TE Vwgh Erkenntnis 1988/11/9 88/03/0047

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 09.11.1988
beobachten
merken

Index

StVO

Norm

AVG §45 Abs2
AVG §52
StVO 1960 §4 Abs1 lita
StVO 1960 §4 Abs1 litc
StVO 1960 §4 Abs5
VStG §19
VStG §22 Abs1
VStG §44a lita
VStG §44a Z1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hrdlicka und die Hofräte Dr. Baumgartner und Dr. Leukauf als Richter, im Beisein der Schriftführerin Regierungskommissär Dr. Schmidt, über die Beschwerde des L S in W, vertreten durch Dr. Ulrich Daghofer, Rechtsanwalt in Graz, Albrechtgasse 3, gegen den Bescheid der Steiermärkischen Landesregierung vom 8. Februar 1988, Zl. 11-75 Scho 11-1987, betreffend Übertretungen der Straßenverkehrsordnung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 9.660,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Bezirkshauptmannschaft Weiz sprach mit Straferkenntnis vom 19. Jänner 1987 aus, der Beschwerdeführer habe am 4. Juli 1986 um 21.00 Uhr mit einem dem Kennzeichen nach bestimmten Lkw die Hofstattgasse im Ortsgebiet von Weiz, Kreuzungsbereich Klammstraße,

in Fahrtrichtung Leopoldhofweg Nr. 17 befahren, wobei er in einen Verkehrsunfall mit Sachschaden persönlich verwickelt gewesen sei und, obwohl sein Verhalten am Unfallsort mit dem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, 1) das Fahrzeug nicht sofort angehalten, 2) an der Feststellung des Sachverhaltes nicht mitgewirkt, da er unmittelbar nach dem Verkehrsunfall seine Fahrt nach Hause fortgesetzt habe, sowie 3) nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall verständigt, obwohl er auch der geschädigten Person seinen Namen und seine Anschrift nicht nachgewiesen habe. Der Beschwerdeführer habe dadurch Verwaltungsübertretungen nach zu 1) § 4 Abs. 1 lit. a StVO, zu 2) § 4 Abs. 1 lit. c StVO und zu 3) § 4 Abs. 5 StVO begangen. Gemäß zu 1) und 2) § 99 Abs. 2 lit. a StVO und zu 3) gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO wurden über den Beschwerdeführer Geldstrafen von zu 1) bis 3) je S 2.000,--, sohin insgesamt S 6.000,-- (Ersatzarreststrafen je drei Tage, sohin insgesamt neun Tage) verhängt.

Die gegen dieses Straferkenntnis vom Beschwerdeführer eingebrachte Berufung wies die Steiermärkische Landesregierung mit Bescheid vom 8. Februar 1988 ab.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes sowie wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften.

Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in der von ihr erstatteten Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Die inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erblickt der Beschwerdeführer unter anderem in der Verurteilung nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO, weil dieses Delikt durch § 4 Abs. 5 und durch § 4 Abs. 1 lit. a StVO konsumiert werde.

Gemäß § 4 Abs. 1 StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursachlichem Zusammenhang steht, a) wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten, c) an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken. Wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, haben nach der Anordnung des § 4 Abs. 5 StVO die im Abs. 1 genannten Personen die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, enthalten die Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO und die Meldungspflicht nach § 4 Abs. 5 leg. cit. zwei voneinander verschiedene und unabhängige Verpflichtungen, deren Verletzung je gesondert zu bestrafen ist (vgl. dazu unter anderem das hg. Erkenntnis vom 24. Februar 1982, Zl. 03/3848/80, sowie die weitere darin angeführte Vorjudikatur). § 4 Abs. 1 lit. c StVO und § 4 Abs. 5 leg. cit. schließen demnach einander nicht aus.

Was das Verhältnis des § 4 Abs. 1 lit. a zu § 4 Abs. 1 lit. c StVO anlangt, ist folgendes zu bemerken: Das im § 4 Abs. 1 lit. a StVO angeordnete sofortige Anhalten des Fahrzeuges hat den Zweck, daß sich der Lenker überzeugt, ob und in welchem Ausmaß durch den Verkehrsunfall Schaden zu befürchten sind, die von ihm zu treffende Maßnahmen unter anderem nach § 4 Abs. 1 lit. b und lit. c StVO erfordern. Diese Anhaltepflicht beschränkt sich auf den Bereich der Unfallstelle, wobei der Tatbestand bereits mit dem Nichtanhalten verwirklicht ist (vgl. unter anderem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 17. Juni 1971, Slg. Nr. 8038/A). Demgegenüber dient die Mitwirkungspflicht nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO dem Zweck, den Organen der öffentlichen Sicherheit die Aufnahme des Tatbestandes zu erleichtern und zu gewährleisten, daß die Behörde ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild des Unfallherganges, seiner Ursachen und Folgen gewinnt. Die Mitwirkungspflicht besteht jedenfalls immer dann, wenn es - wie im Beschwerdefall - zur amtlichen Aufnahme des Tatbestandes an der Unfallstelle kommt (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. November 1967, Slg. Nr. 7219/A), und schließt in diesem Fall auch die Verpflichtung des Lenkers ein, die Unfallstelle nicht zu verlassen oder, wenn er nicht sofort angehalten hat, nicht weiterzufahren, sondern zur Unfallstelle zurückzukehren. Schon in Hinsicht auf den unterschiedlichen Schutzzweck der Bestimmungen des § 4 Abs. 1 lit. a und lit. c StVO besteht eine Konkurrenz der beiden Übertretungen und kann entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht davon ausgegangen werden, daß Konsumtion dieser beiden Deliktstatbestände eingetreten ist. Vielmehr werden durch einen Verstoß gegen § 4 Abs. 1 lit. a StVO und gegen § 4 Abs. 1 lit. c leg. cit. verschiedene Rechtsgüter verletzt. Der Lenker eines Fahrzeuges, der nach einem Verkehrsunfall die Fahrt, ohne anzuhalten, fortsetzt, übertritt daher mit diesem (einem) Verhalten nicht nur § 4 Abs. 1 lit. a, sondern auch § 4 Abs. 1 lit. c StVO. Diese beiden Bestimmungen schließen ebenfalls nicht aus, weshalb ihre gesonderte Bestrafung nicht als rechtswidrig zu erkennen ist.

