Entscheidungsdatum
10.12.2019Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W264 2117069-2/9E
W264 2117071-2/9E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde des Erstbeschwerdeführers XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, (BF1) vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie & Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.7.2018, 1091049507/151553507, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Tanja KOENIG-LACKNER als Einzelrichterin über die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit Islamische Republik Afghanistan, vertreten durch ARGE Rechtsberatung Diakonie & Volkshilfe, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 11.7.2018, 1091049006/151553515, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE:
I. Verfahrensgang:
Zur leichteren Nachvollziehbarkeit wird festgehalten, dass die Abkürzungen BF1 und BF2 im Folgenden - zur leichteren Lesbarkeit dieser Entscheidung - beibehalten werden.
1. BF1 und BF2, afghanische Staatsangehörige, reisten begleitet von einem Sohn unrechtmäßig und schlepperunterstützt in das österreichische Bundesgebiet ein und stellten im Oktober 2015 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz in der PI XXXX .
2. Am gleichen Tage wurden die beiden BF durch einen Gruppeninspektor (Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes) jeweils zu dem Fluchtgrund erstmals befragt.
Der BF1 gab an "aus Angst vor den Taliban bin ich mit meiner Familie aus Afghanistan geflüchtet. Sie haben meinen Bruder getötet. Aus Angst getötet zu werden, habe ich Afghanistan verlassen. Das ist mein Asylgrund".
Die BF2 gab an "aus Angst vor den Taliban bin ich mit meiner Familie aus Afghanistan geflüchtet. Sie haben meinen Schwager und meinen Bruder getötet. Aus Angst um unser Leben haben wir Afghanistan verlassen. Das ist mein Asylgrund".
3. Die beiden BF wurden jeweils zweimal vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" oder "belangte Behörde") einvernommen.
3.1. Am 5.12.2017 fand vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: "BFA" oder "belangte Behörde") jeweils die niederschriftliche Einvernahme der BF2 und des BF1 statt.
3.1.1. Der BF1 legte dem BFA Folgendes vor:
3.1.1.1. Dokumente:
* afghanischen Reisepass (gültig bis 7.6.2019)
* Aufenthaltskarte für Fremde in der Türkei
* abgelaufenen Reisepass mit Daten der Ehefrau und des Sohnes
* Dienstausweis
3.1.1.2. medizinische Unterlagen:
* fachärztl. Befundbericht des XXXX vom 4.12.2017 über Vorstelligkeit des BF1 am 9.10.2017 und wird berichtet, dass der BF1 wegen chron. Kopfschmerzsymptomatik beim Neurologen Dr. XXXX "kürzlich" begutachtet wurde. Diagnose des Ambulatoriums: F32.1.
Depressio. Medikament: Cipralex 10mg in Dosierung 1-0-0-0
* Arztbrief Dris. XXXX , XXXX , FA für Neurologie & Psychatrie vom 1.12.2017, worin in der Anamnese berichtet wird, dass der den BF1 begleitende Sohn über "depressive Symptomatik seit gut 15 Jahren berichtet", CCT zeigt metallischen Fremdkörper, weiters besteht Vergesslichkeit, einmalig auch verwirrt. Befund: Zusammenhang der Kopfschmerzen mit dem Fremdkörper der Galea besteht nicht, ich sehe keine Notwendigkeit diesen operativ zu entfernen. Der Kopfschmerz wird wie Spannungskopfschmerz mit psych. Aggravation geschildert, ich rate zusätzlich zur Einnahme von Saroten abends.
* Befundbericht des Diagnosezentrums XXXX vom 29.8.2017 über CT Schädel wegen Zuweisungsdiagnose "Vergesslichkeit, fragliche Demenz, DD Pseudodemenz bei Depressio, organisches Korrelat? Allgemeinveränderungen?" mit Ergebnis: Metallfremdkörper in der Gelea rechts frontopariental. Sonst an der Schädelkalotte keine weiteren Auffälligkeiten. Unauffällige Weite der Liquorräume, anlagebedingte leichte Asymmetrie zugunsten links. Periventrikulär mäßig ausgebildete flaue Hypodensitäten - mäßig ausgebildete SAE. Regelrechte Lage der Mittellinie, keine Raumforderungszeichen.
Ergebnis: 1. Mäßige mikrovasuläre Veränderungen, keine Raumforderungszeichen. 2. Metallfremdkörper in der Galea rechts frontopariental.
3.1.1.3. sonstige Unterlagen:
* Vereinbarung mit XXXX über max. 3std. gemeinnützige Tätigkeit, Entlohnung 4 EUR pro Stunde
* VHS Kursantrittsbestätigung, Anmeldebestätigung und Deutschkurs-Bestätigung jeweils vom Flüchtlingsprojekt XXXX (Alphabetisierung/Basisbildung)
* Teilnahmebestätigungen für Info-Modul "Zusammenleben" und für Veranstaltung "Aufsichtspflicht"
* Auszeichnung des BMI Integrationskurs (erfolgreich bestanden, 30 von 40 Punkten)
* Werte- und Orientierungskurs Teilnahmebestätigung vom 20.7.2017
3.1.2. Die BF2 legte dem BFA Folgendes vor:
3.1.2.1. sonstige Unterlagen:
* Anmeldebestätigung und Teilnahmebestätigung Alphabetisierungskurs
* VHS Teilnahmebestätigung Basisbildung & Deutsch als Zweitsprache
* Deutschkursbestätigung
* Werte- und Orientierungskurs Teilnahmebestätigung vom 20.7.2017
* Auszeichnung des BMI Integrationskurs (erfolgreich bestanden; 40+ von 40 Punkten)
3.1.2.2. medizinische Unterlagen:
* "Anweisung für Transportkosten"-Schein für Rücktransport am 14.10.2015 aus dem Landesklinikum XXXX wegen Zustand nach Fehlgeburt (abortus non recens)
3.2. Am 14.6.2018 fand vor dem BFA nochmals jeweils die niederschriftliche Einvernahme der BF2 und des BF1 statt.
3.2.1. Der BF1 wurde zu den von ihm vorgelegten Dokumenten aus der Türkei befragt, welche lauten auf den Namen XXXX und zu seinem Gesundheitszustand befragt.
3.2.1.1. Der BF1 legte dem BFA Folgendes vor:
3.1.1.1. sonstige Dokumente:
* Zertifikat über Deutsch Basisbildung A1 (384 UE) vom 11.9.2017 - 8.5.2018
3.2.1.1. medizinische Unterlagen:
* Fachärztlicher Befundbericht des XXXX vom 11.6.2018, wonach der BF1 seit August 2017 in fachärztlicher Behandlung dort steht. Chronische Kopfschmerzsymptomatik, daher Begutachtung beim Neurologen Dr. XXXX , eingeleitete Schmerztherapie erbrachte keine Verbesserung der Schmerzsymptomatik. "Auf Wunsch des Patienten erfolgte eine operative Sanierung bzw Entfernung eines Metallfremdkörpers in der Gelea rechts frontopariental. Laut Anamnese handelt es sich um Granatsplitter, bei jenem Granatangriff seien drei Mitsoldaten vor seinen Augen verstorben, nur er und ein weiterer Soldat hätten überlebt". Ausgeprägte Sprachbarriere, Kommunikation großteils über Sohn. Dieser schildert zunehmende Vergesslichkeit des Vaters, eventuell eine depressive Pseudodemenz, andererseits wäre eine dementielle Entwicklung differentialdiagnostisch ebenfalls zu überlegen - diesbezüglich soll eine weitere Diagnostik bzw Verlaufskontrolle erfolgen." Medikation:
Cipralex 10mg: 1-0-0-0
* Entlassungsbrief Pflege (Situationsbericht) des KH XXXX vom 25.5.2018: "Der Patient Hr. XXXX , geb. XXXX , ist zum Zeitpunkt der Entlassung selbständig und bedarf keiner Unterstützung durch professionelle Pflege. Dies bezieht sich nicht auf die Unterstützung, welche vor oder nach dem Krankenhausaufenthalt im häuslichen Umfeld benötigt wurde oder wird."
