TE Vfgh Erkenntnis 1996/6/11 B79/96, B80/96, B81/96

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Veröffentlicht am 11.06.1996
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

EMRK Art8
AufenthaltsG §5

Leitsatz

Verletzung im Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch Abweisung eines Antrags auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung mangels Vorliegen einer ortsüblichen Unterkunft; Unterlassen der gebotenen Interessenabwägung

Spruch

Die Beschwerdeführer sind durch den jeweils angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, den Beschwerdeführern, zuhanden ihres Rechtsvertreters, die mit je 18.000 S bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Mit den angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen drei Bescheiden wies der Bundesminister für Inneres die Anträge einer jugoslawischen Staatsangehörigen (der Beschwerdeführerin zu B79/96) und ihrer beiden minderjährigen Kinder (der Beschwerdeführer zu B80/96 und B81/96) auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung unter Berufung auf §5 Abs1 (im Fall der Minderjährigen auch unter Bezugnahme auf §3 Abs1 Z2 und §4 Abs3) des Aufenthaltsgesetzes - AufG, BGBl. 466/1992 idF BGBl. 351/1995, ab. Die belangte Behörde begründet die Bescheide im wesentlichen damit, daß an der angegebenen Wohnadresse sechs Personen gemeldet seien und selbst für fünf Personen die Wohnung zu klein wäre, um von ortsüblichen Wohnverhältnissen zu sprechen. Das Vorliegen des Versagungstatbestandes der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Wohnung iSd §5 AufG wird in den angefochtenen Bescheiden - übereinstimmend - mit folgenden Ausführungen dargetan:

"Gerade die Notwendigkeit, in einem ohnehin sensiblen Wohnbereich die weitere Zuwanderung sorgfältig zu steuern, macht es erforderlich, strenge Maßstäbe an die Beurteilung der Ortsüblichkeit von Wohnverhältnissen von Zuwanderern anzulegen. Ist eine für Inländer ortsübliche Unterkunft für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert, so darf gemäß §5 Abs1 des Aufenthaltsgesetzes eine Bewilligung nicht erteilt werden."

Gegen diese Bescheide richten sich die drei vorliegenden, auf Art144 Abs1 B-VG gestützten Beschwerden, in denen die Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Achtung des Privat- und Familienlebens geltend gemacht und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.

Der Bundesminister für Inneres als belangte Behörde hat die Verwaltungsakten vorgelegt, von der Erstattung einer Gegenschrift jedoch Abstand genommen.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässigen - Beschwerden erwogen:

1.a) Der jeweils angefochtene, eine Aufenthaltsbewilligung nach dem AufG versagende Bescheid, greift in das durch Art8 EMRK verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführer, die sich seit mehreren Jahren - die Kinder wurden in Österreich geboren - ein.

b) Ein Eingriff in dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete - unter Gesetzesvorbehalt stehende - Recht ist dann verfassungswidrig, wenn der ihn verfügende Bescheid ohne jede Rechtsgrundlage erging, auf einer dem Art8 EMRK widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Rechtsgrundlage in denkunmöglicher Weise anwendete. Ein solcher Fall liegt nur vor, wenn die Behörde einen so schweren Fehler beging, daß dieser mit Gesetzlosigkeit auf eine Stufe zu stellen ist, oder wenn sie der angewendeteten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen verfassungswidrigen, insbesondere einen dem Art8 Abs1 EMRK widersprechenden und durch Art8 Abs2 EMRK nicht gedeckten Inhalt unterstellte (vgl. VfSlg. 11638/1988).

c) Wie der Verfassungsgerichtshof im Erkenntnis v. 16.3.1995, B2259/94 mit näherer Begründung dargelegt hat, ist die Behörde auch bei der Anwendung der im §5 Abs1 AufG besonders hervorgehobenen Versagungstatbestände der für die Dauer der Bewilligung nicht gesicherten ortsüblichen Unterkunft oder des nicht gesicherten Lebensunterhaltes in Fällen, in denen durch die Versagung der Bewilligung in das durch Art8 EMRK gewährleistete Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingegriffen wird, verhalten, die Notwendigkeit der Versagung der Bewilligung aus den in Art8 Abs2 EMRK umschriebenen öffentlichen Interessen zu prüfen und dabei auch auf die familiären und sonstigen privaten Interessen des Bewilligungswerbers Bedacht zu nehmen.

d) Die belangte Behörde hat in den Beschwerdefällen, denen Anträge auf Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung von bereits seit mehreren Jahren in Österreich aufhältigen Fremden zugrundelagen - die Erstbeschwerdeführerin lebt seit 5 Jahren im Bundesgebiet und ist mit einem jugoslawischen Staatsangehörigen, der sich seit 15 Jahren im Bundesgebiet befindet, verheiratet, die beiden gemeinsamen Kinder (Zweit- und Drittbeschwerdeführer) wurden in Österreich geboren -,das Vorliegen des Versagungstatbestandes des §5 Abs1 AufG mit der Notwendigkeit der sorgfältigen Steuerung der weiteren Zuwanderung von Fremden begründet. Damit hat sie in Wahrheit die im Sinne des Art8 EMRK gebotene Interessenabwägung nicht vorgenommen, denn sie hat den öffentlichen Interessen die privaten Interessen der Beschwerdeführer nicht abwägend entgegengestellt.

Die angefochtenen Bescheide waren daher aufzuheben.

2. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VerfGG; in den zugesprochenen Kosten ist die Umsatzsteuer von je 3.000 S enthalten.

3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.

Schlagworte

Aufenthaltsrecht, Privat- und Familienleben, Interessenabwägung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:1996:B79.1996

Dokumentnummer

JFT_10039389_96B00079_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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