Der von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte Spruch des erstinstanzlichen Straferkenntnisses enthält alle Tatbestandselemente der Übertretungen des § 4 Abs. 1 lit. a und lit. c sowie des § 4 Abs. 5 StVO. Es war im Beschwerdefall weder erforderlich, den anderen "Verkehrsteilnehmer zu konkretisieren", noch anzuführen, welcher Person der Schaden erwuchs, an welcher Sache der Schaden eintrat und welcher Art und welchen Ausmaßes der Schaden war. Diese Umstände stellen keine wesentlichen Tatbestandsmerkmale dieser Übertretungen dar (vgl. dazu unter anderem die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 23. September 1983, Zl. 81/02/0348, vom 17. Jänner 1985, Zl. 85/02/0051, vom 27. Juni 1986, Zl. 86/18/0083, und vom 7. November 1986, Zl. 86/18/0162). Die angeführten Umstände waren daher entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers nicht in den Spruch des Straferkenntnisses aufzunehmen, weshalb der Beschwerdeführer mit dem darauf gerichteten und ebenfalls unter dem Gesichtspunkte einer inhaltlichen Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides erstatteten Beschwerdevorbringen keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darzutun vermag.

In den Ausführungen zu der in der Beschwerde behaupteten Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften rügt der Beschwerdeführer, daß seinen insbesondere in der Berufung gestellten Beweisanträgen nicht stattgegeben und darauf in der Begründung des angefochtenen Bescheides überhaupt nicht eingegangen worden sei. Die belangte Behörde habe sich damit begnügt, das von ihr eingeholte Gutachten des Amtssachverständigen zu zitieren, ohne sich mit den Einwänden des Beschwerdeführers gegen dieses Gutachten, dem die Prämissen fehlten und das daher nicht schlüssig und nicht nachvollziehbar sei, auseinanderzusetzen.

Mit diesen Einwänden ist der Beschwerdeführer im Recht.

Voraussetzung für die im § 4 StVO normierten Verpflichtungen ist nicht nur das objektive Tatbestandsmerkmal des Eintrittes eines Sachschadens, sondern in subjektiver Hinsicht das Wissen von dem Eintritt eines derartigen Schadens, wobei aber nicht unbedingt das positive Wissen vom Verkehrsunfall und vom ursächlichen Zusammenhang erforderlich ist, sondern es genügt - da der Anwendungsbereich des § 4 StVO in diesem Zusammenhang nicht ausdrücklich auf die Schuldform des Vorsatzes beschränkt ist (§ 5 VStG 1950) -, wenn die betreffende Person bei gehöriger Aufmerksamkeit den Verkehrsunfall und den ursachlichen Zusammenhang hätte erkennen können (vgl. dazu die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 6. Juli 1984, Zl. 82/02/0072, und das schon zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 7. November 1986, Zl. 86/18/0162). Der Beschwerdeführer behauptete nun von allem Anfang an, daß er den Verkehrsunfall weder optisch noch akustisch wahrgenommen hat. Er brachte dazu vor, daß es sich bei dem von ihm gelenkten Fahrzeug um ein Dieselfahrzeug gehandelt habe, in dessen Heck zahlreiche Plastikcontainer mit "schepperndem" Werkzeug gelagert gewesen seien. Er beantragte zum Beweise, daß er die Beschädigung nicht wahrgenommen habe, die Vernehmung der Unfallsgegnerin als Zeugin, die Beischaffung des Besichtigungsberichtes der Haftpflichtversicherung und die Beischaffung der Reparaturrechnung des beschädigten Fahrzeuges.

