TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/13 97/19/0872

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Veröffentlicht am 13.03.1998
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

Aufenthaltsrecht Bosnien-Herzegowina 1995/389;
AufG 1992 §12 Abs1;
AufG 1992 §12 Abs4 idF 1995/351;
AufG 1992 §5 Abs1;
AufG 1992 §6 Abs2 idF 1995/351;
FrG 1993 §10 Abs1 Z4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde des 1974 geborenen MM in S, vertreten durch Dr. WW, Rechtsanwalt in B, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Juli 1995, Zl. 301.824/2-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer beantragte am 11. August 1993 auf dem Postweg bei der österreichischen Botschaft in Belgrad die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung. Er gab an, den Antrag in Österreich unterfertigt zu haben. Als derzeitiger Wohnsitz wurde eine inländische Adresse angeführt. Der Beschwerdeführer behauptete, Staatsangehöriger Bosniens zu sein. Den Verwaltungsakten ist ein namens der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien ausgestellter Reisepaß des Beschwerdeführers, datierend vom 18. Juli 1991, beigeschlossen. Als ausstellende Behörde scheint eine solcher der Teilrepublik Bosnien-Herzegowina auf.

Nach dem Inhalt eines Aktenvermerkes sei der Beschwerdeführer "laut persönlicher Vorsprache vom 9.11.93 Serbe". Den Verwaltungsakten ist weiters zu entnehmen, daß der am 18. Juli 1991 ausgestellte Reisepaß zu einem nicht näher feststellbaren Zeitpunkt von einer nicht näher feststellbaren Behörde annulliert wurde.

Mit Note der erstinstanzlichen Behörde vom 28. September 1994 wurde dem Beschwerdeführer vorgehalten, daß

er sich nunmehr im Besitz eines gültigen Reisepasses der Republik Jugoslawien befinde.

In einer niederschriftlichen Einvernahme vom 7. Oktober 1994 gaben der Beschwerdeführer und sein Bruder

folgendes an:

"Wir möchten uns dahingehend rechtfertigen, daß es nicht richtig ist, daß wir jugoslawische Staatsbürger sind. Richtig ist, daß wir beide einen Reisepaß der Rep. Jugoslawien besitzen.

...

Der Reisepaß von MM, geb. 1972 wurde ebenfalls am 26.10.1993 vom jugoslawischen Konsulat in Salzburg ausgestellt.

Wir haben deshalb keine neuen Reisepässe ausgestellt von der Rep. Bosnien-Herzegowina, da wir der serbischen Volksgruppe angehören und von der Religionszugehörigkeit her keine Moslem sind.

Reisepässe der Rep. Bosnien-Herzegowina erhalten nur Personen, die Muslime sind. Personen, die der kroatischen Volksminderheit angehören, erhalten kroatische Reisepässe und Personen, die der serbischen Volksgruppe angehören, erhalten Reisepässe der Rep. Jugoslawien.

Dies ändert jedoch nichts am Umstand, daß wir aus Bosnien stammen.

...

Es ist daher nicht richtig, daß Personen, die im Besitz eines Reisepasses der Rep. Jugoslawien sind auch im Gebiet der jetzigen Rep. Jugoslawien ihren Wohnsitz nehmen können."

In einem Bericht vom 17. Oktober 1994 ging die erstinstanzliche Behörde davon aus, daß sich der Beschwerdeführer seit dem 2. Juni 1992 in Österreich aufhalte. Er stehe unter dem Schutz der Republik Jugoslawien, zumal ihm dieser Staat einen neuen Paß ausgestellt habe.

In einer niederschriftlichen Einvernahme vom 19. Jänner 1995 hielt der Beschwerdeführer sein Vorbringen aufrecht, er sei Staatsangehöriger Bosniens. Er sei im Sommer 1992 nach Österreich gekommen, weil zu diesem Zeitpunkt bereits der Krieg in vollem Gange gewesen und er gezwungen gewesen sei, seine Heimat zu verlassen. Unmittelbar nach seiner Flucht sei das Haus seiner Familie durch einen Bombenangriff total zerstört worden.

Über Anfrage der erstinstanzlichen Behörde teilte die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg mit, daß die Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 1038/1994, auf den Beschwerdeführer nicht anzuwenden sei.