* Patientenbrief des KH XXXX vom 25.5.2018, Abteilung Plastische Chirurgie", Aufnahme wegen Metallsplitter rechts pariental, OP am 24.5.2018, frühere Erkrankungen: Rheumatisches Geschehen.
3.2.2. Die BF2 wurde zu der türkischen Aufenthaltberechtigungskarte befragt welche lautet auf den Namen XXXX und wurde sie auch zu dem Gesundheitszustand befragt.
3.2.2.1. Die BF2 legte dem BFA Folgendes vor:
3.2.2.1. sonstige Dokumente:
* Zertifikat über Deutsch Basisbildung A1 (366 UE) vom 11.9.2017 - 8.5.2018
4. Mit den nunmehr bekämpften Bescheiden wurde jeweils der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des Asylberechtigten abgewiesen, der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf Afghanistan abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Entscheidung beträgt.
5. Dagegen wurde mit Schriftsatz des Rechtsberaters das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. Die bezughabenden Fremdakte langten beim Bundesverwaltungsgericht am 6.8.2018 ein.
5.1. Bezüglich Gesundheit des BF1 wurden dem Beschwerdeschriftsatz folgende Unterlagen angeschlossen:
* Fachärztlicher Befundbericht des XXXX vom 11.6.2018, wonach der BF1 seit August 2017 in fachärztlicher Behandlung dort steht. Chronische Kopfschmerzsymptomatik, daher Begutachtung beim Neurologen Dr. XXXX , eingeleitete Schmerztherapie erbrachte keine Verbesserung der Schmerzsymptomatik. "Auf Wunsch des Patienten erfolgte eine operative Sanierung bzw Entfernung eines Metallfremdkörpers in der Gelea rechts frontopariental. Laut Anamnese handelt es sich um Granatsplitter, bei jenem Granatangriff seien drei Mitsoldaten vor seinen Augen verstorben, nur er und ein weiterer Soldat hätten überlebt". Ausgeprägte Sprachbarriere, Kommunikation großteils über Sohn. Dieser schildert zunehmende Vergesslichkeit des Vaters, eventuell eine depressive Pseudodemenz, andererseits wäre eine dementielle Entwicklung differentialdiagnostisch ebenfalls zu überlegen - diesbezüglich soll eine weitere Diagnostik bzw Verlaufskontrolle erfolgen." Medikation:
Cipralex 10mg: 1-0-0-0
5.2. Bezüglich Gesundheit der BF2 wurden dem Beschwerdeschriftsatz folgende Unterlagen angeschlossen:
* Gesundheitlicher Bericht Dris. XXXX , Allgemeinmediziner, vom 27.7.2018, wonach die BF2 an "Depressionen, Lumbago und CVS-Syndrom" leide und "zur Zeit arbeitsunfähig" sei
* MRT-Befund rechtes Kniegelenk des XXXX , vom 20.7.2018:
mäßiggradiger Kniegelenkserguss mit Ausbildung von hypertrophen Synovialzotten wie bei Synovitis iS eines länger bestehenden Prozesses. Deutliche Verschmälerung des Knorpelüberzugs, stellenweise fast eine Knorpelglatze mit suchondoralem össären Ödem. Innenmeniscus deutlich verschmälert mit Zeichen einer schräg horizontalen femurseitigen Ruptur im Hinterhornbereich. Im lateralen femorotibialen Kompartment Knorpelüberzug etwas besser erhalten und Außenmeniscus ohne Rupturkriterien. Retropatellar medialseits mehrere Knorbelfissuren, die stellenweise bis zur Corticalis reichen. Kreuz- und Seitenbänder intakt.
6. Am 16.10.2019 wurde die öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, in welcher BF1 und BF2 jeweils unter Hinweis auf die Mitwirkungspflicht zu den Fluchtgründen im Beisein des Rechtsberaters befragt wurden.
Die erkennende Richterin forderte in der Verhandlung jeweils BF1 und BF2 auf, in Ruhe in freier Erzählung nochmals die Gründe, warum das Herkunftsland verlassen wurde und einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hatte, von sich aus vollständig und wahrheitsgemäß zu erzählen. Jeweils wurden diese aufgefordert: "Lassen Sie nichts weg! Nehmen Sie sich Zeit und erzählen Sie ganz konkret und mit Details. Falsche Angaben beeinträchtigen die Glaubhaftigkeit Ihres Fluchtberichts". Sie haben nun die Möglichkeit von sich aus alles zu erzählen, ohne auf Fragen von mir warten zu müssen".
Daraufhin begannen - jeweils voneinander getrennt ohne Beisein des jeweils anderen - BF1 und BF2 die Fluchtgründe und die Familienverhältnisse zu schildern und wurden seitens der erkennenden Richterin dazu Fragen gestellt. Die Verhandlungsschrift wurde auf Wunsch der beiden BF diesen nicht rückübersetzt, sondern begehrten diese, dass die Rechtsberaterin diese durchlese. Dieser erhob gegen die Verhandlungsschrift keine Einwendungen wegen behaupteter Unvollständigkeit oder Unrichtigkeit.
Die Rechtsberaterin gab an, dass aus den Länderberichten vorgehe, dass den BF schon auf Grund ihres gesundheitlichen Zustandes und des fehlenden sozialen Netzwerkes eine Rückkehr nicht zumutbar sei.
Nochmals ausdrücklich werde auf den Land Info Bericht: "Der Nachrichtendienst der Taliban und die Einschüchterungskampagne" verwiesen, aus dem hervorgehe, dass die Taliban über ein landesweites Netzwerk verfügen und auch "Feinde" aus dem Taliban Emirat von 1996 - 2001 weiterhin verfolgen. Zur Situation von Frauen werde auf die aktuelle UNHCR-Richtlinie vom August 2018 verwiesen, insbesondere über die Ausführungen von "verwestlichten" Frauen und werde im Übrigen auf die Beschwerdeschriftsätze hingewiesen.
Die erkennende Richterin gab der Rechtsberaterin mit auf dem Weg, dass für den Fall, dass es neue medizinische Unterlagen gibt bzw. neue Länderinformationen, ersucht wird, dass diese dem Gericht übermittelt werden und wurde mitgeteilt, dass die erkennende Richterin beabsichtigt, den Länderbericht in der im Zeitpunkt der Entscheidung geltenden Fassung ihrer Entscheidung zu Grunde legen.
Der Rechtsberaterin wurde seitens der erkennenden Richteirn mitgeteilt, dass für den Fall, dass bis zur Zustellung der Entscheidung eine neue Fassung des Länderberichts der Staatendokumentation herauskommen sollte, eine allfällige Stellungnahme hiezu dem Gericht ohne Aufforderung zu übermitteln ist.