Der von der belangten Behörde gehörte Sachverständige führte in seinem "Gutachten" aus, nach Studium des Aktes, insbesondere der angeführten Beschädigungen sei als technisch sicher anzusehen, daß der Beschwerdeführer den Anprall bei zumutbarer Aufmerksamkeit habe bemerken müssen. Er begründete dies damit, daß der Beschwerdeführer am stillstehenden gegnerischen Pkw bei engen Platzverhältnissen habe vorbeifahren wollen und ihn dies bereits gezwungen habe, erhöhte Aufmerksamkeit walten zu lassen. Der Anprall am gegnerischen Pkw sei mit einer Heftigkeit erfolgt, die einen deutlich wahrnehmbaren Schaden an diesem Pkw zur Folge gehabt habe, wobei auch ein Geräusch entstanden sein müßte, welches im Fahrzeuginneren noch verstärkt aufgetreten und vom Beschwerdeführer bei zumutbarer Aufmerksamkeit bemerkt worden sein müßte.

In seiner Stellungnahme dazu bemängelte der Beschwerdeführer, daß die Äußerung des Sachverständigen nicht überprüfbar sei, weil es keine Angaben darüber enthalte, von welcher Lautstärke des Anpralls der Sachverständige ausgegangen sei. Es lasse weiters nicht erkennen, welches Schadensbild der Sachverständige seinem "Gutachten" zugrundegelegt habe. Im Verwaltungsakt seien nur angebliche Behebungskosten von S 7.000,-- angeführt, ohne daß irgendeine technische Art und Weise der Beschädigung angegeben sei. Er beantragte daher eine Ergänzung des Gutachtens.

Die belangte Behörde führte dazu in der Begründung des angefochtenen Bescheides aus, daß die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen auf Grund des von der Vorinstanz durchgeführten Ermittlungsverfahrens und des Sachverständigengutachtens, aus dem ersichtlich sei, daß der Beschwerdeführer den Anprall bei zumutbarer Aufmerksamkeit bemerkt haben müßte, als erwiesen anzusehen seien, wobei sie die Sachverständigenäußerung wörtlich übernahm.

Mit dieser Vorgangweise verletzte die belangte Behörde in mehrfacher Hinsicht Verfahrensvorschriften. Die Äußerung des Sachverständigen kann einem Sachverständigengutachten nicht gleichgehalten werden, zumal sie jedweden erforderlichen Befund vermissen läßt und sich in bloß allgemeinen Schlußfolgerungen erschöpft, ohne auf die konkreten Gegebenheiten näher einzugehen. Insbesondere ist dieser Äußerung - wie der Beschwerdeführer zu Recht einwendet - nicht zu entnehmen, von welchem Schaden nach Art und Ausmaß der Sachverständige bei seiner Beurteilung ausging. Eine sachverständige Äußerung, die sich in der Abgabe eines Urteils (eines Gutachtens im engeren Sinn) erschöpft, aber weder die Tatsachen, auf die sich dieses Urteil gründet, noch die Art, wie diese Tatsachen beschafft wurden, erkennen läßt, ist mit einem wesentlichen Mangel behaftet und als Beweismittel unbrauchbar; die Behörde, die eine so geartete Äußerung ihrer Entscheidung zugrundelegt, wird ihrer Pflicht zur Erhebung und Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes nicht gerecht (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Jänner 1970, Slg. Nr. 7714/A). Darüber hinaus verletzte die belangte Behörde die ihr gemäß § 60 AVG 1950 obliegende Begründungspflicht, weil sie sich mit der bloßen Wiedergabe der Sachverständigenäußerung begnügte, ohne sich mit den dagegen erhobenen Einwänden des Beschwerdeführers auseinanderzusetzen und des weiteren nicht darlegte, warum sie die vom Beschwerdeführer beantragten Beweise für entbehrlich erachtete (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. Februar 1987, Zl. 86/18/0253).

Eine weitere Rechtswidrigkeit haftet dem angefochtenen Bescheid hinsichtlich des vom Beschwerdeführer ebenfalls gerügten Strafausmaßes insofern an, als die belangte Behörde ungeachtet der verschieden hohen Strafdrohungen der Delikte nach § 4 Abs. 1 lit. a und nach § 4 Abs. 5 StVO für beide Übertretungen die gleichen Strafen verhängte, ohne zu begründen, warum sie dennoch vermeinte, daß für die mit minderer Strafe bedrohte Verwaltungsübertretung im konkreten Fall eine gleich hohe Strafe dem Gebot des § 19 VStG entspricht, wie sie für die mit weitaus höherer Strafdrohung ausgestattete Verwaltungsübertretung verhängt worden ist (vgl. dazu das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 13. September 1985, Zl. 85/18/0002).

Der angefochtene Bescheid war jedoch aus den vorstehenden Erwägungen gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung des Bundeskanzlers BGBl. Nr. 243/1985. Die Abweisung des Mehrbegehrens hat nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand - die Beschwerde war lediglich in zweifacher Ausfertigung einzubringen - zum Gegenstand.

Wien, am 9. November 1988

Schlagworte

Anforderung an ein GutachtenBeweismittel Sachverständigenbeweis Medizinischer SachverständigerBeweismittel Sachverständigenbeweis Technischer Sachverständiger

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1988:1988030047.X00

Im RIS seit

19.06.2020

Zuletzt aktualisiert am

19.06.2020
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten