Index
40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AufG 1992 §6 Abs2;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des IK, geboren 1985, vertreten durch seinen Vater IK, dieser vertreten durch Dr. HS, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. April 1996, Zl. 115.543/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der minderjährige Beschwerdeführer, vertreten durch seine Mutter, stellte am 18. Juli 1994 im Weg über die österreichische Botschaft in Ankara einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Als Aufenthaltszweck gab er die Familienzusammenführung mit seinem in Österreich lebenden Vater an und bezeichnete als seinen derzeitigen Wohnort eine türkische Adresse. Als Ort der Antragstellung scheint Ankara auf.
Aus einer mit dem Vater des Beschwerdeführers aufgenommenen Niederschrift vor der Aufenthaltsbehörde erster Instanz vom 10. Februar 1995 geht hervor, daß dessen Gattin auch in Wien lebe und über ein gültiges Visum verfüge. Der Antragsteller selbst sei derzeit in der Türkei und lebe bei seiner Großmutter. Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 28. März 1995 den Antrag gemäß § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) mangels einer für Inländer ortsüblichen Unterkunft in Österreich ab.
Der Beschwerdeführer erhob Berufung, in der er u.a. darauf hinwies, daß er sich bei seiner Großmutter väterlicherseits in der Türkei befinde.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 19. April 1996 wies dieser die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 AufG sowie § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG ab. Die belangte Behörde stellte fest, daß der Beschwerdeführer den Antrag nicht vor seiner Einreise in das Bundesgebiet eingebracht habe. Nach der auch auf den eigenen Angaben des Beschwerdeführers beruhenden Aktenlage sei der Erstantrag am 18. Juli 1994 bei der Vertretungsbehörde eingereicht worden. Der Beschwerdeführer sei seit 22. August 1992 in einer näher bezeichneten Wiener Adresse polizeilich aufrecht gemeldet; er habe somit seinen Antrag nicht vor der Einreise, mit dem sein derzeitiger Aufenthalt begonnen habe, gestellt. Er sei vor, während und nach der Antragstellung in Österreich polizeilich gemeldet gewesen. Aus diesen Umständen ergebe sich, daß die Verfahrensvorschrift des § 6 Abs. 2 AufG anzuwenden und die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung ausgeschlossen sei. Darüberhinaus zeige der Beschwerdeführer durch seinen unrechtmäßigen Aufenthalt im Bundesgebiet, daß er nicht gewillt sei, die Vorschriften des österreichischen Fremdenrechtes einzuhalten und zu respektieren und stelle dies, aufgrund der möglichen Beispielswirkung anderen Fremden gegenüber eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Zu den persönlichen Verhältnissen sei zu sagen, daß durch den Aufenthalt seiner Familie im Bundesgebiet unabsprechbare private und familiäre Beziehungen zu Österreich bestünden. Bei Abwägung der persönlichen Interessen und der privaten im Rahmen des Art. 8 MRK sei aufgrund des angeführten Sachverhaltes den öffentlichen Interessen insbesondere an der Aufrechterhaltung eines geordneten Fremdenwesens, Priorität einzuräumen gewesen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
Im Hinblick auf den Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides (die Zustellung erfolgte am 9. Mai 1996) ist für die Überprüfung seiner Rechtmäßigkeit durch den Verwaltungsgerichtshof die Rechtslage nach der Novelle zum AufG BGBl. Nr. 351/1995 maßgeblich.
Die §§ 5 Abs. 1 sowie 6 Abs. 2 AufG lauten in der Fassung dieser Novelle:
"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.
...
§ 6. ...
(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. Begründet eine Einbringung auf dem Postweg oder durch Vertreter die Vermutung, daß diese Regelung umgangen werden soll, kann die persönliche Einbringung verlangt werden. Eine Antragstellung im Inland ist ausnahmsweise zulässig: Im Fall des Verlustes der österreichischen Staatsbürgerschaft, des Asyls oder des Aufenthaltsrechts gemäß § 1 Abs. 3 Z. 1; weiters in den Fällen des § 7 Abs. 2, des § 12 Abs. 4 und einer durch zwischenstaatliche Vereinbarung oder durch eine Verordnung gemäß § 14 FrG ermöglichten Antragstellung nach Einreise; schließlich für jene im Bundesgebiet aufhältigen Personen, für die dies in einer Verordnung gemäß § 2 Abs. 3 Z. 4 festgelegt ist. Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung und auf Änderung des Aufenthaltszwecks kann bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung auch vom Inland aus gestellt werden."
§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:
"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn
...
4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"
Da der Beschwerdeführer weder nach der Aktenlage noch nach seinem eigenen Vorbringen jemals über eine Aufenthaltsbewilligung verfügte, wertete die belangte Behörde den Antrag zu Recht als Erstantrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung, für dessen Beurteilung § 6 Abs. 2 AufG maßgeblich ist.
