TE Vwgh Erkenntnis 1985/11/8 85/18/0292

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Veröffentlicht am 08.11.1985
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Index

StVO

Norm

StVO 1960 §4 Abs5

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Simon und die Hofräte Dr. Degischer und DDr. Jakusch als Richter, im Beisein des Schriftführers Landesregierungsrat Dr. Schieferer, über die Beschwerde des EZ in W, vertreten durch Dr. Marion Schön, Rechtsanwalt in Wien I, Habsburggasse 10/12, gegen den Bescheid der Wiener Landesregierung vom 1. April 1985, Zl. MA 70-XI/Z 24/84/Str., betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Die Bundeshauptstadt (Land) Wien hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.510,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Bescheid wurde der Beschwerdeführer durch Bestätigung des erstbehördlichen Straferkenntnisses (§ 66 Abs. 4 AVG 1950) schuldig erkannt, am 27. Oktober 1983 um 9.00 Uhr in Wien 8, Alser Straße in Höhe der Feldgasse, als Lenker eines dem Kennzeichen nach bestimmten Kraftfahrzeuges an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden ursächlich beteiligt gewesen zu sein und es unterlassen zu haben, die nächste Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub vom Verkehrsunfall zu verständigen; er habe hiedurch eine Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs. 3 lit. a in Verbindung mit § 4 Abs. 5 Straßenverkehrsordnung 1960 (StVO) begangen. Gemäß § 99 Abs. 3 lit. a StVO wurde über ihn eine Geldstrafe (Ersatzarreststrafe) verhängt.

Zur Begründung führte die belangte Behörde aus, der Beschwerdeführer wende gegen die ihm zur Last gelegte Tat ein, die Beschädigung am Fahrzeug des Unfallsbeteiligten sei nicht von ihm verursacht worden und wenn doch, dann habe er den Verkehrsunfall nicht bemerkt. Dem sei entgegenzuhalten, daß der Zeuge Franz K. anläßlich seiner Einvernahme am 31. Jänner 1984 ausgesagt habe, der Verkehrsunfall habe nicht nur ein "überlautes Anstoßbzw. Kratzgeräusch" verursacht, sondern der Beschwerdeführer habe daraufhin auch kurz abgebremst oder angehalten und sei dann mit "rasanter" Beschleunigung weitergefahren, sodaß anzunehmen sei, der Beschwerdeführer habe den Vorfall bemerkt. Die Zeugin Elisabeth K. habe am 17. Februar 1984 als Zeugin ausgesagt, daß der Unfall, der durch den Beschwerdeführer verursacht worden sei, ein überaus "lautes Kratzgeräusch" zur Folge gehabt habe und der Beschwerdeführer sofort nach dem Geräusch angehalten und dann "rasant beschleunigt" habe. Der Beschwerdeführer habe in seiner Stellungnahme vom 21. März 1984 ferner bestritten, daß ihm das Fahrzeug der beiden Zeugen überhaupt aufgefallen sei. Er habe u.

a. die Vornahme einer "Stellprobe" beider Fahrzeuge beantragt, in der Folge aber sein Fernbleiben von der "Stellprobe" durch die Vorlage einer Krankenstandsbestätigung entschuldigt. Dem Gutachten des Sachverständigen der Magistratsabteilung 46 vom 12. Juli 1984 sei zu entnehmen, daß die "Stellprobe" nicht habe durchgeführt werden können, da das Fahrzeug des Beschwerdeführers bereits am 30. Jänner 1984 abgemeldet worden sei. Der "zuständigen" Versicherung sei der Schaden am 29. November 1983 gemeldet worden. Der Beschwerdeführer bleibe in seiner abschließenden Stellungnahme bei seiner Ansicht, er habe den Verkehrsunfall nicht bemerkt und seiner Meinung nach auch nicht verursacht; er habe die Schadensmeldung nur auf Grund der Verständigung durch die Polizei vorgenommen. Die belangte Behörde schenke jedoch den Aussagen der beiden Zeugen mehr Glauben als den Angaben des Beschwerdeführers, da die ersteren auf Grund ihrer verfahrensrechtlichen Stellung der Wahrheitspflicht unterlägen und bei deren Verletzung mit strafrechtlichen Sanktionen rechnen müßten, was auf den Beschwerdeführer nicht zutreffe. Der Beschwerdeführer habe überdies ein persönliches Interesse, straflos zu bleiben und werde daher eher geneigt sein, zu seinen Gunsten sprechende Angaben zu machen. Nach der Aussage des Zeugen Franz K. sei das "Anstoß- bzw. Kratzgeräusch" in dessen Wagen "überaus laut hörbar" gewesen. Es müsse daher aus diesem Grund angenommen werden, daß der Beschwerdeführer den Verkehrsunfall bemerkt habe. Die dem Beschwerdeführer angelastete Tat sei daher als erwiesen anzunehmen gewesen. Der Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens sei abzuweisen gewesen, da die Fotos, auf die der Beschwerdeführer verwiesen habe, von ihm nie vorgelegt worden seien und sein Kraftfahrzeug längst abgemeldet worden sei, sodaß die im Zeitpunkt der Tat bestandene Situation nicht wieder herstellbar gewesen sei.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Der Beschwerdeführer bestreitet in seiner Beschwerde nicht mehr, an dem fraglichen Verkehrsunfall beteiligt gewesen zu sein, bringt jedoch vor, die belangte Behörde habe zu Unrecht angenommen, er habe den Unfall auch bemerken müssen. Der Umstand allein, daß der Zeuge in seinem Fahrzeug das "Anstoßgeräusch" als laut wahrnehmbar empfunden habe, sage über diese Frage nichts aus, weil die Schalleitung durch die Karosserie im Fahrzeug des Zeugen eine ganz andere gewesen sei als die allfällige Schallleitung über den Außenspiegel des Fahrzeuges des Beschwerdeführers. Irgendeine "Erschütterung" an den Fahrzeugen oder ähnliches sei vom Zeugen nicht behauptet worden. Ein Abbremsen und Wiederanfahren des Fahrzeuges sei kein Hinweis darauf, daß der Beschwerdeführer den "Anstoß" bemerkt habe, da es ihm in dieser Situation mit Sicherheit klar gewesen wäre, daß die beiden Insassen des anderen Fahrzeuges sein Kennzeichen notieren und ihn in kürzester Zeit ausforschen konnten. Er habe zum Beweis dafür, daß er den Verkehrsunfall nicht wahrgenommen habe, die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt, was die belangte Behörde zu Unrecht abgelehnt habe. Es sei einerseits unrichtig, daß sein Fahrzeug, weil er es bereits im Jänner 1984 abgemeldet habe, nicht mehr zur Verfügung gestanden sei. Tatsächlich sei das Fahrzeug nach einem Totalschaden erst im Dezember 1984 abgemeldet worden. Andererseits hatte eine "Stellprobe" auch mit einem Fahrzeug gleicher Bauart durchgeführt werden können. Es sei auch unrichtig, daß die Fotos, auf die der Beschwerdeführer im gesamten Verfahren verwiesen habe, nicht vorgelegt worden seien. Er habe vielmehr Kopien dieser Fotos mit seiner Stellungnahme vom 21. März 1984 vorgelegt und sich danach laufend auf die bereits vorgelegten Kopien bezogen. Es sei ihm nie bekanntgegeben worden, daß derartige Kopien bei der belangten Behörde nicht eingelangt seien.

Die Übertretung des § 4 Abs. 5 StVO kann, da das Gesetz nichts anderes sagt, auch in der Schuldform der Fahrlässigkeit begangen werden. Eine solche Fahrlässigkeit ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes schon dann anzunehmen, wenn dem Schädiger bei gehöriger Aufmerksamkeit Umstände hätten zu Bewußtsein kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles erkennen hätte können (vgl. das hg. Erkenntnis vom 28. März 1985, Zl. 85/02/0072, mit weiterführenden Judikaturhinweisen).

Die Frage, ob dem Beschuldigten unter den gegebenen Umständen bei gehöriger Aufmerksamkeit der Verkehrsunfall zu Bewußtsein hätte kommen müssen, ist eine Tatsachenfrage, welche im Wege der Beweiswürdigung zu lösen ist. Zwar normiert § 45 Abs. 2 AVG 1950 (§ 24 VStG 1950) den Grundsatz der freien Beweiswürdigung, doch schließt das keinesfalls eine verwaltungsgerichtliche Kontrolle in der Richtung aus, ob der Sachverhalt genügend ermittelt ist und ob die bei der Beweiswürdigung vorgenommenen Erwägungen schlüssig sind. Wesentliche Mängel der Sachverhaltsfeststellung einschließlich der Beweiswürdigung führen daher zur Aufhebung eines Bescheides (vgl. dazu u. a. das hg. Erkenntnis vom 24. Mai 1974, Slg. Nr. 8619/A).

Dem Beschwerdeführer ist zuzubilligen, daß in einem Fall wie dem vorliegenden der Umstand, daß das unfallbedingte Geräusch in einem anderen unfallbeteiligten Fahrzeug überaus laut hörbar" war, nicht den zwingenden Schluß zuläßt, daß dies auch im Fahrzeug des Beschwerdeführers der Fall war. Um die hier entscheidungswesentliche Frage nach der Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalles für den Beschwerdeführer abschließend beurteilen zu können, wäre es jedenfalls erforderlich gewesen, Art und Ausmaß der bei dem Unfall entstandenen Schaden festzustellen und - sofern sich sodann diese Frage nicht bereits nach der allgemeinen Lebenserfahrung beantworten läßt - das Gutachten eines technischen Sachverständigen hiezu einzuholen. Auch wenn im vorliegenden Fall das Fahrzeug des Beschwerdeführers nicht mehr zur Verfügung stand und die Schaden am anderen am Unfall beteiligten Fahrzeug bereits behoben waren, wäre die Feststellung der Art und des Umfanges des Schadens durch genaue Befragung der Zeugen möglich gewesen. Überdies hat sich der Beschwerdeführer im Verfahren vor der belangten Behörde auch auf von ihm in Kopie vorgelegte Fotos berufen, deren Originale sich nach seinen Angaben bei seiner Haftpflichtversicherung befanden. Unter diesen Umständen hätte es schon die im § 39 Abs. 2 AVG 1950 niedergelegte Pflicht zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes erfordert, entweder den Beschwerdeführer darauf hinzuweisen, daß die Kopien der Fotos bei der belangten Behörde nicht eingelangt sind, um ihm so deren (neuerliche) Vorlage zu ermöglichen, oder die fraglichen Fotos direkt vom Haftpflichtversicherer des Beschwerdeführers beizuschaffen zu versuchen.

Da die belangte Behörde all dies unterlassen hat, belastete sie den angefochtenen Bescheid mit Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers vom 30. Mai 1985, BGBl. Nr. 243.

Wien, am 8. November 1985

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1985:1985180292.X00

Im RIS seit

18.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

18.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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