TE Vwgh Erkenntnis 1998/3/13 96/19/1435

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Veröffentlicht am 13.03.1998
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Index

001 Verwaltungsrecht allgemein;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AufG 1992 §1 Abs3 idF 1995/351;
AufG 1992 §1 Abs3 Z5 idF 1995/351;
AufG 1992 §6 Abs2 idF 1995/351;
AufG 1992 §6 Abs4 idF 1995/351;
AVG §6 Abs1;
FrG 1993 §65;
FrG 1993 §7 Abs7;
VwRallg;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stoll und die Hofräte Dr. Zens, Dr. Bayjones, Dr. Schick und Dr. Hinterwirth als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Martschin, über die Beschwerde der AV in Wien, geboren 1953, vertreten durch DDr. WS, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. März 1996, Zl. 112.011/4-III/11/95, betreffend Aufenthaltsbewilligung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin beantragte am 20. Dezember 1994 die Erteilung eines Sichtvermerkes nach dem Fremdengesetz und gab an, als selbständige Kunstrestauratorin bei einem akademischen Restaurator in Wien tätig zu sein. Auf der ersten und letzten Seite des Antrages findet sich jeweils zusätzlich der Vermerk "Künstlerin".

Die Bundespolizeidirektion Wien leitete am 2. Jänner 1995 diesen Antrag an die Aufenthaltsbehörde erster Instanz weiter und begründete dies damit, daß die Antragstellerin als selbständige Restauratorin arbeite, die Fremdenpolizei somit für die Erledigung des Antrages nicht zuständig sei.

Der Landeshauptmann von Wien wies mit Bescheid vom 10. Jänner 1995 den gemäß § 7 Abs. 7 des Fremdengesetzes 1992 (FrG) abgetretenen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung nach dem Aufenthaltsgesetz (AufG) mangels einer Antragstellung vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus gemäß § 6 Abs. 2 AufG ab. Aus der Begründung dieses Bescheides geht hervor, daß der letzte Sichtvermerk der Antragstellerin nur bis zum 30. März 1993 gültig gewesen sei, weshalb sie auch keinen Verlängerungsantrag habe stellen können.

Die Beschwerdeführerin erhob Berufung, in der sie darauf hinwies, daß sie im Jahre 1991 nach Österreich eingereist sei und § 6 Abs. 2 AufG zum damaligen Zeitpunkt nicht gegolten habe. Sie sei "freiberufliche Künstlerin-Restauratorin", müsse öfters ins Ausland reisen und verfüge gleichzeitig über einen bulgarischen Dienstpaß. Sie sei daher der Annahme gewesen, daß sie aus diesem Grunde einen Antrag auf Verlängerung des Sichtvermerkes nicht zu stellen brauche.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. März 1996 wurde die Berufung gemäß § 66 Abs. 4 AVG in Verbindung mit § 6 Abs. 2 AufG abgewiesen. Die belangte Behörde stellte fest, daß sich die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Antragstellung im Bundesgebiet aufgehalten habe und dadurch das gesetzliche Erfordernis einer Antragstellung vom Ausland aus nicht erfüllt worden sei. Zu den persönlichen Verhältnissen sei zu sagen, daß nur die dargestellten familiären Beziehungen zu Österreich bestünden. Auch in der Berufung habe die Beschwerdeführerin keine Gründe vorbringen können, die eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbeigeführt hätte. Bei Abwägung der öffentlichen Interessen und der privaten im Rahmen des Art. 8 MRK sei aufgrund des angeführten Sachverhaltes den öffentlichen Interessen Priorität einzuräumen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die nunmehr vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die für den gegenständlichen Fall entscheidenden Bestimmungen des AufG in der hier anzuwendenden Fassung der Novelle BGBl. Nr. 351/1995 lauteten:

"§ 1. (1) Fremde (§ 1 Abs. 1 des Fremdengesetzes, BGBl. Nr. 838/1992) brauchen zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich eine besondere Bewilligung (im folgenden "Bewilligung" genannt). Die auf Grund anderer Rechtsvorschriften für Fremde vorgesehenen besonderen Regelungen bleiben unberührt.

(2) ...

(3) Keine Bewilligungen brauchen Fremde, wenn sie

...

5. Künstler sind, deren Tätigkeit überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt ist, sofern ihr Unterhalt durch das Einkommen gedeckt wird, das sie aus ihrer künstlerischen Tätigkeit beziehen und sie in Österreich keine andere Erwerbstätigkeit ausüben.

