asylberechtigten zu erhalten, bei Rückkehr in seinen Herkunftsstaat Verfolgung mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit drohen. Die entfernte Möglichkeit einer Verfolgung genügt nicht (vgl. VwGH 12.12.2018, Ra 2018/19/0572, mwN).

13       Soweit die Revision hinsichtlich der Annahme des Bestehens einer innerstaatlichen Fluchtalternative eine unzureichende Auseinandersetzung mit den Richtlinien des UNHCR, dem Brief des Leiters von UNHCR Österreich und der „Country Guidance“ des EASO rügt, ist ihr ebenfalls entgegen zu halten, dass es nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht ausreicht, die Außerachtlassung von Verfahrensvorschriften zu behaupten, ohne die Relevanz der genannten Verfahrensmängel darzulegen. Die Relevanz der geltend gemachten Verfahrensfehler ist in konkreter Weise darzulegen (vgl. etwa VwGH 12.3.2020, Ra 2019/14/0179, mwN). Dieser Anforderung wird die Revision mit dem allgemeinen gehaltenen Vorbringen, das BVwG hätte zu Herat und Mazar-e Sharif „andere Feststellungen treffen und folglich zu einer anders lautenden Entscheidung gelangen müssen“ nicht gerecht.

14       Auch mit den bloß allgemeinen Revisionsausführungen, es liege ein Feststellungsmangel vor, weil das BVwG die Aufenthaltsdauer des Revisionswerbers im Iran nicht festgestellt habe, vermag die Revision keinen relevanten Verfahrensfehler geltend zu machten. Es entspricht nämlich in Bezug auf Afghanistan der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrscht, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut ist und die Möglichkeit hat, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden kann, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren wurde, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan hat, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen ist (vgl. VwGH 17.9.2019, Ra 2019/14/0160, mwN). Darüber hinaus hat der Revisionswerber selbst angegeben, sich nur etwa ein Jahr vor seiner Flucht nach Europa im Iran aufgehalten zu haben (vgl. Verhandlungsprotokoll vom 10. Oktober 2019, S 5).

15       Soweit sich die Revision schließlich gegen die Erlassung der Rückkehrentscheidung wendet, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hinzuweisen, nach der eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel ist (vgl. VwGH 19.2.2020, Ra 2020/14/0001, mwN).

16       Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat nach der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 6.2.2020, Ra 2020/14/0025, mwN).

17       Es ist nicht ersichtlich, dass die vom BVwG fallbezogen vorgenommene Interessenabwägung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise erfolgt wäre.

18       In der Revision werden sohin keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 19. Mai 2020

Gerichtsentscheidung

EuGH 62017CJ0056 Fathi VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2020:RA2019140599.L00

Im RIS seit

17.07.2020

Zuletzt aktualisiert am

17.07.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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