Der Beschwerdeführer wendet sich in seiner Beschwerde gegen den von der belangten Behörde herangezogenen Versagungsgrund des Inlandsaufenthaltes im Zeitpunkt der Antragstellung und bringt vor, die belangte Behörde habe die Meldedaten des (namensgleichen) Vaters des Beschwerdeführers, der tatsächlich seit 22. August 1992 aufrecht in Wien gemeldet sei, in der Bescheidbegründung herangezogen und nicht beachtet, daß der Beschwerdeführer selbst noch niemals in Österreich gewesen und auch nicht in Wien gemeldet sei. Das von der Behörde herangezogene Beweisergebnis einer aufrechten Meldung sei dem Beschwerdeführer entgegen den Bestimmungen des § 45 Abs. 3 AVG nicht bekanntgegeben worden, weshalb er dazu nicht Stellung habe nehmen können. Die belangte Behörde habe somit einen aktenwidrigen Sachverhalt, nämlich eine aufrechte Meldung des Beschwerdeführers in Österreich, zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht.
Da § 6 Abs. 1 AufG nicht zu entnehmen ist, ein Fremder habe von sich aus glaubhaft zu machen, daß sein Antrag auf Erteilung einer Bewilligung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gestellt wurde, ist das Vorliegen dieser Erfolgsvoraussetzung gemäß § 39 Abs. 2 erster Satz AVG von der Behörde von Amts wegen zu prüfen, wenn sie - wie im vorliegenden Fall - nicht aufgrund ihrer Vermutung, § 6 Abs. 2 erster Satz AufG solle umgangen werden, nach dem zweiten Satz dieser Bestimmung vorgeht (vgl. das hg. Erkenntnis vom 24. März 1997, Zl. 95/19/0792). Im Rahmen eines solchen Ermittlungsverfahrens hatte die Behörde dem Beschwerdeführer auch entsprechend Parteiengehör einzuräumen.
Da die Behörde entsprechende Ermittlungen zur Feststellung des tatsächlichen Aufenthaltes des Beschwerdeführers zum Zeitpunkt seiner Antragstellung, während des Verfahrens sowie zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides nicht gepflogen hat und diesem ihre Annahmen (hinsichtlich des Inlandsaufenthaltes) auch nicht vorgehalten hat, sind ihr diesbezüglich Verfahrensfehler anzulasten. Aufgrund des Umstandes, daß erst im angefochtenen Bescheid die Feststellung getroffen wurde, der Beschwerdeführer habe sich zum Zeitpunkt der Antragstellung im Bundesgebiet aufgehalten, unterliegt sein Beschwerdevorbringen auch nicht dem im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof geltenden Neuerungsverbot.
Daß die belangte Behörde bei der Vermeidung der ihr anzulastenden Verfahrensmängel zu einem anderen Bescheid hätte gelangen können, zeigt das Beschwerdevorbringen, wonach sich der Beschwerdeführer noch nie in Österreich aufgehalten habe und die belangte Behörde irrtümlich von den Meldedaten des namensgleichen Vaters des Beschwerdeführers ausgegangen sei. Träfe dies zu, hätte schon allein aus diesem Umstand die Behörde ihre abweisliche Entscheidung nicht auf die Nichterfüllung der Voraussetzung des § 6 Abs. 2
erster Satz AufG stützen könne.
Ergänzend wird darauf hingewiesen, daß selbst bei Vorliegen einer aufrechten Meldung des Beschwerdeführers im Inland dieser Umstand für sich allein Ermittlungen über den tatsächlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers in den entscheidungswesentlichen Zeiträumen nicht ersetzen kann. Die Behörde hat vielmehr Ermittlungen über den tatsächlichen Aufenthalt eines Antragstellers zum Zeitpunkt der Antragstellung bzw. während des Verfahrens und im Zeitpunkt der Bescheiderlassung zu pflegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 1997, Zl. 95/19/0473), sofern sich nicht aus der Aktenlage weitere Anhaltspunkte für die Anwesenheit im Inland ergeben.
Vom aufgezeigten Verfahrensmangel ist schließlich auch die Heranziehung des Sichtvermerksversagungsgrundes nach § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG umfaßt. Der Beschwerdeführer bringt hiezu vor, sich noch nie in Österreich aufgehalten zu haben. Träfe dieses Vorbringen des Beschwerdeführers zu, läge aber kein unrechtmäßiger Aufenthalt im Bundesgebiet vor, weshalb die Heranziehung des erwähnten Sichtvermerksversagungsgrundes durch die belangte Behörde unzulässig wäre.
Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1998:1996191602.X00Im RIS seit
02.05.2001