7. In der Verhandlung wurden Dokumente vorgelegt, von welchen Kopien angefertigt wurden:
7.1. Betreffend BF1:
* fachärztl. Befundbericht des XXXX vom 14.10.2019, wonach wegen ausgeprägter Sprachbarriere die Kommunikation zum Großteil über den Sohn XXXX erfolgt, welcher "weiterhin zunehmende Vergesslichkeit" schildert, eventuell ist eine depressive Pseudodemenz eine Teilkomponente der Gesamtsymptomatik, dementielle Entwicklung ist aber aufgrund der Verlaufskontrollen und der initialen leichten Besserung unter antidementiver Therapie anzunehmen. Wegen abgelehntem Asylbescheid "anhaltend dauerhafte Sorge und Grübeln, massive nächtliche Ängste und Schlafstörungen mit Alpträumen", zusätzlich ist von einer Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Wegen kognitive Defizite fast unmöglich, dass BF1 Deutschkenntnisse erlangt (seit 4 Jahren Alphakurs-Niveau)
* Teilnahmebestätigung "Sprache und Mehr ab Tag 1", vom 14.10.2019 (144 UE), ausgestellt von XXXX Wien GmbH
* Teilnahmebestätigung "Integrationsarbeit & Gesundheitsförderung im öff. Raum", XXXX vom 14.12.2018 (Näharbeiten, hauswirtsch. Tätigkeiten)
* Zertifikate Alphabetisierung (90 UE) von 18.3. - 30.4.2019 [Lehrinhalt unter anderem: Deutschbildungsmaßnahmen] und Deutsch Basisbildung A1 (384 UE) von 11.9.2017 - 8.5.2018
7.2. Betreffend BF2:
* Gesundheitlicher Bericht Dris. XXXX , Allgemeinmediziner, vom 14.10.2019, wonach die BF2 an "Depressionen, Lumbago und CVS-Syndrom" leide und "zur Zeit arbeitsunfähig" sei
* Aufenthaltsbestätigung XXXX über zweitätigen Aufenthalt im Feber 2019
* Stationärer Patientenbrief des XXXX vom 14.2.2019 betreffend Arthroskopische Operation des Kniegelenks und Rehabilitationsplanerstellung. Aufnahme erfolgte wegen länger bestehenden Schmerzen im rechten Kniegelenk, in klinischer Untersuchung keine Schwellung oder Rötung ersichtlich.
Medikation: Pantoloc 20mg: 1-0-0-0; Seractil 400mg für 14 Tage:
1-0-1-0; Novalgin: 1-1-1-0; Lovenox: bis zur Vollbelastung. Unter Anleitung der do. Physiotherapie konnte die BF2 zufriedenstellend im 4-Punkte-Gang unter Zuhilfenahme von zwei Unterarmstützkrücken mobilisiert werden und ließen sich die postoperativen Schmerzen durch die do. verabreichte Schmerzmedikation gut behandeln. Nach unkompliziertem stationärem Verlauf wurde BF2 in gutem Allgemeinzustand und subjektiv beschwerdearm in häusliche Pflege entlassen; Entlassung: "nach Hause"; Allergien, Unverträglichkeiten und Risiken: keine bekannt. Zur Qualitätssicherung Nachkontrollen vereinbart und laut Patientenbrief werden diese "Termine mit der Patientin infolge vereinbart"
* Teilnahmebestätigung "Sprache und Mehr ab Tag 1", vom 14.10.2019 (144 UE), ausgestellt von XXXX Wien GmbH
* Zertifikat "Deutsch Basisbildung A1" (366 UE) von 11.9.2017 - 8.5.2018
* Zertifikat "Deutsch Basisbildung A1" (450 UE) von 5.11.2018 - 28.6.2019
* Teilnahmebestätigung "Integrationsarbeit & Gesundheitsförderung im öff. Raum", XXXX vom 14.12.2018 (Nähwerkstatt)
7. Mit Telefax - eingelangt am 8.11.2019 - wurden zum Beweise der gesundheitlichen Beeinträchtigung des BF1 vorgelegt:
* fachärztl. Befundbericht des XXXX vom 4.11.2019, wonach wegen ausgeprägter Sprachbarriere die Kommunikation zum Großteil über den Sohn XXXX erfolgt, welcher "weiterhin zunehmende Vergesslichkeit" schildert, eventuell ist eine depressive Pseudodemenz eine Teilkomponente der Gesamtsymptomatik, dementielle Entwicklung ist aber aufgrund der Verlaufskontrollen und der initialen leichten Besserung unter antidementiver Therapie anzunehmen. Wegen abgelehntem Asylbescheid "anhaltend dauerhafte Sorge und Grübeln, massive nächtliche Ängste und Schlafstörungen mit Alpträumen", zusätzlich ist von einer Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung einer posttraumatischen Belastungsstörung auszugehen. Wegen kognitive Defizite fast unmöglich, dass BF1 Deutschkenntnisse erlangt (seit 4 Jahren Alphakurs-Niveau)
* Bestätigung Hilfstätigkeit des BF1 bei der XXXX Wien vom 21.10.2019 10x auf freiwilliger Basis (Malerarbeiten, Reinigungsarbeiten, Unterstützung beim Transport) im Ausmaß von 130 Arbeitsstunden
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
Auf Grundlage des eingebrachten Antrages auf internationalen Schutz, der Erstbefragung sowie Einvernahme durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowie des BFA, der Beschwerde gegen die im Spruch genannten Bescheide des BFA, der im gesamten Verfahren vorgelegten Dokumente und abgegebenen Stellungnahmen und übermittelten Beweismittel, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht, der Einsichtnahme in die bezughabenden Fremdakte der belangten Behörde, der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, in das Strafregister und das GrundversorgungsInformationssystem werden folgende Feststellungen getroffen und dieser Entscheidung zugrunde gelegt:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest.
1.1. Feststellungen zu den beiden Beschwerdeführern und zu deren Fluchtgründen:
1.1.1. Die Identität des BF1 steht fest. Die Identität der BF2 steht mit der für das Verfahren erforderlichen Sicherheit fest. Die beiden reisten im Oktober 2015 in Umgehung der Grenzkontrollen in Begleitung des XXXX , geb. XXXX , in das Bundesgebiet ein.
1.1.2. Die beiden stellten in Österreich am 14.10.2015 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz.
1.1.3. BF 1 und BF2 sind jeweils afghanische Staatsbürger aus der Volksgruppe der Tadschiken.
1.1.4. BF1 und BF2 wurden jeweils im Herkunftsstaat sozialisiert. BF1 und BF2 sind ein Ehepaar und haben keine unmündigen minderjährigen Kinder. Sie gehören der Volksgruppe der Tadschiken an. BF1 lebte vor seiner Einreise im Herkunftsstaat, im Iran und in der Türkei. Er hat in Mazar-e Sharif, in Kabul und in Kandarhar gelebt und in der Baubranche (Straßenbau und Fahrzeugwerkstatt) und in der Teppichproduktion sowie als Soldat Berufserfahrung erlangt. Weder BF1, noch BF2 haben vor ihrer Einreise nach Österreich eine Schulbildung erlangt.
1.1.5. BF1 und BF2 sind jeweils der Glaubensgemeinschaft der Sunniten angehörig und bekennen sich somit zur Staatsreligion Afghanistans.
1.1.6. BF1 ist der Sprachen Dari und Farsi mächtig. Die BF2 spricht Dari (Muttersprache). In Österreich haben der BF2 und die BF1 über mehrere Monate jeweils Kurse zur Erlangung der Basisbildung in Deutsch besucht und können sich über Alltägliches in deutscher Sprache nicht verständig machen.
1.1.7. BF1 und BF2 sind in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.1.8. Weder BF1, noch BF2 leiden an lebensbedrohlichen Krankheiten und sind diese daher jeweils erwerbsfähig.
1.1.9. Der BF1 war in Österreich bereits freiwillig erwerbstätig.
1.1.10. BF1 und BF2 bestreiten den Lebensunterhalt in Österreich durch staatliche Grundversorgung.
1.1.11. BF1 und BF2 verfügen als Familienangehörige im Bundesgebiet über einen erwachsenen Sohn. Es kann nicht festgestellt werden, dass die beiden BF keine Angehörigen in Afghanistan haben.
1.1.12. Die beiden BF konnten eine asylrelevante Verfolgung nach der Genfer Flüchtlingskonvention nicht glaubhaft machen. Es kann nicht festgestellt werden, dass diese beiden BF einer asylrechtlich relevanten Verfolgung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention ausgesetzt waren bzw. ihnen eine solche Verfolgung bei Rückkehr nach Afghanistan mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit droht: Es kann insgesamt nicht festgestellt werden, dass die beiden BF bei Rückkehr nach Afghanistan aus Gründen der Rasse, der Religion, der Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen politischen Ansichten von Seiten Dritter bedroht wären.
1.1.13. Es kann nicht festgestellt werden, dass konkret die beiden BF als Angehörige der Tadschiken sowie als Angehörige der sunnitischen Glaubensgemeinschaft bzw dass jeder Mensch des Volksstammes und / oder der Religionsgemeinschaft der beiden BF in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist.
1.1.14. Es kann weder festgestellt werden, dass konkret die beiden BF aufgrund der Tatsache, dass sie sich zuletzt in Europa, im Iran und in der Türkei aufgehalten haben, noch, dass jeder afghanische Staatsangehörige, welcher aus Europa, dem Iran und der Türkei nach Afghanistan zurückgekehrt, in Afghanistan psychischer und / oder physischer Gewalt ausgesetzt ist. Den beiden BF droht bei Rückkehr nicht eine Verfolgung aufgrund der Rückkehr aus dem westlichen Ausland.
1.1.15. Die BF2 ist im Herkunftsstaat nicht einer Verfolgung allein aufgrund ihres Geschlechts ausgesetzt. Es kann nicht festgestellt werden, dass die BF2 während ihres Aufenthalts in Österreich eine Lebensweise angenommen hat, welche einen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten in Afghanistan darstellen würde. Die BF2 ist nicht an dem in Europa mehrheitlich gelebten, allgemein als "westlich" bezeichneten Frauen- und Gesellschaftsbild orientiert.
1.1.16. Die beiden BF haben in Afghanistan in Mazar-e Sharif, in Kabul und in Kandarhar gelebt. Die Herkunftsprovinz der beiden ist Kapisa.
Laut aktuellem Länderbericht verbindet eine Hauptstraße die Hauptstadt der Provinz Kapisa (Mahmood Raqi) mit Kabul (iMMAP 19.9.2017).
Kapisa hat strategische Bedeutung: für Aufständische ist es einfach, die Provinzhauptstadt von Kapisa und die benachbarten Provinzen zu erreichen (AAN 24.4.2012). Die Taliban sind in entlegeneren Distrikten der Provinz aktiv und versuchen oft, terroristische Aktivitäten gegen die Regierung oder Sicherheitskräfte durchzuführen (KP 23.5.2019); wie z.B. im zentral gelegenen Distrikt Nijrab (AN 21.5.2019). Im März 2019 konnten sie beispielsweise drei Dörfer - Afghania, Pachaghan und Ghin Dara - in Kapisa erobern (AT 24.3.2019).
Aufseiten der Regierungskräfte liegt Kapisa in der Verantwortung des
201. ANA Corps (USDOD 6.2019; vgl. FRP 5.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - East (TAAC-E) untersteht, welche von US-amerikanischen und polnischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung sind derart, dass die UNAMA im Jahr 2018 139 zivile Opfer (39 Tote und 100 Verletzte) in Kapisa dokumentierte. Dies entspricht einer Zunahme von 38% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Kämpfe am Boden, gefolgt von Luftangriffen und improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge) (UNAMA 24.2.2019). Kapisa zählt zu den relativ volatilen Provinzen (KP 23.5.2019; vgl. KP 29.4.2019). Die Regierungstruppen führen, teils mit Unterstützung der USA, regelmäßig Operationen in Kapisa durch (z.B. KP 29.6.2019; KP 12.6.2019; MENAFN 8.5.2019; KP 29.4.2019; FRP 5.1.2019; PAJ 2.1.2019; PAJ 6.12.2018; XI 1.12.2018; PAJ 26.11.2018; NYT 26.9.2018; RFE/RL 21.4.2018; AA 11.3.2018; PAJ 6.3.2018; KP 1.3.2018). Auch werden Luftangriffe ausgeführt (PAJ 26.11.2018; UNAMA 25.9.2019, CC 27.7.2018) - in manchen Fällen werden dabei auch hochrangige Taliban getötet (CC 27.7.2018) oder Dörfer von den Taliban zurück erobert (PAJ 18.1.2019). Immer wieder kommt es zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und afghanischen Sicherheitskräften (XI 14.8.2019; vgl. FRP 5.1.2019).
Aufgrund der Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz Nangarhar ist eine Rückkehr dorthin nicht möglich. Die Herkunftsprovinz scheidet als Ort für die Wiederansiedelung des BF nach seiner Rückkehr daher aus.
Ebenso scheidet die Hauptstadt Kabul vor dem Hintergrund des "Auszug aus den UNHCR-Richtlinien zur Beurteilung des internen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus Afghanistan vom 30.8.2018" als innerstaatliche Fluchtalternative aus.
1.1.17. Die beiden BF können sich in Afghanistan aber auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Mazar-e Sharif (Hauptstadt der Provinz Balkh) ansiedeln. Balkh liegt in Nordafghanistan; sie ist geostrategisch gesehen eine wichtige Provinz und bekannt als Zentrum für wirtschaftliche und politische Aktivitäten. Die Hauptstadt Mazar-e Sharif liegt an der Autobahn zwischen Maimana und Pul-e-Khumri, sie ist gleichzeitig ein Wirtschafts- und Verkehrsknotenpunkt in Nordafghanistan. Die Region entwickelt sich wirtschaftlich gut. Es entstehen neue Arbeitsplätze, Firmen siedeln sich an und auch der Dienstleistungsbereich wächst. Laut Länderbericht wurden im Dezember 2017 verschiedene Abkommen mit Usbekistan unterzeichnet. Eines davon betrifft den Bau einer 400 Km langen Eisenbahnstrecke von Mazar-e Sharif und Maymana nach Herat (UNGASC 27.2.2018; vgl. RFE/RL 6.12.2017).
Die Infrastruktur ist jedoch noch unzureichend und behindert die weitere Entwicklung der Region. Viele der Straßen, vor allem in den gebirgigen Teilen des Landes, sind in schlechtem Zustand, schwer zu befahren und im Winter häufig unpassierbar (BFA Staatendokumentation 4.2018).
Im Juni 2017 wurde ein großes nationales Projekt ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, die Armut und Arbeitslosigkeit in der Provinz Balkh zu reduzieren (Pajhwok 7.6.2017). Die Provinz Balkh ist nach wie vor eine der stabilsten Provinzen Afghanistans (RFE/RL 23.3.2018), sie zählt zu den relativ ruhigen Provinzen in Nordafghanistan (Khaama Press 16.1.2018; vgl. Khaama Press 20.8.2017). Balkh hat im Vergleich zu anderen Regionen weniger Aktivitäten von Aufständischen zu verzeichnen (RFE/RL 23.3.2018; vgl. Khaama Press 16.1.2018).
Manchmal kommt es zu Zusammenstößen zwischen Aufständischen und den afghanischen Sicherheitskräften (Tolonews 7.3.2018), oder auch zu Angriffen auf Einrichtungen der Sicherheitskräfte (BBC 22.4.2017; vgl. BBC 17.6.2017).
In der Provinz befindet sich u.a. das von der deutschen Bundeswehr geführte Camp Marmal (TAAC-North: Train, Advise, Assist Command - North) (NATO 11.11.2016; vgl. iHLS 28.3.2018), sowie auch das Camp Shaheen (BBC 17.6.2017; vgl. Tolonews 22.4.2017). Im Zeitraum 1.1.2017-30.4.2018 wurden in der Provinz bloß 93 sicherheitsrelevante Vorfälle registriert.
Daher wäre den beiden BF aus obigen Gründen eine Rückkehr nach Mazar-e Sharif zumutbar.
In Mazar-e Sharif gibt es einen internationalen Flughafen und ist daher eine gefahrlose Rückkehr von Österreich über den Luftweg möglich.
1.1.18. Die beiden BF können sich in Afghanistan aber auch in der innerstaatlichen Fluchtalternative Herat ansiedeln.
Laut Länderbericht ist Herat eine relativ entwickelte Provinz im Westen des Landes. Herat wird als eine der relativ friedlichen Provinzen gewertet, dennoch sind Aufständische in einigen Distrikten der Provinz, wie Shindand, Kushk, Chisht-i-Sharif und Gulran, aktiv (AN 18.2.2018; vgl. UNODC 12.2017, Khaama Press 25.10.2017, AJ 25.6.2017). Ende Oktober 2017 wurde verlautbart, dass die Provinz Herat zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen des Landes zählt, wenngleich sich in den abgelegenen Distrikten die Situation in den letzten Jahren aufgrund der Taliban verschlechtert hat. Herat verfügt über einen internationalen Flughafen, sodass Herat von Österreich aus gefahrlos über den Luftweg erreichbar ist.
Daher wäre den beiden BF aus obigen Gründen eine Rückkehr in die Herkunftsprovinz Herat zumutbar.
1.2. Zur maßgeblichen Situation im Herkunftsstaat der beiden
Beschwerdeführer:
Bezogen auf die Situation der BF1 und des BF2 sind folgende
Länderfeststellungen als relevant zu werten:
Aus dem Länderbericht der Staatendokumentation vom 13.11.2019 idgF:
Sicherheitslage
Die Sicherheitslage in Afghanistan ist nach wie vor volatil (UNGASC 3.9.2019), nachdem im Frühjahr sowohl die Taliban als auch die afghanische Regierung neue Offensiven verlautbart hatten (USDOD 6.2019). Traditionell markiert die Ankündigung der jährlichen Frühjahrsoffensive der Taliban den Beginn der sogenannten Kampfsaison - was eher als symbolisch gewertet werden kann, da die Taliban und die Regierungskräfte in den vergangenen Jahren auch im Winter gegeneinander kämpften (AJ 12.4.2019). [...]
Kabul
Die Provinz Kabul liegt im Zentrum Afghanistans (PAJ o.D.) und grenzt an Parwan und Kapisa im Norden, Laghman im Osten, Nangarhar im Südosten, Logar im Süden sowie Wardak im Westen. Provinzhauptstadt ist Kabul-Stadt (NPS o.D.). Die Provinz besteht aus den folgenden Distrikten: Bagrami, Chahar Asyab, Dehsabz, Estalef, Farza, Guldara, Kabul, Kalakan, Khak-e-Jabar, Mir Bacha Kot, Musahi, Paghman, Qara Bagh, Shakar Dara und Surubi/Surobi/Sarobi (CSO 2019; vgl. IEC 2018).
Laut dem UNODC Opium Survey 2018 verzeichnete die Provinz Kabul 2018 eine Zunahme der Schlafmohnanbaufläche um 11% gegenüber 2017. Der Schlafmohnanbau beschränkte sich auf das Uzbin-Tal im Distrikt Surubi (UNODC/MCN 11.2018).
Kabul-Stadt - Geographie und Demographie
Kabul-Stadt ist die Hauptstadt Afghanistans und auch ein Distrikt in der Provinz Kabul. Es ist die bevölkerungsreichste Stadt Afghanistans, mit einer geschätzten Einwohnerzahl von 5.029.850 Personen für den Zeitraum 2019-20 (CSO 2019). Die Bevölkerungszahl ist jedoch umstritten. Einige Quellen behaupten, dass sie fast 6 Millionen beträgt (AAN 19.3.2019). Laut einem Bericht, expandierte die Stadt, die vor 2001 zwölf Stadtteile - auch Police Distrikts (USIP 4.2017), PDs oder Nahia genannt (AAN 19.3.2019) - zählte, aufgrund ihres signifikanten demographischen Wachstums und ihrer horizontalen Expansion auf 22 PDs (USIP 4.2017). Die afghanische zentrale Statistikorganisation (Central Statistics Organization, CSO) schätzt die Bevölkerung der Provinz Kabul für den Zeitraum 2019-20 auf 5.029.850 Personen (CSO 2019). Sie besteht aus Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Usbeken, Turkmenen, Belutschen, Sikhs und Hindus.
Hauptstraßen verbinden die afghanische Hauptstadt mit dem Rest des Landes (UNOCHA 4.2014). In Kabul-Stadt gibt es einen Flughafen, der mit internationalen und nationalen Passagierflügen bedient wird (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Die Stadt besteht aus drei konzentrischen Kreisen: Der erste umfasst Shahr-e Kohna, die Altstadt, Shahr-e Naw, die neue Stadt, sowie Shash Darak und Wazir Akbar Khan, wo sich viele ausländische Botschaften, ausländische Organisationen und Büros befinden. Der zweite Kreis besteht aus Stadtvierteln, die zwischen den 1950er und 1980er Jahren für die wachsende städtische Bevölkerung gebaut wurden, wie Taimani, Qala-e Fatullah, Karte Se, Karte Chahar, Karte Naw und die Microraions (sowjetische Wohngebiete). Schließlich wird der dritte Kreis, der nach 2001 entstanden ist, hauptsächlich von den "jüngsten Einwanderern" (USIP 4.2017) (afghanische Einwanderer aus den Provinzen) bevölkert (AAN 19.3.2019), mit Ausnahme einiger hochkarätiger Wohnanlagen für VIPs (USIP 4.2017).
Was die ethnische Verteilung der Stadtbevölkerung betrifft, so ist Kabul Zielort für verschiedene ethnische, sprachliche und religiöse Gruppen, und jede von ihnen hat sich an bestimmten Orten angesiedelt, je nach der geografischen Lage ihrer Heimatprovinzen:
Dies gilt für die Altstadt ebenso wie für weiter entfernte Stadtviertel, und sie wird in den ungeplanten Gebieten immer deutlicher (Noori 11.2010). In den zuletzt besiedelten Gebieten sind die Bewohner vor allem auf Qawmi-Netzwerke angewiesen, um Schutz und Arbeitsplätze zu finden sowie ihre Siedlungsbedingungen gemeinsam zu verbessern. Andererseits ist in den zentralen Bereichen der Stadt die Mobilität der Bewohner höher und Wohnsitzwechsel sind häufiger. Dies hat eine disruptive Wirkung auf die sozialen Netzwerke, die sich in der oft gehörten Beschwerde manifestiert, dass man "seine Nachbarn nicht mehr kenne" (AAN 19.3.2019).
Nichtsdestotrotz, ist in den Stadtvierteln, die von neu eingewanderten Menschen mit gleichem regionalen oder ethnischen Hintergrund dicht besiedelt sind, eine Art "Dorfgesellschaft" entstanden, deren Bewohner sich kennen und direktere Verbindungen zu ihrer Herkunftsregion haben als zum Zentrum Kabuls (USIP 4.2017). Einige Beispiele für die ethnische Verteilung der Kabuler Bevölkerung sind die folgenden: Hazara haben sich hauptsächlich im westlichen Viertel Chandawal in der Innenstadt von Kabul und in Dasht-e-Barchi sowie in Karte Se am Stadtrand niedergelassen;
Tadschiken bevölkern Payan Chawk, Bala Chawk und Ali Mordan in der Altstadt und nördliche Teile der Peripherie wie Khairkhana;
Paschtunen sind vor allem im östlichen Teil der Innenstadt Kabuls, Bala Hisar und weiter östlich und südlich der Peripherie wie in Karte Naw und Binihisar (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017), aber auch in den westlichen Stadtteilen Kota-e-Sangi und Bazaar-e-Company (auch Company) ansässig (Noori 11.2010); Hindus und Sikhs leben im Herzen der Stadt in der Hindu-Gozar-Straße (Noori 11.2010; vgl. USIP 4.2017).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Die afghanische Regierung behält die Kontrolle über Kabul. Nichtsdestotrotz, führten Aufständische, Taliban und andere militante Gruppierungen, im gesamten Jahr 2018, als auch in den ersten fünf Monaten 2019, insbesondere in der Hauptstadtregion weiterhin Anschläge auf hochrangige Ziele aus, um die Aufmerksamkeit der Medien auf sich zu ziehen, die Legitimität der afghanischen Regierung zu untergraben und die Wahrnehmung einer weit verbreiteten Unsicherheit zu schaffen (USDOD 6.2019; vgl. USDOD 12.2018).
Aufgrund eben dieser öffentlichkeitswirksamer Angriffe auf Kabul-Stadt kündigte die afghanische Regierung bereits im August 2017 die Entwicklung eines neuen Sicherheitsplans für Kabul an (AAN 25.9.2017). So wurde unter anderem das Green Village errichtet, ein stark gesichertes Gelände im Osten der Stadt, in dem unter anderem, Hilfsorganisationen und internationale Organisationen (RFERL 2.9.2019; vgl. FAZ 2.9.2019) sowie ein Wohngelände für Ausländer untergebracht sind (FAZ 2.9.2019). Die Anlage wird stark von afghanischen Sicherheitskräften und privaten Sicherheitsmännern gesichert (AJ 3.9.2019). Die Green Zone hingegen ist ein separater Teil, der nicht unweit des Green Villages liegt. Die Green Zone ist ein stark gesicherter Teil Kabuls, in dem sich mehrere Botschaften befinden - so z.B. auch die US-amerikanische Botschaft und andere britische Einrichtungen (RFERL 2.9.2019).
In Bezug auf die Anwesenheit von staatlichen Sicherheitskräften liegt die Provinz Kabul mit Ausnahme des Distrikts Surubi im Verantwortungsbereich der 111. ANA Capital Division, die unter der Leitung von türkischen Truppen und mit Kontingenten anderer Nationen der NATO-Mission Train, Advise and Assist Command - Capital (TAAC-C) untersteht. Der Distrikt Surubi fällt in die Zuständigkeit des 201. ANA Corps (USDOD 6.2019). Darüber hinaus wurde eine spezielle Krisenreaktionseinheit (Crisis Response Unit) innerhalb der afghanischen Polizei, um Angriffe zu verhindern und auf Anschläge zu reagieren (LI 5.9.2018).
Im Distrikt Surubi wird von der Präsenz von Taliban-Kämpfern berichtet (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Aufgrund seiner Nähe zur Stadt Kabul und zum Salang-Pass hat der Distrikt große strategische Bedeutung (WOR 10.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 1.866 zivile Opfer (596 Tote und 1.270 Verletzte) in der Provinz Kabul. Dies entspricht einer Zunahme von 2% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Selbstmord- und komplexe Angriffe, gefolgt von improvisierten Sprengkörpern (improvised explosive devices, IEDs) und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
Die afghanischen Sicherheitskräfte führten insbesondere im Distrikt Surubi militärische Operationen aus der Luft und am Boden durch, bei denen Aufständische getötet wurden (KP 27.3.2019; vgl. TN 26.3.2019, SAS 26.3.2019, TN 23.10.2018,. KP 23.10.2018, KP 9.7.2018). Dabei kam es unter anderem zu zivilen Opfern (TN 26.3.2019; vgl. SAS 26.3.2019). Außerdem führten NDS-Einheiten Operationen in und um Kabul-Stadt durch (TN 7.8.2019; vgl. PAJ 7.7.2019, TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019). Dabei wurden unter anderem Aufständische getötet (TN 7.8.2019) und verhaftet (TN 7.8.2019; PAJ 7.7.2019; vgl TN 9.6.2019, PAJ 28.5.2019), sowie Waffen und Sprengsätze konfisziert (TN 9.6.2019; vgl. PAJ 28.5.2019).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 35 konfliktbedingt aus dem Distrikt Surubi vertriebene Personen, die alle in der Provinz Logar Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA keine durch gewaltsamen Konflikt aus der Provinz Kabul vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 9.422 Vertriebene, welche in die Provinz Kabul kamen, die meisten davon in den Distrikt Kabul (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 2.580 Vertriebene in die Provinz Kabul, alle in den Distrikt Kabul. Sie stammten aus Kapisa, Kunar, Nangarhar wie auch Logar, Ghazni, Baghlan und Wardak (UNOCHA 18.8.2019).
Bis zu zwei Drittel aller Afghanen, die außerhalb ihrer Provinz vertrieben wurden, bewegen sich in Richtung der fünf Regionalhauptstädte (NRC 30.1.2019) und Kabuls Wachstum war besonders umfangreich. Die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul ist nicht bekannt. Die Bewegung in und innerhalb der Stadt fluktuiert und viele kehren regelmäßig in friedlicheren Zeiten in ihr Herkunftsgebiet zurück (Metcalfe et al. 6.2012; vgl. AAN 19.3.2019). Im September 2018 schätzte der afghanische Minister für Flüchtlinge und Repatriierung die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen in Kabul auf 70.000 bis 80.000 Menschen (TN 21.9.2018).
Herat
Die Provinz Herat liegt im Westen Afghanistans und teilt eine internationale Grenze mit dem Iran im Westen und Turkmenistan im Norden. Weiters grenzt Herat an die Provinzen Badghis im Nordosten, Ghor im Osten und Farah im Süden (UNOCHA 4.2014). Herat ist in 16 Distrikte unterteilt: Adraskan, Chishti Sharif, Fersi, Ghoryan, Gulran, Guzera (Nizam-i-Shahid), Herat, Enjil, Karrukh, Kohsan, Kushk (Rubat-i-Sangi), Kushk-i-Kohna, Obe/Awba/Obah/Obeh (AAN 9.12.2018; vgl. PAJ o.D., PAJ 13.6.2019), Pashtun Zarghun, Shindand, Zendahjan. Zudem bestehen vier weitere "temporäre" Distrikte - Poshtko, Koh-e-Zore (Koh-e Zawar), Zawol und Zerko (CSO 2019; vgl. IEC 2018) -, die zum Zweck einer zielgerichteteren Mittelverteilung aus dem Distrikt Shindand herausgelöst wurden (AAN 3.7.2015; vgl. PAJ 1.3.2015). Die Provinzhauptstadt von Herat ist Herat-Stadt (CSO 2019). Herat ist eine der größten Provinzen Afghanistans (PAJ o.D.).
Die CSO schätzt die Bevölkerung der Provinz für den Zeitraum 2019-20 auf 2.095.117 Einwohner, 556.205 davon in der Provinzhauptstadt (CSO 2019). Die wichtigsten ethnischen Gruppen in der Provinz sind Paschtunen, Tadschiken, Hazara, Turkmenen, Usbeken und Aimaqs, wobei Paschtunen in elf Grenzdistrikten die Mehrheit stellen (PAJ o.D.). Herat-Stadt war historisch gesehen eine tadschikisch dominierte Enklave in einer paschtunischen Mehrheits-Provinz, die beträchtliche Hazara- und Aimaq-Minderheiten umfasst (USIP 2015). Umfangreiche Migrationsströme haben die ethnische Zusammensetzung der Stadt verändert. Der Anteil an schiitischen Hazara ist seit 2001 besonders gestiegen, da viele aus dem Iran rückgeführt oder aus den Provinzen Zentralafghanistans vertrieben wurden (AAN 3.2.2019). Der Grad an ethnischer Segregation ist in Herat heute ausgeprägt (USIP 2015; vgl. BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Die Provinz ist durch die Ring Road mit anderen Großstädten verbunden (TD 5.12.2017). Eine Hauptstraße führt von Herat ostwärts nach Ghor und Bamyan und weiter nach Kabul. Andere Autobahn verbinden die Provinzhauptstadt mit dem afghanisch-turkmenischen Grenzübergang bei Torghundi sowie mit der afghanisch-iranischen Grenzüberquerung bei Islam Qala (iMMAP 19.9.2017). Ein Flughafen mit Linienflugbetrieb zu internationalen und nationalen Destinationen liegt in der unmittelbaren Nachbarschaft von Herat-Stadt (BFA Staatendokumentation 25.3.2019).
Laut UNODC Opium Survey 2018 gehörte Herat 2018 nicht zu den zehn wichtigsten Schlafmohn anbauenden Provinzen Afghanistans. 2018 sank der Schlafmohnanbau in Herat im Vergleich zu 2017 um 46%. Die wichtigsten Anbaugebiete für Schlafmohn waren im Jahr 2018 die Distrikte Kushk und Shindand (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Herat gehört zu den relativ ruhigen Provinzen im Westen Afghanistans, jedoch sind Taliban-Kämpfer in einigen abgelegenen Distrikten aktiv und versuchen oft terroristische Aktivitäten durchzuführen (KP 19.5.2019; vgl. KP 17.12.2018). Je mehr man sich von Herat-Stadt (die als "sehr sicher" gilt) und den angrenzenden Distrikten Richtung Norden, Westen und Süden entfernt, desto größer wird der Einfluss der Taliban (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Auch im Vergleich zu Kabul gilt Herat-Stadt einem Mitarbeiter von IOM-Kabul zufolge zwar als sicherere Stadt, doch gleichzeitig wird ein Anstieg der Gesetzlosigkeit und Kriminalität verzeichnet:
Raubüberfälle nahmen zu und ein Mitarbeiter der Vereinten Nationen wurde beispielsweise überfallen und ausgeraubt. Entführungen finden gelegentlich statt, wenn auch in Herat nicht in solch einem Ausmaß wie in Kabul (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Der Distrikt mit den meisten sicherheitsrelevanten Vorfällen ist der an Farah angrenzende Distrikt Shindand, wo die Taliban zahlreiche Gebiete kontrollieren. Wegen der großen US-Basis, die in Shindand noch immer operativ ist, kontrollieren die Taliban jedoch nicht den gesamten Distrikt. Aufgrund der ganz Afghanistan betreffenden territorialen Expansion der Taliban in den vergangenen Jahren sah sich jedoch auch die Provinz Herat zunehmend von Kampfhandlungen betroffen.
Dennoch ist das Ausmaß der Gewalt im Vergleich zu einigen Gebieten des Ostens, Südostens, Südens und Nordens Afghanistans deutlich niedriger (BFA Staatendokumentation 13.6.2019).
Innerhalb der Taliban kam es nach der Bekanntmachung des Todes von Taliban-Führer Mullah Omar im Jahr 2015 zu Friktionen (AAN 11.1.2017; vgl. RUSI 16.3.2016; SAS 2.11.2018). Mullah Rasoul, der eine versöhnlichere Haltung gegenüber der Regierung in Kabul einnahm, spaltete sich zusammen mit rund 1.000 Kämpfern von der Taliban-Hauptgruppe ab. Die Regierungstruppen kämpfen in Herat angeblich nicht gegen die Rasoul-Gruppe, die sich für Friedensgespräche und den Schutz eines großen Pipeline-Projekts der Regierung in der Region einsetzt (SAS 2.11.2018). Innerhalb der Taliban-Hauptfraktion wurde der Schattengouverneur von Herat nach dem Waffenstillstand mit den Regierungstruppen zum Eid al-Fitr-Fest im Juni 2018 durch einen als Hardliner bekannten Taliban aus Kandahar ersetzt (UNSC 13.6.2019).
2017 und 2018 hat der IS bzw. ISKP Berichten zufolge drei Selbstmordanschläge in Herat-Stadt durchgeführt (taz 3.8.2017; Reuters 25.3.2018).
Aufseiten der Regierung ist das 207. Zafar-Corps der ANA für die Sicherheit in der Provinz Herat verantwortlich (USDOD 6.2019; vgl. PAJ 2.1.2019), das der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - West (TAAC-W) untersteht, welche von italienischen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019; vgl. KP 16.12.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 259 zivile Opfer (95 Tote und 164 Verletzte) in Herat. Dies entspricht einem Rückgang von 48% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren improvisierten Sprengkörper (improvised explosive devices, IEDs; ohne Selbstmordanschläge), gefolgt von Kämpfen am Boden und gezielten Tötungen (UNAMA 24.2.2019).
In der Provinz Herat kommt es regelmäßig zu militärischen Operationen (KP 16.6.2019; vgl. KP 28.9.2019, KP 29.6.2019, KP 17.6.2019, 21.5.2019). Unter anderem kam es dabei auch zu Luftangriffen durch die afghanischen Sicherheitskräfte (KP 16.6.2019; vgl. AN 23.6.2019). In manchen Fällen wurden bei Drohnenangriffen Talibanaufständische und ihre Führer getötet (AN 23.6.2019; vgl. KP 17.12.2018; KP 25.12.2018). Der volatilste Distrikt von Herat ist Shindand. Dort kommt es zu gewalttätigen Zusammenstößen zwischen rivalisierenden Taliban-Fraktionen, wie auch zwischen den Taliban und regierungsfreundlichen Kräften (NYTM 12.12.2018; AJ 7.12.2018; AN 30.11.2018; KP 28.4.2018; VoA 13.4.2018). Regierungskräfte führten beispielsweise im Dezember 2018 (KP 17.12.2018) und Januar 2019 Operationen in Shindand durch (KP 26.1.2019). Obe ist neben Shindand ein weiterer unsicherer Distrikt in Herat (TN 8.9.2018). Im Dezember 2018 wurde berichtet, dass die Kontrolle über Obe derzeit nicht statisch ist, sondern sich täglich ändert und sich in einer Pattsituation befindet (AAN 9.12.2018). Im Juni 2019 griffen die Aufständischen beispielsweise mehrere Posten der Polizei im Distrikt an (AT 2.6.2019; vgl. PAJ 13.6.2019) und die Sicherheitskräfte führten zum Beispiel Anfang Juli 2019 in Obe Operationen durch (XI 11.7.2019). Außerdem kommt es in unterschiedlichen Distrikten immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen zwischen Taliban und Sicherheitskräften (KP 5.7.2019; vgl. PAJ 30.6.2019) wie z.B in den Distrikten Adraskan, Fersi, Kushk-i-Kohna, Obe, Rabat Sangi, Shindand und Zawol (PAJ 30.6.2019).
Auf der Autobahn zwischen Kabul und Herat sowie Herat und Farah werden Reisende immer wieder von Taliban angehalten; diese fordern von Händlern und anderen Reisenden Schutzgelder (ST 14.12.2018).
IDPs - Binnenvertriebene
UNOCHA meldete für den Zeitraum 1.1.-31.12.2018 609 konfliktbedingt aus der Provinz Herat vertriebene Personen, von denen die meisten in der Provinz selbst Zuflucht fanden (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 586 aus der Provinz Herat vertriebene Personen (UNOCHA 18.8.2019). Im Zeitraum vom 1.1.-31.12.2018 meldete UNOCHA 5.482 Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (2.755) aus Ghor stammten (UNOCHA 28.1.2019). Im Zeitraum 1.1.-30.6.2019 meldete UNOCHA 6.459 konfliktbedingt Vertriebene in die Provinz Herat, von denen die meisten (4.769) aus Badghis stammten (UNOCHA 18.8.2019).
Anmerkung: Weitere Informationen zu Herat - u.a. zur Sicherheitslage - können der Analyse der Staatendokumentation "Afghanistan - Informationen zu sozioökonomischen Faktoren in der Provinz Herat" vom 13.6.2019 entnommen werden (BFA 13.6.2019).
Ad Herat aus Kapitel 22 "Grundversorgung" aus dem Länderbericht idgF
Der Einschätzung einer in Afghanistan tätigen internationalen NGO zufolge gehört Herat zu den "bessergestellten" und "sichereren Provinzen" Afghanistans und weist historisch im Vergleich mit anderen Teilen des Landes wirtschaftlich und sicherheitstechnisch relativ gute Bedingungen auf (BFA 13.6.2019). Aufgrund der sehr jungen Bevölkerung ist der Anteil der Personen im erwerbsfähigen Alter in Herat - wie auch in anderen afghanischen Städten - vergleichsweise klein. Erwerbstätige müssen also eine große Anzahl an von ihnen abhängigen Personen versorgen. Hinzu kommt, dass die Hälfte der arbeitstätigen Bevölkerung in Herat Tagelöhner sind, welche Schwankungen auf dem Arbeitsmarkt in besonderem Ausmaß ausgesetzt sind (USIP 2.4.2015).
Die Herater Wirtschaft bietet seit langem Arbeitsmöglichkeiten im Handel, darunter den Import und Export von Waren mit dem benachbarten Iran (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019, WB/NSIA 9.2018), wie auch Bergbau und Produktion (EASO 4.2019). Die Industrie der kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMUs) ist insbesondere im Handwerksbereich und in der Seiden- und Teppichproduktion gut entwickelt (GOIRA 2015; vgl. EASO 4.2019). Manche alten Handwerksberufe (Teppichknüpfereien, Glasbläsereien, die Herstellung von Stickereien) haben es geschafft zu überleben, während sich auch bestimmte moderne Industrien entwickelt haben (z.B. Lebensmittelverarbeitung und Verpackung) (EASO 4.2019). Die meisten der in KMUs Beschäftigten sind entweder Tagelöhner oder kleine Unternehmer (GOIRA 2015). Die Arbeitsplätze sind allerdings von der volatilen Sicherheitslage bedroht (insbesondere Entführungen von Geschäftsleuten oder deren Angehörigen durch kriminelle Netzwerke, im stillen Einverständnis mit der Polizei). Als weitere Probleme werden Stromknappheit, bzw. -ausfälle, Schwierigkeiten, mit iranischen oder anderen ausländischen Importen zu konkurrieren und eine steigende Arbeitslosigkeit genannt (EASO 4.2019).
Mazar-e Sharif (in Balkh)
Nach Schätzung der zentralen Statistikorganisation Afghanistan (CSO) für den Zeitraum 2019-20 leben 1.475.649 Personen in der Provinz Balkh, davon geschätzte 469.247 in der Provinzhauptstadt Mazar-e Sharif (CSO 2019). Balkh ist eine ethnisch vielfältige Provinz, welche von Paschtunen, Usbeken, Hazara, Tadschiken, Turkmenen, Aimaq, Belutschen, Arabern und sunnitischen Hazara (Kawshi) bewohnt wird (PAJ o.D.; vgl. NPS o.D.).
Balkh bzw. die Hauptstadt Mazar-e Sharif ist ein Import-/Exportdrehkreuz sowie ein regionales Handelszentrum (SH 16.1.2017). Die Autobahn, welche zum usbekischen Grenzübergang Hairatan-Termiz führt, zweigt ca. 40 km östlich von Mazar-e Sharif von der Ringstraße ab. (TD 5.12.2017). In Mazar-e Sharif gibt es einen Flughafen mit Linienverkehr zu nationalen und internationalen Zielen (BFA Staatendokumentation 25.3.2019). Im Januar 2019 wurde ein Luftkorridor für Warentransporte eröffnet, der Mazar-e Sharif und Europa über die Türkei verbindet (PAJ 9.1.2019).
Laut dem Opium Survey von UNODC für das Jahr 2018 belegt Balkh den
7. Platz unter den zehn größten Schlafmohn produzierenden Provinzen Afghanistans. Aufgrund der Dürre sank der Mohnanbau in der Provinz 2018 um 30% gegenüber 2017 (UNODC/MCN 11.2018).
Hintergrundinformationen zum Konflikt und Akteure
Balkh zählt zu den relativ stabilen (TN 1.9.2019) und ruhigen Provinzen Nordafghanistans, in welcher die Taliban in der Vergangenheit keinen Fuß fassen konnten (AN 6.5.2019). Die vergleichsweise ruhige Sicherheitslage war vor allem auf das Machtmonopol des ehemaligen Kriegsherrn und späteren Gouverneurs von Balkh, Atta Mohammed Noor, zurückzuführen (RFE/RL o.D.; RFE/RL 23.3.2018). In den letzten Monaten versuchen Aufständische der Taliban die nördliche Provinz Balkh aus benachbarten Regionen zu infiltrieren. Drei Schlüsseldistrikte, Zari, Sholagara und Chahar Kant, zählen zu jenen Distrikten, die in den letzten Monaten von Sicherheitsbedrohungen betroffen waren. Die Taliban überrannten keines dieser Gebiete (TN 22.8.2019). Einem UN-Bericht zufolge, gibt es eine Gruppe von rund 50 Kämpfern in der Provinz Balkh, welche mit dem Islamischen Staat (IS) sympathisiert (UNSC 1.2.2019). Bei einer Militäroperation im Februar 2019 wurden unter anderem in Balkh IS-Kämpfer getötet (BAMF 11.2.2019).
Das Hauptquartier des 209. ANA Shaheen Corps befindet sich im Distrikt Dehdadi (TN 22.4.2018). Es ist für die Sicherheit in den Provinzen Balkh, Jawzjan, Faryab, Sar-e-Pul und Samangan zuständig und untersteht der NATO-Mission Train, Advise, and Assist Command - North (TAAC-N), welche von deutschen Streitkräften geleitet wird (USDOD 6.2019). Deutsche Bundeswehrsoldaten sind in Camp Marmal in Mazar-e Sharif stationiert (TS 22.9.2018).
Jüngste Entwicklungen und Auswirkungen auf die zivile Bevölkerung
Im Jahr 2018 dokumentierte UNAMA 227 zivile Opfer (85 Tote und 142 Verletzte) in Balkh. Dies entspricht einer Steigerung von 76% gegenüber 2017. Die Hauptursache für die Opfer waren Bodenkämpfe, gefolgt von improvisierten Bomben (IEDS; ohne Selbstmorda