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Bregenz namens des Landeshauptmannes von Vorarlberg vom 21. März 1995 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung abgewiesen. In der Begründung ging die erstinstanzliche Behörde unter anderem davon aus, daß aufgrund einer Mitteilung der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg die Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 auf den Beschwerdeführer nicht anwendbar sei.

Der Beschwerdeführer erhob Berufung. Darin betonte er neuerdings, in Bosnien aufgewachsen zu sein und verwies auf die kriegerischen Ereignisse in seiner Heimat. In einer am 7. Juni 1995 an die Berufungsbehörde gerichteten Eingabe vertrat der Beschwerdeführer darüber hinaus die Auffassung, die bosnische Staatsangehörigkeit könne nicht volkstumsabhängig sein, sondern sei "territorial zu sehen". Der Geburtsort des Beschwerdeführers, Tuzla, liege jedoch in Bosnien. Die in Rede stehende Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 1038/1994 sei auf den Beschwerdeführer anzuwenden.

Mit dem angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 13. Juli 1995 wurde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 und § 5 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufG) sowie § 10 Abs. 1 Z. 4 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992 (FrG), abgewiesen. Begründend führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer habe sich im Zeitpunkt des Inkrafttretens des Aufenthaltsgesetzes nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten. Sein Antrag sei daher an § 6 Abs. 2 AufG zu messen. Der Beschwerdeführer hätte daher den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung vor der Einreise nach Österreich zu stellen gehabt. Der Beschwerdeführer sei jedoch seit 2. Juni 1992 aufrecht in Österreich gemeldet und absolviere hier eine Lehre als Krankenpfleger. Er sei daher vor, während und nach seiner Antragstellung in Österreich polizeilich gemeldet und aufhältig gewesen. Mit seiner Antragstellung sei der Bestimmung des § 6 Abs. 2 AufG nicht Genüge getan. Überdies halte sich der Beschwerdeführer unrechtmäßig im Bundesgebiet auf. Dadurch zeige er, daß er nicht gewillt sei, die österreichische Rechtsordnung, insbesondere in einem Bereich, der für den geordneten Ablauf eines geregelten Fremdenwesens vorgesehen sei, zu respektieren. Es liege daher auch der Sichtvermerksversagungsgrund des § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG vor. Auch aus dem Grunde des § 5 Abs. 1 AufG könne dem Beschwerdeführer keine Bewilligung erteilt werden. Im Hinblick auf ein geordnetes Fremdenwesen überwögen die öffentlichen Interessen die persönlichen Interessen des Beschwerdeführers im Sinne des Art. 8 Abs. 2 MRK.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, nach Ablehnung ihrer Behandlung durch den Verfassungsgerichtshof dem Verwaltungsgerichtshof abgetretene Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

§ 5 Abs. 1, § 6 Abs. 2 und § 12 Abs. 1 und 4 AufG lauteten

(auszugsweise):

"§ 5. (1) Eine Bewilligung darf Fremden nicht erteilt werden, bei denen ein Sichtvermerksversagungsgrund (§ 10 Abs. 1 FrG) vorliegt, insbesondere aber, wenn deren Lebensunterhalt oder eine für Inländer ortsübliche Unterkunft in Österreich für die Geltungsdauer der Bewilligung nicht gesichert ist.

§ 6. ...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen. ...

§ 12. (1) Für Zeiten erhöhter internationaler Spannungen, eines bewaffneten Konfliktes oder sonstiger die Sicherheit ganzer Bevölkerungsgruppen gefährdender Umstände kann die Bundesregierung mit Verordnung davon unmittelbar betroffenen Gruppen von Fremden, die anderweitig keinen Schutz finden, ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet gewähren.

...

(4) Wird infolge der längeren Dauer der in Abs. 1 genannten Umstände eine dauernde Integration erforderlich, kann in der Verordnung festgelegt werden, daß für bestimmte Gruppen der Aufenthaltsberechtigten abweichend von § 6 Abs. 2 eine Antragstellung im Inland zulässig ist."

§ 10 Abs. 1 Z. 4 FrG lautete:

"§ 10. (1) Die Erteilung eines Sichtvermerkes ist zu versagen, wenn

...

4. der Aufenthalt des Sichtvermerkswerbers die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit gefährden würde;"

Im Hinblick auf das Datum der Zustellung des angefochtenen Bescheides (16. Februar 1996) ist für seine Überprüfung durch den Verwaltungsgerichtshof die Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 389/1995, maßgeblich. § 1 Abs. 1 und § 2 dieser Verordnung lauteten:

"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet.

...

§ 2. Personen, die zum 1. Jänner 1995 gemäß der Verordnung der Bundesregierung, BGBl. Nr. 1038/1994, ein Aufenthaltsrecht hatten, können den Antrag auf Erteilung einer Bewilligung gemäß § 1 Abs. 1 AufG ausnahmsweise im Inland stellen."

§ 1 Abs. 1 der Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 1038/1994, lautete:

"§ 1. (1) Staatsangehörige von Bosnien-Herzegowina und deren Ehegatten und minderjährige Kinder, die aufgrund der bewaffneten Konflikte in ihrer Heimat diese verlassen mußten, anderweitig keinen Schutz fanden und vor dem 1. Juli 1993 eingereist sind, haben ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet."

Mit seinem Beschwerdevorbringen, er sei ein "bleibeberechtigter Bosnier", zeigt der Beschwerdeführer einen relevanten Feststellungsmangel des angefochtenen Bescheides auf.

Wie sich aus der vorstehenden Wiedergabe des Ganges des Verwaltungsverfahrens ergibt, berief sich der Beschwerdeführer sowohl gegenüber der erstinstanzlichen, als auch gegenüber der belangten Behörde zuletzt darauf, Staatsangehöriger Bosniens und der Herzegowina zu sein. Selbst wenn der Beschwerdeführer am 9. November 1993 angegeben haben mochte, er sei "Serbe", wurde dieses Vorbringen spätestens in seiner niederschriftlichen Einvernahme vom 7. Oktober 1994 dahingehend klargestellt, daß daraus nicht ableitbar sei, der Beschwerdeführer sei Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien. Die belangte Behörde wäre daher verpflichtet gewesen, Feststellungen zum Vorbringen des Beschwerdeführers, er sei Staatsangehöriger Bosnien-Herzegowinas und habe aufgrund der bewaffneten Konflikte in seiner Heimat diese verlassen müssen, zu treffen. Allein aus dem Umstand der Ausstellung eines Reisepasses durch die Bundesrepublik Jugoslawien an den Beschwerdeführer kann nämlich nicht auf einen Verlust der bosnisch-herzegowinischen Staatsbürgerschaft geschlossen werden (vgl. das hg. Erkenntnis vom 30. Mai 1996, Zlen. 95/19/0912 bis 0915, mit näheren Hinweisen auf die Bestimmungen der Republik Bosnien-Herzegowina über die doppelte Staatsbürgerschaft). Das in § 1 Abs. 1 der zitierten Verordnungen der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina enthaltene Tatbestandselement "anderweitig keinen Schutz fanden" stellt auf den Einreisezeitpunkt ab (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. Mai 1996, Zl. 96/21/0313).

Sollte der nach den Bescheidfeststellungen vor dem 1. Juli 1993 eingereiste Beschwerdeführer - wie er behauptet - auch die übrigen Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 der Verordnung BGBl. Nr. 1038/1994 erfüllt haben, so hätte er zum 1. Jänner 1995 gemäß dieser Verordnung ein Aufenthaltsrecht gehabt. Eine gegenteilige Auskunft der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg konnte die Aufenthaltsbehörden nicht binden. Der Beschwerdeführer wäre daher aus dem Grunde des § 2 der Verordnung der Bundesregierung über das Aufenthaltsrecht von kriegsvertriebenen Staatsangehörigen von Bosnien-Herzegowina, BGBl. Nr. 389/1995, berechtigt gewesen, seinen Antrag ausnahmsweise im Inland zu stellen. Die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung könnte daher nicht auf § 6 Abs. 2 AufG gestützt werden.

Von dem aufgezeigten Feststellungsmangel ist aber auch der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 AufG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Z. 4 FrG mitumfaßt, weil dem Beschwerdeführer, erfüllte er die Voraussetzungen der in Rede stehenden Verordnungsbestimmungen, im Gegensatz zur Auffassung der belangten Behörde kein unrechtmäßiger Aufenthalt im Inland anzulasten wäre.

Da der Sachverhalt in dem aufgezeigten wesentlichen Punkt einer Ergänzung bedarf, war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1997190872.X00

Im RIS seit

02.05.2001
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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