..."

§ 6. (1) ...

(2) Der Antrag auf Erteilung einer Bewilligung ist vor der Einreise nach Österreich vom Ausland aus zu stellen .... Der Antrag auf Verlängerung einer Bewilligung und auf Änderung des Aufenthaltszwecks kann bis zum Ablauf der Geltungsdauer der Bewilligung auch vom Inland aus gestellt werden.

(3) ..."

    § 7 Abs. 7 FrG lautete:

    § 7. (1) ...

...

(7) Ergibt sich aus den Umständen des Falles, daß der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß den §§ 1 und 6 des Bundesgesetzes, mit dem der Aufenthalt von Fremden in Österreich geregelt wird (Aufenthaltsgesetz), BGBl. Nr. 466/1992, benötigt, so darf dem Fremden kein Sichtvermerk nach diesem Bundesgesetz erteilt werden. Das Anbringen ist als Antrag gemäß § 6 des Aufenthaltsgesetzes unverzüglich an die zuständige Behörde weiterzuleiten, der Antragsteller ist davon in Kenntnis zu setzen."

Die Beschwerdeführerin stützt ihre Beschwerde darauf, daß angesichts ihrer Angaben im Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes, insbesondere ihres Hinweises auf ihre Tätigkeit als Künstlerin der entscheidungswesentliche Sachverhalt von den Aufenthaltsbehörden nicht ausreichend festgestellt worden sei. Die belangte Behörde habe ihre Angaben nicht entsprechend gewürdigt und sei zu Unrecht davon ausgegangen, daß die Beschwerdeführerin eine Aufenthaltsbewilligung benötige. Die Beschwerdeführerin brauche vielmehr gemäß § 1 Abs. 3 Z. 5 AufG keine Aufenthaltsbewilligung; zur Entscheidung über den Antrag wäre das Fremdenpolizeiliche Büro der Bundespolizeidirektion Wien in erster Instanz und die Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien in zweiter Instanz zuständig gewesen.

Die Beschwerdeführerin hat im verfahrensgegenständlichen Antrag ausdrücklich auf ihre künstlerische Tätigkeit als Kunstrestauratorin hingewiesen und zum Beleg dafür, daß sie aus ihrer Tätigkeit ihren Unterhalt bestreiten kann, einen Werkvertrag vom Juni 1994 vorgelegt und zusätzlich auf eine Steuernummer ihres Finanzamtes verwiesen. Auch in der Berufung hat die Beschwerdeführerin ihre Tätigkeit als "freiberufliche Künstlerin-Restauratorin (Bilder- und Wandmaler)" bezeichnet und den verfahrensgegenständlichen Antrag als einen solchen auf Verlängerung eines Sichtvermerkes bezeichnet.

Die belangte Behörde hat diesem Vorbringen keine Beachtung geschenkt und sich weder mit der Frage befaßt, ob die Beschwerdeführerin als Künstlerin im Sinne dieser Bestimmung anzusehen ist noch Feststellungen zum Vorliegen der sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 Z. 5 AufG getroffen.

Dieses Versäumnis ist aus nachstehenden Gründen von Bedeutung:

Würden auf die Beschwerdeführerin die Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 Z. 5 AufG zutreffen, bräuchte sie zur Begründung eines Hauptwohnsitzes in Österreich keine Aufenthaltsbewilligung. Angesichts der diesbezüglich unbedenklichen Aktenlage und insbesondere des eigenen Vorbringens der Beschwerdeführerin ist nicht auszuschließen, daß die Tatbestandsvoraussetzungen dieser Bestimmung auf die Beschwerdeführerin zutreffen. Hinsichtlich der Frage der Qualifzierung der Tätigkeit einer Restauratorin als "überwiegend durch Aufgaben der künstlerischen Gestaltung bestimmt" im Sinne des § 1 Abs. 3 Z. 5 AufG ist auf die Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofes vom 22. März 1995, Zl. 92/13/0005 und Zl. 92/13/0055 zu verweisen, wo sich der Gerichtshof mit der Frage befaßt hat, ob ein Restaurator "künstlerisch tätig" ist. Der Verwaltungsgerichtshof sprach in diesen Erkenntnissen, die wegen des vergleichbaren Begriffsinhaltes (eine "künstlerische Gestaltung" stellt unzweifelhaft eine "künstlerische Tätigkeit" dar) zur Klärung des im Aufenthaltsgesetz verwendeten, aber nicht näher definierten Begriffs der "überwiegenden künstlerischen Gestaltung" herangezogen werden können, aus, daß bei der Tätigkeit der Restaurierung eines Kunstwerkes zwischen typischen Reinigungs- und Konservierungsarbeiten einerseits, die keine künstlerische Tätigkeit darstellen, und der (Wieder-)Herstellung eines Kunstwerkes andererseits zu unterscheiden ist. Im letztgenannten Fall, in dem ein Restaurator Kunstwerke, die bereits so beschädigt sind, daß ihre gänzliche Zerstörung droht, wiederum in ihren ursprünglichen Zustand (soweit dies möglich ist) versetzt, wirkt der Restaurator an der Wiederherstellung eines Kunstwerkes mit. Ähnlich wie ein Kunstwerk von mehreren Künstlern in gemeinsamer Arbeit geschaffen werden kann, kann die Tätigkeit, der ein Kunstwerk seine Existenz verdankt, dergestalt zeitlich hintereinander erfolgen, daß ein zunächst von einem Künstler geschaffenes Kunstwerk in der Folge teilweise oder weitgehend zerstört wird und von einem anderen Künstler wiederum geschaffen wird. Dementsprechend ist eine derartige Tätigkeit eines Restaurators als künstlerische Tätigkeit anzuerkennen. Dazu wird ergänzend angemerkt, daß § 1 Abs. 3 Z. 5 AufG von Künstlern eine Tätigkeit verlangt, die (lediglich) "überwiegend" eine solche mit künstlerischer Gestaltung zu sein hat.

Es ist daher nicht auszuschließen, daß die Beschwerdeführerin Arbeiten der letztgenannten Art durchzuführen hatte (vgl. die Formulierung des Werkvertrages, der von "Rekonstruieren" einer Kreuzwegstation spricht). Feststellungen zum Inhalt der Tätigkeit der Beschwerdeführerin hat die belangte Behörde aber ebensowenig getroffen wie sich mit der Frage auseinandergesetzt, ob der Unterhalt der Beschwerdeführerin durch das Einkommen aus ihren Restaurierungsarbeiten gedeckt wird oder ob diese in Österreich noch einer anderen Erwerbstätigkeit nachgeht.

Hätte die Beschwerdeführerin die Tatbestandsmerkmale des § 1 Abs. 3 Z. 5 AufG erfüllt, bräuchte sie keine Aufenthaltsbewilligung und wäre auch die Weiterleitung des auf Erteilung eines Sichtvermerkes lautenden Antrages von der Bundespolizeibehörde an die Aufenthaltsbehörde nicht rechtmäßig gewesen. In einem solchen Fall wäre nicht davon auszugehen, daß "sich aus den Umständen des Falles ergibt, daß der Antragsteller für den Aufenthalt eine Bewilligung gemäß § 1 AufG benötigt" (vgl. § 7 Abs. 7 FrG). Der Beschwerdeführerin hätte gegebenenfalls unverändert ein Sichtvermerk nach dem Fremdengesetz erteilt werden können.

Bei einer nicht mit der Rechtslage in Übereinstimmung stehenden Weiterleitung eines auf die Erteilung eines Sichtvermerkes zielenden Antrages hätte die Aufenthaltsbehörde erster Instanz bei der Entscheidung über diesen Antrag aber eine Zuständigkeit wahrgenommen, die ihr nicht zukam. Die belangte Behörde hätte diesfalls den angefochtenen Bescheid ersatzlos beheben und den Antrag auf Erteilung eines Sichtvermerkes gemäß § 6 AVG an die Fremdenpolizeibehörde zurückleiten müssen.

Die belangte Behörde hat den entscheidungswesentlichen Sachverhalt in einem wesentlichen Punkt nicht ausreichend erhoben, sodaß der Verwaltungsgerichtshof nicht in der Lage ist, die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides zu überprüfen. Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z. 3 lit. b VwGG infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Kostenersatz stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994. Stempelgebührenersatz war nur in dem zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Ausmaß (Eingabengebühr für 2 Ausfertigungen der Beschwerde und Beilagengebühr für eine Ausfertigung des angefochtenen Bescheides) zuzusprechen.

Schlagworte

Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4 Wahrnehmung der Zuständigkeit von Amts wegen sachliche Zuständigkeit

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1998:1996191435.X00

Im RIS seit

18.02.2002
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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